Brass, Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

Was ist die Grinberg-Methode, Alexander Gerner?

Grinberg-Methode

“Nachhaltiges Wohlbefinden” heißt die Website von Alexander Gerner. Das ist zumindest schon mal kein Understatement. Denn schließlich ist das ja genau das, was man irgendwie immer sucht. Also kein Wohlbefinden, das für die Dauer der Behandlung anhält und danach wieder vorbei ist. Und genau hier setzt die Grinberg-Methode an. Wir sprachen mit Alexander Gerner. 

Alexander Gerner kam als Musikstudent mit dieser Methode in Kontakt. Nachdem er einiges ausprobiert hatte – von Alexandertechnik bis Feldenkrais –, begeisterte ihn hier die klare Struktur der Idee. “Ich habe damals gemerkt: Es gibt die Musiker, die im Konzert besser spielen als sonst. Die bekommen in diesem Moment eine zusätzliche Kraft. Und es gibt die Musiker, die schlechter spielen als vorher. Ich wollte ganz gerne zur ersten Gruppe gehören.”

Zwei wesentliche Pfeiler der Grinberg-Methode sind der Umgang mit Schmerz und der Umgang mit Angst. “Wie kann ich die Kräfte nutzen, um mein Potenzial auszuschöpfen?” Im Mittelpunkt bei der Arbeit mit der Grinberg-Methode steht die Erweiterung der persönlichen Wahrnehmung auf mentaler, emotionaler und körperlicher Ebene. Die Grinberg-Methode lehrt Menschen, ihre Balance zurückzugewinnen, sich zu regenerieren und ihre persönlichen Grenzen zu erweitern.

Grinberg-Methode bedeutet Aufmerksamkeitstraining

“Die Grinberg-Methode ist ein Aufmerksamkeitstraining. Dieses Training richtet seine Aufmerksamkeit auf den Körper. Und darin ist alles eingeschlossen: die körperliche Ebene, die mentale Ebene und auch die Bedürfnis-Ebene.” Der Körper ist ein in sich abgeschlossenes System. “Man kann Körper und Geist nicht voneinander trennen. Das eine beeinflusst das andere.” Der Zugang der Grinberg-Methode komme von der körperlichen Seite, sagt Alexander Gerner.  

Methodengründer Avi Grinberg hat jahrelang mit Menschen gearbeitet, die an chronischen Schmerzen litten. Er konnte zwar seinen Klienten rasch helfen, doch er wollte erreichen, sie langfristig beschwerdefrei zu sehen. Er ent­deckte, dass sich viele aufgrund der Schmerzen gewisse Verhaltensweisen aneigneten. Diese Verhaltensweisen verlängern Schmerzzustände. Die Klienten machten Extra-Anstrengungen, um ihre Schmerzen nicht wahrzunehmen, sie weichen ihnen aus, um sie nicht zu spüren. Immer ist es dieses »Extra«, das so sehr anstrengt, den Körper auslaugt und die Regeneration deutlich verlangsamt. Diese gebundene Energie im »­Extra« versucht die Grinberg-Methode freizusetzen. Lernt der Klient – man spricht nicht von Patienten –, dieses “Extra” loszulassen, steht dem Körper mehr Energie zur Verfügung. Wenn das “Extra” beseitigt wird, kann der Körper seine Arbeit ohne Hindernisse erledigen – sich zu regenerieren.

Alexander Gerner spricht ausführlich über die Methode:

Herr Gerner, wie sind Sie zur Grinberg-Methode gekommen?

Durch einen Studienkollegen. Ich habe Konzertfach Klarinette in Wien studiert und der Konkurrenzkampf, speziell auf dem Sektor Orchestermusiker, war sehr hoch. Vermutlich ist er heute noch größer. Ich habe damals schon Atemtechniken trainiert und hatte auch sehr lang die Alexander-Technik praktiziert und mit der Feldenkrais-Methode bin ich auch in Kontakt gekommen. Ich habe alles ausprobiert und habe gemerkt, dass es bis zu einem gewissen Grad funktioniert. Nur in einem Punkt, der für mich wichtig war, nämlich direkt auf der Bühne, war ich nicht zufrieden. Denn ich kann mich ja nicht auf der Bühne hinlegen und meine Übungen machen. Ich war auf der Suche nach etwas, das genau diesen Punkt erfüllt.

Ein Studienkollege kam dann auf mich zu und meinte: „Alexander, ich habe was gefunden! Das ist genial, das müssen wir machen. Da werden wir auf jeden Fall besser!“ Ich habe mir am Anfang nicht wirklich etwas dabei gedacht. Es entstand viel Neues zur damaligen Zeit. Als ich dann ein bisschen Geld übriggehabt habe, habe ich mir gesagt: Ok – probier es halt aus! Und vom ersten Moment an war mir die Methode irrsinnig klar. Es gab ein klar definiertes Ziel, eine klare Struktur und einen klaren Aufbau. Das kannte ich vorher so nicht. Ich war beeindruckt. Ich habe gemerkt, dass es wirklich beginnt, zu funktionieren. 

“Die Grinberg-Methode war mikr von Anfang an irrsinnig klar!”

Meine damaligen Probleme waren die für Klarinettisten üblichen kleinen Verspannungen im Nacken, im Schultergürtelbereich. Aber zusätzlich ist es mir um etwas anderes gegangen: Bei Konzerten habe ich bemerkt, dass es wenige Leute gibt, die viel besser spielen sonst. Die machen also irgendwas, womit sie in diesem Moment eine zusätzliche Kraft bekommen. Und es gibt viele, die schlechter spielen als normal. Ich wollte ganz gerne zur ersten Gruppe gehören. Und hier hat mir diese Methode auch Ansatzpunkte geboten. 

Und damit haben wir auch schon die beiden Hauptpfeiler der Grinberg-Methode. Das sind der Umgang mit Schmerz und der Umgang mit der Angst. Die Betonung liegt auf “Umgang”. Wie kann ich diese Kräfte für mich nutzen, um mein Potenzial vermehrt auszuschöpfen? Das ist sehr simpel formuliert. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass die Methode Dinge bereithält, mit denen ich Gelerntes auf den Punkt umsetzen konnte. Spannend war für mich, dass sich die Methode am Körper orientiert und man die Dinge am Körper festmachen kann. Ich hatte das erste Mal die Kontrolle. Ich konnte vor 500 Leuten musizieren – und das auch noch genießen! 

Wirkt die Grinberg-Methode dann eher auf körperlicher Ebene? Welche Rolle spielt die mentale Ebene? Wirkt sie sich auf das Wohlbefinden aus?

Ich würde die Grinberg-Methode als “Aufmerksamkeitstraining” definieren. Als ein Training, das die Aufmerksamkeit auf den Körper lenkt. Und dazu gehören die mentale und die emotionale Ebene dazu. Nicht vergessen darf man dabei die Bedürfnis-Ebene. Das gehört alles zusammen und ist ein in sich abgeschlossenes System. Man kann Körper und Geist nicht trennen. Eines beeinflusst das andere. Der Zugang der Grinberg-Methode passiert wirklich von der körperorientierten Seite. Ich lerne, wie und warum ich Symptomatiken, Limitierungen, Blockaden in meinem Körper kreiere. Und wenn ich weiß, wie ich sie kreiere, dann habe ich die auch Möglichkeit, sie eben nicht mehr zu kreieren! 

Grinberg-Methode
Wie kann man sich das denn jetzt in der Praxis vorstellen? Ich bin Musiker, habe Probleme und komme als Klient zu ihnen…

Ich habe schon mit sehr vielen Musikern zu tun gehabt. Erst vor kurzem habe ich das mal grob überschlagen. Pro Jahr gehen zwischen 250 und 300 Musiker “durch meine Hände” Ich mache das nun seit 20 Jahren und mit allen zusätzlichen Kleingruppenkursen und privaten Einzelsitzungen komme auf ungefähr 7500 Musiker. Das betrifft die unterschiedlichsten Instrumentengruppen – Streicher, Pianisten, Bläser, Schlagwerker. Natürlich hat jeder andere Anforderungen, aber letztendlich passiert auf der Bühne das gleiche.

Ist es ein Unterschied, ob da ein Amateur oder ein professioneller Musiker vor Ihnen sitzt?

Ja, den gibt es natürlich. Das ist dann meist eine Frage der Intensität. Ich kläre zunächst einmal ab, welches Ziel der jeweilige Musiker hat. Es ist ja ein Unterschied, ob ich eine Aufnahmeprüfung auf einer Musikuniversität bestehen möchte oder ob ich in der Blasmusik die zweite Trompete wirklich gut und solide ausgestalten will. Danach richtet sich die Intensität und die Arbeitsweise. Wenn jemand zu mir kommt und einfach nur sagt: “Ich möchte besser spielen!”, dann muss ich erst einmal herauszufinden, was das für denjenigen überhaupt bedeutet. Meist kristallisiert sich dann aus einer allgemeinen Formulierung schnell eine Sache heraus, auf die ich individuell eingehen kann. Da habe ich dann mehrere Werkzeuge zur Hand. Da ist etwa der gesamte Komplex der Atmung, der beim Bläser natürlich eine große Rolle spielt. Die brauche ich schlichtweg, um zu spielen. Und da besteht schon ein Unterschied, ob ich das professionell oder semiprofessionell betreiben möchte. 

Ein Problem muss also zunächst konkretisiert und eingegrenzt werden. Mit welchen Problemen kommen die Musiker zu Ihnen? Sind das dann Blockaden körperliche Art? Oder sind diese eher mentaler und emotionaler Art?

Blockaden entstehen oft, wenn ich etwas trainiere, was bis zu einem gewissen Punkt gut geht, ich aber etwas anderes benötige, um über einen gewissen Punkt hinüberzukommen. Und dies passiert auch im semiprofessionellen oder Amateurbereich durchaus, weil auch hier die Anforderungen an die Literatur gestiegen sind. Natürlich möchte jeder gern in der Kunststufe spielen. Und da merkt dann auch der Hobbymusiker, für den es bis dato ganz gut gegangen ist, dass mich da etwas über meinem Limit fordert. 

Alexander Gerner
Alexander Gerner
Und dann war doch bisher der sichere Tipp: mehr üben!

Genau! Das hat man in den vergangenen hundert Jahren so praktiziert. Und heute weiß man, dass das nicht zwingend funktioniert. Heute übt man viel gezielter und steigert so sein Niveau. Heute sollte das Üben eine Sache der Effizienz sein.

Und bei ihnen kann ich zum Beispiel das effiziente Üben lernen? 

Es ist tatsächlich so: Viele wissen nicht, wie sie üben sollen. Es gibt zwar viel Literatur darüber – aber diese wirklich anzuwenden im persönlichen über Alltag, in dem die Zeit limitiert ist und in dem man nicht immer optimale Bedingungen hat, das ist nicht so leicht. Viele erarbeiten etwas und am nächsten Tag fangen sie wieder von vorne an. Und am übernächsten Tag wieder. Die Leistung stagniert tendenziell. Und das macht auf Dauer natürlich unzufrieden. Da ist es wichtig, ein Konzept zu haben, das ich je nach Aufmerksamkeit anpassen kann. Wichtig ist auch, einfach mal zu sagen: “Heute macht das Üben keinen Sinn.”

Sich die Zeit besser einzuteilen und nicht fünf Stunden irgendetwas zu üben – das klingt plausibel.  Aber wie ganz konkret kann da denn jetzt die Grinberg-Methode helfen?

Wenn Klienten zu mir kommen, die etwa Probleme mit bestimmten Stellen haben, dann gebe ich denen einfach mal ein Viertelstunde Zeit: Üb mal! Dann merkt man sehr schnell, wie die Person übt. Aber kommentiere das nicht mit “das ist nicht gut” oder “das ist schlecht”. Ich will einfach ganz objektiv sehen, was die Person beim Üben macht. Wie setzt sie ihren Körper ein? Wie ist die Luftführung? Wie intelligent die Vorgehensweise? Ich setze dann meist dort dann, wo ich die größte Diskrepanz erkenne. 

Schulter
Und schon nach einer Viertelstunde ist Ihnen klar, wo das Problem liegt? 

Meistens merke ich das auch schneller. Aber eine Viertelstunde ist sinnvoll, weil sich natürlich jeder erst einmal reinkommen muss. Ich merke beispielsweise, wenn jemand Probleme hat, längere Phrasen zu spielen, weil die Luftkapazität oder die Atemräume nicht optimal genutzt werden. Ich schaue dann zunächst einmal, wo die meisten Blockaden im Körper bei den Atemräumen sind. Ich habe dabei den Rumpf aufgegliedert, weil er sich bei der Atmung mitbewegt. Das ist auch kein Geheimnis. Es gibt den oberen Brustkorbbereich, den unteren Brustkorbbereich, den Oberbauch und den Unterbauch, den unteren, mittleren und oberen Rücken und natürlich auch die Flanken. Insgesamt sind das zehn Bereiche und man merkt recht schnell, wo es hapert. Und mit diesen zehn Bereichen kann auch der Klient sehr gut nachvollziehen, wo er seine Ressourcen hat. Ich rede bewusst nicht von Blockaden, sondern eher von verstecktem Potenzial. 

Geben Sie dann ganz konkrete Anweisungen, wie etwas zu verbessern ist?

Jein. Ich bin ein wenig von dem abgekommen, was die gängige Lehrmeinung ist, diese Anweisungen “Steh gerade!” oder “Richte dich auf!” Denn das funktioniert nicht lange. Und hier kommt die Grinberg-Methode ins Spiel. Denn jede Person hat eine Vielfalt an verschiedenen Mustern in sich. Ich glaube, wenn ich einer Person sage, sie müsse sich gerade aufrichten, dann wird die Person das zwar versuchen, aber das Krumme trotzdem beibehalten. Die Anstrengungen werden noch verstärkt, um mir zu gefallen. Und das ist kontraproduktiv. Der Ansatzpunkt ist für mich dann eher, dass wir eine Ausgangsposition haben, die vielleicht nicht optimal ist. Aber von dieser Ausgangsposition aus schauen wir: wie kann der Klient diese Extra-Anspannung beenden oder loslassen kann. Je mehr er sich dieser bewusst wird und diese im eigenen Körper spürt und merkt, dass er etwas dagegen machen kann, desto eher kann er loslassen. 

Im Grunde ist die Grinberg-Methode Hilfe zur Selbsthilfe? Der Klient muss selber merken, welche Veränderung ihm hilft? 

Ja. Aber ich unterstütze ihn natürlich nicht nur mit Worten sondern auch mit Berührung. Mit der Grinberg-Methode habe ich die Möglichkeit, die Leute auf verschiedenen Ebenen zu berühren. Es gibt eher sanfte Berührungen an der Hautoberfläche, die schon etwas bewirken können. Es gibt das Gewebe im Körper, dessen Berührung etwas auslösen kann. Dann gibt es den muskulären Bereich und die knöchernen Strukturen im Körper. Der Körper speichert sehr viel ab – Verhaltensweisen, komplexe Muster. Auch wenn die Situation nicht mehr zu der Verhaltensweise passt, wiederholt der Körper trotzdem diesen Automatismus, der irgendwann erfolgreich war. 

Atmung
Was hat es mit den Berührungsarten auf sich? Das ist ja kein bloßes “Handauflegen”, oder? 

Es geht dabei um die Frage, wie ich bestimmte Bereiche anspannen und wieder loslassen kann. Wie kann ich Widerstand geben und loslassen? Dadurch erhält der jeweilige Bereich mehr Aufmerksamkeit und ich schöpfe das Potenzial in diesem Bereich im Körper aus. Es gibt eine Fülle von Übungen, die das Bewusstsein schärfen. Man praktiziert mit Berührungen und Anweisungen. Wenn ich den Rücken als Beispiel hernehme: Ich lokalisiere einen Punkt und der Klient soll Widerstand aufbauen. Manchen fällt das leicht, für andere ist es sehr schwer. Wer merkt, dass hier eine Schwachstelle gefunden wurde, wird Schwierigkeiten damit haben.

Symptome entstehen oft in den Bereichen des Körpers, an denen Anspannungen aufeinandertreffen. Diese Schnittstelle sind neuralgische Punkte. Der Rücken etwa, die Schulter, der Ellenbogen, die Handgelenke. Auch der vordere Brustkorbbereich und das Zwerchfell gehören dazu. Diese Bereiche können dann über Berührungstechniken und Übungen gekräftigt werden. Da gibt es Konzentrationsübungen, Kräftigungsübungen oder Übungen für Aufmerksamkeit. Die Auswahl ist groß und sehr individuell auswählbar – je nachdem was die Person benötigt. 

Aber ein Patentrezept gibt es für keinen.

Ganz genau. Und das ist dann oft die Schwierigkeit. Es kommen Leute mit der Frage: “Wie ist die optimale Atmung?” Und die gibt es nun mal nicht. Die meisten sind dann sehr enttäuscht. Die Grinberg-Methode ist eine Lernmethode. Das hört man natürlich nicht gern. Denn die wenigsten Leute wollen gerne lernen. Lernen bedeutet Veränderung und Veränderung ist immer mit Angst besetzt. Aber in jedem schlummert Potenzial, das einen einen sehr langen Weg gehen lässt. Das kann der mich als Musiker zufrieden machen. Und im Idealfall merke ich sogar, was der Grund war, warum ich überhaupt begonnen habe zu musizieren. Dann wird der Kreislauf geschlossen, bei dem am Ende wieder am Anfang steht. 

Also ist eine Fehlhaltung oder eine eingeschliffene Verhaltensweise schwer zu lösen?

Das ist der Punkt des Aufmerksamkeitstrainings. Ich muss mir die unbewussten Verhaltensweisen ins Bewusstsein holen. Denn nur so kann ich etwas verändern. Dieser Prozess ist individuell verschieden und kann schnell passieren oder auch sehr lange brauchen. Mit der Grinberg-Methode habe ich nach 6 bis 8 Sitzungen Resultate. Man sollte eine Veränderung bemerken. 

Wie wichtig ist es, sich auf diese Methode tatsächlich “einzulassen”?

Ich muss niemanden überzeugen. Wer nicht kommen möchte, braucht nicht zu kommen. Das ist sehr unkompliziert. Es geht aber auch nicht darum, dass jemand daran glauben muss.  Es geht wirklich darum, dass jemand bemerken kann, welche Spannung im Körper entsteht, schon wenn er das Instrument auspackt. Der Körper bereitet sich auf das vor, was kommen wird. 

Grinberg-Methode
Kann es auch sein, dass sich ein vordergründiges Problem – ein Schmerz im Nacken etwa – als etwas tiefergehendes herausstellt? 

Ja, da kommt das nächste Werkzeug der Grinberg-Methode zum Tragen. Das ist das sogenannte “Assessment über die Füße” oder die “Bestandsaufnahme über die Füße”. Das ist eine deutliche Weiterentwicklung der sogenannten Reflexologie und basiert auf einer 4-Elementen-Lehre, nach der ich Bereiche im Körper sehr gut zuordnen kann. Indem ich mir die Füße ansehe und Fragen in eine bestimmte Richtung stelle, findet man sehr schnell den sogenannten Fokus im Körper. Man kann es sehr gut mit einem Eisberg vergleichen: Die Spitze des Eisbergs ist das körperliche Symptom und das Muster, das dahintersteckt, sieht man nicht. Das kann zum Beispiel sein, dass ich versuche, meine Nervosität zu kontrollieren, indem ich angespannt bin und hoffe, dass die Situation bald vorbei ist. Das schwächt mich im Endeffekt natürlich, denn je mehr Spannung ich im Körper aufbauen muss, desto weniger Kraft habe fürs Musizieren ich zur Verfügung. 

Die Grinberg-Methode ist eine ganzheitliche Methode, weil sie körperlich und mental ansetzt?

Ja, man kann das eine nicht vom anderen trennen. Die Dinge gehören sehr stark zusammen. Beim Assessment definiert man ein sehr klares Ziel der jeweiligen Person. Um bei dem Beispiel von eben zu bleiben: Ich möchte dieses Ziehen im Nacken während des Auftritts nicht mehr haben. Ein klares Ziel. Und wenn ich das Ziel erreicht habe, mache ich nicht einfach ein Häkchen darunter, sondern habe Werkzeuge an die Hand bekommen, um etwas dagegen zu unternehmen.

Das ist ein komplett anderer Zugang. Denn es geht nicht darum, dass ich eine Person von einem Zustand in den anderen bringe – und die Person womöglich nicht weiß, wie sie dorthin gekommen ist. Der Ansatzpunkt der Grinberg-Methode ist der, dass ich einer Person, die in einem bestimmten Zustand zu mir kommt, einen strukturierten Weg aus diesem Zustand heraus aufzeige. Und diese Person soll das aber immer auch reproduzieren können. Die Person lernt wirklich, was sie nicht haben möchte. 

Kann ich das Erlernte der Grinberg-Methode immer wieder aus der Schublade herausholen? Also kann ich damit arbeiten, bevor ein entsteht? 

Im Idealfall ist die Aufmerksamkeit so geschult, dass ich es schon im Anfangsstadium merke. Viele Leute kommen zu mir mit Kopfschmerzen oder auch Migräne. Die meisten Leute wissen ganz genau, wann es los geht. Gleich zu Beginn etwas zu unternehmen, damit sich das Ganze nicht als große Sache auswächst – das ist dann die Kunst. Je öfter ich das trainiere, desto mehr verschwindet dieses Muster oder auch diese Routine im eigenen Körper.  und Das ist dann das Phänomen. Ich kann diese Verhaltensweise über den Körper kontrollieren.  Das gibt natürlich auch Sicherheit. Ich kann das immer wieder wiederholen – egal in welchem Setting, egal unter welchen Umständen. Ich habe in dem Moment die Kontrolle über das was ich mache. 

Aber nochmal ganz konkret. Wenn ich nun weiß, wie es funktioniert – was mache ich denn im Ernstfall? Mache ich Atemübungen? Meditiere ich?

Das ist eine Kombination aus vielen Dingen. Nehmen wir einfach mal den Komplex Lampenfieber und Nervosität. Das kann natürlich viele Auslöser haben. Häufig ist die Reaktion auf Angst im Körper, dass ich eine Spannung produziere und unbeweglicher werde. Der Körper zieht sich zu einer imaginären Mitte hin zusammen und spannt sich an. Viele Leute beschreiben das auch dahingehend, dass im Moment des Auftritts die Atemkapazität weniger wird. Das ist ja klar! Der Körper zieht sich ja zusammen! Ich habe einfach weniger Raum zur Verfügung als beim Üben etwa. 

Und wenn ich jetzt meine Wahrnehmung so weit trainiere, dass ich bemerke, wie sich das in den verschiedensten Bereichen zusammenzieht, hilft mir das schon weiter. Da liegt allerdings auch die Schwierigkeit: Denn es ist eben nicht nur ein Bereich ist, sondern 20 bis 25 verschiedene Bereiche, die alle etwas unterschiedlich agieren. Deshalb brauche ich meine Körperwahrnehmung, denn im Körper passieren viele Funktionen gleichzeitig – und hat kein Problem damit. Unser Verstand hat es da schon schwerer, weil der nicht dafür ausgelegt ist, viele Dinge parallel zu machen. 

“Ich trainiere wirklich die Körperwahrnehmung”

Im Klartext heißt das: ich trainiere wirklich diese sogenannte Körperwahrnehmung. Ich intensiviere und schärfe und vor allem will ich bemerken, wie sich da etwas zusammenzieht. Wie mach ich das? Und im Umkehrschluss: Wie kann ich das auslassen? Und das kann ich trainieren! Das beginnt zunächst im sogenannten „Trockentraining“, in dem ich Situationen simuliere und führt dann zum Training im „crucial point“, im Kernpunkt. Dann trainiere ich genau in der Situation. Dass ich etwa schaue, so viele Konzerte wie möglich zu spielen. Denn nur so kann ich genau diese Situation trainieren. Dann habe ich die Möglichkeit zu bemerken, wie sich der Körper zusammenzieht, ich fest werde, die Atmung flacher wird, ich die Spannung nicht mehr halte, die Gedanken verschwimmen. Und wenn ich das merke, kann ich mir sagen: „Ok – das kenne ich! Das hab ich ja trainiert!“ 

Dies passiert übrigens meistens auf dem Weg zur Bühne und das bekommen dann auch die wenigsten Leute mit. Denn es geht wirklich um die Arbeit mit mir und mit meinem Körper. Hinzu kommt oft die mentale Komponente: „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Ich bin nicht gut genug und alle anderen sind viel besser…“ Diese Sätze kennt man ja.

Kann man zusammenfassend sagen, dass die Grinberg-Methode mir einerseits hilft, mir meines Problems bewusst zu werden und andererseits Werkzeuge an die Hand gibt, diese zu beseitigen?

Es geht gar nicht zwingend darum, ein Problem zu beseitigen. Vielmehr soll ich diese Problemsituationen nutzen, um zu wachsen! Das macht die Grinberg-Methode aus. Es gibt diesen einen Moment, in dem ich mich entscheiden kann: Gehe ich nach links oder gehe ich nach rechts? Links kenn ich schon, aber es wird nicht besser. Rechts ist ein komplett neuer Weg. 

Interview
Also braucht es aber auch den Mut, den neuen Weg zu gehen? Denn der Mensch neigt ja doch dazu, eher die bekannten Wege zu gehen. 

Ein gewisser Mut gehört dazu, ja. Mut, etwas Neues auszuprobieren. Aber die Grinberg-Methode ist griffig und spürbar. Ich merke das im Körper, dass ich plötzlich wieder mehr Atemkapazitäten habe, mich angenehmer oder freier fühle. Dass ich mehr genießen kann auf der Bühne. Ich merke, wenn ich diesen privilegierten Zustand, vor Leuten zu spielen, zu 100 Prozent auskosten kann. 

Die Grinberg-Methode wurde ja nicht explizit für Musiker erfunden. Mit welchen Problemen kommen “normale Menschen” zu Ihnen?

Das können ganz ähnliche Probleme sein. Viele Leute wollen einfach auch ihr eigenes Potenzial besser ausschöpfen, kreativer sein. Und so etwas betrifft einen Komponisten ja genauso, wie etwa einen Landschaftsgärtner. Der Inhalt ist in dem Fall gar nicht ganz so wichtig, es geht um die große Überschrift. Früher hat man Stress dazu gesagt, heute sind die Leute erschöpft und ausgelaugt. Viele haben auch spezifische und chronische Beschwerden. Dabei ist der dann meist der medizinisch bereits abgeklärt und die medizinische Behandlung abgeschlossen, der Zustand hat sich nicht entscheidend verändert. Das kann beim Pianisten oder auch bei der Sekretärin die Sehnenscheidenentzündung sein. Der Unterschied ist der Inhalt, die Bewegung ist ähnlich. 

Ich sage immer gern: Die Tätigkeit soll derjenige machen, so lange er will – und nicht so lange er kann. Das ist ein ganz großer Unterschied! Speziell bei Musikern trifft sehr oft zu. Bei Bläsern erlebt man, dass man sie im Laufe ihrer Karriere auf die 2., 3. oder 4. Stelle versetzt. Ich mache Musik, so lange ich will – und nicht so lange ich kann! 

Alexander Gerner ist autorisierter Trainer der Grinberg-Methode; hat eine eigene Praxis in Linz. Durch die Eröffnung dieser eigenen Praxis weitete sich das Arbeits- feld auf verschiedenste Befindlichkeitsstörungen (ständige Müdigkeit, Asthma, Schmerzen in Gelenken, Überlastungssyndrome, Tinnitus,…..) aus. Die Funktion der Atmung fließt auch in der Arbeit mit diesen Zuständen ein.

Institut für nachhaltiges Wohlbefinden
Schubertstraße 12, 4020 Linz

www.nachhaltigeswohlbefinden.com
www.grinbergschuleoesterreich.com