Brass | Von Klaus Härtel

Was ist ein böhmisches Mundstück?

böhmisches Mundstück

Den Klang optimieren, das Spielgefühl verbessern, die Ansprache korrigieren – wer ein Blasinstrument spielt, tüftelt auch mal gerne am Equipment. In der “Glücksschmiede” am Niederrhein ist nun ein böhmisches Mundstück entstanden. Was es damit auf sich hat, wollten wir von Georg Selders und Holger Mück wissen.

Ein böhmisches Flügelhornmundstück – was haben Sie sich denn dabei gedacht?

Georg Selders: Holger Mück hat mich darauf angesprochen, ob wir gemeinsam ein Flügelhornmundstück für das böhmische Flügelhorn entwickeln wollen, da er sowohl für sich selbst als auch für Musikerkolleginnen und -kollegen immer wieder die Notwendigkeit sah und nach einer guten Lösung suchte. Nach einiger Dis­kussion habe ich die ersten Mundstückteile gefertigt. So entstand eine Auswahl an diversen Stengeln und Mittelteilen, Kessel wurden ge­fertigt und modifiziert, die Holger dann ausgiebig getestet hat. Und so sind wir sukzessive zum heutigen Ergebnis gekommen. 

Holger Mück: Genau. Am Anfang aller Über­legungen stand eine genaue Definition meiner Klangvorstellung sowie der durch ein neues Mundstück gewünschten Spieleigenschaften. Neben einer leichten Ansprache und in der gesamten Range homogenen Intonation, die man sich natürlich nicht nur auf dem Flügelhorn wünscht, war mir ein warmer Klang und dennoch direkter, knackiger Flügelhorn-Sound von der tiefen bis in die hohe Lage wichtig.

Was kann ein solches Mundstück, was ein “herkömmliches” nicht kann?

Holger Mück: Während der Klang auf einem Flügelhorn im Bereich des Jazz oder auch der sinfonischen Blasmusik warm, erdig, sonor und voluminös sein soll, ist die Klangvorstellung in der böhmischen Blasmusik mit den Adjektiven spritzig, direkt, klar, definiert, obertonreich, aber auch voluminös und warm. Viele Kolleginnen und Kollegen greifen am Flügelhorn auf ein Trompetenmundstück mit U-Kessel zurück, was sich in der hohen Lage definitiv leichter spielen lässt, aber in Sachen Intonation und Klang eher ein schlechter Kompromiss ist. Ein Flügelhornmundstück mit tieferem V-Kessel klingt zwar ­angenehm warm und voll, oft aber zu »brav« und wenig definiert. Der Wunsch war es, ein Mundstück speziell für die Verwendung in der böhmischen Blasmusik zu entwickeln, was eine sehr gute Ansprache und Tontrennung, Tonstabilität und klangliche Ausgewogenheit sowie eine ho­mo­gene Intonation in gesamten Tonraum bietet.

Wie ist es gebaut und welche Materialien haben Sie verwendet?

Holger Mück: Das neue Mundstückkonzept für böhmisches Flügelhorn ist modular aufgebaut: es gibt einen Stengel (Schaft), zwei Mittelteile und fünf unterschiedliche Kessel.

Georg Selders: Bei den in der “Glücksschmiede” gefertigten Einzelteilen bestehen der Stengel und das Kopfteil aus Messing und sind in der Standardausführung versilbert. Ein Mittelteil besteht ebenfalls aus Messing und ist vergoldet. Zudem wird das Mundstück mit einem alter­nativen Mittelteil aus rotem Kunststoff geliefert. 

Was hat es mit den verschiedenen Mittel­teilen aus Messing bzw. Kunststoff auf sich?

Georg Selders: Das metallene Mittelteil bringt einen zentrierten Sound mit sich. Mit dem Kunststoff-Mittelteil kann man einen etwas weicheren und runderen Sound generieren. Er mischt sich besser und ist weniger spritzig. Nicht zuletzt durch die zwei unterschiedlichen Mittelteile kann man so den Sound noch individueller anpassen und nach den eigenen Vorstellungen abändern. 

Mundstück
Die Mittelteile gibt es aus Messing (ver­goldet, schwer) oder Kunststoff (rot, leicht).
Für wen ist das Mundstück geeignet?

Georg Selders: Wie der Name des böhmischen Flügelhornmundstücks schon verrät, empfiehlt sich das Mundstück für alle Flügelhornistinnen und -hornisten, die böhmische Blasmusik auf einem böhmischen Flügelhorn spielen. Mittlerweile stelle ich auch Stengel mit amerikanischem Schaft her, um auch den Musizierenden mit einem Jazz-Instrument diese Vorteile für die Blasmusik zugänglich zu machen. 

Was gibt es für Varianten?

Holger Mück: In der Standardvariante haben wir fünf verschiedene Kessel definiert: den Holger-Mück-Kessel und vier weitere Kessel. Dazu die zwei Mittelteile und den böhmischen Stengel. Es ist auch möglich, seine bisherige und bewährte Mundstück-, Rand- und/oder Kesselform an das “soundfresh”-System anzupassen, sprich zu kopieren. Auf Wunsch und ohne Aufpreis kann jeder Kessel mit einer individuellen Gravur – etwa Namen oder Initialen – versehen werden. 

Georg Selders: Die böhmischen Kessel sind modifizierte C-Kessel, die einen runden, warmen Sound erlauben. Wo es erwünscht ist, kann leicht ein spritziger, obertonreicher Klang generiert werden. Die Bohrung ist größer als bei einem normalen Trompetenmundstück und kleiner als bei einem üblichen Flügelhornmundstück aus dem Jazzbereich. Das führt ebenfalls zu diesem Sound. Weitere individuelle Anpassungen, wie etwa die Vergoldung des Kessels, sind auf Anfrage jederzeit möglich. 

Kann man das Mundstück testen? 

Georg Selders: Selbstverständlich kann man die böhmischen Mundstücke auch testen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine individuelle Beratung ist nach Absprache bei mir am Niederrhein in der “Glücksschmiede” oder bei Holger in Bayern vor Ort möglich. Alternativ ver­sende ich für eine Aufwandspauschale von 25 Euro das ganze Set mit fünf Kesseln, zwei Mittelteilen und einem Stengel für eine Woche zum Testen.

Selder

Georg Selders, Jahrgang 1966, absolvierte nach Abschluss seiner technischen Ausbildung seine Wehrdienstzeit im Heeresmusikkorps 5 in Gießen. Danach startete er sein weiteres Berufsleben in Technik und Vertrieb. Die Leidenschaft zur Trompete und Musik blieb. Seit 2016 geht er seiner Leidenschaft in Vollzeit nach und machte sich mit der Tieftemperaturbehandlung von Musikinstrumenten selbstständig. Nach und nach baute er nebenbei sein Atelier aus, das er “Glücksschmiede” nennt. Dort widmet er sich intensiv der Herstellung und Entwicklung von Trompeten- und Flügelhornmundstücken sowie dem Tuning von Trompeten, woraus sein dreiteiliges “soundfresh“-Mundstückkonzept entstand. Seit kurzer Zeit ist seine neue böhmische “soundfresh”-Mundstück-Serie aus der Glücksschmiede erhältlich.

Mück

Holger Mück, Jahrgang 1975, studierte unter anderem Trompete am Hermann-Zilcher-Konservatorium für Musik in Würzburg. Nach seinem Grundwehr- und Zeitdienst im Luftwaffenmusikkorps 1 studierte er an der Fachhochschule Coburg Elek­tro­technik, Fachrichtung Daten- und Informationstechnik. 2004 gründetet er seine eigene Bläserschule, die “Brassonic-Blä­serschule”. Im gleichen Jahr legte er den Grundstein für das “Orchester Holger Mück“. Er ist Autor und Tester für Fachmagazine.