Orchestra | Von Kristin Thielemann

Weniger Stress im Online-Unterricht

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Wer durch die Corona-Krise quasi über Nacht zum Online-Musiklehrer geworden ist, wird es bemerkt haben: Viele Dinge funktionieren im Online-Unterricht deutlich einfacher als angenommen, aber häufig spüren wir nach diesen Lektionen die Anstrengung deutlicher als nach dem Präsenzunterricht. 

Was löst diesen Stress aus und was können wir dagegen tun? Stress im Berufsleben ist ein zu komplexes ­Thema, um es in einem einzigen Beitrag abschließend zu behandeln und umfassende Hilfestellung zu leisten, jedoch möchte ich Ihnen hier einige Impulse geben.

Für den Stress im Online-Unterricht gibt es ­mehrere Hauptfaktoren: Zum einen sind wir durch die vielfach als existenzbedrohend empfundene Situation der Corona-Krise tendenziell stressanfälliger; dessen sollten wir uns bewusst sein. Zu dieser generellen Belastung kommt die für viele von uns neue Form des Online-Unterrichts hinzu.

Probleme mit dem Klang und Lösungsmöglichkeiten

Da ist zum einen der Klang des Schülers, der bei uns ankommt: Durch ein mangelhaftes und wenig geeignetes Technik-Equipment auf Schülerseite erreicht dieser uns vielfach verzerrt. Denken Sie nur einmal an das Kratzen von Kreide oder Fingernägeln auf einer alten Schultafel oder das Quietschen von Bremsen eines Zuges; an all diese Geräusche kann man sich nicht gewöhnen! Sie verursachen Stress, wirken sich negativ auf unsere Psyche aus, was wiederum unser Leistungsvermögen beeinträchtigen kann. 

Es bieten sich folgende Lösungsansätze an, die Sie jeweils auf Ihre ganz individuelle Situation anpassen sollten:

1. Verbessern Sie das Kommunikationsmittel.

Nutzen Sie einen für den Musikunterricht ­geeigneten Dienst: Bei der Plattform ZOOM können Sie auch in der Gratisversion in den Audio-Einstellungen die Unterdrückung der durchgehenden Hinter­grundge­räu­sche abschalten beziehungsweise auf “niedrig” stellen. So werden lange Töne nicht akustisch verzerrt. Auch lassen sich leicht ein externes Mi­krofon zuschalten sowie Einstellungen an der Ein- und Ausgangslautstärke vornehmen; mittels Bildschirmfreigabe können Sie Ihrem Schüler hierbei helfen. 

Die kostenpflichtige Plattform DOOZOO (deutscher Anbieter) enthält noch weitere Möglichkeiten wie ein Metronom, das Erstellen von Audio- und Video­aufnahmen, eine ei­gene Notendatenbank, einen Audioplayer mit Slow- Downer und Pitch, mehrere Ka-­ mera-Perspektiven und vieles mehr. Zudem ist DOOZOO DSGVO-konform. 

2. Verbessern Sie das Technik-Equipment auf Schülerseite.

Es gibt bereits für wenig Geld sehr günstige Mikrofone, die eine unschätzbare Hilfe sein können. Aber auch die Nutzung eines stationären Computers oder Laptops kann große Verbesserungen bei Klang und Übertragung erzielen. Technische Parameter sollten Sie unbedingt mit jedem Ihrer Schüler individuell anpassen; das geht am besten übers Ausprobieren. Nehmen Sie sich die Zeit hierfür! Überzeugen Sie Ihre Schüler und gegebenenfalls die Eltern, warum eine Ver­besserung unabdingbar ist, um hochwertigen Unterricht zu leisten. 

3. Video-Tutorials statt live Online-Unterricht.

Eine weitere Klangverbesserung können Sie erzielen, wenn Sie zumindest einen Teil der Stunde nicht als Live-Online-Lesson halten, sondern indem Sie mit Ihrem Schüler kurze Videos austauschen. Bei Video-Aufnahmen ist der Klang sehr viel besser als über Videotelefonie und daher kann dieses Vorgehen auch gerade bei einem schlechten Technik-Equipment auf Schülerseite oder einer unzureichenden Internetverbindung eine vor­über­gehende Lösung sein. 

Bei Video-Tutorials eignet es sich beispiels­weise, wenn der Schüler seine Hausaufgaben oder Übungen einspielt und Ihnen zuschickt. Sie sehen sich diese an und schicken dann Ihrerseits ein kleines Video, wo Sie das Gespielte kommentieren, Tipps geben. Ergänzen können Sie Ihre mündlichen Hinweise mit dem Vorspielen auf Ihrem Instrument. 

In einem Praxistest mit Kindern und Jugend­lichen, die wöchentlich eine 30-Minuten-Lektion erhalten sollten, hat sich eine Kombination aus 20 Minuten Live-Online-Unterricht in Verbindung mit einem kurzen Videokommentar zu einem vom Schüler aufgenommenen Musikstück als sinnvoll erwiesen.

Wenn Sie diese Art des Unterrichtens mit kleinen Videos nutzen, sollten Sie unbedingt mit den Eltern der Schüler darüber sprechen, dass Sie das als Unterrichtszeit betrachten! Sonst entsteht hier schnell die nächste “Baustelle”, die Ihnen Stress bereiten kann: “Warum unterrichten Sie eigentlich immer nur 20 Minuten, wo ich doch für 30 Minuten Unterricht bezahle?”

Fehlender Flow und Routine

Wenn Sie schon längere Zeit mehrere Schüler im Präsenzunterricht direkt nacheinander unterrichten, kennen Sie sicher das Gefühl des Flows, was sich in diesen Lektionen, aber auch über die gesamte Unterrichtszeit einstellen kann: Die Zeit vergeht wie im Flug und noch bevor Sie es merken, sind Sie bereits bei der letzten Lektion des Tages angekommen.

Durch die für viele Lehrer und Schüler neue Form des Online-Unterrichts fehlt die Routine, die für das Flow-Gefühl wichtig ist. Mit einer ­guten Stundenstruktur, die schnell zu Ihrem Repertoire gehören wird, können Sie für mehr ­Routine sorgen.

Klare Stundenstruktur

Natürlich werden Sie mit der Zeit Ihre eigenen “Unterrichts-Bausteine” finden, die auf Ihre individuelle Situation passen. Für diesen Beitrag habe ich exemplarisch eine Stundenstruktur, die sich bei 30-Minuten-Lektionen im Einzelunterricht bewährt hat, zusammengestellt. 

1. Begrüßung.

Kurzes persönliches Gespräch über die Situation des Schülers. Zeigen Sie Inte­resse daran, wie es Ihrem Schüler geht. Mög­licher­weise erinnern Sie sich sogar an Dinge, die Ihr Schüler in einer vorhergehenden Lektion erwähnt hat: »Wie lief denn dein Referat, von dem du letzte Woche erzählt hast?« So schaffen Sie einen wertschätzenden und persönlichen Unterrichtsbeginn.

2. Technikcheck oder Soundcheck.

Testen Sie gemeinsam kurz die technischen Voraussetzungen auf beiden Seiten. Sind Sprache und Musik gut zu verstehen? Wenn sich größere Heraus­forderungen ergeben (schlechter Klang), verzichten Sie zugunsten eines reibungslosen Stundenablaufs an dieser Stelle auf zeitintensives Nachjustieren der Technik. Technik- oder Sound­probleme lassen sich gut am Ende der Lektion oder nach dem Unterrichtstag (eventuell mit Elternhilfe) lösen. 

3. Einstieg.

Wenn Sie mit einem Lieblingslied des Schülers beginnen, sorgen Sie für leichteres und nachhaltiges Lernen: Bei als schön empfundener Musik werden Hormone im Gehirn ausgeschüttet, die für den Lernprozess förderlich sind. 

4. Warm-up.

Online-Lektionen eignen sich hervorragend als Gehörbildungsübung. Spielen Sie leichte Aufwärmübungen vor und bitten Sie Ihren Schüler, diese nachzuspielen. Passen Sie die Schwierigkeit individuell an: Verzichten Sie auf Noten oder lassen Sie Ihren Schüler während des Vorspielens nicht auf Ihre Finger schauen. Wenn Sie es sehr lustig mögen, wagen Sie einen Rollentausch mit Ihrem Schüler: Er übernimmt die Lehrerrolle und spielt Ihnen eine Aufwärmübung vor, die Sie ganz ohne Noten nachspielen. Stellen Sie sich ruhig ein wenig ungeschickt an und fordern Sie so Ihren Schüler heraus.

5. Hausaufgabe.

Formulieren Sie gemeinsam ein neues Ziel für die nächste Woche. Nutzen Sie beispielsweise eine digitale Notiz, in die Sie oder Ihr Schüler die Aufgaben eintragen. Es besteht bei digitalen Notizen sehr leicht die Möglichkeit, die Eltern als weiteren Betrachter hinzuzufügen. 

6. Zielsetzung und Stundenabschluss.

Sprechen Sie über kurz- und mittelfristige Ziele. Während der Zeit des Online-Unterrichts kann ein kurzfristiges Ziel beispielweise die Teilnahme an einem Webinar bei einem berühmten Musiker sein. Auch das Vorspiel bei einem Streamkonzert oder das Mitmachen bei einer Übe-Challenge eignen sich. Vielleicht haben Ihre Schüler aber auch Freude an Ton- oder Videoaufnahmen der erarbeiteten Werke oder an einem Multi-Kamera-Projekt, wie es etwa mit der App »ACapella« sehr einfach möglich ist. 

Pausen einbauen und wirklich abschalten

Arbeiten Sie im Online-Unterricht unbedingt mit einem Stundenplan und möglichst nur mit einer einzigen Video-Plattform. Sobald sich Ihre Schüler daran gewöhnt haben, entfällt das nerven­aufreibende Suchen des Schülers in der digitalen Welt oder aufwendiges Herum­telefonieren: “Wo bist du? Auf Skype!? Ich dachte, du kommst in meinen ZOOM-Raum. Ich schicke dir nochmal schnell den Link…”

Bei einem Stundenplan für den Online-Unterricht ist es zudem ratsam, sich Pausen zum “Abschalten” einzubauen. Widerstehen Sie dem ­Impuls, in diesen Pausen Organisatorisches für Ihren Unterricht zu erledigen, eingegangene Nachrichten “abzuarbeiten” oder eine Nachholstunde zu geben. Schalten Sie völlig ab und ­seien Sie einmal ganz für sich selbst da; vielleicht bei einem kurzen Spaziergang an der frischen Luft oder Entspannungsübungen im Unterrichtsraum. 

Noch mehr Infos 

In ihrer neuen Publikation “Ganz schön wild! Besondere Schüler entspannt unterrichten” (erhältlich ab Januar 2021) gibt Kristin Thielemann weitere Impulse zum Umgang mit Stress. Technik-Hacks und Ideen für den Online-Unterricht gibt es in “Erfolgreicher Online-Musikunterricht” von Kristin Thielemann und Max Gaertner (ISBN 9783982145624, auch als eBook erhältlich). 

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