Um es kurz zu machen: Nichts kann ein Live-Ensembleerlebnis ersetzen. Das gegenseitige Hören in Echtzeit, die spontane Reaktion auf die Mitspieler und die Rückmeldung durch den Dirigenten ist in Corona-Zeiten im virtuellen Unterricht nicht zu leisten, dafür sind die Laufzeiten (Fachbegriff: Latenzen) im Internet einfach viel zu lang.
Dennoch hat der Online-Musikunterricht in der Corona-Zeit über Videosoftware wie Zoom, Skype, WhatsApp-Video und Co. in den vergangenen Monaten vor den Sommerferien erstaunlich gut funktioniert. Es haben sich überdies sogar neue Erkenntnisse und Möglichkeiten eröffnet, die man sicherlich auch in die Zeit nach Corona mitnehmen will. Der Lernerfolg bei den Schülern war definitiv gegeben. Ich möchte meine Erfahrungen in den vergangenen drei Monaten vor den Sommerferien anhand zweier OGS-Blasorchester (OGS = Offene Gesamtschule) an Bonner Grundschulen beschreiben.
Musikalische Grundausbildung in der Nachmittagsbetreuung (Bonner Modell)
An den Bonner Grundschulen, Münster- und Nordschule, unterrichte ich insgesamt über 30 Schüler auf Saxofon, Klarinette und Querflöte. Gemeinsam mit Holz- und Blechblas-Kollegen vermitteln wir den Kindern die Grundkenntnisse in Musik und auf ihrem Instrument. Unterricht und Orchesterproben finden während der Nachmittagsbetreuung statt. In normalen Zeiten haben die Kinder zweimal in der Woche Musik – also Instrumentalunterricht in maximal Vierergruppen – und an einem zweiten Wochentag ist Blasorchesterprobe.
Corona: Schnelle Umstellung auf Online-Musikunterricht
Wegen Corona war der Präsenzunterricht plötzlich nicht mehr möglich, doch irgendwie musste der Musikunterricht weiterlaufen. Als fachlicher Träger hatte die Beethoven-Musikschule der Stadt Bonn zügig entschieden, dass sämtlicher Musikunterricht online gegeben werden müsse, damit es weiterlaufe. Voraussetzung war, dass die Eltern die technische Infrastruktur bereitstellen konnten. Organisatorisch war es für manche zwar eine echte Herausforderung, aber letztlich konnten fast 90 Prozent der Eltern den regelmäßigen Online-Unterricht ermöglichen. Für die Kinder war es anfangs sogar ein wöchentliches Highlight, nach einigen Wochen nutzte sich dieser Aha-Effekt aber zusehends ab, da brauchte ich später wieder einen echten Motivator. Ab sofort wurden alle Kinder für 20 Minuten Einzelunterricht online bestellt. Dafür musste ich einen ganz neuen Unterrichtsplan erstellen.
Das Unterrichtsmaterial und die Verfügbarkeit auf dem Bildschirm
Unterrichtslehrplan, Adressliste, neue Terminvereinbarungen
Gut strukturierte Vorarbeiten für den Unterricht waren für den Online-Unterricht sogar noch wichtiger als für den Präsenz-Unterricht. Für die schnelle und lückenlose Erreichbarkeit erstellte ich mir mit Excel eine Tabelle mit den Kontaktdaten der Schüler sowie des Kommunikationsmediums der Wahl der Eltern und den Terminpräferenzen. Anfangs erreichte ich sie alle auf verschiedenen Kanälen, Zoom, Skype, WhatsApp oder einfach Festnetz – aber recht schnell konnten wir uns auf Zoom einigen, was vieles vereinfachte.
Außerdem habe ich meine Unterrichtsinhalte komplett digital auf den Computer gebracht. Wichtig ist, dass sämtliche Noten in übersichtlichen Ordnern auf dem Bildschirm schnell greifbar sind. Denn man sollte in den kurzen 20-Minuten-Einheiten nicht noch lange nach Noten suchen müssen.
Erstellen von Audio-Vorlagen
Mit meinen Schülern der Münsterschule nahmen wir ein ganz neues Werk in Angriff. Ich wählte den vierstimmigen Satz von Charpentiers „Te-Deum“ – vielen besser bekannt als die Eurovisionsmelodie. Während der Osterferien nahm ich mir Zeit, dieses Werk mit Flöte, Klarinette und Saxofon eigens für die Kinder aufzunehmen. So konnte ich für jede Stimme einen eigenen Mix erstellen. Ähnlich verfuhr ich mit meinen Audiovorlagen für die Arbeit an der Nordschule – hier stand unter anderem „Rock around the Clock“ auf dem Lehrprogramm. Ich würde empfehlen, Audiovorlagen für den Digitalunterricht verfügbar zu machen – optimalerweise selbst eingespielt. Es gibt inzwischen für Mac und Windows eine stattliche Anzahl von kostenlosen digitalen Aufnahmeprogrammen (DAW = Digital Audio Workstation) – einfach mal googeln. Meine Aufnahmen erstelle ich mit der Audiosoftware LOGIC – die auf Apple läuft. Der kostenlose kleine Bruder von Logic ist „Garage-Band“. Das reicht zum Aufnehmen völlig aus.
Alle diese Vorarbeiten erfordern einiges an zeitlichem Mehraufwand – insgesamt war ich mit Organisieren, Digitalisieren, Aufnehmen 20 bis 30 Stunden beschäftigt – eine zeitliche Investition, die sich aber anschließend in flüssigem Unterricht durchaus bezahlt machte. Falls der Online-Unterricht nach den Ferien weitergeht, wovon momentan auszugehen ist, muss seitens der Träger sicher über die Finanzierung von Vorbereitungen, die Bereitstellung oder Finanzierung von Hardware und Schulungen nachgedacht werden, denn bislang musste die Hard- und Software von den Lehrern privat organisieret werden. Know-how musste selbst erarbeitet werden, Schulungen gab es noch keine.
Arbeiten mit Zoom
Den virtuellen Meetingraum für den Unterricht vorbereiten
Mit der Konferenzsoftware Zoom kann man virtuelle Treffen abhalten. In der kostenlosen Variante sind diese Treffen auf 40 Minuten begrenzt, aber kurz vor Ablauf beendet man einfach das Meeting und startet gleich darauf ein neues. Zunächst also installiert man die Zoom-App auf dem Computer und kreiert einen Account. Zoom läuft auch auf Tablet oder Smartphone, der PC bietet aber die komfortabelsten Zugriffsmöglichkeiten. Für die richtige Handhabung gibt es gute YouTube-Tutorials. Nach der Anmeldung vergibt Zoom eine eindeutige Meeting-ID. Diese Nummer ist immer gleich, die Schüler können komfortabel zur verabredeten Zeit immer in den selben virtuellen Musikklassenraum hineinkommen.
Inhalte teilen mit „Bildschirm freigeben“
Bei Zoom und auch bei Skype kann man den „Bildschirm teilen“. Diese Funktion ist sehr hilfreich für den Online-Unterricht. Auf diese Weise kann ich meinen Schülern gewünschte Inhalte meines Computers unmittelbar sicht- und hörbar machen. Ich kann mit dem Mauszeiger den Schülern genau zeigen: „Spiel doch bitte noch mal von hier…“ – anstatt ihnen immer umständlich die gewünschte Stelle verbal beschreiben zu müssen.
Um Soundbeispiele zu teilen, muss man bei „Bildschirm freigeben“ übrigens zunächst noch das Auswahlfeld „Den Computerton freigeben“ aktivieren.
Notizen direkt auf den Bildschirm schreiben
Lustigerweise habe ich sogar durch meine Schüler wieder neue Funktionen von Zoom kennengelernt! Einmal musste ich meine Schülerin kurz allein lassen. Als ich wiederkam, war mein ganzer Bildschirm mit roten Strichen vollgekrakelt! Was war passiert? Die Schülerin hatte – anstatt zu üben – selbst mit Zoom experimentiert und hatte die „Stiftfunktion“ entdeckt, die immer dann aktiviert ist, wenn der Bildschirm geteilt wird. Durch sie hatte ich gelernt, dass man also mit der Maus auf den Bildschirm schreiben und zeichnen kann. Jetzt konnte ich etwa die Zählzeiten in die Takte hineinschreiben und den Schülern später als Screenshot schicken.
Aufzeichnen kleiner Videosequenzen
Hier liegt eine echte Stärke des Online-Unterrichts. Manchmal wünscht man sich, wichtige Momente im Unterricht für die Schüler zu konservieren. Solche Aha-Momente können beim Videounterricht sehr unkompliziert mitgeschnitten und dem Schüler als Film geschickt werden.

Auch für mich als Lehrer ist das hilfreich. Ich kann mich in der folgenden Woche noch mal an die Schwerpunkte der letzten Woche erinnern: wie mit den Eintragungen im Übungsbuch, aber besser, weil man auch Bild und Ton hat.
Hinarbeiten aufs Konzert
In „normalen Zeiten“ ist das Ziel des Musikunterrichts üblicherweise das Abschluss-Konzert oder Klassenvorspiel. Aber Konzerte fallen ja nun erst mal weg. Möglicherweise bleibt dieser unangenehme Zustand auch nach den Sommerferien weiter bestehen. Für die Kinder wurde es zusehends schwieriger, die Motivation aufrechtzuerhalten. Ein Motivations-Booster musste her. Inspiriert durch Vorbilder von Profi-Orchestern, wie beispielsweise meine Ex-Kollegen von der Big Band der Bundeswehr, entstand die Idee, auch mal mit den Kindern ein Splitscreen-Video zu erstellen. Hierfür muss man aus einzelnen Audiospuren einen Gesamtorchesterklang zusammenmischen.
So bat ich meine Schüler, dass sie sich die Kopfhörer aufsetzen, ihre Stimme zum Playback von vorn bis hinten möglichst ohne Fehler durchspielen, während die Eltern sie dabei mit dem Handy filmen sollten. Zum Playback zu spielen war entscheidend, damit alle das gemeinsame Tempo haben. Fehler wären dabei gar nicht so schlimm – die kann ich dann mit dem Computer entfernen oder begradigen. Den Audioanteil der Videos importierte ich in mein LOGIC-Aufnahmeprogramm. Bei diesem Vorgang ist es wichtig, dass man die Videos zunächst auf die gleiche „Framerate“ konvertiert. Üblicherweise gibt es keine einheitliche Bildrate bei den verschiedenen Handy- und Kameraherstellern und die Audiospuren würden nach dem Import ins Programm nicht mehr synchron abspielen.
Nachbearbeitung
So konvertierte ich anfangs alles auf 25 Bilder pro Sekunde. Zum Konvertieren dieser Videos gibt es kostenlose Software: zum Beispiel Anyvideo-Converter für PC oder 1Click-Video Converter von AnyMP4.com für Mac). Nachdem ich so alle Audios verfügbar hatte, baute ich in LOGIC die Spuren der Kinder zum virtuellen Orchester zusammen. Das Ergebnis klang tatsächlich so wie das echte Kinderorchester, mit dem wir übrigens letztes Jahr beim Bläserklassen-Wettbewerb in Osnabrück bei der jüngsten Altersstufe einen ersten Preis geholt hatten.

Zugegeben: bei manchen tonalen Ausreißern konnte ich nachhelfen und Töne rücken, die zu früh oder zu spät waren – einige Fehler habe ich auch drin gelassen, man soll ja noch hören, dass es sich um ein Kinder-Orchester handelt.
Die Schulen haben diese Stücke dann jeweils bei ihren Abschlussfeiern per Lautsprecher vorgespielt. „Hier spielt unser virtuelles Blasorchester!“ Wobei ich der Meinung bin: Wenn alle Kinder bei der Abschlussfeier sowieso zusammen sind – mit Sicherheitsabstand –, dann hätte man auch das Orchester zum Abschluss live spielen lassen können!
Tipps für den Online-Unterricht
- Stundenplan neu organisieren.
- Vollständige Adress- und Telefonliste der Schüler für schnellen Zugriff auf dem Computer bereitlegen.
- Hardware muss funktionieren: Computer, Kopfhörer, Mikro, schnelles Internet.
- Unterrichtsmaterial für alle Schüler sollte in Form von PDF und Audiomaterial in Ordnern schnell auf dem Desktop greifbar sein.
- Audiomaterial als Übe-Vorlage für die Schüler erstellen. Alternativ geht auch die Produktion eines Videos, das man dann zum Beispiel über YouTube mit den Schülern teilen kann.
- Audiovorlagen gemeinsam online anhören („Computerton freigeben“ muss bei „Bildschirm freigeben“ angewählt werden).
- Wichtige Aha-Momente des Unterrichts mit der »Aufzeichnen«-Funktion mitschneiden und dem Schüler anschließend schicken.