Wood | Von Edoardo Zotti

Wie lerne ich Zirkularatmung? Fragen Sie das Arcis Saxophon Quartett

Arcis Saxophon Quartett

Ask ASQ! – Fragen Sie das Arcis Saxophon Quartett! Unter diesem Titel beantwortet die ­Expertenrunde sämtliche Saxofonfragen. Schreiben Sie dem Quartett Ihre Frage per E-Mail an askasq@brawoo.de. Diesen Monat geht es um die Zirkularatmung. Edoardo Zotti beschreibt diese und stellt einige Übungen vor.

Ich habe schon immer gerne umfangreiches Repertoire gespielt, das nicht nur das Originalrepertoire für Saxofon umfasst, sondern auch Arrangements von Musik, die für ein an­deres Instrument komponiert wurden: Violine, Cello, Flöte, Klarinette… Vor allem bei Stücken, die für Streichinstrumente geschrieben wurden, fand ich den Aspekt mit der Atmung besonders schwierig. Viele Spielerinnen und Spieler anderer Blasinstrumente gehen dieses Problem an,  indem sie gleichzeitig spielen und durch die Nase einatmen. Nicht nur in Arrangements, sondern auch in der zeitgenössischen Musik wurde diese Technik zu einem Muss, wenn etwa bei einer langen melodischen Phrase oder einem langen Atemzug die Interpretierenden Effekte erzeugen. Was ist nun Zirkularatmung?

Die Geschichte dieser Technik beginnt weit ­früher, als sie in der “modernen” Musikwelt Einzug erhalten hat. Bereits im 13. Jahrhundert nutzten die mongolischen Metallschmiede die Zirkularatmung, um den Luftstrom ständig in Betrieb zu halten. So wurde die Flamme, die die Metalle schmolz, am Brennen gehalten und es konnten verschiedene Dekorations- und Ziergegenstände hergestellt werden. Diese Technik wurde auch in der ethnischen (und Volks-) Musik, bei den australischen Ureinwohnern (Didgeridoo) sowie bei den Zurna des Balkans und den Suona Nordchinas unabhängig voneinander entwickelt. Einer der ersten Musiker, der die Zirkularatmung in die “moderne” Musikwelt einbrachte, war der Klarinettist und Saxofonist ­Harry Carney (Musiker in Duke Ellingtons Big Band, aber auch der Fahrer des Chefs).

Wie lerne ich Zirkularatmung?

Nachfolgend teile ich meine eigenen Erfahrungen und meinen Lernprozess. Das Konzept ist eigentlich ganz einfach: Man füllt seine Wangen mit Luft auf (Wangen dazu “aufblasen”); diese Luft verwendet man dann, um das Instrument weiter am Spielen zu halten und währenddessen atmet man einfach durch die Nase neue Luft ein.

Die Erkenntnis: Das schrittweise Üben dieser Technik bringt einen zum Ziel. Übe zunächst ohne Instrument! Wenn man verstanden hat, wie es ohne Instrument funktioniert, ist der Lernprozess zu 70 Prozent geschafft!

1. Atme ein und fange ganz natürlich an, aus dem Mund zu blasen. Beachte, dass deine Lippen nur eine schmale Öffnung bilden. Dadurch entweicht weniger Luft und du kannst den Druck auf den Luftstrom erhöhen (wie beim Spielen am Instrument).

2. Im nächsten Schritt füllst du deine Wangen mit Luft und bläst weiter. Das ändert erst mal nichts Konkretes, allerdings musst du das Gefühl dafür bekommen. (Es wird einem ja immer gesagt, dass die gesamte Luft ins Mundstück und nicht in die Wangen gehen darf. Bei dieser Technik müssen wir allerdings davon wegkommen und eine Ausnahme machen.) Wenn die Luft ausgeht, einfach neu einatmen. Die Übung fünf bis sechs Atemzüge wiederholen. 

3. Jetzt musst du die Luft, die aus der Lunge kommt, und die Luft, die bereits im Mund ist, austauschen: Füll die Wangen mit Luft und tu so, als wäre die Luft Wasser und versuche durch die Nase zu atmen. Fange nicht an zu pusten, sondern drücke nun die Wangen mithilfe deiner ­Hände nach innen, um Luft aus dem Mund zu lassen: Das ist die Luft, die später verwendet wird, um dein Instrument zu spielen, während du durch die Nase einatmest. Wiederhole auch diese Übung fünf bis sechs Mal. Wenn du das richtig machst, wirst du merken, dass dabei keine Luft aus der Lunge aufsteigt und dass der Rachen vom Mund getrennt ist (anatomisch ge­sehen: die Zunge geht nach oben und der weiche Gaumen senkt sich in den hinteren Teil des Mundes).

4. Das ist der magische Moment: Reproduziere das gleiche Szenario von Punkt 3, sodass die Wangen mit Luft gefüllt sind und der weiche Gaumen den hinteren Teil des Mundes schließt. Während du Luft aus deinen Wangen drückst (benutze weiterhin deine Hände dafür), atme durch die Nase ein. Wiederhole das so oft, bis du dir sicher bist, ein Gefühl dafür bekommen zu haben. Denke daran: Stell dir vor, die Nase ist mit deinem Hals verbunden – Lunge und Mund sind eine Sache für sich.

Der nächste kleine Schritt besteht nur noch da­rin, die Wangenmuskeln anstelle deiner Hände zu verwenden, um die Luft herauszudrücken.

Glückwunsch – du hast gerade die Zirkularatmung gelernt!

Wenn das Atmen durch die Nase ermüdend wird oder die Luft beim Einatmen viel Geräusch macht, liegt das wahrscheinlich daran, dass sich die Muskeln um deine Nase herum zusammenziehen und die Luft nicht ungehindert durchströmen kann. Versuche also immer, dich dabei zu entspannen.

Jetzt müssen wir noch alle Schritte in einem integrieren: Atme ein, fang an zu blasen, fülle deine Wangen mit Luft, drücke die Luft mit den Wangenmuskeln heraus und atme währenddessen durch die Nase ein. Wenn du eine kleine Unterbrechung/Irritation des Luftstroms beim Umschalten auf die Atmung mit der Lunge spürst, mach dir keine Gedanken. Das ist ganz normal und mit der Zeit und mit der Übung wird der Umstieg geschmeidiger.

Alternative Übungen

Um sicher zu sein, dass dein Luftstrom konstant ist, kannst du entweder eine Hand vor den Mund halten, um den Luftstrom zu spüren, oder den gesamten Vorgang einfach mit einem Glas Wasser und einem Strohhalm durchführen. Bei Letzterem wäre das Ziel, die Blasen, die im Wasser entstehen, ohne Unterbrechung so regel­mäßig wie möglich zu halten.

Randnotiz

Als ich selbstständig die Zirkularatmung geübt und erlernt habe, also zwischen der Luft in den Wangen und der Luft aus der Lunge zu wechseln, schien alles wunderbar, aber in der realen Anwendung meines Spiels am Instrument war meine Zirkularatmung nicht effizient genug: Ich hatte das Gefühl, nicht genug Zeit zu haben, um durch die Nase einzuatmen, während meine Wangen die Luft rauspressen. Daher fühlte ich mich erst mal überfordert. Also habe ich das Ganze in kleine Schritte unterteilt. Für mich war das das wahre Geheimnis, diese Technik mühelos am Instrument anzuwenden:

1. Wangen aufblasen

2. erst durch den Mund ausatmen

3. dann durch die Nase einatmen

4. den Wechsel immer geschmeidiger machen

Mit der Zeit wird das zu einer Routine!

Stücke, bei denen man die Zirkularatmung üben kann

Tonleiter, Arpeggios, Legato-Passagen, wiederholte Takte… Es gibt viele Übungen, bei denen man die Zirkularatmung anwenden kann. Ich empfehle auch, mit solchen Übungen zu beginnen. Wähle dazu ein bequemes Register auf deinem Instrument (mein Vorschlag für Saxofone: ab D mit Oktavklappe).

Wenn du die Technik bereits gelernt hast und sie an einem Stück üben möchtest, kann ich dir “Bala­fon” für Altsaxofon-Solo sowie “Stan” für Baritonsaxofon und bespielten Synthesizer von Christian Lauba empfehlen. Wenn du in einem Saxofonquartett das Tenorsaxofon spielst (so wie das bei mir der Fall ist), kannst du dich mit der ersten Seite des Arrangements von Sylvain Dedenon von Gershwins “Porgy and Bess” austoben. Für Sopransaxofon empfehle ich die Bearbeitung der drei Romanzen op. 94 von Robert Schumann für Oboe. (Auch wenn Schumann eine lange melodische Phrase geschrieben hat, solltest du diese hierbei aber eigentlich mit einem Atemzug spielen können – also auch ohne Zirkularatmung.

Das ist aber ein anderes Thema und ich emp­fehle hierfür, falls du es noch nicht gemacht ­haben solltest, den Artikel zu lesen, den meine ­Kollegin Ricarda im März 2021 über die Atmung geschrieben hat.