Brass | Von Rémi Gaché

Wie trainiert man den Klang? Jupiter-Workshop für Blasmusiker

eufonium
Foto: Hans Braxmeier auf Pixabay

Klang ist für Blechbläser besonders wichtig. Aber was heißt es eigentlich, einen vollen, hellen oder runden Klang zu haben? Wie nehmen wir unseren eigenen Klang wahr und wie können wir ihn trainieren?

4. September, 10 Uhr, S-Bahnhof Schöneberg. Ich warte auf dem Bahnsteig mit meinem Eufonium und meinen Noten. Vor mir liegt eine sechsstündige Aufnahme-Session, bei der wir Bearbeitungen von Robert Schumanns Liedern aufnehmen werden. Seit vier Wochen bereite ich mich darauf vor. Stundenlang habe ich in einer sechs Quadratmeter großen Übekabine meine Technik verbessert, meine musikalischen Phrasen geformt, Dynamik erkundet, Emotionen gespürt und ausgedrückt sowie nach einer Verbindung mit meinem Instrument gesucht. Was mir am schwersten dabei fiel, war der Klang.

Die Lieder von Schumann sind wenig virtuos, aber erzählen viel – und ich musste mit meinem Klang hörbar machen, was eine Sängerin mit Worten ausdrücken würde. Kann ich die Nostalgie des Liedes »Hör’ ich das Liedchen klingeln?« vermitteln? Und die Freude von »Am leuchtenden Sommermorgen« ausdrücken?

Blechbläser und der Klang

Klang ist für Blechbläser besonders wichtig. Mit einem guten, vollen Klang kann man viel leichter spielen; das Legato-Spiel, die Dynamik und Bindungen sind viel einfacher. Das In­stru­ment klingt von selbst, der Musiker braucht weniger Luft und weniger Muskelspannung. Also ist ein schöner Ton nicht nur eine Freude für den Zuhörer, er ist zuallererst für den Musiker notwendig.

Über Klang zu reden ist gar nicht einfach. Selbst die Wörter, die ich oben benutzt habe, sind sehr subjektiv: »gut«, »schön«, »voll« oder »rund«. Oft wird ein Klang auch als »kernig«, »hell« oder »dunkel« beschrieben. Was soll das heißen? Ein Klang entsteht aus der Summe einer Grund­frequenz und mehrerer Obertöne. Obertöne können mehr oder weniger laut sein, was die Klangfarbe ändert. Beim Didgeridoo oder beim mongolischen Obertongesang sind sie deutlich zu hören. Unsere Ohren nehmen aber einen einzigen Ton wahr, weil diese Summe viel zu komplex ist. Mit Training und Aufmerksamkeit kann man aber die Obertöne vom Grundton trennen und identifizieren.

Ein Klang mit vielen Obertönen wird als “hell” oder “voll” bezeichnet. Ein dunkler Klang hat im Gegensatz dazu weniger Obertöne und einen lauteren Grundton. Trotzdem bleibt die Wahrnehmung von Klangfarbe sehr komplex, deswegen werden oft visuelle Vergleiche benutzt, die den Klang besser beschreiben sollen.

Im Lied “Mondnacht” beschreibt der Dichter eine helle Nacht und versetzt uns in eine irreale Welt:
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande
Als flöge sie nach Haus.

Das Lied ist anspruchsvoll für ein Eufonium: Es liegt im hohen Register und der Klavierteil ist sehr fragil und impressionistisch. Trotz der Schwierigkeiten habe ich mich von dem poetischen Bild dazu inspirieren lassen, mit einem leichten, schwebenden Klang zu spielen. Es ist zwar hilfreich, zu wissen, dass ein Klang physisch mehrere Obertöne hat, aber beim Spielen (und vor allem bei einer Studio-Aufnahme) brauchen wir dieses Wissen nicht. Wir sollten den Kopf abschalten, die Theorie vergessen und eine Verbindung mit dem Instrument und mit der ­Musik schaffen.

Die Wahrnehmung des eigenen Klangs

Der Soundcheck vor der Aufnahme war für mich eine besondere Erfahrung. Ich hatte einen ganzen Monat lang meinen Klang entwickelt, mit dem Schallstück gegen die Wand geübt (um meinen Klang ohne Hall zu hören) und endlich konnte ich mich vor dem Mischpult einmal selbst hören. Es ist das gleiche Gefühl, wie wenn man die eigene Stimme in einem Video hört. Es klingt seltsam, wir finden das unangenehm. Ich musste aber dem Tontechniker vertrauen und akzeptieren, dass das, was ich auf der Probeaufnahme hörte, mein eigener Klang war. Wir haben dann mit dem ersten Stück der Aufnahme angefangen: “Mein Wagen rollet langsam”, ein Lied von Schumann, das ich für Eufonium und Klavier bearbeitet habe. Ich wollte das Lied eine ganze Quarte höher spielen, um den frischen Charakter des Stücks zu behalten. Die große Sexte im oberen Register im zweiten Teil war anspruchsvoll, aber alles lief gut.

Da wir unseren Klang nicht objektiv wahrnehmen können, ist das Spielen auf einem Blechblasinstrument eine komplexe Aufgabe. Es hilft natürlich, in einem “trockenen” Raum zu üben, um erst mal die unerwünschten Geräusche zu entfernen und dann andere Räume auszuprobieren, um zu hören, wie das Instrument im Konzertsaal, im Büro, im Badezimmer oder sogar draußen klingt. Bei meiner Vorbereitung habe ich mich oft mit dem Smartphone aufgenommen. Die Qualität ist natürlich furchtbar, aber es ist eine gute Übung. Was gut auf einem Handy klingt, klingt im Studio tausend Mal besser! Beim Lied “Der Schatzgräber” habe ich mir einen bedrohlichen, tiefen und lauten Klang gewünscht. Die Lage (bis zum tiefen G) passt perfekt zum Eufonium und kann die Rastlosigkeit des Schatzgräbers gut darstellen. Ich habe das Lied aber so laut geübt, dass der Ton auf dem Handy immer verzerrt aufgenommen wurde!

Auch wenn wir uns aufnehmen, können wir unseren eigenen Klang nicht objektiv beurteilen. Wir werden beim Hören immer durch unsere Erwartungen beeinflusst und sind auch an unser Spiel gewöhnt. Entweder haben wir zu hohe Ansprüche oder eine zu große Toleranz und es gibt Details, die wir nicht bemerken, weil wir zu sehr daran gewöhnt sind. Deshalb ist es gut, sich nach ein paar Tagen mit »frischen Ohren« noch einmal zu hören und zusätzlich Freunde oder Lehrer nach ihrer Meinung zu fragen.

Tipps und Tricks

Auch wenn Klangqualität ein sehr subjektives Thema ist, muss ein Musiker mit einer breiten Palette von Klangfarben und unterschiedlicher Dynamik spielen können. Ich versuche beim Spielen so entspannt wie möglich zu sein, un­nütze Spannungen aufzulösen und eine Verbindung mit dem Instrument zu finden. Für eine Aufnahme oder ein Konzert vergesse ich meine Ansprüche, achte weniger auf Details und fokussiere mich auf das Ganze. “Brass playing is no harder than deep breathing”, sagte Claude Gordon, “Blech spielen sollte nicht schwerer als tief atmen sein.” Und tatsächlich: Wenn ich gut und entspannt einatme, gelingt mir die musikalische Phrase danach. Beim Einatmen stelle ich mir vor, dass ich gähne, was den Kehlkopf und die Halsmuskeln entspannt. Allerdings sollte die Zunge nicht zu weit hinten sein.

Auch nur mit dem Mundstück zu üben, hat mir geholfen, Geräusche zu entfernen und meinen “Buzz” zu optimieren. Wenn die Vibration schon mit dem Mundstück gerade und voll klingt, dann wird der Klang mit dem Instrument noch voller und runder. Mit dem Mundstück zu üben, wird zwar manchmal kritisiert, aber jeder sollte für sich herausfinden, was die besten Ergebnisse bringt.

Ein Lied so leise wie möglich zu üben, ist gar nicht leicht. Aber wer weniger kann, kann mehr, zumindest bei unseren Instrumenten! Beim Leise­spielen muss man viel stützen und seine Lippen sehr präzise ansetzen. So entwickelt man seine Klangmöglichkeiten und lernt mehr Kon­trolle.

Fazit

Der Klang ist wie eine Stimme: Er ist sehr persönlich, er erzählt von uns und übermittelt musikalische Emotionen. Mit dem Klang schaffen wir eine Verbindung mit unserem Körper, mit der Musik, mit dem Saal und mit dem Zu­hörer. Ohne Klang ist Musik nur ein paar Zeichen, die auf einem Blatt Papier stehen! Beim Spielen müssen wir geistig und körperlich anwesend sein, jeder Ton muss gesungen und mit Emotionen aus­gefüllt werden.

Jupiter

Rémi Gaché

ist ein junger, außergewöhnlicher Künstler, der sowohl in der Klassik als auch im Jazz zu ­Hause ist. Er studierte Eufonium an der ENMV (Lyon, Frankreich), absolvierte einen Bachelor in Musik­wissenschaft und Päda­gogik und studiert weiter am Jazz Institute of Berlin. Trotz seines jungen Alters hat er ­bereits mit berühmten Musikern eu­ropaweit zusammengearbeitet (Ebony Bones, Kenji Miura, Pax Nicholas). 

www.innerestimmeduo.com