Orchestra | Von Renold Quade

„Winter Holiday“ – ein Medley von James Swearingen

Winter
Foto: Ioannis Ioannidis – Pixabay

Gelegentlich braucht der Mensch auch einmal etwas „Leichtes“. Etwas „Gefälliges“, etwas, das geeignet ist, ein freudiges Lächeln ohne lange Umschweife ins Gesicht zu zaubern. Die Weihnachtszeit, mit ihrer breiten Mischung aus religiösen, jahreszeitlichen, romantischen, brauchtumspflegerischen und auch kommerziellen Ansätzen bietet hier ein weites und dankbares Feld. Und wenn die allgemeine Gefühlslage sich mit einer pfiffigen Idee vereint, diese dann auch noch klug und nach allen Regeln der Kunst umgesetzt wird, ja, dann kann das ­Lächeln erst recht zur Entfaltung kommen. Und ja, warum nicht auch in einem Arrangement für Blasorchester. „Winter Holiday“ von James Swearingen verspricht nun einerseits „Winterliches“ und verweist aber zudem auch auf „Holiday“.

„Christmas Creep“

„Holiday“ ist in diesem Zusammenhang übrigens nicht nur ganz allgemein mit „Ferien“ zu übersetzen. Im amerikanisch-englischen Sprachgebrauch wird hier ein ganz bestimmter Zeitraum beschrieben. Er erstreckt sich von Thanksgiving (Erntedank) über Weihnachten und darüber hinaus ins neue Jahr. Eine Zeit, die die Menschen gerne im Kreis ihrer Lieben feiernd be­gehen. Die allgemein positive Stimmung stützend und unterstreichend, beobachtet man im beschriebenen Zeitraum von jeher auch spe­zielle „Merchandising-Phänomene“, die der Begriff „Christmas Creep“ knapp zusammenfasst. Das beginnt bei Dekorationen aller Orten, zeigt sich in belebter Konsumfreudigkeit und schlägt sich auch in einer Vielzahl von Unter­hal­tungs­ange­boten nieder. Und die Musikindustrie ist mittendrin. 

Somit ist es nicht weiter erstaunlich, dass die hier nun zitierten amerikanischen Weihnachts-Standards der 1930er bis 1950er Jahre auch in unseren Breiten zur „Tradition“ geworden sind. Abgesehen von der Tatsache, dass sie noch nie „weg vom Fenster“ waren, erfreuen sie sich auch – oder gerade – heute ungebrochener und ­immer wieder aufflammender Beliebtheit. So weiß zum Beispiel die „American Society of Composers, Authors and Publishers“ (ASCAP) 2016 zu berichten, dass „Santa Claus Is Coming To Town“, geschrieben 1934 von Fred Coots und Haven Gillespie, im gleichen Jahr live von Eddie Cantor im Radio aufgeführt, 1935 auch von Tommy Dorsey eingespielt, später – zum Beispiel 1948 von Frank Sinatra oder auch 1975 von Bruce Springsteen interpretiert – das meist gespielte Weihnachtslied der letzten 50 Jahre war. 

Die Idee

Auch wenn „Santa Claus“ nun gerade nicht Teil dieses Medleys ist, schlagen die zitierten „Let It Snow“, „Winter Wonderland“ und „Frosty The Snowman“ definitiv in dieselbe Kerbe. Diese „Holiday-Klassiker“ der amerikanischen Popularmusik vermitteln fröhliche Winterstimmung, ganz im Sinne der Feste rund um die Jahres­wende. Die meist leicht swingenden Melodien vermitteln unkompliziert und locker einfach nur Winterfreuden und damit verbunden auch Märchenfantasien. 

Der Arrangeur

James Swearingen wurde am 26. September 1947 in Dayton/Ohio geboren. Seine Ausbildung erhielt er zunächst an der Bowling Green State University und später an der Ohio State Uni­ver­sity. Er wurde im Anschluss sehr schnell zu einer kreativen und treibenden Kraft in der Szene der amerikanischen Highschool-Bands. Zu Beginn komponierte er noch ganz lokal und eher gezielt für seine Schülerinnen und Schüler sowie für sein konkretes Umfeld. Er erkannte dabei, dass seine kleinen Kompositionen seine Schützlinge nicht nur beim Erlernen ihres Instruments unterstützten, sondern dass diese sie auch ermutigten und motivierten, die Welt der Musik weiter zu entdecken. 

Swearingen
James Swearingen in einem Interview des NAMM „Oral History Program“; www.namm.org

Swearingens Werke für die Bläserwelt schöpfen in vieler Hinsicht bewusst aus populären Mustern, die seinen Schülerinnen und Schülern aus dem täglichen Radiokonsum nicht ganz unbekannt waren. Seine Kompositionen spielen gerne und wohl dosiert mit vielen populären stilistischen Facetten. Facetten, die sowohl handwerklich solide, mit Augenmaß und gleichwohl auch mit Effekt im Bläsergewand von der Zielgruppe umgesetzt werden können. In Zusammenarbeit mit dem Verlag Barnehouse griffen seine Ideen bald auch überregional. 

Swearingens Werk ist klassifiziert nach Schwierigkeitsgraden

Er durchdachte in seinem Schaffen ganz bewusste Klassifizierungen nach Schwierigkeitsgraden. Beginnend mit „easy“ (für junge Orchester, die etwa ein Jahr Spielpraxis haben) über „medium easy“ (Orchester im zweiten und dritten Jahr) bis hin zu zwei Kategorien von „medium“, die Orchester mit mittleren und mittelschweren Aufgaben betrauten. Die Länge seiner Werke, auch die seiner anspruchsvolleren, überschreitet selten sechs Minuten.

Nach langjähriger und erfolgreicher Arbeit in der Instrumentalpädagogik wurde er zum Direktor der Abteilung für Instrumentalmusik und Blas­orchester an öffentlichen Schulen in Grove City (Columbus/Ohio) ernannt. Heute trägt er den Titel „Professor Emeritus“ der Capital University of Columbus.

Gastdirigate und Jurorentätigkeiten führten ihn neben Zielen in den Vereinigten Staaten und Kanada auch nach Australien, Asien und Europa. Sein Œuvre umfasst wohl weit über 600 Werke, darunter rund 100 Auftragswerke, und viele Kompositionen, die für Wettbewerbe und Festivals gelistet wurden. Er erhielt mehrere ASCAP-Auszeichnungen sowie einen bedeutenden und bunten Strauß von Ehrungen und Awards der amerikanischen Musikpädagogik. 

Der Aufbau 

Im eher festlichen Maestoso beginnt das Ar­rangement mit einem Zitat des Schlussmotivs von „Let It Snow“, bevor es sich, „Light und ­Jazzy“, deutlich im Tempo angezogen, in eine kurze, zweitaktig swingende Einleitung ver-
spielt. 

Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!

„Auch wenn das Wetter frostig und stürmisch ist, bei uns zu Hause ist es warm, Popcorn ploppt in der Pfanne und sanftes Licht, ein Kuss und deine Umarmung wärmen. Was soll’s, auch wenn ich nun gehen muss, wir lieben uns, auch wenn es schneit, wenn es schneit, wenn es schneit.“ Diese zugegeben recht freie Zusammenfassung des Liedtextes gibt die Botschaft des Liedes aber durchaus treffend wieder. 

Sammy Cahn (Text) und Jule Styne (Musik) schrieben 1945 dieses Winterlied, ganz im weihnachtlichen Sinne, auch wenn der Text nicht ­explizit auf Weihnachten hinweist. Natürlich im sonnigen kalifornischen Hollywood, dem Vernehmen nach in den heißesten Sommerstunden des Jahres. Vaughn Monroe war der erste Interpret, unzählige weitere folgten. Über 160 Versionen sind im Jazzumfeld angesiedelt, allen voran die von Dean Martin vom August 1959. Michael Bublé brachte dem gesamten (Pop-)Swing-Genre in den frühen 2000er Jahren beachtlichen Auftrieb und viele zogen nach, nicht zuletzt auch Robbie Williams. Sicherlich auch ein Grund für das in Europa erstaunliche Revival vieler (besonders auch der weihnachtlichen) Aufnahmen von Frank Sinatra und Dean Martin ge­rade in den letzten Jahren.

Ohne die Zeilen „Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!“ aus dem Mund von Dean Martin wäre Weihnachten für seine Fangemeinde nur halb so schön

Dean Martin war übrigens 78 Jahre alt, als er am 25. Dezember 1995 in seinem Haus in Beverly Hills an akutem Lungenversagen starb. Der Kommentar von US-Regisseur Peter Bogdanovich: „Die Tat­sache, dass Dean Martin an Weihnachten gestorben ist, hätte auch so ein abgründiger Scherz sein können, wie man sie von ihm kannte.“ Seine Fangemeinde ehrt ihn daher besonders zu Weihnachten. Denn ohne die Zeilen „Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!“ aus seinem Mund, aus dem Mund dieses smarten „Crooners“, wäre Weihnachten für sie nur halb so schön.

In einfacher A(A)BA-Form wird der Song einmal komplett vorgestellt. Beide Teile nutzen das Prinzip von „Call and Response“, also ein kleines Frage-und-Antwort-Spiel der Instrumente auf kleinstem Raum: im A-Teil zunächst zwischen Querflöten, Klarinetten und Trompeten auf der einen Seite sowie Altsaxofonen und Hörnern auf der anderen. Die Wiederholung erfährt eine unauffällige, aber leicht verdichtende Instrumentierungsnuance. Der B-Teil, eher etwas breiter angelegt, wirkt gar ein wenig kontrastierend. Die Trompeten im Dialog mit den Posaunen und ­Eufonien sind in warme Klänge der Hölzer eingebettet. Das Schlagwerk ist hier dezent, aber deutlich spürbar reduziert. Attacca, ohne lange Umschweife, geht es nach Wiederaufgriff des A-Teils weiter zum nächsten Titel.

Winter Wonderland 

Manchmal ist es nicht nur der poetische Ehrgeiz eines fantasievollen Texters, der sich dazu verpflichtet fühlt, etwas gefühlvoll „romantisches“ zu Papier zu bringen. Manchmal ist es auch das Schicksal, das einem die kleinen Dinge des Lebens wieder bewusst macht.

So trug es sich wohl zu, dass im Winter 1934 der Zeitungsreporter Richard B. Smith durch den Hones­dale’s Park in Pennsylvania spazierte. Das Winterwetter zeigte sich von seiner besten ­Seite. Die Landschaft war wie von Puderzucker überzogen. Er genoss besonders die frische Luft, denn seit einigen Jahren litt Richard an Tuberkulose und sein Zustand verschlechterte sich immer mehr. Kurz darauf wurde der Reporter in eine Lungenklinik eingeliefert.

Dort erinnerte er sich voller Wehmut an den Spazier­gang durch die Winterlandschaft im Hones­dale’s Park und dichtete im Krankenbett die Zeilen des Liedes: „Die Schlittenglocken läuten! Hörst Du es? Auf der Straße glitzert der Schnee. Ein wunderschöner Anblick. Wir haben heute das Glück, durch ein Winterwunderland zu spazieren!“ Weiter beschrieb er, dass ihm der Spaziergang in Gedanken ein Liebeslied schenkte, dass er einen Schneemann baute, mit seiner Liebsten Eskimo spielte und sie beide später vor dem knisternden Kaminfeuer von der Zukunft träumten.

Der große Erfolg von Winter Wonderland war nicht mehr aufzuhalten

Felix Bernard, ein befreundeter Pianist, komponierte eine Melodie dazu und gab das fertige Lied dem bekannten Sänger Joey Nash. Der wiederum nahm es mit zum nächsten Studio-Termin mit Richard Himber und dessen Ritz-Carlton Orchestra. Fast wäre es allerdings nicht zu einer Aufnahme gekommen, denn, wie es halt im Musikgeschäft so ist, andere Stücke hatten Vorrang und die gebuchte Studiozeit war viel zu knapp bemessen. Eigentlich war dann auch schon Feier­abend, aber Joey Nash konnte die Musiker mit Mühe überzeugen, wenigstens einmal „Winter Wonderland“ zu spielen. „Good Job“ sage ich da nur. Es klappte wohl auf Anhieb und die Aufnahme wurde auf Platte gepresst. Der große Erfolg von „Winter Wonderland“ war somit nicht mehr aufzuhalten. Der schwerkranke Textdichter Richard B. Smith erlebte diesen Erfolg aber leider nicht mehr. Er starb wenige Monate nach der Veröffentlichung im Alter von 36 Jahren. 

Auch hier wird gemäß Original der Song einmal komplett in A(A)BA präsentiert. Den ersten A-Teil führen wenige hohe Hölzer und Trompete an, harmonisch dicht und schlicht, somit nicht aufdringlich, begleitet von Tutti. Der Wieder­aufgriff gibt dialogisierend Trompeten und Querflöten (Oboen) kurz solistischen Raum und wird mit nuancierten rhythmischen Strukturen in der Begleitung verfeinert. Der B-Teil gehört dem Tenorregister, zunächst nur harmonisch umspielt von den Klarinetten. Saxofone und Trompeten addieren sich zum Schluss klangsteigernd dazu. Die Reprise des A-Teils erscheint quasi wie zu Beginn. Sie nutzt aber den Effekt des Tonartwechsels und erklingt leicht spannungsanreichernd einen Ton höher. 

Frosty The Snowman 

Es ist die bezaubernde Geschichte eines weggeworfenen Zauberhutes, der einen Schneemann wieder zum Leben erweckt.

Dieser Zeichentrickfilm aus dem Jahre 1969, das Wintermärchen vom Schneemann Frosty, ist alljährlich eine feste Größe im Weihnachtsprogramm der amerikanischen Fernsehstationen. Was tun, wenn Schneemänner nun irgendwann einmal dahinschmelzen müssen? Die rührend turbulente Geschichte um das Leben dieses besonders beliebten Schneemanns findet schließlich einen Ausweg und mündet in einem Deal, der besagt, dass Frosty zu jedem Weihnachtsfest wieder zurückkehren darf.

Bereits im Jahre 1950 schrieb Walter E. „Jack“ Rollins den Song, der von Gene Autry und den Cass County Boys im gleichen Jahr aufgenommen wurde. 

Ein einfacher, ostinater Paukenrhythmus über einem langen Ton der mittleren und tiefen Weichklinger des Orchesters kündigt den Tempo- und Charakterwechsel an. Noch kurz erklingt das Eingangsmotiv des neuen Songs signalartig in den Trompeten, und die kleine Trommel macht sich auf den Weg, den neuen Groove zu etablieren. 

Die bereits bewährte Kombi aus Trompeten mit leichtem Holzmix führt nach der achttaktigen Einleitung den ersten achttaktigen A-Teil an, in dessen Wiederholung die letzten vier Takte des ­Themas, im Gegensatz zur solistischen Nuance beim ersten Erscheinen, im Tutti bleiben. Nach der Fermate erfährt der B-Teil einen Tempowechsel und ist deutlich sparsamer instrumentiert. Zunächst sind die führenden Trompeten von einer Art Gegenmelodie in der Altlage leicht umspielt. Danach baut sich Stimme um Stimme das volle Orchester wieder zu einer fragenden Fermate mit einleitendem Ritardando auf. Die kleine Trommel löst die kurze Anspannung freudig auf. Gemäß der Geschichte scheint eine ­Lösung für Frosty gefunden. Und bevor das Werk im regu­lären achttaktigen Maß froh gestimmt ausklingt, werden noch schnell vier ­Coda-Takte sinnstiftend aus der bekannten Substanz eingestreut. 

Instrumentation

Winter Holiday

Die „Young Band Series“ hält, was sie verspricht. Alle Instrumente werden in unkritischen Lagen sinnvoll eingesetzt. Und der Dirigent bzw. die Dirigentin hat Möglichkeiten, gemäß seiner/ihrer ­Besetzung zu registrieren. Auch das volle Tutti muss nie aufdringlich wirken. Elegante und unaufgeregte Phrasierung, durch klare Ar­ti­­ku­lations- und Stilistikangaben gekennzeichnet, machen es leicht, ein dezentes, entspanntes „Swingen“ zu organisieren. Im etwas angeregteren, quasi polkahaften Allegro zum Schluss fährt durch das Arrangement – pfiffig und abschließend – noch mal ein ganz anderer Wind.

Eine „Schlagzeug-Drumset-Stimme“ im klassischen Sinne gibt es übrigens nicht. Zwei Percussion-, eine Mallet- und eine Timpani-Stimme geben den Schlagwerkern aber genug Anhaltspunkte, je nach Besetzungsmöglichkeiten, angemessen zu agieren.

Fazit

„Winter Holiday“, ein freudiger „Winterferienspaß“, in der „Hal Leonard Young Band Series“. Es ist James Swearingen geschmackvoll ge­lungen, für diese Zielgruppe wirkungsvoll zu instru­mentieren. Und auch fortgeschrittene Orchester werden ihre Freude am Arrangement ­haben. 

Nicht alle „jazzigen und poppigen“ Akkorde sind komplett mit allen ihnen möglichen Tönen angetreten, aber deren Farben sind stimmig erkennbar. Einfache pfiffige Ideen der gut gemachten „Songs“ behalten immer ihre Schlichtheit, die gleichzeitig aber auch „zündet“. Ebenso werden sie geschickt mit allem versehen, was für ihre effektvolle Entfaltung wichtig ist. Die wohl gesetzten Striche, Punkte und Akzente weisen unmissverständlich den Weg. Das Streben nach Durchsichtigkeit und Leichtigkeit wird somit ein Trumpf in der Interpretation sein.