Orchestra, Schwerpunktthema | Von Jörg Murschinski

Wir müssen reden! Eine Unterhaltung über die Rolle des Dirigenten

Zum ersten Mal erwähnte Heinz Küpper in seinem »Illustrierten Lexikon der deutschen Umgangssprache« die »eierlegende Wollmilchsau« in den 1970er Jahren. Betrachtet man die Stellenanzeigen für Dirigenten unserer Blasorchester, könnte man das Gefühl bekommen, ein Dirigent eines Blasorchesters sollte dieses possierliche Tierchen auf musikalischer Ebene verkörpern!

Scherz beiseite! Was ist ein Dirigent eines Blasorchesters eigentlich? Handwerker oder Künstler, Erzieher, Vermittler oder Lehrer? Oder eben alles gleichzeitig? Kann man das lernen oder lehren? Wir müssen reden…

Günter Martin Korst: Gerade sitze ich an der Vorbereitung zu einem großen Konzert. Partituren studieren und gegebenenfalls meinem Orchester anpassen, Proben planen und zeitliche Abläufe koordinieren. Betrachte ich die Werke, vom Marsch über eine Beethoven-Transkription und Originalwerken für Blasorchester hin zu Bearbeitungen von Bigband- und Poptiteln, stelle ich mir wieder die Frage: Kann ich das alles? Hattest du auch schon mal solche Zweifel und zeigt sich dabei nicht auch ein bisschen unser Dilemma, in allen Genres nur etwas zu Hause zu sein? Was zeichnet, deiner Meinung nach, einen guten Blasorchesterdirigenten aus?

Jörg Murschinski: Das sind aber viele Fragen auf einmal… Fangen wir vorne an: Ja, natürlich habe ich manchmal Zweifel, ob ich allen Stilarten gerecht werden kann, die heutzutage im Blasorchester vorkommen und übers Jahr auch benötigt werden. Denn zu dem, was du genannt hast, kommt ja noch der gesamte volkstümliche Bereich dazu, außerdem die Musik vor 1700, die insbesondere in einem Kirchenkonzert – mit dem ich mich gerade beschäftige – von Bedeutung ist.

Es ist eine Menge Unterschiedliches, was ein Blasorchesterdirigent heutzutage abdecken muss, da hast du schon Recht. Und natürlich wird einem Dirigenten die eine Stilrichtung eher liegen als eine andere. Ich glaube nicht, dass es der Weisheit letzter Schluss ist, sich zu spezialisieren und beispielsweise nur auf die sogenannte sinfonische Blasmusik zu konzentrieren. Das können sich nur wenige Orchester und dementsprechend auch wenige Dirigenten leisten.

Ich persönlich wollte das auch gar nicht. Es ist die Vielfalt der musikalischen Stilarten, die mich an der Aufgabe besonders reizt. Das Streben, möglichst viele Genres mit meinen Orchestern so gut wie möglich umzusetzen – immer natürlich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, das gebietet schon der Respekt vor dem Werk – und die Stilsicherheit weiterzuentwickeln. Dabei kann man seinen Musikern eine wichtige Erkenntnis vermitteln: Dass gute und auch schlechte Musik genreübergreifend sind und nicht eine Stilrichtung a priori höher- oder minderwertiger einzuschätzen ist als eine andere.

Die große Gefahr besteht meiner Meinung nach darin, sich in manchen Stilarten ein trügerisches Halbwissen anzueignen und plötzlich zu meinen, man wisse und könne alles. Daher muss man sich selbst immer wieder hinterfragen und seine eigene Position neu bewerten. Das verstehe ich unter Zweifel.

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