Brass | Von Klaus Härtel

Wolfgang Navratil-Gerl über Motivation

Navratil-Gerl
Foto: privat

Seit 25 Jahren ist Wolfgang Navratil-Gerl Solotrompeter des Mozarteumorchesters Salzburg. Das sei genug, findet er. Denn zu seinem 50. Geburtstag am 18. März wünscht er sich den Wechsel auf die 2. Trompete. Mit Motivation oder Disziplin allerdings hat das nichts zu tun. Motiviert ist er wie am ersten Tag. Wir trafen ihn zum Zoom-Interview.

Herr Navratil-Gerl, kann man Motivation lernen oder hat man die?

Ich denke, dass man Motivation in sich trägt. Wenn man ein positiv gestimmter Mensch ist, ist man schneller motiviert für irgendetwas. Ich persönlich ziehe meine Motivation daraus, dass ich die Leistung in einem Konzert abliefern möchte. Ich möchte gut spielen können, immer mein Bestes geben. Motivierend ist aber auch, dass das wiederum sehr viele von mir verlangen. 

Ist es aber trotzdem manchmal schwerer, sich zu motivieren? Nicht immer steht Musik auf dem Programm, die man gerne spielt.

Natürlich kommt das vor. Es gibt Dienste, bei denen man 20 Vorstellungen hintereinander spielen muss. Dann muss auch ich mich immer wieder extra motivieren, um durchzukommen. Grundsätzlich aber ist der normale Konzertalltag genau das, was uns am meisten Spaß macht – sinfonische Konzerte mit großen Dirigenten und tollen Programmen! Die Salzburger Festspiele! Da ist man besonders motiviert – auch weil man weiß, dass da die Aufmerksamkeit eine ganz andere ist. Man wird gesehen, man ist präsent, man ist mittendrin. 

Ist dann der Schlussapplaus das Zuckerl der Musizierenden? Gibt die Aussicht auf diese Be­lohnung den Motivationsschub?

Das kann zusätzlich motivieren, ja. Wenn man vom Dirigenten aufgefordert wird, aufzustehen und man den Applaus bekommt, tut das einem Musiker gut. Man steht ständig in der Auslage – da ist die Belohnung durch Zustimmung wichtig. 

Im Sport gibt es schon lange Mentalcoaches und Motivationstrainer. Im musikalischen Bereich wird es mehr. Wie ist das bei Ihnen?

Mentalcoaches sind ganz wichtig in unserem Job. Ich habe das in Anspruch genommen, als ich studiert habe. Und unmittelbar vor einem Probespiel habe ich solch ein Training zwei Tage in Anspruch genommen. Dieses Probespiel habe ich dann gewonnen – was sicher zu einem großen Teil auf dieses mentale Training zurückzuführen ist. Ich habe da wirklich gemerkt, dass ich viel sicherer und ruhiger war. Das Atmen habe ich dadurch gelernt und habe die Erkenntnisse natürlich für später mitgenommen und bei anderen Situationen – etwa bei Soloauftritten – wieder angewendet. Heute bin ich in einem Alter, in dem ich diese Erfahrungen anwenden kann und quasi mit mir selber ausmache. 

Hat das dann weniger mit Motivation zu tun als eher mit der Einstellung auf diesen Auftritt?

Das kann man nicht voneinander trennen. Am Ende steht immer die Motivation: Das muss gut werden! Und wenn es gut werden soll, muss man sich natürlich entsprechend vorbereiten. Mentales Training gehört dazu. 

In der Psychologie spricht man von intrin­sischer und extrinsischer Motivation. In­trinsisch ist das Interesse an der Musik, ex­trinsisch die Belohnung durch den Applaus. Wie ist das bei Schülerinnen und Schülern? Wirken Sie von außen ein? Unterstützen Sie, damit sie sich selbst motivieren können?

Letztlich geht das immer Hand in Hand. Allerdings kann man das auch nicht verallgemeinern. Ich muss immer auf jeden Einzelnen eingehen und kann nicht mit der Gießkanne über die Schülergruppe drübergehen und bei jedem das Gleiche anwenden. Der eine braucht mehr Zuspruch, der andere weniger… Ich hatte mal einen Schüler, der jetzt in Leipzig beim Mitteldeutschen Rundfunk spielt. Den musste ich gar nicht motivieren. Im Musikunterricht kann der Lehrer ein Stück weit psychologisch einwirken, kann das Selbstwertgefühl stärken. Die Zustimmung vom Lehrer genügt manchmal schon zur Motivation.

Wie ist das beim Üben? Meine Eltern mussten mich immer auffordern, sprich: motivieren. Wie bringt man Schülerinnen und Schülern das Verständnis nahe, dass Üben etwas bringt? Ist das eine Frage der Erfahrung? 
Motivation

Üben wird aus meiner Sicht schwieriger… Ich muss mich wirklich – auch jetzt noch nach so vielen Jahren – immer wieder dazu motivieren. Ich weiß natürlich, dass ich üben muss. Die Disziplin sagt mir, dass ich es regelmäßig machen muss, um mithalten zu können, um meine Leistung zu bringen. Das ist schon eine wahnsinnige Herausforderung im Alter – wenngleich ich ja noch nicht so alt bin und mich auch nicht alt ­fühle. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich mehr tun muss als früher. Je älter man wird, desto mehr muss man üben…

Kinder und Jugendliche, die im normalen Alltag ihr Instrument lernen, muss man dazu motivieren, dass sie an einem Teil des Tages ihr Instrument in die Hand nehmen. Wenn die in den Unterricht kommen, weißt du genau, ob sie geübt haben oder nicht. Wenn sie geübt haben, motiviert das gegenseitig. Die große Kunst ist, Musikerinnen und Musiker dorthin zu führen, dass ein gewisser Automatismus eintritt. Dieser ist notwendig, um gewisse Ziele zu erreichen. Wobei das ja ein bisschen auch eine Lebensschule ist. Denn die Dinge, die einen im Instrumentalunterricht motivieren, kann man recht gut auch für andere Dinge im Leben verwenden. 

Zumal das Spielen eines Instruments eben leider nicht so ist wie Fahrradfahren, oder? Fahrradfahren verlernt man nicht – beim Musizieren muss man immer am Ball bleiben… 

Das stimmt. Allenfalls ist vielleicht das Spielen einer Tonleiter dem Fahrradfahren ähnlich. Grundsätzlich funktioniert das Musizieren ja nur, wenn man diese Disziplin an den Tag legt. Ich übe heute anders als früher. Ich komme aus der ganz normalen Blasmusik, habe dort im Prinzip auch nichts anderes gemacht als alle anderen. Man geht in die Musikprobe und spielt dort. Erst als ich mit dem Studium begonnen habe, habe ich gemerkt, dass man anders üben muss. Zuvor habe ich ein bisschen „kreuz und quer“ geübt – was gerade so daherkam.

Wenn man sich dann mit den Profis unterhält, lernt man, was die so machen. Otto Sauter etwa erzählte, dass er immer das Gleiche übt. Natürlich ein breitgefächertes Programm – aber prinzipiell immer das Gleiche. Ich musste mir dann erst einmal abgewöhnen, quer durch den musikalischen Garten zu üben. Bindungen, Stoßübungen, Artikulation und so weiter macht man natürlich trotzdem, aber wenn ich strukturiert übe, kann ich die Ergebnisse miteinander ver­gleichen. Früher habe ich das gar nicht so gut einschätzen können, ob ich besser geworden bin. Heute weiß ich das. Man sollte am Ende des Tages schon merken, dass man geübt hat. Ein Sportler schwitzt ja auch. Wenn er das nicht tut, hat er nichts gemacht. Und Schwitzen müssen wir Musiker schon auch. 

Seit 25 Jahren sind Sie Solotrompeter im Mozarteumorchester Salzburg. Demnächst möchten Sie auf die 2. Trompete zurück­gehen. Darf ich fragen: Warum?

Für mich ist das die letzte Möglichkeit vor meiner eigenen Pensionierung. Es gibt ja keine 2. Trompeter mehr! Wenn man heute studiert, wird man im Prinzip zur Solotrompete ausgebildet. Und ich möchte keine junge Kollegin oder keinen jungen Kollegen blockieren. Ich möchte zudem auch nicht mehr diesen Aufwand betreiben, um die Leistung hochzuhalten. Es ist doch gut, wenn der kommende 1. Trompeter einen guten zweiten neben sich hat. Das hat eigentlich nur Vor­teile für alle.

Ist es auch ein Stück weit der Wunsch, aus dem Rampenlicht herauszutreten?

Ich bin jetzt ohnehin nicht so die Rampensau, wie man so schön sagt. Das hat alles damit zu tun, wo ich herkomme und was ich alles gemacht habe. 25 Jahre sind ja auch eine ganze Weile. Ich kann wirklich guten Gewissens zurücktreten und mich ein bisschen mehr auf an­dere Dinge konzentrieren.

Wobei es aber ein Trugschluss wäre, zu denken, die 2. Trompete sei weniger wichtig. 

Absolut! Auch die 2. Trompete hat eine wichtige Rolle. Der Spruch »Der Erste ist nur so gut wie sein Zweiter« kommt ja nicht von ungefähr. Wenn du eine gute 2. Trompete hast, dann ist das Orchesterspielen ein Traum. Man kann sich gegenseitig aufeinander verlassen. Die 2. Trompete zu spielen, war zudem mein ursprüngliches Ziel. Während des Studiums war ich mal im Festspielhaus, als das Mozarteumorchester die 1. Sinfonie von Mahler spielte. Ich war damals Erst­semes­ter, habe von der Seite reinschauen dürfen und mir wirklich gedacht, wie schön das wäre, in dem Orchester 2. Trompete spielen zu dürfen. 

Zumal sich ihre Laufbahn als Musiker zu Anfang ohnehin nicht abgezeichnet hat…

Das stimmt. Ich wollte Sportartikelverkäufer werden. Ich hätte bei einer Firma in Bad Reichenhall anfangen sollen. Aber ich hätte die Berufsschule in Traunstein besuchen müssen – und das war eine Weltreise für mich. Ich wollte nie von zu Hause weg… (lacht) Dann wollte ich – wie mein Bruder – Zimmerer werden. Da war keine Stelle frei. In der Maurerei habe ich dann den Platz bekommen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das eine so schwere Arbeit ist. Aber ich habe es durchgezogen und meine ­Lehre sogar mit Auszeichnung abgeschlossen.

Alles was ich mache, mache ich mit großer Disziplin – selbst, wenn ich es nicht immer gern mache. Heute muss ich sagen: Das war eine meiner besten Entscheidungen im ganzen Leben. Es sind schon Erfahrungen gewesen, wirklich im Dreck zu wühlen und bei jedem Wetter arbeiten zu müssen – und das mit Leuten zusammen, die nicht unbedingt die besten Umgangsformen haben. Durch das Trompetenspiel kommt man dann in eine völlig andere Welt. Durch die Erfahrungen wird man ein bisschen bescheidener, weil man das, was man macht, machen darf…

Gibt es denn Parallelen zwischen der Musik und dem Maurerhandwerk?

Egal, ob du Handwerker bist oder Musiker: Dahinter stecken immer die Disziplin und die Genauigkeit. Wenn du eine Stiege konzipierst, musst du genau sein, denn wenn du nicht genau arbeitest, stolperst du bei der letzten Stufe. In der Musik ist es ähnlich: Es geht nur über Disziplin und Genauigkeit. 

Wann ist denn die Entscheidung gefallen, doch die Musik zum Hauptberuf zu machen?

Während meiner Lehrjahre als Maurer habe ich die Freude am Musizieren wiedergefunden. Wie ich dann zum Studium gekommen bin, ist eine Aneinanderreihung von Zufällen. Ich hatte weder Matura noch konnte ich Klavier spielen. Mein Lehrer wusste aber, wann der Professor an der Hochschule war, und hat mich dorthin mitgenommen, um vorzuspielen. Zufällig war an diesem Tag Vadim Novikov, der Solotrompeter vom Bolshoi-Theater als Gastprofessor vor Ort. Die ganze Trompetenklasse war versammelt. Und dann sagt der Novikov zu mir: „Und jetzt du!“ Mir ist das Herz in die Hose gerutscht. (lacht

Ich habe dann das Arutjunjan-Konzert gespielt, das Vadim Novikov als Zweiter überhaupt aufgeführt hat – nach Timofei Dokschizer. Das hat er natürlich sehr gut gekannt und ich habe es scheinbar recht gut gespielt. Auf jeden Fall sagte Professor Novikov zum Professor an der Hochschule: „Das ist dein talentiertester Schüler!“ Und der hatte mich noch nie gesehen vorher. (lacht)

Was sind Ihre Wünsche und Ziele für die Zukunft? 

Ich bin zufrieden mit der Situation im Beruf, in der Familie, mit den Freunden. Ich glaube, es gibt nichts Schöneres, als wenn wir am Ende des Tages sagen können: Ich bin zufrieden. Wenn man zufrieden ist, ist man auch glücklich. Und das ist doch die Hauptsache.