Orchestra | Von Hans-jürgen Schaal

»Zärtlich klagende Töne« – Bläserfarbe und Romantik

Beethovens impulsive Handschrift zur 9. Sinfonie.

Die Betonung der Bläser entspricht dabei ganz der romantischen Schwärmerei für die Natur. Denn Klavier und Geige sind keine Freiluft-Instrumente. Dagegen erinnern Horn, Oboe, Klarinette und Querflöte an ländliche Idyllen, an Jagdruf und Postkutsche, an Schäferschalmei und Hirtenpfeife, an Naturlaut und Ländlerkapelle. Schon Ludwig van Beethovens »Pastorale« (1808) macht das mit ihren Vogelstimmen (Flöte, Oboe, Klarinetten), dem Tanz der Landleute und dem Gewitterwind (Pikkoloflöte) deutlich. Man denke auch an Franz Schuberts Lied »Der Hirt auf dem Felsen« (1828) mit obligater Klarinette oder an das Hornmotiv am Anfang seiner großen C-Dur-Sinfonie (1828). Hector Berlioz’ »Symphonie fantastique« (1830) präsentiert in der »Szene auf dem Lande« sogar ein Hirten-Duett von Oboe und Englischhorn.

In der Romantik wurzelt auch die Nationalschwärmerei des 19. Jahrhunderts: Die Freiluft-Blasmusik der Militärkapellen nimmt einen ungeahnten Aufschwung. Daher ist das drängendste Problem der Militärmusik, starke, intonationssichere Bass-Instrumente für die vergrößerten Musikregimenter zu finden. Eine ganze Reihe neuer Instrumente werden entwickelt, um den Mangel zu beheben – darunter 1804 das Basshorn, 1817 die Ophicleïde, 1832 der Bombardon, 1835 die Tuba, 1838 das Eufonium, 1839 das Bathyfon, später noch Saxofon, Sarrusofon und Subkontrafagott. Wilhelm Wieprecht, der sich zur Reformierung des preußischen Militärmusikwesens berufen fühlt, veranstaltet Freiluftkonzerte mit über 1000 Musikern. Auf den Weltausstellungen 1867 (Paris), 1872 (Chicago) oder 1880 (Brüssel) kommt es zu Militärmusik-Wettbewerben vor Zigtausenden von Zuhörern. Die großen Blas­orchester machen den Sinfonieorchestern offen Konkurrenz.

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