Die Lippen kann man trainieren, aber die Zähne leider nicht. Jeder, der ein Blasinstrument spielt, weiß, wie wichtig ein guter Ansatz ist. Hier spielen Lippen und Zähne eine zentrale Rolle. Je besser die Lippen ausgebildet sind, desto mehr können sie leisten und sogar ungünstige Zahn- und Kieferstellungen ausgleichen. Diese Kompensationsfähigkeit ist jedoch begrenzt und nimmt zudem im Laufe der Jahre ab. Aber kann man da trotzdem etwas machen?
Musikern geht es vermutlich nicht anders als allen anderen Menschen: Zum Zahnarzt geht man nicht unbedingt voller Vorfreude. Zahnarztbesuche – auch das ist normalerweise bekannt – sind aber nun einmal notwendig. So mancher Musiker merkt erst, wie wichtig die Zähne sind, wenn sie Probleme machen. Auf das Thema aufmerksam hat uns der Musiker Alexander Wurz gemacht, der von seinen Überlegungen und Problemen erzählte. Wurz ist dann auch – fast zufällig – dem Zahnarzt Dr. Marko Reiter über den Weg gelaufen und hat das Interview mit dem Mediziner in die Wege geleitet.
Man spricht über das Thema Zähne
Alexander Wurz merkt an, dass es zwar bei ihm keine größeren Probleme gab, „aber ich war bestimmt schon zwei Jahre nicht mehr beim Zahnarzt und hatte große Sorge, dass irgendwas ist…“ Von größeren Problemen sei er derzeit verschont, aber „ich habe erst vor kurzem mit älteren Kollegen darüber gesprochen“. Irgendwann werde es interessant, wenn Zahnersatz oder »die Dritten« kommen. Und so hat Alexander Wurz sich dann auch ein paar Gedanken gemacht „Was ist, wenn etwas passiert? Ein Sturz mit dem Fahrrad würde ja reichen…“
Zufällig habe er dann Dr. Marko Reiter getroffen und sogleich einen Termin ausgemacht. Dieser fertigte einen kompletten Abdruck von Ober- und Unterkiefer an, „der nun in meinem Musikzimmer liegt“. Er könne das wirklich jedem Musiker nur empfehlen. Im Falle des Falles hat man die Zähne „eins zu eins gespeichert“.

Was ist, wenn etwas passiert…?« (Alexander Wurz)
Foto: Jan Bürgermeister
Grundsätzlich versucht Alexander Wurz, seine Zähne „nach Lehrbuch“ zu putzen. „Ich denke, das Wichtigste ist, dass man das Thema Zähne immer von Profis beobachten lässt. Und das geht nur durch regelmäßige Zahnarztbesuche. So kann man schon den meisten Problemen vorbeugen.“
Wir sprachen mit „Musikzahnarzt“ Dr. Marko Reiter
Herr Dr. Reiter, warum sind Sie eigentlich Zahnarzt und nicht Musiker geworden?
Ich habe seinerzeit viel Musik gemacht mit Studenten der Musikhochschule und konnte schon als Schüler deren Werdegänge mitverfolgen. Nur die wenigsten konnten eine Orchesterstelle erspielen, die meisten „mussten“ mit Musikunterricht ihren Lebensunterhalt verdienen. Das war für mich keine erstrebenswerte Perspektive. Und wenn man ganz ehrlich ist, dann waren meine musikalischen Fähigkeiten sicherlich nicht schlecht, aber für ein deutsches Profiorchester wohl doch nicht ausreichend beziehungsweise mein Entwicklungspotenzial nicht absehbar und damit eine für mein Berufsleben zu unsichere Sache.
Wie kam es, dass Sie sich auf dem Gebiet der Zahnmedizin für Blech- und Holzbläser spezialisiert haben?
Ich hatte 2003 eine Praxis in Dortmund übernommen, die direkt neben dem Stadttheater war. So hatte ich einige Musiker des städtischen Orchesters als Patienten und wurde schnell mit deren sehr speziellen Problemen und Herausforderungen in Bezug auf Zähne und Zahnmedizin konfrontiert, die mir selbst als Blasmusiker nicht fremd waren beziehungsweise die ich aufgrund meiner eigenen Situation als Blechbläser sehr gut verstehen und nachvollziehen konnte und somit in der Lage war, besondere Lösungen für spezifische Probleme anzubieten.
Sie spielen selbst Trompete – warum ist musikalisches Verständnis so wichtig für Ihren zahnmedizinischen Ansatz?
Ich glaube, dass es für einen Nichtmusiker sehr schwierig ist, sich in die Situation eines Blasmusikers zu versetzen, die Sensibilität und die Besonderheiten beim Spielen zu verstehen und entsprechend auf die besonderen Belange der Musiker eingehen zu können und ihnen Möglichkeiten und Wege für ihre zahnmedizinischen Probleme aufzuzeigen. Insbesondere bei Berufsmusikern geht es eben nicht nur um schöne Zähne, sondern um die Berücksichtigung der jeweiligen Musikersituation. Sonst kann das Ganze sehr schnell in der Berufsunfähigkeit enden.
Kann man aber auch präventiv tätig werden?
In jedem Fall! Das kann man nicht nur, das sollte man unbedingt tun, wenn man langfristig seine Spielfähigkeit erhalten möchte. Dazu gehört die regelmäßige Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt und die Anfertigung von Abformungen der Kiefer für Modelle, damit man im Falle einer erforderlichen Rekonstruktion – zum Beispiel nach einem Unfall – immer die Information hat, welche Form und Stellung die Zähne vorher hatten.
Ganz allgemein aber: Was für Probleme haben Musiker konkret? Welche Probleme haben Blech-, welche Holzbläser?
Die Probleme sind beim Musiker nicht anders als bei allen anderen Menschen auch. Die kriegen genauso Karies oder erkranken an Parodontitis. Die Auswirkungen sind jedoch grundverschieden, weil ein Blasmusiker seine Zähne eben nicht nur zum Sprechen, Essen und Lächeln braucht, sondern in erster Linie, um seinen Beruf beziehungsweise sein Hobby ausüben zu können.
Blasmusiker brauchen die Zähne eben nicht nur zum Sprechen, Essen und Lächeln, sondern um den Beruf ausüben zu können.
Dr. Marko Reiter
Schon kleinste Veränderungen können den Blasmusiker in große Probleme stürzen, wenn zum Beispiel Frontzähne überkront werden, und der musikalisch eher unbedarfte Zahnarzt die neuen Kronen nach allen Regeln der Kunst herstellt und die auch wirklich funktionell und ästhetisch wunderschön sind, nur der Musiker jetzt nicht mehr spielen kann, weil in Form und Stellung kleine Details – manchmal auch etwas mehr – verändert wurden. Das ganze Kausystem mit seinen Zähnen und Lippen ist sehr anpassungsfähig und tolerant, allerdings nur gegenüber langsamen Veränderungen. Plötzliche Veränderungen werden schlecht toleriert.
Ist da auch Aufklärung nötig, weil viele Musiker gar nicht genau Bescheid wissen, was man machen kann?
Absolut. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig Gedanken sich manche Blasmusiker über ihr wichtigstes Kapital – ihre Zähne – machen. Ich werde leider zu oft erst aufgesucht, wenn die Probleme schon manifest sind und ich nur noch reagieren kann, anstatt zu agieren. Dann geht es nur noch um Schadensbegrenzung oder um Rekonstruktionen, die teilweise sehr schwierig sind, weil mir die Informationen fehlen (wenn etwa kein Modell angefertigt wurde) und man alles mühsam mit langwierigen Testphasen ausprobieren muss. Mir ist es ein großes Anliegen, die Musiker dafür zu sensibilisieren.
Wenden Sie sich auch an Amateurblasmusiker oder eher an Berufsblasmusiker?
Ich wende mich an alle, die ihr Instrument gerne spielen und denen etwas daran liegt, dies auch noch möglichst lange zu tun, aus welchen Gründen auch immer. Natürlich ist das Thema für einen Berufsmusiker existenzieller als für einen Amateurmusiker. Aber wir wissen, wie wichtig Musik für den Einzelnen sein kann, was sie uns gibt und welche Bedeutung sie für uns hat – und somit sollten alle angesprochen sein.