Sten Nadolny verfasste schon 1983 ein Plädoyer zur „Entdeckung der Langsamkeit“. In diesem Roman hat der englische Kapitän und Polarforscher John Franklin – wegen seiner Langsamkeit – zwar immer wieder Schwierigkeiten, mit der Schnelllebigkeit seiner Zeit Schritt zu halten, wird aber schließlich doch gerade wegen seiner Beharrlichkeit zu einem großen Entdecker.
Gelesen hat der Posaunist Jan Donner das Buch (noch) nicht, doch mit der Idee kann er sich sehr gut anfreunden. Auf dem Tonträger, den er gemeinsam mit seiner Schwester Maren aufgenommen hat, ist das Thema „Zeit“ das zentrale. „Zeit scheint oft der alles bestimmende Faktor zu sein: ‚Ich habe keine Zeit‘, ‚Das kostet zu viel Zeit‘, ‚Ich stehe unter großem Zeitdruck‘, ‚Wenn ich Zeit hätte, würde ich‘, ‚Wenn ich später mal Zeit habe, gehe ich das Projekt an'“, führt Jan Donner aus. „Was ‚inzwischen‘ passiert, wird selten betrachtet. Ich habe die Langsamkeit entdeckt während des Lockdowns“, gibt er zu. Es sei alles sehr eng getaktet gewesen. Hier noch ein Workshop, dort noch zwei Schüler. „Ich habe es als sehr gesund empfunden, dies eine Zeit lang nicht tun zu können.“ Das habe einiges sortiert, „vor allem in der oberen Etage“. Der Posaunist tippt sich an die Stirn.
Die Pandemie hat das CD-Projekt „Meanwhile“ der Geschwister Donner in eine andere zeitliche Dimension gesetzt. Terminlich lief alles „nach Plan“, aber in einer Zeit, in der das normale Arbeitsleben als Musiker zum Erliegen gekommen ist bzw. neue Formen verlangt, gab es Raum für intensive Auseinandersetzung. Die Zeit saß nicht im Nacken, sondern hat den Blick auf das „Inzwischen“ geschärft und neu gefärbt.
„Ein Fehler vieler Lehrer ist, nicht auszusprechen, wie schwer der Weg ist…“
Die Gefühle beim Blick auf die kommenden Spielpläne sind durchaus ambivalent. Viel solle nachgeholt werden. Jan Donner treibt – bei aller Freude, endlich wieder musizieren zu dürfen – ein wenig die Sorge um, dass „wir wieder voll aufs Knallgas gehen. Wir vertun eine Chance!“
Im Interview spricht der Posaunist auch den mitunter harten Weg eines Profimusikers an. „Gerade in der heutigen Zeit ist das knüppelhart. Das musst du unbedingt wollen!“ Ihm sei es deshalb wichtig, den Schülern und Studenten mehr mitzugeben als bloße Technik. Er selbst fühle sich extrem privilegiert, Musik machen zu dürfen. „Ein Fehler vieler Lehrer aber ist, nicht auszusprechen, wie schwer der Weg dorthin ist. Man muss es den Leuten ganz klar sagen: Wenn du reinkommst und fest angestellt wirst – Jackpot! Die Wahrscheinlichkeit – und die Statistiken kann jeder lesen – ist gering.“
Herr Donner, „Meanwhile“ heißt das Album, das Sie gemeinsam mit Ihrer Schwester Maren aufgenommen haben. Was hat es mit dem Titel auf sich? Was war in der Zwischenzeit?
„Meanwhile“ haben wir für uns selbst mit dem Wort „Derweil“ übersetzt. Generell wollten wir mit der CD, den eingespielten Kompositionen die verschiedenen Ebenen von Zeit beleuchten. Die Kompositionen von Peter Dörpinghaus und Tobias Schütte haben sowohl inhaltlich als auch vom Titel direkt mit Zeit und Zeitsphären zu tun. Schumann und Strauss sind für uns beide, auch wenn es abgedroschen klingt, zeitlos gute und wertvolle Komponisten.
Welche besondere Bedeutung haben die acht Lieder Opus 10 von Strauss für Sie?
Ich kenne und liebe Strauss durch meine Tätigkeit in der Oper bzw. im Sinfonieorchester. Als Maren ihren Abschluss im Fach Liedbegleitung gemacht hat, bin ich das erste Mal mit Strauss’ Liedern in Kontakt gekommen und war direkt sehr berührt. Wir wollten es unbedingt ausprobieren und waren sehr bald glücklich, da die Kompositionen auch in dieser Besetzung sehr gut funktionieren.
Wie kam die Werkauswahl insgesamt zustande und wie gingen Sie vor? Hat Corona da eine Rolle gespielt?
Schumann ist auf die gleiche Weise wie Strauss mit auf die CD gekommen. Bei den anderen beiden Komponisten gibt es auch eine Zeitebene, eine Verbindung auf der menschlichen Achse. Peter Dörpinghaus ist, wie Maren und ich auch, im Bergischen Land groß geworden. Wir waren zeitweise alle (Peter und ich als Jungstudent, Maren zu Beginn des Studiums) an der Folkwang-Universität in Essen. Mittlerweile ist Peter im Konzerthausorchester Berlin angestellt, es kommt immer mal wieder dazu, dass wir in verschiedenen Formationen und Orchestern gemeinsam musizieren. Nach einem gemeinsamen Sinfoniekonzert konnte ich Peter für die Idee gewinnen, sein erstes Solostück für Maren und mich zu schreiben.
Tobias Schütte war auch an der Folkwang-Universität, Maren hatte immer noch Kontakt zu ihm. Nachdem wir seine Kompositionen für Blasorchester gehört hatten, waren wir uns schnell einig, dass wir ihn anfragen wollten und zu unser großen Freude hat er sofort zugesagt.
Man sieht also, dass die grundlegenden Ideen schon vorhanden waren, bevor der Corona-Lockdown absehbar war. Durch die „frei“ gewordene Zeit sind die neu komponierten Werke früher als geplant fertig geworden. Maren und ich hatten auch mehr Zeit und Muße zu proben. Zudem bot der unfreiwillige Arbeitsstopp Gelegenheit und Zeit, noch einmal das ganze eigene Leben zu betrachten.
Dass Geschwister gemeinsam musizieren, ist zwar keine Seltenheit, es kann aber auch ordentlich krachen. Wie war das bei Ihnen?
Maren und ich haben seit ich denken kann immer gemeinsam musiziert. Die Art hat sich sehr verändert, da wir beide im professionellen Rahmen arbeiten, wir beide eine sehr konkrete Idee davon haben, was wir musikalisch hören möchten. Beim Proben war es durchaus ein Ringen um die bestmögliche „Lösung“, um den musikalischen Weg, wobei es selbstverständlich auch mal ordentlich gekracht hat. Das macht aber nichts, denn für mich ist klar, dass ich gerne mit starken Charakteren und musikalischen Persönlichkeiten zusammen musiziere, um am Ende zu einem gemeinsamen guten kammermusikalischen Ergebnis zu kommen.

Ist es da entscheidend, dass Maren die „große Schwester“ ist?
Das Alter spielt für uns keine Rolle. Wir sind durch unsere Tätigkeiten im Alltag automatisch auf unterschiedlichen Pfaden unterwegs – beide mit Musik, aber in unterschiedlichen Anforderungsbereichen. Es geht da, obwohl wir uns so gut kennen, rein um ein inhaltlich, gestalterisches und besonders klangliches (Emp-)finden.
Wurde und wird bei Ihnen zu Hause viel musiziert?
Meine Eltern haben sich beide in einem Posaunenchor kennengelernt, meine Onkel spielen auch ein Blechblasinstrument. Zudem hat meine Mutter die halbe Nachbarschaft bei den ersten Schritten am Klavier begleitet. Musik war, seit ich denken kann, immer da, hatte aber auch immer einen sozialen und freundschaftlichen Kontext.

Maren und Jan Donner
Als Kinder hatten sie oft den Eindruck, endlos Zeit zu haben: Manche Schulstunde dauerte eine gefühlte Ewigkeit, nachmittags draußen mit Freunden vergingen die Tage wie im Flug. Nicht nur die Zeitwahrnehmung hat sich während des Aufwachsens und der Entwicklung zum erwachsenen Menschen hin verändert, auch der Lebensraum und das Wirkungsfeld. Inzwischen ist Jan Donner Orchestermusiker in Berlin, bildet (angehende) Studierende aus und ist Teil verschiedener kammermusikalischer Ensembles. Seine Schwester Maren hat sich als Pianistin auf Vokalbegleitung spezialisiert, ist freiberuflich im Konzertleben etabliert, lehrt an der Musikhochschule und nimmt als Musikpädagogin den Begriff »künstlerisch-pädagogisch« sehr wörtlich. Wenn auch ihre musikalischen und geografischen Wege sich unterscheiden, so bleibt die geschwisterliche Verbundenheit und das Gefühl, sich wechselseitig im Leben zu begleiten. Das gemeinsame Musizieren ist zeitlos.
Aus dem Booklet von »Meanwhile«
Sie sind Musiker und Lehrer. Welche Profession ist Ihnen lieber?
Ich weiß für mich mittlerweile, dass es für mich ein Glück ist, beide Seiten ausleben zu dürfen. Ich möchte keines der beiden Dinge missen. Es ist absolut wichtig für mich, wach zu bleiben im Kopf, nicht in einem der Bereiche in eine Art „Betriebsblindheit“ zu verfallen. Im Orchester bin ich Teil eines großen gesamten Bildes, es passiert aber auch immer, dass man durch die wechselnden Dirigenten, Sänger und so weiter inspiriert wird. Trotzdem ist Orchester mein „Alltag“, man spielt mit Kollegen und nicht immer mit gleichgesinnten Musikern zusammen. Es ist eine schöne Profession mit den Seiten, die wohl jeder Job hat.

Beim Unterrichten versuche ich neben dem rein Musikalischen auch andere Dinge mitzugeben, mit anzuregen. Es ist ein direkter lebendiger Austausch, ich finde es spannend, junge Menschen auf einem Abschnitt durch ihr (musikalisches) Leben zu begleiten. Durch den Eins-zu-Eins-Kontakt ist es unmittelbarer, direkter und intensiver.
Gemeinsam sind die beiden Sachen super. Ich finde es immer wichtig, vielschichtig zu sein, den Horizont offenzuhalten und zu erweitern.
Sie unterrichten auch am Musikgymnasium Carl Philipp Emanuel Bach in Berlin, an dem musikalisch hochbegabte junge Menschen gefördert werden. Was fasziniert Sie daran? Und lernen Sie auch gelegentlich von den Schülerinnen und Schülern?
Ich lerne ständig, wenn ich unterrichte. Die Herausforderung ist für mich, immer einen passenden Weg für das Gegenüber zu finden. Dabei ist es eigentlich egal, auf welchem Level. Auch bei Workshops mit sogenannten Laien habe ich großen Spaß und kann für mich inhaltlich und menschlich viel mitnehmen. Das Betrachten von musikalischen Schwierigkeiten, das Denken, wie man eine Schwierigkeit aufweichen kann, führt immer dazu, dass ich für mich inhaltlich dazulerne, was eine große Freude ist.
Sie sind außerdem als Organist Kirchenmusiker. Welche Vorteile hat manchmal die Orgel gegenüber der Posaune?
Ich bin kein großer Virtuose an der Orgel! Dennoch ist es aus meiner Sicht wichtig, mehrere Ebenen gleichzeitig beim Spielen hören zu können. Dies ist mir schon durch den frühen Klavierunterricht bewusst geworden. Man kann durch ein anderes Hören aus meiner Sicht tiefer in die Musik eindringen, als wenn man als reiner Instrumentalist nur die Töne abspult.
Die Beschäftigung mit Theorie und Kirchengeschichte hat mir auch noch einmal einen musikalischen Bereich eröffnet, der sonst in meiner reinen musikalischen universitären Ausbildung nicht vorgekommen wäre.
Als Bläser unterliegt man oft den „Tagesschwankungen“, eine Orgel an sich klingt bei guter Pflege jeden Tag ungefähr gleich gut. Das ist der einzige Vorteil, den ich spontan sehen kann.
Sie haben kürzlich den Studiengang „Mediation Kompakt“ an der Fernuniversität Hagen absolviert. Wobei kann Ihnen diese zusätzliche Qualifikation helfen? Auch im Bereich der Musik und der Musikausbildung?
Ich habe diese Ausbildung gemacht, da mich immer schon interessiert hat, wie Sprechmuster funktionieren, wie Leute Sprache verwenden. Ich hoffe schon, dass ich einige der erlernten Fähigkeiten in meinen musikalischen Alltag mit einfließen lassen kann. Momentan befinde ich mich im Studium für das sogenannte Mentalcoaching. Ich habe einfach Freude daran, Dinge außerhalb der Musik zu entdecken und bin fest davon überzeugt, dass alles, was Menschen lernen, in ihr musikalisches Wirken, in ihren Ausdruck mit einfließt. Vielschichtig sein als Mensch und als Musiker ist mein Ziel!