Brass, Orchestra, Schwerpunktthema, Wood | Von Matias Piñeira Und Ulrich Haider

Zur Hierarchie einer Horngruppe: Wie ein Rudel Wölfe

Wird über Hierarchie in Orchestergruppen nachgedacht, herrscht gängig die Meinung, dass diese ausschließlich durch die im Stellenplan beschriebene Funktion des jeweiligen Gruppenmitglieds vorgegeben sei. Der Solist oder gegebenenfalls sein Stellvertreter haben das Sagen, die anderen haben sich unterzuordnen, zu folgen und alles so auszuführen, wie es vom jeweiligen Gruppenchef vor­gegeben oder gewünscht wird. In der Wirklichkeit ist Hierarchie viel differenzierter zu betrachten und durchaus mit der in einem Wolfsrudel vergleichbar. 

Hierarchie Aspekte in einer Horngruppe

Die Autoren dieses Beitrags sind beide Hornisten, deshalb wird im Nachfolgenden speziell auf hierarchische Aspekte einer Horngruppe eingegangen. Bei anderen Bläsergruppen und den Schlagzeugern gibt es andere Organisationsformen musikalischer Zusammenarbeit. 

Vor allem in der Hierarchie von Streichergruppen dürfte es erhebliche Abweichungen zu uns Hornisten geben. Bestimmt wäre es interessant, hier einen Vergleich mit dem Verhalten von Schwarmtieren wie Vögeln oder Fischen in Betracht zu ziehen. 

Allen Gruppen ist aber gemeinsam, dass es zwei große Bereiche gibt, die ausschlag­gebend dafür sind, ob und wie eine Gruppe funktioniert. Das ist zum einen der musi­kalische, zum anderen der des sozialen ­Zusammenlebens.

Interaktion beim Musizieren

Betrachten wir als erstes die Interaktion beim Musizieren, also bei Proben und Konzerten. Diese ähnelt sehr der Jagdsituation eines Wolfsrudels. Das Alpha-Tier ist Anführer. Es entscheidet, welches Beutetier aus einer Herde ausgewählt wird, bestimmt den Zeitpunkt des eigentlichen Jagdbeginns, also des Hetzens des Tieres, und bewegt sich meist an der Spitze der Jagdgruppe. 

Gelegentlich kann ein anderer Wolf in den Vordergrund treten, beispielsweise ein jüngerer, schnellerer. Bestimmend bleibt aber immer das Alpha-Tier. Dies ist übrigens nicht zwingend ein Männchen, geführt wird ein Rudel fast immer von einem Paar, bestehend aus Alpha-Männchen und Alpha-Weibchen. 

Für eine Jagd ist Ausdauer erforderlich, sie kann physisch sehr anstrengend sein. Lässt die Souveränität des Alpha-Tieres nach, wird es keine Beute und somit keine Nahrung geben. 

In Bezug auf alle diese Aspekte ist das Musizieren in der Konzertsituation vergleichbar. Hier führt der Solohornist die Gruppe an – auch wenn vereinzelt andere Musiker der Gruppe in den Vordergrund rücken können. Wie bei den Anführern eines Wolfsrudels sind vom »Alpha-Hornisten« Persönlichkeit, Ausdauer, Geschick und Stabilität gefordert. Sein Spiel hat den größten Einfluss auf das Spiel der gesamten Gruppe. 

Stabilität dürfte dabei eine der wichtigsten Grundlagen sein, denn sie beinhaltet Ausdauer, Geschick und technische Fertigkeiten. Nur wenn hier die Voraussetzungen stimmen, wird sich eine Gruppe als stabile Gesamtheit entwickeln können. 

Selbstverständlich ist es erfahrenen Tuttisten möglich, vereinzelte Un­sicher­heiten aufzufangen. Sich häufende oder dauerhafte Schwächen des Solo­hornisten führen aber unweigerlich dazu, dass eine Gruppe sich nicht in musikalischer Freiheit bewegen kann. 

Artikel in voller Länge als PDF downloaden