Brass, Orchestra, Wood | Von Alexandra Türk-Espitalier

Bauchmuskulatur bei Bläsern – Sixpack und Situps?

Beim Experiment wurden Elektroden an die Muskeln angebracht, die die elektrische Spannung während der Kontraktion messen.

Kraft und Spannung der Bauchmuskulatur bei Bläsern ist ein großes Thema, über das auch gerne hitzig diskutiert wird. Die einen propagieren einen „lockeren“ und entspannten Bauch, die anderen sagen, dass ohne eine gewisse Anspannung der Bauchmuskulatur die „Stütze“ nicht funktionieren würde. Wer hat nun recht? Oder vielleicht funk­tioniert ja beides?

Um sich dem Thema ­Muskelarbeit beim Trompetespielen einmal wissenschaftlich zu nähern, hat Alexandra Türk-Espitalier Daten von 24 männlichen Profitrompetern während des Spielens gesammelt. Einige Beobachtungen bei zwei Probanden werden hier vorgestellt.

Hervorragende Trompeter spannen wegen zu erwerbender Ehren alle Kräfte beim Blasen und Spielen der Trompete zu stark an, so dass sie nicht selten Brüche bekommen oder Blut speien, oft sogar sich selbst unvermutet den Lebensfaden abschneiden.“ So beschrieb im Jahre 1675 der niederländische Anatom Ysbrand van Diemerbroeck Spielbeschwerden bei Trompetern. Glücklicherweise weiß man inzwischen, dass sich Trompeter durchaus guter Gesundheit erfreuen und keinesfalls soviel Kraft beim Spielen notwendig ist, dass man dadurch sein Leben frühzeitig be­enden muss.

Erfordert Trompetespielen Kraft?

Die Vorstellung jedoch, dass Trompetespielen Kraft erfordert, geistert oft noch durch viele ­Köpfe. Dies führt dazu, dass manche Spieler und häufig gerade auch Schüler versuchen, hohe und laute Töne durch Druck und starkes Blasen zu ­erzeugen. Das ist körperlich anstrengend und resul­tiert selten in einer guten Klangqualität, sondern stattdessen in gepressten und gequetschten Tönen. Ein guter Lehrer wird diesen Technikfehler erkennen und beheben, aber woher kommt diese falsche Vorstellung?

Ein Grund dafür ist sicherlich der hohe Blasdruck, der bei der Trompete in der hohen Lage und im Fortissimo vonnöten ist. Die Trompete gehört zu den sogenannten Niederfluss-Hochdruck-Instrumenten. Das heißt, dass physikalisch eine geringe Luftmenge und ein vergleichsweise hoher Druck zur Tonerzeugung gebraucht wird. Innerhalb aller Blasinstrumente werden die Spitzendrücke bei der Trompete – und nicht wie oft vermutet bei der Oboe – erreicht.

Der Druck kann bis zu 258 cmH2O betragen. Zum Vergleich: Beim forcierten Sprechen benötigt man circa einen Druck von 14 cmH2O, beim Aufblasen eines Luftballons ungefähr 81 cmH2O. Die Flöte – als Instrument mit hohem Luftdurchfluss und geringem Druck – weist nur maximale Drücke von etwa 100 cmH2O auf. Auf der Oboe ­wiederum werden die höchsten Druck-Durchschnittswerte in der Mittellage erreicht.

Die Ausatemmuskeln

Die Muskeln, die für den Aufbau des notwendigen Blasdrucks, die Dosierung des Luftstroms und die Stabilität der Luftsäule während der Ausatmung verantwortlich sind, befinden sich im Bauchbereich und sind in verschiedenen Schichten angeordnet. Noch einmal in Kurzform zur Erinnerung: Bei der Einatmung kontrahiert das Zwerchfell und geht nach unten, die Organe werden dadurch nach vorne geschoben, von außen betrachtet „kommt der Bauch raus“. Bei der Ausatmung entspannt sich das Zwerchfell und geht nach oben in seine Ausgangsposition zurück.

Ebenso geht auch die Ausatemmuskulatur des Bauches durch die Gewebespannung wieder zurück, der „Bauch kommt rein“. Bei forcierter Ausatmung, zum Beispiel beim Husten oder Niesen, gehen die Ausatemmuskeln des Bauches nicht nur von alleine zurück, sondern kontrahieren zusätzlich aktiv, um den notwendigen höheren Druck für die starke Ausatmung aufzubauen. Diese Kontraktion ist auch beim Spielen eines Blasinstruments vorhanden, va­riiert jedoch deutlich je nach Instrument, Ton­höhe und Lautstärke.

Die verantwortlichen Muskeln für diesen Vorgang sind der gerade Bauchmuskel (M. Rectus abdominis), die beiden schrägen äußeren und inneren Bauchmuskeln (M. Obliquus externus und internus abdominis) sowie der tiefe Bauchmuskel (M. Transversus abdominis). Weiterhin wirken die inneren Zwischenrippenmuskeln und weitere Muskeln des Brustkorbs (Mm. Iliocostales thoracis und lumborum, Mm. Intercostales interni, M. Serratus posterior inferior) bei der aktiven Ausatmung mit.

Das Experiment

Um die muskuläre Anspannung während des Trompetespielens objektiv zu messen, wurden 24 männliche Profitrompeter mit einem Ober­flächen-EMG (Elektromyogramm) verbunden. Dabei wurden Elektroden an die jeweiligen Muskeln angebracht, die die elektrische Spannung während der Kontraktion messen und so Auskunft über die Höhe der Muskelanspannung ­geben. Das Verfahren ist schmerzfrei und be­hindert nicht beim Spielen (siehe Foto oben).

Neben den erwähnten vier Ausatemmuskeln des Bauches wurde auch die Aktivität der Zwischenrippenmuskeln (Mm. Intercostales) und die Aktivität der Atemhilfsmuskulatur des Schultergürtels gemessen. Hier wurden der große Brustmuskel (M. Pectoralis major), der absteigende Teil des Trapezius (M. Trapezius pars des­cendens) und der Kopfwender (M. Sternocleidomastoideus) ausgewählt.

Die Probanden sollten nun ausgewählte Töne (G1, H1, D2, G2, H2 und D3) so laut wie möglich spielen und den jeweiligen Ton etwa zwei Sekunden halten.

Beobachtungen

Im Screenshot des EMGs kann man die Aktivität der Muskulatur grafisch dargestellt erkennen. Eine horizontale farbige Linie entspricht dabei einer Ableitung eines Muskels. Je höher der Ausschlag, umso höher ist die Anspannung des jeweiligen Muskels. Die Signale werden in μV aufgezeichnet.

Aus messtechnischen Gründen werden der tiefe Bauchmuskel (M. transversus abdominis) und der innere schräge Bauchmuskel (M. Obliquus internus abdominis) gemeinsam erfasst, sodass das EMG für acht Muskeln insgesamt sieben Messspuren erfasst hat.

Rot: Gerader Bauchmuskel
(M. Rectus abdominis)

Blau: Äußerer schräger Bauchmuskel
(M. Obliquus externus abdominis)

Grün: Innerer schräger und tiefer Bauch­muskel (M. Obliquus internus abdominis und M. transversus abdominis)

Violett: Großer Brustmuskel
(M. Pectoralis major)

Pink: Zwischenrippenmuskeln
(Mm. Intercostales)

Türkis: Kopfwender
(M. Sternocleidomastoideus)

Orange: Schultergürtelmuskel
(M. Trapezius pars descendens)

Die Momente, in denen Proband 1 spielt, sind deutlich durch den Anstieg der Kurven zu erkennen. Während der sechs lauten Töne zeigt sich vor allem eine hohe Aktivität der schrägen und tiefen Bauchmuskulatur (grün) und der Zwischen­rippen­muskulatur (pink). Der gerade Bauchmuskel (rot) und der äußere schräge Bauchmuskel (blau) bleiben im Verhältnis dazu eher entspannt oder nur mäßig angespannt. Die Atemhilfsmuskulatur im Brust- und Schulter-Nacken-Bereich bleibt bei Proband 1 trotz ­hoher und lauter Töne relativ entspannt.

Eine Verteilung der Muskelarbeit wie in diesem Beispiel ist optimal und wünschenswert. Es zeigt an, dass eine hohe Energie und Arbeit bei den lauten Tönen aufgewendet werden muss, aber dass dieser Aufwand von der „richtigen“ Muskulatur erbracht wird und zwar von der tiefliegenden Ausatemmuskulatur des Bauches, die die Luft vorwärts bringt und einen gewissen physikalischen Druck erzeugt. Dadurch können die Tonhöhe und Lautstärke erreicht werden.

Wie stellen sich nun typische Haltungs- oder Spielfehler im EMG dar?

Bei fordernden Tätigkeiten kann man beim Menschen, unabhängig vom Trompetespielen, be­obachten, dass gerne nicht nur die Muskulatur eingesetzt wird, die diese Tätigkeit verrichten soll, sondern zusätzlich andere Muskeln zur Unterstützung oder als Kompensation für fehlende Kraft mitar­beiten. Zum Beispiel ziehen viele Personen die Schultern hoch, wenn sie etwas Schweres anheben, anstatt die Kraft aus dem Rumpf oder aus den Beinen zu holen.

In diesem Fall hilft die Schultergürtelmuskulatur mit, um die Anforderung zu bewältigen. Aber auch bei leichten Gewichten, für die die Kraft der Rumpf- oder Beinmuskulatur problemlos ausreichen würde, wie zum Beispiel einen Rucksack oder eine Tasche zu heben, ziehen Menschen die Schultern hoch. Die Aktivität von Muskeln, die nicht für die eigentliche Tätigkeit vorgesehen sind, geschieht bei mittlerer Anforderung oft aus Gewohnheit und mangelndem Körperbewusstsein. Man kann es als schlechte Angewohnheit bezeichnen.

Kein maximaler Kraftaufwand

Die Produktion höherer und lauter Töne auf der Trompete erfordert wie schon erwähnt durchaus etwas Arbeit oder Energie, aber keinen maxi­malen Kraftaufwand. Eine große Mitarbeit der Atemhilfsmuskulatur im Schultergürtelbereich ist sowohl spieltechnisch als auch vom Halte­aufwand des Instruments nicht nötig, wie man bei Proband 1 sehen kann.

Trotzdem gehört das Hochziehen der Schultern beim Spielen hoher Töne zu den häufigsten unnötigen Angewohnheiten beim Trompetespielen. Der Ton wird quasi mit den Schultern herausgedrückt, die Tonqualität leidet enorm, der Spieler ist anfällig für Schulter-Nacken-Verspannungen. Im EMG stellt sich dies als ein ­erhöhtes Signal des M. Trapezius descendens (orange) dar. Dies ist in der unten stehenden Abbildung, die die Messung von Proband 2 zeigt, vor allem bei den letzten drei Tönen, wenn es in die Höhe geht, gut zu erkennen.

Proband 2. Fehler 1: Hochziehen der Schulter beim Spielen (orange); Fehler 2: zu starkes Anpressen des Mundstücks (violett).

Bei Proband 2 kann man noch eine weitere schlechte Angewohnheit erkennen, und zwar ein zu starkes Andrücken des Mundstücks in der Höhe. Um fehlende „gute“, das heißt not­wen­dige Spannung der tiefen Bauchmuskulatur, eine fehlende Luftgeschwindigkeit oder mangelnde Koordination oder Kondition der Ansatzmuskulatur auszugleichen, drücken Spieler gerne bei hohen Tönen einfach das Mundstück fester an. Dadurch hat man zwar einen kurzfristigen Erfolg, allerdings klingt der Ton dünn und gequetscht. Das Anpressen des Instruments geschieht über die Hände und Arme und zeigt sich in einer erhöhten Aktivität des großen Brust­muskels (M. Pectoralis major), hier in Violett in der vierten Zeile von oben dargestellt.

Auswirkungen auf die Praxis

Messungen mit dem Oberflächen-EMG sind eine hervorragende Möglichkeit, objektive Informationen über die Muskelaktivität beim Spielen zu erhalten. Gerade bei Bläsern, bei denen wesentliche Vorgänge der Atmung und Tonproduktion im Körperinneren und damit unsichtbar ablaufen, kann eine visuelle Darstellung hilfreich und erhellend sein. Es wäre natürlich ein Traum, wenn diese Möglichkeiten allen Musikern zu Verfügung stehen würden. Hierin liegt auch der größte Nachteil des Verfahrens, nämlich seine schier unerschwinglichen Kosten. Verlässliche Messgeräte können sich nur große Universitäten oder Labore leisten und sind damit für die meisten Spieler unerreichbar.

Aber alle Musiker profitieren zumindest von den Ergebnissen der Forschung. Im Fall dieser Untersuchung können einige Ansätze der Trompetenmethodik untermauert werden. Um auf die Eingangsfrage „Sixpacks und Situps?“ zurückzukommen: Bei allen Probanden zeigte sich, dass bei maximaler Lautstärke und in der Höhe die tiefe Bauchmuskulatur bis zu 95 Prozent ihrer Maximalkraft arbeitete, während der oberflächlich liegende gerade Bauchmuskel höchstens auf 65 Prozent seiner Maximalkraft kam.

Bauch locker lassen, aber gleichzeitig stützen?

So kennt man das aus der Pädagogik mit der Anweisung „Bauch locker lassen“ (gerader Bauchmuskel), aber gleichzeitig eine „Stütze“ (Stabilität und Spannung der tiefen Muskulatur) aufzubauen ohne zu pressen. Dafür benötigt man weder einen Sixpack noch Situps, aber eine sehr gute Tiefenstabilisation und eine gute Körperspannung im Rumpf. Wer hierbei schwächelt, kann seine Kraft unter anderem mit der Übung „Plank“ (Unterarmstütz) verbessern!

Schlechte Angewohnheiten oder technische Fehler wie das oben beschriebene Anpressen des Mundstücks oder Hochziehen der Schultern sind auch im Trompetenunterricht immer wich­tige Themen. Die EMG-Untersuchung zeigt auf, dass man als Pädagoge hier nicht lockerlassen darf und immer wieder daran arbeiten sollte, den Schülern eine gute Körperwahrnehmung zu vermitteln. Nur wer spürt und lernt, nur die Muskeln verwenden, die man tatsächlich für die jeweilige Anforderung braucht, kann eine größtmögliche Effizienz und damit Leichtigkeit beim Spielen erreichen.