Orchestra, Schwerpunktthema | Von Stefan Fritzen

Blasmusik als Kulturgut

Mit dem Thema geraten wir leicht zwischen die Fronten eingefleischter Lordsiegelbewahrer der Musikkultur: Für klassische Musiker bleibt Blasmusik oft die Verballhornung ihrer großen Kunst, für überzeugte Pazifisten ist Blasmusik die klingende Überhöhung eines luziferischen Schlachtens im Kriege und für viele Volksmusikanten bleibt geblasene Musik die Kommerzialisierung echter Folklore.

Der Österreicher Alois Schöpf nennt die Blasmusik die »Philharmonie des kleinen Mannes«, in der der Versuch, große Kunst zu machen, über den eigentlichen Zweck jeder Blaskapelle hinausgehe. Lassen Sie mich zuerst eine klare Aussage treffen: Natürlich ist Blasmusik ein Kulturgut! Aber bevor wir über künstlerische Parameter der Blasmusik nachdenken, scheint es mir nötig zu sein, einige grundsätzliche allgemeine Gedanken zur Kunst und Kultur, zu unserer Musikkultur und deren Wurzeln zu machen.

Musik als Teil des Menschen

Musik ist eine menschliche Ausdrucksform, in der Töne und Klänge in unterschiedlicher Länge, Lautstärke und Klangfarbe zu »organisierten Schallereignissen« verbunden werden. Aristoxenes von Tarent definierte bereits drei Jahrhunderte vor Christus Begriffe wie Intervall, Tonsystem, Halbton, Viertelton und die diatonischen Tongeschlechter. Für ihn war Musik in erster Linie ein mathematisches Phänomen.

Die frühesten Funde von Instrumenten waren Blasinstrumente! 35 000 Jahre alte Knochenflöten wurden auf der Schwäbischen Alb ausgegraben. Diese dienten ausschließlich dem Musizieren. Anthropologen und Evolutionsforscher sind sich allerdings darüber einig, dass Musik schon viel früher von Menschen gespielt wurde.

Auf das »Warum« will man sich jedoch heute in der Forschung noch nicht endgültig festlegen. Ich möchte jedoch glauben, dass Musik sowohl Informationen als auch Emotionen, kommunikative, aber auch kontemplative Möglichkeiten bot, sich in menschlichen Gruppen nonverbal auszutauschen und in ihnen zu leben.

Parallel zur Entwicklung von Sozialstrukturen brauchte der Mensch die Entwicklung von Kunst aller Gattungen für die Gestaltung seiner transzendentalen Bedürfnisse und die Herausbildung sittlicher Normen.

Ursprünge der Musik

In der musikologischen Forschung wird heute die Ansicht vertreten, dass Musik sich ursprünglich aus einer mimetischen (nachahmenden) Lautäußerung entwickelte. Das griechische Wort »Mimesis« bedeutet ursprünglich, durch körperliche Gesten eine Wirkung zu erzielen. Der Vogelgesang zum Beispiel weist Charakteristika wie Ton- und Tonfolgewiederholungen auf, aus denen Menschen Motive, Melodien mit Leittönen oder Skalen bilden konnten.

Dabei entwickelten sie aus den Stereotypen natürlicher Töne und Geräusche bereits frühzeitig eine große variable Bandbreite. In schriftlosen Kulturen, aber auch in der mittelalterlichen Gregorianik oder im Volkslied findet man noch heute beschwörende stetige Wiederholungen, Akkordbrechungen, Tonumfänge innerhalb einer Dezime und Strophenformen. Diese prägen auch unsere volkstümliche Blasmusik, deren Terzenseligkeit nahezu jeden Menschen sofort in ihren Bann zu ziehen vermag.

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