Brass, Orchestra, Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Camille Saint-Saëns Bläserwerke: spielerische Brillanz

Saint-Saëns
Camille Saint-Saëns am Flügel (Paris 1913; Foto: Bibliothèque nationale de France)

Wir kennen von ihm den “Karneval der Tiere”, die “Danse Macabre”, die “Orgelsinfonie”. Doch Camille Saint-Saëns schrieb auch verblüffend elegante Kammermusik für Blasinstrumente. Sein Hang zum tänzerischen Glanz ist eine Einladung an alle virtuosen Solisten.

Die Attitüde des Wunderkindes hatte er ein Leben lang. Fast schien es ein wenig beliebig, was er anpackte – es fiel ihm einfach alles leicht. War es Sinfonie oder Oper, Instrumentalkonzert oder Marschmusik, Klavier- oder Orgelspiel – er schien Musik um der Musik willen zu machen, aus purer Freude an ihrer Schönheit und Stimmigkeit und weniger aus einem inneren Mitteilungsdrang. Saint-Saëns spielte gerne mit alten Formen, aber er stellte sie dabei in eine neue, raffinierte Beleuchtung. Oder umgekehrt formuliert: “Er bringt in die Unruhe unserer Kunst ein wenig vom Licht und der Milde von einst” (Romain Rolland). Authentischer Ausdruck und drängendes Gefühl schienen ihm nicht so wichtig. Saint-Saëns war mehr ein brillanter Klassizist als ein bekenntnishafter Romantiker. “Es gibt gute und es gibt schlechte Musik”, sagte er. “Der Rest ist eine Frage der Mode oder der Konvention, nichts weiter.”

Schon früh war er zum Liebling der Pariser Musikszene geworden. Auch Rossini und Berlioz förderten ihn, man verglich ihn mit Mozart. Mit sechs Jahren begann er zu komponieren, mit zehn debütierte er am Klavier vor großem Publikum, mit 17 schrieb er die erste Sinfonie. Im gleichen Alter wurde er Kirchenorganist und blieb es 25 Jahre lang, quasi nebenher. Einige Zeit lang erteilte er auch Klavierunterricht, danach schrieb er Opern, und dann begann er mit sinfonischen Dichtungen – es schien nicht so darauf anzukommen. Auch als Mathematiker, Schriftsteller, Astro­nom besaß er Talent. Mit 50 Jahren stand Saint-Saëns auf dem Gipfel seines Ruhms, wurde in die Akademie der Schönen Künste berufen und in die Ehrenlegion. Er war damals der berühmteste, gefeiertste Komponist Frankreichs.

“Ein eklektischer Geist”
Saint-Saëns
Foto: Gemeinfrei

Wurde er gefragt, warum er sich nicht festlegen wollte, warum er Altes und Neues vermischte (spielerisch und mit Esprit), warum er mal in die eine, mal in die andere Richtung ging, so meinte er nur, er sei eben “ein eklektischer Geist” – einer, der Verschiedenes, Gegensätzliches in sich vereint. In der Tat war vieles an ihm widersprüchlich. In jungen Jahren zum Beispiel verehrte er die deutsche Musik, Bach, Mozart, Wagner, schrieb auch Beethoven-Variationen (Op. 35). Später – ab dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 – wurde er zum Deutschen-Hasser. 1871 gründete er eine nationale französische Musikgesellschaft und wurde ihr Präsident. Während des Ersten Weltkriegs hätte er Aufführungen deutscher Musik in Frankreich am liebsten verboten. 

Im Widerspruch zu seinem Nationalismus steht wiederum seine enorme Weltoffenheit. Saint-Saëns war in England fast so erfolgreich wie in Frankreich, gastierte ebenso in den USA und in Südamerika. Er kam auch sonst viel herum und holte sich musikalische Anregungen aus Italien, Spanien, dem Maghreb. In seinen Werktiteln steckt fast ein kleiner Reisekatalog – mit An­spielungen auf Lissabon, Andalusien, Aragón, Ägypten, Arabien, Algerien, Afrika, Persien. Er war sich sicher, dass Exotik und Rhythmus die Musik der Zukunft prägen würden.

Glamouröse Eleganz

In seiner Kammermusik hat Saint-Saëns die verschiedenen Blasinstrumente ziemlich gleich­mäßig bedacht. Eines seiner originellsten und entzückendsten Werke ist die “Tarantelle” (Op. 6), die er als junger Mann 1857 nach einer Italienreise schrieb – im Original für Flöte, Klari­nette und Streichorchester. Später hat er das etwa siebenminütige Stück als Kammertrio bearbeitet: für Flöte, Klarinette (bzw. Oboe) und Klavier. Die Bläser umgarnen einander hier an der Grenze zur Bizarrerie, das Piano sichert die rhythmische Basis. 

Ebenfalls für Flöte, Oboe und Klavier entstand – in Saint-Saëns’ populärster Zeit um 1885 – die “Caprice sur des airs danois et russes” (Op. 79). Die beiden Bläserstimmen wechseln sich ständig in der Führungsrolle ab, finden immer wieder neue Wege, einander zu umspielen. Der brillante Klavierpart verrät, dass das Piano Saint-Saëns’ Hauptinstrument war. Das ist elegante, glamouröse Musik – ein klingendes Diamantencollier. Manche inspirierte Melodie aus seinen Opern oder dem “Karneval der Tiere” wurde später (von anderen) ebenfalls für die Flöte bearbeitet. 

Saint-Saëns schrieb auch für Blech

Der Trompete widmete Saint-Saëns ein Septett (Op. 65), das an eine barocke Tanzsuite erinnert. Für die Posaune entstand eine kleine Cavatine mit Klavierbegleitung (Op. 144). Auch fürs Horn schrieb er ein paar Romanzen sowie ein berühmt gewordenes Konzertstück: “Morceau de concert” (Op. 94). Noch Ende des 19. Jahrhunderts war der Kampf zwischen Naturhorn und Ventilhorn in Frankreich nicht entschieden. Ein Kompromiss schien das omnitonische Horn, das ­quasi viele Naturhörner in sich vereinigt.

Den letzten ernsthaften Versuch, Natur- und Ventilhorn zu versöhnen, startete der Hornist Henri Chaussier. Saint-Saëns unterstützte Chaussiers Reform-Instrument (gebaut von Millereau) ge­gen das in Deutschland gebräuchliche Ventilhorn, aber auch gegen das alte Naturhorn. “Die Instrumente von Herrn Chaussier sind nach C zurückgeführt und spielen – wie das Klavier oder die Geige – nach klingender Notation.” Speziell für das “Cor Chaussier” entstand 1887 sein “Morceau de concert”, ein Mini-Hornkonzert in einem Satz (wahlweise mit Orchester- oder Piano-Begleitung). Auch auf dem Ventilhorn ist es noch heute ein Glanz- und Pflichtstück.

Die späten Sonaten

In seinen letzten Lebensjahren galt Saint-Saëns dann doch als recht altmodisch – aber er war ja auch wirklich alt (er wurde fast 90). Als atonale Töne die gewohnte Musikwelt zu erschüttern begannen (Strawinsky, Schönberg), zog er sich stilistisch auf eine neue Sachlichkeit zurück und nahm damit den Neo-Klassizismus der 1920er Jahre vorweg. Seine spätesten Werke erinnern (bei aller Raffinesse) ein wenig an die Kammermusik der Frühromantik. Sein Kompositionsstil ist karger, schlanker geworden. Elegante Brillanz wird bewusst ausgespart – das hört man vor allem in den Klavierparts. Unter diesen letzten Kompositionen sind die drei wunderbaren Bläsersonaten: für Oboe und Klavier (Op. 166), für Klarinette und Klavier (Op. 167) und für Fagott und Klavier (Op. 168). Diese fast zeitlos wirkenden Stücke gehören heute zum Standardrepertoire. (Auch über eine Sonate fürs Englischhorn dachte Saint-Saëns noch nach.)  

Die kompakte Oboensonate in D-Dur (ca. 10 Minuten) entstand für Louis Bas, den ersten Oboisten an der Pariser Oper. Das eröffnende An­dan­tino in ³/₄ wirkt melancholisch, bleibt aber nüchtern kontrolliert. Das folgende Allegretto beginnt mit einer Rubato-Fantasie (“Ad libitum”) und steigert sich zu einer fröhlich-folkloristischen Gigue (in ⁹/₈). Im abschließenden Molto Allegro, einer Art Marsch-Tarantella, glänzt der Oboenpart durch Humor und technischen Anspruch. Jeder der drei Sätze besitzt einen eigenen, bewegenden Charakter.

Camille Saint-Saëns Klarinettensonate

Am meisten Beachtung fand die Klarinetten­sonate in Es-Dur (ca. 16 Minuten), die Auguste Périer gewidmet ist, der am Pariser Konser­vatorium lehrte. Vor allem das Allegro animato, eine Art Gavotte mit humorig-volkstümlichen Über­raschungen, und der schmerzlich-düstere, fast dramatische Lento-Satz (in ³/₂) hinterlassen schon beim ersten Hören einen starken Eindruck. Der Finalsatz (Molto Allegro) besitzt wiederum eine starke, originelle Virtuosität.

Auch dem Fagott gewinnt Saint-Saëns viele ­Facetten ab. Die Fagottsonate in G-Dur (ca. 12 Minuten), dem Fagottisten Léon Letellier gewidmet, beginnt mit einem kontemplativ-geheimnisvollen Allegretto moderato. Der zweite Satz ist wiederum scherzhaft angelegt – mit dramatischen Stakkato-Arpeggien, die auf dem Fagott zwangsläufig komisch wirken. Einem opern­haften Adagio folgt dann noch ein verkürzter Final­satz: eine triumphierende Marsch-Fanfare. Sie wirkt wie der Schlusskommentar zu einem langen, erfolgreichen Komponistenleben.