Seit drei Jahren zeichnet Christoph Müller nun schon für die Leserinnen und Leser der Brawoo (bzw. Clarino). Fast monatlich erscheint eine Karikatur zum Thema unter der Überschrift „Uhus Weisheiten“. Christoph Müller aber ist mehr als ein Zeichner. Er ist vor allem Saxofonist und Pädagoge. Wir schalten uns via Zoom in sein Atelier, um den Maler, Musiker, Menschen einmal vorzustellen.
Christoph Müller, wer ist eigentlich Uhu?
Der Name „Uhu“ datiert aus den grauen Annalen meiner musikalischen Jugend. Ich war mit 16 Jahren Gründungsmitglied des Landesjugendjazzorchesters Baden-Württemberg – mit Koryphäen wie Ludwig Nuss, Ingolf Burkardt, Klaus Graf, Andy Maile und Klaus Stötter. Und die Arbeitsphasen in der Bundesakademie in Trossingen waren für mich immer ein Highlight. Tagsüber fanden intensivste Proben mit Jiggs Whigham statt und abends wurde dann immer gejammt bis tief in die Nacht hinein. Nach so einer Nacht mit sehr wenig Schlaf kam ich morgens völlig verschlafen in den Probenraum. Als Jugendlicher hatte ich ziemlich lange Haare, die aber eher in undefinierte Locken ausgeartet sind. Ich kam also völlig zerzaust in die Probe.
Der Trompeten-Dozent Frederic Rabold war schon da. Er sieht mich, lacht sich kaputt und ruft: „Du siehst ja aus wie ein Uhu nach dem Waldbrand!“ Das war natürlich der Lacher für alle anderen, für mich war es in dem Moment total peinlich. Aber ab da hatte ich diesen Spitznamen „Uhu“ weg. Anfangs habe ich mich über diesen geärgert. Heute bin ich auch ein bisschen stolz darauf, dass ich so einen prägnanten Spitznamen habe.
Und woher nimmt Uhu seine Weisheiten? Sind diese Dinge aus deiner eigenen musikalischen Erfahrung entstanden?
Ich habe immer in den verschiedenen Bands, in denen ich war, lustige Situationen auf die Schippe genommen und karikiert. Da entstanden im Lauf der Jahrzehnte wirklich eine ganze Menge Zeichnungen, die auch eine Art Dokumentationscharakter haben. Mit dem Orchester Joe Schwarz etwa ist man zum Teil in derbe Situationen geraten. Wir haben viele Bierzelte bespielt und das ist hart, wenn man da elf Stunden am Tag auf der Bühne steht und sonntags zwölf. Ich habe über meine Zeit dort viel gezeichnet von diesen Situationen und ein kleines Heft für die Kollegen gemacht. Die lagen fast unterm Tisch vor Lachen. Man lacht darüber, auch wenn man es vorher noch furchtbar fand. Und alle sind wieder fröhlich.
Ist das dann auch so ein klein bisschen Therapie? Das du dir sozusagen etwas von der Seele zeichnest?
Das kann man so sagen, ja.
Das Zeichnen war aber meist doch „Nebenschauplatz“. Die Musik stand und steht im Mittelpunkt. Insgesamt warst du 25 Jahre bei der Bundeswehr. Erst im Musikkorps in Karlsruhe und dann 22 Jahre bei der Bigband der Bundeswehr, bevor du 2018 in den Ruhestand verabschiedet wurdest. Das ist eine Zeit, in der man viel erlebt, viele Menschen kennenlernt, viel Musik unter verschiedenen Dirigenten und Bigband-Leadern gemacht hat. Wenn du zurückdenkst – was waren die Highlights?
„Das“ Highlight gibt es nicht. Die Auslandsreisen waren immer besonders. Und dabei muss ich die militärischen Auslandseinsätze hervorheben – etwa die Truppenbetreuung im Kosovo. Ich finde es schon wichtig, zu sehen, wie so ein Militär auch als Stabilisierungsfaktor arbeitet. Dass wir Soldaten sind, das wurde uns bei der Big Band der Bundeswehr ständig vor Augen geführt. Wir haben zum Tag der deutschen Einheit in Moskau gespielt und in Südkorea. Ich war gerne in diplomatischer Mission unterwegs – als klingende Visitenkarte der Bundesrepublik.
Vermisst du die Big Band der Bundeswehr? Wie geht’s dir heute ohne sie?
Einerseits vermisse ich es schon, mit solch unglaublich hochgradigen Musikern zusammenarbeiten zu dürfen. Und die werden ja immer besser! Aber gleichzeitig genieße ich auch die Freiheiten, die ich jetzt habe. Ich bin sehr dankbar für das wunderbare „bedingungslose Grundeinkommen“ in Form einer Pension, die ich bekomme. Darauf kann ich jetzt mit verschiedenen anderen Sachen aufbauen. Ich unterrichte noch etwas mehr als zu meiner aktiven Zeit. Dabei kann ich mich auf Dinge konzentrieren, die ich schon immer machen wollte: das Zeichnen etwa und ich habe auch ein neues Hobby entdeckt, den Videoschnitt. Ich bin glücklich, dankbar und kann sagen: „Es gibt viel zu tun!“

Auch musikalisch bist du weiterhin aktiv. Welche Projekte stehen auf der Agenda?
Mit meinen Kollegen von der Big Band der Bundeswehr – Posaunist Adi Becker und Pianist Vincent Nguyen – sowie dem Bassisten Nils Imhorst habe ich ein Jazzquartett „Les Chefs de Swing“ gegründet und wir haben kürzlich unsere erste CD aufgenommen. Wir sind ein leises und gediegenes Jazzquartett. Das ist genau das, was ich vermisst habe mit der Bigband. Da nämlich war alles immer sehr laut, furchtbar bombastisch und furchtbar „wow“.
Die „neugewonnene Freiheit“ nutzt du in vielfältiger Weise. Auch das Unterrichten hat an Fahrt aufgenommen. Warum ist dir das Unterrichten so wichtig?
Anfangs hat sich das – schon während der Bigband-Zeit – so ergeben. An der Beethoven-Musikschule in Bonn arbeite ich mit Grundschülern und in diesen Grundschulen bauen wir Blasorchester auf – mit der Methode „Tradition of Excellence“. Mit der App „IPS“ (Interactive Practice Studio) können Schüler die Aufnahme hören und sich gleichzeitig selbst aufnehmen. Es gibt aber auch viele Dinge, die ich gerne noch anders machen würde. Daran arbeite ich. Vielleicht bringe ich meine eigene Methode noch ein bisschen vorwärts. Ich möchte als Lehrer gerade bei den Dingen ansetzen, die bei mir als Schüler zu kurz gekommen sind: das Spielen nach Gehör, das entspannte Fließenlassen des Metrums…
Im Takt spielen etwa war für mich ganz früher schwierig. Mein Lehrer lag damals auf dem Boden, hat meinen Fuß in die Hand genommen und hat mit dem Fuß auf den Boden gehauen und hat geschimpft: „Du musst mit dem Fuß den Takt treten!“ Das war eigentlich traumatisch. Der Takt war für mich immer ein Horror. Erst später habe ich gemerkt, dass das eigentlich fast von alleine fließt. Die Kinder sind heute privilegiert. Durch diese Playalongs etwa kann man den Takt und die Intonation quasi nebenbei vermitteln – ohne dass die Kinder das groß merken. Die bekommen das einfach frei Haus mitgeliefert.
Mit deiner Erfahrung als Lehrer, Christoph Müller: Sind Kinder die besseren Zuhörer als Erwachsene?
Definitiv nicht. Kinder sind nicht die besseren Zuhörer. Aber die Art, wie Kinder zuhören, und die Art, wie Erwachsene zuhören, sind zwei völlig verschiedene Planeten. Man kann Kindern nicht mit Rationalität und Logik kommen, sondern muss immer ein bisschen spielerisch sein, man muss sehr viel mit Bildern arbeiten. Allerdings benutze ich auch gerne bei den Erwachsenen Bilder. Und wenn ich mit Kindern auf Augenhöhe rede, fühlen sie sich gleich ernstgenommen und sind motiviert. Klappt aber auch nicht mit allen. (lacht) Erwachsene haben oft eine andere Motivation. Die gehen zum Unterricht, weil sie das lernen wollen. Kinder teilweise, weil sie es müssen. Dann ist es auch meine Aufgabe, den Kindern zu zeigen, warum das interessant ist.
Und wie schaffst du das?
An einer OGS (Offene Ganztagsschule) gibt es die Nachmittagsbetreuung. Es gibt das Kinderorchester und die Kinder haben zweimal pro Woche Unterricht – einmal gruppenweise instrumental und das andere Mal alle zusammen im Orchester. Dann gibt es einen Konzerttermin, an dem es sitzen muss. Die Kinder wissen: „Ich bin Teil davon.“ Wir arbeiten gemeinsam auf das Ziel hin. Oft motivieren sich die Kinder gegenseitig, wenn sie merken: „Mein Nachbar kann das besser…“
Bei Erwachsenen hat jeder seine eigene Motivation. Mein ältester Schüler ist ein 65-jähriger Mann. Der war General in Moskau. Nach seiner Pensionierung wollte er Saxofon lernen. Ein Instrument zu lernen – dafür ist es nie zu spät.
Gibt es denn einen ultimativen musikalischen Tipp, den Christoph Müller jedem mit auf den Weg geben könntest, egal ob Kind, Erwachsener, Anfänger oder Fortgeschrittener?
Das ist eine schwierige Frage… Eine große Erkenntnis, die ich gewonnen habe: „Es gibt keine guten und bösen Tonarten.“ Es gibt keine Feinde. Fis-Dur ist nicht schwieriger als C-Dur. Jede Tonart ist gleich schwer. Viele Kinder und Musikanfänger bekommen das nicht optimal beigebracht. Man lernt zuerst C-Dur, das hat keine Vorzeichen. Dann kommen irgendwann G-Dur und F-Dur – und wenn man richtig gut ist, kommt man bis D-Dur. Nur die Profis können noch mehr Vorzeichen. (lacht)
Eine weitere wichtige Sache ist der Takt, der Rhythmus. Ich empfehle, von Anfang an mit Metronom zu üben. Wie damals meine Kollegen vom Jugendjazzorchester gesagt haben: „Wenn es nicht swingt, ist eh alles Asche.“ Oder wie Sir Simon Rattle sagt: „Rhythm is it!“
Und Hören ist auch sehr wichtig. Man sollte nicht immer nur Noten lesen, sondern auch hören. Spielt mal nach Gehör! Als Jugendlicher habe ich oft das Radio angemacht und dazu gespielt. Und das geht! Warum geht das? Weil ich manchmal vorausahnen kann, was kommen wird. Heute weiß ich auch warum. Wenn ein Dominantseptakkord kommt, geht’s danach wieder zur Tonika. Das habe ich dann gelernt zu hören. Es gibt da nämlich nur drei Akkorde: die drei heiligen Akkorde Tonika, Subdominante und Dominante. Und die anderen sind dann Ableitungen davon. Die meiste Musik besteht daraus.