Orchestra | Von Renold Quade

Consolat de Mar – ein Paso Noble von Ferrer Ferran

Paso Doble

Was „Paso Doble“ (im spanischen Pasodoble) ist, ist nicht nur für Nichtspanier kaum einfach oder auch nur mit wenigen Worten zu beschreiben. Vor allem, wenn man die vielen, diese Musik umgebenden Gefühlswelten mit berücksichtigen möchte. Der Paso Doble ist natürlich zunächst einmal ein Tanz. Menschen, die ihn lieben, behaupten darüber hinaus, er sei gar „der Stolz des spanischen Volkes“. Er kenne „keine inneren Barrieren“, er sei vielmehr „ein Spiegelbild der Gefühle und der tiefen inneren Welten der Menschen“. „Konfrontation, Hitze, Siegeswille“ sollen in dieser getanzten Form spannungsgeladener Kommunikation vorherrschen. Und dies gilt selbstverständlich auch für den Gesellschaftstanz, einer der Kulturformen dieses Genres.

Die Musik eines Paso Dobles muss somit einerseits typischen rhythmischen Mustern folgen, und sie muss andererseits vor allem »dynamisch und voller Energie sein«, damit zum Beispiel die Tänzer, ausgestattet mit robuster und belast­barer Kondition, viel Raum auf der Tanzfläche einnehmen können und mit innerer Überzeugung ein großes Repertoire an ausladenden Bewegungsabläufen und Gesten zeigen können. Die Entwicklung des Paso Dobles, so die Philosophie seiner Anhänger, wird nie abgeschlossen sein. Der Paso Doble wird immerwährend die Auseinandersetzung mit und ein Spiegel der gesellschaftlichen Zusammenhänge sein. 

Der Komponist

Fernando Ferrer Martinez, oder einfach Ferrer Ferran wurde im April 1966 im spanischen Valencia geboren und war mit 15 Jahren schon ein gestandener und mit Ausbildungsabschlüssen dekorierter Pianist und Schlagzeuger. Er interessierte sich weiter für Kammermusik und Begleitung und erwarb darüber hinaus Abschlüsse in Komponieren und Dirigieren an der Royal Academy of Music in London.

Schließlich wurde besonders das Komponieren eine seiner Leidenschaften und ihn treibt auch heutigentags immer wieder der Wunsch an, dass sein Publikum die von ihm in eine Partitur gestellten Klänge „versteht, schätzt und fühlt“. „Musik ist so wunderbar, wir können ihre Magie nur fühlen. Fühlen, was wir in einer Partitur bestenfalls nur aufschreiben und sehen können.“ Leonard Bernstein ist eines seiner großen Vorbilder: „Leonard hatte eine Seele und ein großes Herz. Abgesehen davon, dass er ein großartiger Komponist, ein großartiger Pianist und ein großartiger Dirigent war, war aber das Wichtigste, dass er auch ein großartiger Mensch war.“

Ferrer Ferran ist in ganz Spanien und darüber hinaus nicht nur in der Blasmusikszene sehr präsent. Als Dirigent und Solist arbeitete er auch mit Kammerensembles und Sinfonieorchestern zusammen. Als Komponist beschäftigt er sich in der Hauptsache derzeit eher mit von Anfragen und Aufträgen motivierten Arbeiten. Neben seiner Tätigkeit als freier Dirigent ist seine Heimatbasis das Conservatorio Superior de Musica de Valencia, an dem er in verschiedenen Funktionen lehrt. Musik ist in seinen Augen und Ohren das Spiegelbild der Seele und er liebt es, wenn es gelingt, dass er und seine Interpreten zusammen „den Traum des Komponisten träumen“. 

Ferrer Ferran
Ferrer Ferran

Der Paso Doble

Erste Wurzeln des Paso Dobles finden sich in Schriften des ausgehenden 18. Jahrhunderts, wo er in Komödien auftauchte und „als regulatorischer Schritt für die spanische Infanterie“ genutzt wurde. Was den Namen betrifft, gibt es auch Hypothesen, dass er vom französischen „pas-redouble“ abstammen könnte, einer Form des Schnellmarsches der französischen Infanterie, eben auch aus dieser Zeit.

Als „Stierkampfmusik“ machte er dann im 19. Jahrhundert in Spanien und Südfrankreich von sich reden. Schließlich wurde er in jenen Tagen zu einem populären Paartanz mit einfachen Schrittfolgen auf marschähnlicher Musik. „Doppelschritt“, so die simple wörtliche Übersetzung. Ursprünglich gab es auch Versionen im Dreier-Takt, dann aber etablierte sich mehr und mehr der Zweiertakt.

Der Paso Doble machte als (Volks-)Tanz auch in Lateinamerika seinen Weg, kehrte nach 1910 wieder verstärkt nach Europa zurück, wo im Übrigen zeitgleich auch Elemente von „Fandango“ und „Flamenco“ ihren Einfluss nahmen. Der Flamenco-Stil, aufgrund seiner sentimentalen Ausdruckskraft gar als »weißer Blues« beschrieben, bildete sich konsequent mehr und mehr als eigenständige Form heraus. Der Paso Doble tat es ihm gleich und festigte ebenfalls seine eigenen stilprägenden Identitäten.

Stierkampf

Aus Sicht der Turniertänzer, die ihn dem lateinamerikanischen Programm zuordnen, interpretiert er mit tänzerischen Mitteln einen Stierkampf. Der Herr ist der Torero und die Dame, je nach Auslegung, das rote Tuch (Muleta, Capa), der Schatten des Toreros oder eine Flamencotänzerin. Dieser stilisierte Tanz wurde in der Tat in den 1920er Jahren in Paris choreografiert, was die überwiegenden französischen Namen der Tanzfiguren erklärt. In Tanzschulen wird er heute noch gelehrt, im Turniertanz ist er nach wie vor gepflegt, im öffentlichen Tanz-Leben hingegen ist er mittlerweile eher weniger vertreten. 

In der Musikausübung nahezu aller spanischen Blasorchester hat der Paso Doble heute aber nach wie vor einen festen und wichtigen Platz. Und das wahrlich nicht nur im strikten Tanzrhythmus, Turnier-Tempo 62, des wohl bekanntesten Paso Doble: »España cañí« von Pascual Marquina Narro (1873–1948). 

In der spanischen Bläserszene existiert eine enorme Vielfalt lokaler Paso Dobles, die gepflegt und gehegt werden und die von sehr unterschiedlichen Charakterwendungen geprägt sein können. Da kommt mehr aufs Tapet als Händeklatschen, Kastagnetten, klassische Trompetensoli, breite ausgesponnene Melodien und majestätisch schmetternde Blechblasinstrumente. In der Konzertmusik gibt es daher auch bewusst nuancierende Unterbezeichnungen, wie zum Beispiel „Paso Doble de Concierto“, „Paso Doble Torrero“ oder „Paso Doble Fallero“. 

In diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz uninteressant zu wissen, für welche Bedeutungen „Pasos“ im übergeordneten Sinne noch stehen kann. Es ist auf der einen Seite das spanische Wort für „Schritt“, hat aber auch eine Bedeutung als „Heiligenbild“ einer Gruppe aus der Passionsgeschichte und zudem ist es in der Prosa eine Bezeichnung für eine kurze, eher komödiantische Dialogszene, schöpfend aus den Inhalten des Volkslebens. 

Consolat de Mar

Consolat del Mar bedeutet übersetzt: das Seekonsulat. Und ja, es war eine gerichtsähnliche Einrichtung, die „unter der Krone von Aragon“, einem Zusammenschluss unterschiedlicher spanischer Herrschaftsgebiete im Mittelalter, unter der Führung der jeweiligen Könige von Aragonien, eingerichtet wurde. Es war eine Art Zunftgericht, das Streitfälle zwischen Händlern und Seeleuten schlichtete. Eine der frühsten solcher Einrichtungen war 1283 schon in Valencia. Diese Ämter verbreiteten sich später im gesamten Mittelmeerraum.

Das heute wohl meistbeachtete Konsulats­gebäude, das seit Anbeginn in seiner Funktion als reines Seekonsulat genutzt wurde, befindet sich am Passeig Sagrea in Palma de Mallorca. Der gesamte heutige Gebäudekomplex ist aber erweitert und in unseren Tagen zum Regierungssitz der Balearen ausgebaut. Architektonisch ist er sehr interessant, da er einerseits in und um die Lonja, eine Kapelle, mit deren Errichtung Mitte des 16. Jh. begonnen wurde, gebaut wurde und ebenfalls den besagten ersten Sitz des Consolats de Mar, ein bereits bestehendes barockes Bauwerk, miteinbezieht. Soweit zu den geschichtlichen Wurzeln des namensgebenden Werktitels. 

Die Idee

Den gleichen Namen trägt aber auch heute eine Musikalienhandlung in Benaguasil, einem nörd­lichen Stadtteil von Valencia. Dem Vernehmen nach ist das Unternehmen von der lokalen Musikwelt anerkannt und geschätzt und wohl auch von Ferrer Ferran, bei dem das „Consolat de Mar“ zum zehnjährigen Firmenjubiläum einen Paso Doble in Auftrag gab.

Paso Doble

Die Musik ehrt auf ihre Art und Weise „Ideale“, die im Dienst der Seefahrt stehen, aber auch im Dienst der Musik. Sie ist der Freundschaft und der Harmonie der zahlreichen Musikgesellschaften der Region gewidmet. Die Uraufführung, gespielt von der „Banda de la Asociación Cultural Allegro“, unter Leitung des Komponisten, war am 3. Dezember 2006 im „Palau de la Musica de Valencia“. 

Der Aufbau  

In ein eröffnendes, gar »aufstampfendes« Signal, forte im Blech, im ersten Takt streuen die Weichklinger des Orchesters im zweiten Takt, im kurz aufwallenden piano, sehr sanft den charakteristischen Grundrhythmus der noch zu erwartenden, eher ruhigen Teile des Werkes. Die aufbrechende und suchende Stimmung der ersten vier Takte dieser Einleitung vollenden die Hölzer ab Takt 5 mit leidenschaftlichem Sechzehntel, Quintolen- und Sextolen-Geläuf. Ab Takt 10, zunächst unter einem beruhigenden langen Ton, etabliert sich sanft der schon in Takt 2 angesprochene Grundrhythmus in den Begleitstimmen, derweil die Kastagnetten, munter tänzelnd, vorantreibend ihren klanglichen und rhythmisch prägenden Charme verbreiten. Über weitere acht Takte schlängelt sich das Vorspiel voran. Eine solistische Querflöte und eine solistische Klarinette dialogisieren über dem typischem Harmonie- und Rhythmusverlauf. Und man wartet quasi gespannt nur noch darauf, dass »das Spiel« endlich beginnen möge. Das „grundsätzliche Tempo“ dieses Paso Doble ist mit knapp unter 100 angegeben.

Ich beschreibe, fällt mir gerade auf, ein wenig im Stile eines Sportreporters, der die Spannung und die Vorfreude schon in den ersten Sekunden einfangen und aufbauen möchte, um gleich ein großes Ereignis weiter erleben zu dürfen. Ja, soviel Fantasie und Romantik sei bitte erlaubt, beim Versuch, sich möglichst stilsicher in die spanisch, musikalischen Welten hineinversetzen zu können. 

Angekommen zum ersten ruhigen Melodiezug

Und nach dem ritardierenden Auftakt der eher tiefen und dunklen Klarinetten vor Takt 22 sind wir dann angekommen – angekommen zum ersten ruhigen Melodiezug des Stückes. Ein im Prinzip viertaktiges Motiv reiht sich additiv und scheinbar niemals enden wollend aneinander und füllt, den langen Auftakt natürlich mitgerechnet, 20 Takte, die nicht bar einer gewissen Melancholie, mollorientiert eine zauberhafte Stimmung verbreiten. In der Wiederholung schmiegt sich in den Tenorlagen komplementär eine Gegenmelodie an das Thema. Dazu kommt sparsam ein paar klangsteigernde kleine Akkorde im hohen Holz. Jegliches Schlagwerk schweigt in dieser Passage.

Mit Auftakt zu Takt 42 verändert sich das Bild. Ein stringenter spanischer Marsch, mit klassischem Schlagwerk und Kastagnetten, bahnt sich im forte seinen Weg. Die grundsätzlich blechlastige Melodieführung, sowie die daran angedockten Holzbewegungen, sparen dabei nicht mit Verzierungen.

Von Takt 74 bis 87 durchbricht ein Zwischenspiel mit bereits bekannter Motivik und kleinen Temponuancen den Marschfluss und führt zum Trio. Erneut ein großer Auftakt, der zu einer kleinen Tempoverzögerung einlädt, eröffnet eine große kantilene Melodie. Diesmal durorientiert, und 30 Takte Raum einnehmend, da unter anderem eine die Spannung verstärkende Verkürzung im letzten Teil zwei Takte einspart. Die Wiederholung zieren erneut eine elegante Nebenmelodie und Nuancen im hohen Holz. Auch hier schweigen (noch) die Schlagwerker.

Ab Takt 122, vorsichtig im piano, baut sich über kleine, fanfarenartige Signale dann erneut ein Marschcharakter auf. Dieser Überleitungsteil steigert sich zum forte und mündet in den Hölzern, dialogisierend mit Einwürfen in Blech und Schlagwerk. Nach rauschenden Skalenpassagen in den Hölzern und einem gefühlten kurzen Orgelpunkt, in Verbindung mit dem (sich gerne verzögernden) langen Auftakt, fließt ab Takt 137 die Melodik des Trios nun in Form eines stolzen spanischen Marsches, der alle Register seine Genres zieht. Ab Takt 167 ist eine kleine Coda final wahrnehmbar, die ebenfalls genretypisch, mit den kleinen Signalen, das Werk abschließt.

Instrumentation

Die umfängliche Notenausgabe bietet einem voll ausgebauten Konzertblasorchester das volle Spektrum von Stimmen und Farben an, inclusive etlicher transponierter Stimmen, die gegebenenfalls international benötigt werden. Aber auch »kleinere Orchester« können diesen im Grundsatz kompakten Paso Doble, mit Hilfe von optionalen Einzeichnungen, gut abbilden. Eine gewisse Affinität zur Stilistik und ein solides klang­liches, wie auch technisches und rhythmisches Rüstzeug ist schon erforderlich, um die »spanischen Momente« auch genießen zu können.

Fazit 

Consolat de mar wird im Verlagstext als ideales Eröffnungswerk angepriesen, dessen »Anfang und Schluss den Stolz und das Temperament der Spanier reflektiert.« Ebenfalls wird bemerkt, dass das Trio (zunächst) eine fließende ausdrucksvolle Melodie entwickelt, die einen reizvollen Kontrast zur feierlichen Kraft des rhythmisch akkuraten Marsches (aus gleicher Sub­stanz schöpfend) bildet.

Wir erleben hier auf vergleichsweise kleinem Raum den Kontrast zwischen der Süße und Einfachheit melodischer Ideen und der energetischen Kraft eines pulsierenden Marsches. Durch zum Beispiel die gerne verzögernden recht langen Auftakte und gelegentlichen motivischen kurzen Einschübe und Verlängerungen schlagen die Melodieverläufe, so lyrisch und verträumt sie auch daherkommen, immer wieder einmal kleine Haken. Sie durchbrechen die Formverläufe im Sinne von rein vier- oder achttaktigen Perioden. Das erhöht den Reiz und die Möglichkeiten eines musikalischen »Erzählens« und schafft genüsslich Raum für elegante Entwicklungen von Spannungsbögen.

Handwerklich wird all das den Musikerinnen und Musikern kompakt und wohl arrangiert angeboten. Und hinzu kommt noch die Idee des freundschaftlichen Geistes, den Kollegen vom Consolat de Mar, stellvertretend sicherlich für alle rührigen Musikalienhändler, Entwickler und Reparateure, zu danken für ihre Arbeit, die die ganze Szene spielbereit hält.