Orchestra, Schwerpunktthema | Von Stefan Fritzen

Das Instrumentalspiel zwischen Interpretation und Regeneration

Unsere Gesellschaft ist darauf fixiert, der sogenannten Regeneration (= Erholung) eine hohe Bedeutung zuzurechnen und Urlaub mit süßem Nichtstun als erstrebenswertes Lebensziel anzusehen. Im medizinischen Sinne verstehen wir allerdings unter Regeneration die »Rückgewinnung verbrauchter Kräfte und die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit«.

Was ist Erholung?

Als "Erholung wird ein Vorgang bezeichnet, in dem ein biologischer Organismus nach anstrengenden Tätigkeiten, körperlicher Ermüdung und geistiger Erschöpfung, aber auch nach Krankheiten wieder zu Kräften kommt" (nach Wikipedia). Ruhepausen, ausreichender Schlaf oder eine medizinische Rekonvaleszenz sind elementare Voraussetzungen für allgemeine Erholung.

Das Grundbedürfnis auf Erholung ist in Artikel 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geregelt, der das "Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßig bezahlten Urlaub" zum unverzichtbaren Menschenrecht erklärt. Diese Forderung bleibt allerdings nur eine Absichtserklärung ohne persönlichen Rechtsanspruch und ist demzufolge kein einklagbares Individualrecht.

Wie schwer ist die mühsame Arbeit von Gewerkschaftern und der verschiedensten Interessengruppen, Erleichterungen durchzusetzen und wie wohlfeil sind dagegen die tönenden und tönernen Forderungsphrasen unserer Politiker, die sich oft nur noch als gutdotierte Versprechungslobbyisten profilieren!

Und beim Musizieren?

Das allgemeine Grundrecht auf Erholung gilt natürlich auch für Musiker. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts und dem Beginn der Massenurlaubswanderungen muss die "Erholung" als Bestandteil der Freizeitgestaltung jedoch von unserem Thema deutlich unterschieden werden.

Musiker stehen vor Anforderungen an Körper und Geist, die über das grundsätzliche Recht auf allgemeine Erholung weit hinausgehen. Beim Instrumentalspiel werden, vergleichbar nur mit dem Leistungssport, Muskeln, Gelenke und Organsysteme extrem, isoliert und häufig sogar unphysiologisch belastet.

Dies bedeutet, dass bei Musikern (wie bei Sportlern) die Regeneration vorrangig in einem berufsbezogenen Kontext stehen muss, der mit allgemeinem Urlaub nur bedingt vergleichbar ist.

Frühzeitiger Beginn einer künstlerischen Ausbildung – ein Störfaktor!

Zwischen dem 4. und 10. Lebensjahr beginnt im Regelfall bei uns in Deutschland eine musikalische Ausbildung entweder privat oder an einer Musikschule. In diesem Alter beginnt dann auch bereits die sinnvolle Organisation von Lern- und Regenerationsphasen durch Eltern und Betreuer. Neben allgemeinen schulischen Anforderungen müssen junge Instrumentalisten sehr viel Zeit für die Instrumentalausbildung investieren.

Etwa 16 Zeitstunden können durchschnittlich bei Einzelunterricht, Nebeninstrument, Registerarbeit und Orchesterproben wöchentlich zusätzlich für die musikalische Ausbildung gerechnet werden. (Ich lege bei dieser Zahl meine Mannheimer Erfahrungen zugrunde.) Hinzu kommen oft der Wettbewerb "Jugend musiziert", Soloauftritte oder Schulkonzerte.

Für diese Belastungen muss immer zusätzliche Regenerationszeit eingeplant werden. Diese ist bei jedem Schüler unterschiedlich, darf aber nicht zu knapp bemessen sein. Genaue Tagespläne, in denen auch Ruhephasen explizit ausgewiesen werden, helfen dem Lernenden, einem Überlastungssyndrom vorzubeugen und seinen Tagesablauf sinnvoll zu strukturieren.

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