Orchestra | Von Renold Quade

„Dave Brubeck: It’s About Time“ im Arrangement von Charles Sayer

Brubeck
Das Dave Brubeck Quartet 1990 in New York. Foto: Renold Quade

„Time out“ aus dem Jahre 1959 und „Time further out“ im Jahre 1961 waren zwei Studio­alben, die das legendäre „Dave Brubeck Quartet“ in der Besetzung mit Dave Brubeck am Klavier, Paul Desmond am Altsaxofon, Eugene Wright am Kontrabass und Joe Morello am Schlagzeug in den New Yorker Columbia Studios aufgenommen hatte. Die Alben entstanden in der Zeit, die man in der Jazzgeschichte mit „Cool Jazz“ und „West Coast Jazz“ beschreibt.

Schon 1958, zurück von einer vom US-Außenministerium gesponserten Europa-Asien-Tour mit 80 Konzerten in 14 Ländern, darunter auch Deutschland, die Türkei, Iran, Irak, Indien, Pakistan und Afghanistan, entstand das Album „Jazz Impressions of Eurasia“. Auf dem Folgealbum „Time out“ experimen­tierte man mit bislang nicht berührten Musik­stilen. Ein zusätzlicher Antrieb war zudem das Interesse der Band, sich mit ungewöhnlichen Taktarten zu befassen.

Dabei etablierten sie, mehr oder weniger zufällig, auch den ⁵/₄-Takt im Jazz. Mit „Take Five“ – komponiert nach Ideen von Saxofonist Paul Desmond, die die Band dann nur noch zusammensetzte – und der Auskopplung im Jahre 1961 gelang ein sensationeller Erfolg: „Meist verkaufte Jazz-Single aller Zeiten“. „‚Take Five‘ war nie als Hit geplant. Der Titel sollte lediglich Joe Morellos Schlagzeugsolo in dieser Produktion sein“, erzählte Paul Desmond später in vielen Interviews. 

Die Komponisten:

Paul Desmond

Paul Desmond, eigentlich Paul Emil Breitenfeld, wurde 1924 als Sohn einer irischen Mutter und eines deutschstämmigen jüdischen Stummfilm-Organisten und Begleit-Musikers für Vaudeville-Shows in San Francisco geboren. Seinen prä­genden Künstlernamen suchte er sich, so die Le­gen­de, kurzerhand aus dem Telefonbuch.

Das „New Grove Dictionary of Jazz“ ordnet ihn als Saxofonisten wie folgt ein: „Desmond war einer der kompetentesten Repräsentanten des Cool Jazz auf dem Altsaxofon, dessen Chef-­Exponent Lee Konitz war und dessen Schatten Lester Young und Benny Carter schon in den 30ern vorausgeworfen hatten.“ Richtig bekannt wurde „der Poet am Saxofon“ durch das Dave Brubeck Quartet, in dem er seit dessen Gründung immer wieder spielte. Er bestach mit einem klaren, leichten, fließenden Klang.

Großes Verständnis zwischen Brubeck und seinem Starsolisten am Altsaxofon

Er liebte sanfte Balladen und wenn er zuweilen in verträumte Soli abglitt, behielten diese stets eine klare Linie. Das Zusammenwirken seines leichten, luftigen Stils und Brubecks schwerem, polytonalem Klavierspiel war ohne Frage eine wich­tige Komponente des erfolgreichen Dave Brubeck Quartet. Verbrieft war auch das große Verständnis, musikalisch wie menschlich, zwischen Brubeck und seinem Starsolisten am Altsaxofon. Desmond arbeitete aber unabhängig davon immer wieder intensiv mit anderen Kollegen wie Gerry Mulligan, Chet Baker, Jim Hall oder Ed ­Bickert zusammen.

Sein letztes Konzert spielte er mit Brubeck im Februar 1977 in New York City. Nur wenige wussten, dass er todkrank war. Das war nicht seinem schweren Trinken anzulasten, sondern einem durch Rauchen verursachten Krebsleiden. Er verstarb noch im selben Jahr und vermachte alle Hinterlassenschaften, inklusive der immensen Tantiemen für „Take Five“, dem Roten Kreuz. Zeitlebens galt er – im Gegensatz zu seinem eher strengen Erscheinungsbild – als humoriger Mensch. So unterschrieb er in den 50er Jahren seine Autogrammkarten grundsätzlich mit „Herzlichst, Ihr Chet Baker“, äußerte sich selbstironisch über die Leistungsfähigkeit seiner Leber, bezeichnete sich selbst als den „langsamsten Altisten der Welt“ und, dem Tode nahe, scherzte er über seine Krankheit: „Ich ging zum Arzt, weil mir die Füße wehtaten, und als ich zurückkam, hatte ich die Diagnose ‚Lungenkrebs‘ in der Tasche, woraufhin ich den Fußschmerzen nicht mehr ganz so viel Beachtung geschenkt habe.“

Dave Brubeck

David Warren „Dave“ Brubeck, geboren 1920 in Concord/Kalifornien, wuchs auf der Farm seiner Eltern auf. Viehzucht war das Hauptgeschäft seiner Familie. Seine Mutter, eine Engländerin, die in ihrer Jugend mit dem Gedanken geliebäugelt hatte, Konzertpianistin zu werden, unterrichtete ihren Sohn schon mit vier Jahren im Klavierspiel. An methodischem Unterricht schien Dave aber nie so recht interessiert zu sein. Er wollte eher seine eigenen Melodien spielen. Gutes Blattspiel, auch im Studium, war daher wohl nie seine Stärke. Zunächst studierte er auch Tiermedizin, wechselte aber 1941 zur Musik ans College of Pacific und später ans Mills College. 

1943 wurde er zur Armee eingezogen, diente unter anderem in Europa während der Ardennenschlacht, spielte aber auch in Bands zusammen mit afroamerikanischen Musikern und gewann in der Praxis schnell an Bekanntheit und Anerkennung. 1946, nach Beendigung seines Militärdienstes, nahm er seine Studien wieder auf, studierte ein halbes Jahr auch bei Darius Milhaud, der ihn ermutigte, sich nicht nur mit klassischem Klavier, sondern auch mit Kontrapunkt und Arrangement zu beschäftigen. Milhaud charakterisierte Brubeck als „Einzelgänger, der seinem eigenen, unkonventionellen Weg folgte, entsprechend einem inneren Drang, der ihm keine Ruhe ließ“. 

Dem Jazz wieder zugewandt, gründete und leitete er namensgebend eines der langlebigsten und erfolgreichsten Quartette der Jazzgeschichte. Die verschiedensten Besetzungen hielten jeweils lange zusammen, die Zusammenarbeit mit Paul Desmond brach nie wirklich ab. Projekte mit Gerry Mulligan nahmen zwischenzeitlich ebenfalls großen Raum ein. 

Elemente europäischer Konzertmusik

In seinen Stücken pflegte er seinen ganz eigenen Jazzstil, der sich sowohl mit Elementen europäischer Konzertmusik als auch mit Einflüssen außereuropäischer Musik auseinandersetzte. In Brubecks Klavierspiel nahmen Blockakkorde und – im rhythmischen Aufbau seiner Stücke – ungerade Taktarten einen großen Raum ein. Brubeck war umtriebig und es gelang ihm, seine Ideen gut zu verbreiten. Er organisierte beispielsweise Tourneen unter dem Motto »Jazz goes to College« und eroberte vor allem die weiße intellektuelle Mittelschicht.

Im Sommer 1990 hatte ich Gelegenheit, sein damaliges Quartett „open air“ vor dem World Financial Center in New York erleben zu dürfen. Als einer der Jüngeren im Publikum war ich nicht nur beeindruckt vom Konzerterlebnis, sondern auch von der enorm altersgemischten Zuhörerschar. Mir war klar, in welcher Stadt ich mich befand, fand es damals aber trotzdem durchaus ungewöhnlich, wie viele Menschen im Alter meiner Großeltern den Abend begeistert erlebten.

Gegen Rassendiskriminierung

Brubeck setzte sich übrigens von Beginn an vehe­ment gegen Rassendiskriminierung ein und lehnte – da gab es wohl immer wieder Probleme – Engagements ab, bei denen von ihm verlangt worden war, ohne seinen afroamerikanischen Bassisten Wright zu konzertieren. 

1980 war Brubeck zum Katholizismus gewechselt. Er beschrieb diesen Schritt nicht als Kon­version, sondern als Anfang eines ernsthaften religiösen Bekenntnisses. Die unmittelbare Anregung dazu dürfte seine Arbeit an der Messkomposition „To Hope“ gewesen sein.

Es ist geradezu selbstverständlich, dass Ehrungen wie ein „Grammy Award“ für sein Lebenswerk (1996), ein Stern auf dem „Hollywood Walk of Fame“, zahlreiche Ehrendoktortitel (auch von den Universitäten in Freiburg und Duisburg), die „National Medal of Arts“ oder die Wahl in die „American Academy of Arts and Sciences“ sein Leben würdigen. Selbst ein Asteroid (5079 Brubeck) wurde nach ihm benannt. Clint Eastwood war Produzent des Dokumentarfilms „Dave Brubeck – In His Own Sweet Way“. Der Filmtitel ist übrigens eine seiner weiteren Kompositionen, die, wie auch „The Duke“, zu Jazzstandards wurden. Dave Brubeck verstarb 2012 in Norwalk/ Connecticut. 

Der Arrangeur

Der Posaunist, Dirigent, Arrangeur und Komponist Charles „Chuck“ Sayer studierte an der Youngstown State University im Bundesstaat Ohio und am Berklee College of Music in Boston. Er arbeitete zu Beginn seiner Karriere eng mit der United States Air Force Band (USAF) in Washington D.C. zusammen und hat sich auf dem freien Markt unter anderem bei Warner ­Brothers und Hal Leonard Publications arrangierend und komponierend für Jazz-Ensemble, Blasorchester und Orchester etabliert. Er arbeitet auch für die Popmusikwelt, als Toningenieur und Musikproduzent, und erhält gezielt Aufträge von namhaften Orchestern für deren Projekte. Dabei empfiehlt er sich besonders für große Showereignisse, wie zum Beispiel im John F. Kennedy Center for the Performing Arts in Washington D.C., im Rialto Theater in Atlanta oder Projekte mit dem Atlanta Symphony Orchestra. 

Aufbau

Selbstverständlich haben auch Jazz und Jazzverwandtes ihre Gassenhauer. Da wäre vielleicht Louis Armstrongs Version des „St. Louis Blues“, Glenn Millers „In The Mood“, Herbie Hancocks „Watermelon Man“ oder auch „Birdland“ von Joe Zawinuls Bandprojekt Weather Report. „Take Five“, so kann man es durchaus sehen, überstrahlt sie irgendwie alle. Nicht allein wegen des kommerziellen Erfolgs oder seiner Ohrwurmqualitäten. Die Nummer machte letzten Endes auch schräge Metren im Jazz gesellschaftsfähig.

„Take Five“

Und genau genommen war es eine Randerscheinung, die die Sache ins Rollen brachte: „It was the rhythm of the machine which influenced me, and I really only wrote the track to get the money back I lost that night.“ Es war der Rhythmus eines Spielautomaten, der es ihm eingeflüstert hatte, und er habe es wirklich nur geschrieben, um das Geld wieder reinzuholen, das er verloren hatte. Das hat ja dann auch ganz gut geklappt. 

Dave Brubeck bemerkte in einer Probenpause, dass Saxofonist Paul Desmond und Schlagzeuger Joe Morello miteinander im ⁵⁄₄-Takt improvisierten. Brubeck ermunterte Desmond, in genau diesem Groove ein Stück zu schreiben. Zur nächsten Probe brachte Desmond dann tatsächlich zwei Themen mit, hatte aber noch nicht die rechte Idee für ein Stück. Man spielte und probierte, nahm schließlich das zweite Thema zum A-Teil und das erste als Bridge. Voilà, „Take Five“ war mit 24 Takten in der Form ABA geboren. Im Kontext der Produktion war es als Schlag­zeug­solo gedacht, welches im Mittelteil von Joe Morello auch genüsslich umgesetzt wurde. Für das Dave Brubeck Quartet wurde die Komposition von Paul Desmond zudem zu einer Art Erkennungsmelodie. Dass es darüber offensichtlich wohl nie Neid oder Streit gab, spricht für das lebenslange gute Verhältnis der beiden. 

Fanfarenartig

Mit der Coda von „Blue Rondo A La Turk“ (selbstverständlich auch einleitungstauglich) startet das Arrangement im Grunde fanfarenartig über zunächst drei Takte im ⁹/₈-Takt, deren Bewegung im vierten Takt im Vierermetrum triolisch weitergeführt wird, um im fünften Takt mit Fermate und Einschnitt auszulaufen. 

⁵/₄-Takt und „swing feeling“ bestimmen die nächsten 28 Takte. In den ersten vier davon erarbeiten Schlagzeug und E-Bass gemeinsam mit dem Saxofonsatz zunächst den Grundgroove, bevor Klarinetten und Querflöten im Unisono den A-Teil präsentieren. Im B-Teil, weiterhin getragen von Klarinetten und Querflöten, pflegen Schlagwerk und Bass unermüdlich ihren pulsierenden Groove. Die Saxofone nehmen sich derweil rhythmisch zurück, legen (mit den Waldhörnern) schöne Akkordflächen und geben Raum für auftaktige, rhythmische Antriebsimpulse der Trompeten und Posaunen, die alle vier Takte (nuan­ciert in Takt 26) ins Geschehen eingreifen. Das Wiederaufgreifen des A-Teils (Takt 26) gehört den Trompeten, rhythmisch angefeuert vom Begleitriff in den Posaunen, während Schlagzeug und E-Bass wie gewohnt die Sache zusammenhalten. Recht schnörkellos und einfach führt der Schlusston der Melodie in einen weiterleitenden, modulierenden Fermatenakkord. 

„Unsquare Dance“

Ein „Square Dance“ ist ein Volkstanz, der sich in den Vereinigten Staaten entwickelt und verbreitet hat – basierend auf traditionellen Volkstänzen vieler eingewanderter Völker. Da schwingt ein wenig Morris Dance mit, etwas English Country Dance und auch die Quadrille hat Einfluss genommen. In der Regel wird er in Gruppen zu je vier Paaren getanzt, die sich zu Beginn in einem Quadrat (Square) aufstellen. Die Squares tanzen meist gleichzeitig, aber unabhängig voneinander. Sogenannte „Callers“, Ansager, verkünden dabei singend oder sprechend zur jeweils passenden Musik, welche der bekannten Figuren in welcher Reihenfolge zu tanzen sind. Somit entstehen immer wieder neue Tanzvarianten. Dieser Tanzsport fördert nicht nur die Bewegungsfreudigkeit, sondern hält auch das Reaktions- und Konzentrationsvermögen aller Beteiligten wach. Grundsätzlich unterscheidet man noch zwischen „Traditional Square Dance“ und „(Modern) Western Square Dance“.

Die Komposition „Unsquare Dance“ des Jazzpianisten und Farmerjungen Dave Brubeck knüpft wohl genau da an. Geschichten, dass ihn „unrhythmisch laufende“ Motoren in der Landwirtschaft nie ganz losgelassen hatten und ihm das Stück, so wie er es schließlich im ⁷/₄-Takt komponiert hatte, während einer einzigen Fahrt zum Studio klar geworden war und die Band es am gleichen Tag noch aufgenommen hatte, sind nicht wirklich verbrieft, klingen aber zumindest, als wären sie nah am Leben. Analysten beschreiben das Werk als eine Komposition, die auf einer Blues-Struktur beruht und zugleich ein ausgeprägtes Country- und Westernfeeling ihr Eigen nennt.

Händeklatschen einerseits und die tanzenden Rhythmen andererseits, erzeugt auf dem Rand einer Snare Drum, kreieren den ⁷/₄-Puls. Zusätzlich angetrieben wird das Ganze konsequent von einer starken Bassfigur. Das Klavier formt durch Addition eines eintaktigen, absteigenden Motivs ein sechstaktiges Thema und die Geschwindigkeit des Stücks nimmt ganz allmählich zu. In der Mitte ist ein Schlagzeugsolo mit Rim-Shots implantiert. Ihm folgt ein erneuter Themenaufgriff und zum Abschluss eine doppelte, ironisch überraschende Schlusswendung.

Eine Herausforderung für die Fußklopfer, Fingerschnapper und Handklatscher

Dave Brubeck über das Stück und die Ersteinspielung: „Unsquare Dance im ⁷/₄-Takt ist eine Herausforderung für die Fußklopfer, Fingerschnapper und Handklatscher. Täuschend einfach, aber es weigert sich, quadratisch zu sein. Und das Lachen [auf der Originalaufnahme], das sie am Ende hören, ist Joe Morellos Lachen der Überraschung und Erleichterung, dass wir es geschafft hatten, durch den schwierigen letzten Refrain zu kommen.“ 

Nur Bass und ganz viele Händeklatscher etablieren zunächst den Groove über sechs Takte im ⁷/₄-Takt. Auf harmonisch einfachster Grundlage, eben nur mit Basstönen in der Grundkadenz von d-Moll, wird das prägende rhythmische Muster 2 + 2 + 3 aufgebaut. 

Ab Takt 40 stellen die hohen Hölzer das ein­taktige, Blues-artige Motiv im Unisono dazu und formen es durch variierende Addition zu einem sechstaktigen Thema mit Schlusston. Ansonsten wird fleißig geklatscht, lediglich die Posaunen – zur Modulation nach Takt 46 inklusive Trompeten – stützen mit Auftakt zur jeweiligen Zählzeit eins ein wenig. 

Unkonventionell mit Trommelstöcken auf der Oberfläche der Basstrommel

Die Takte 46 bis 57 gehören dem Schlagzeug. Über zwei Themenlängen mit „Sticks on Bass Drums Shell“, also unkonventionell mit Trommelstöcken auf der Oberfläche der Basstrommel, ist ein Solo ausnotiert, der Originalaufnahme nachempfunden. Da sollten sich die „Klatscher“, also alle anderen, dynamisch klug einpassen.

Ab Takt 58 greifen die hohen Hölzer, flankiert von harmonisch und rhythmisch leicht stützenden Posaunen, in Blues-artigem h-Moll zum nächsten Themenaufgriff.

Die ganze Partitur füllt sich ab Takt 64 wieder und auf Basis von e-Moll geht das kleine Thema in die nächste Runde. Aber schon nach drei Takten wechselt das Motiv in gerade Achtel, selbstverständlich dem Grund-Groove verbunden, und mündet in eine überraschende Schlussfloskel. Stünde diese im „normalen Viervierteltakt“, wie er auch in der Unterhaltungsmusik immer wieder gerne verwendet wird, würde sie jeder sofort an die richtige Stelle platzieren. Vor dem Hintergrund des ungeraden ⁷/₄-Taktes, auf Zählzeit zwei beginnend und nachdem man die Hürde der vermeintlich leichten ausleitenden Achtel­kette genommen hat, muss man aber hier schon alle rhythmischen Sinne zusammen haben. Auch wenn der Arrangeur auf die Wiederholung dieser Phrase, wie sie im Original gespielt wird, verzichtet, wird so manches Orchester sicher ebenso befreit auflachen wie Joe Morello, wenn diese Passage gemeinsam und zusammen bewältigt ist.

„Blue Rondo á la Turk“

Eine Begegnung mit türkischen Straßenmusikern war wohl eine weitere Initialzündung für Dave Brubeck, sich mit – nach europäischem Verständnis – ungewöhnlichen Metrenwechseln zu beschäftigen. Die ungerade Rhythmusstruktur der tänzerischen Musik, mit Unterteilungen von 2 + 2 + 2 + 3, erweckte sein Interesse und im gemeinsamen Gespräch bemerkte der türkische Kollege: »Der ›Aksak‹ (aksak = türkisches Adjektiv, bedeutet: lahm, hinkend, stolpernd), dieser typische Rhythmus unserer Volksmusik, ist für uns schlicht irgendwie etwas, was für euch vielleicht der Blues ist.«

Da hatte sich ein Rat von Darius Milhaud, bei dem Brubeck klas­sische Musik studiert hatte, wieder einmal bewährt: „Viel reisen und dabei die Ohren offen halten.“ Mozarts „Rondo alla turca“ war Brubeck nicht unbekannt und so kam es, in Kombination aller Eindrücke, schließlich zum „blau bluesigen Rondo im türkischen Stil“. Der Vollständigkeit halber sei noch anzumerken, dass im Original der Weg zu den Soli und die Improvisationsparts komplett im Vierermetrum gehalten sind. Die Coda orientiert sich abschließend rein am Dreiermetrum. 

Viertaktiges Kernthema

Ab Takt 70 liegen nun mit dem dritten Stück im Medley noch einmal 80 Takte, überwiegend im ⁹/₈-Takt, vor uns. Im Arrangement stellen nun ­allein die Querflöten, lediglich mit „Bassbegleitung“ einiger B-Klarinetten, das viertaktige Kernthema vor. 

Brubeck
Grundanlage von „Blue Rondo á la Turk“

Es hat rhythmisch die Gestalt: drei Takte 2 + 2 + 2 + 3, mündend in einen Takt 3 + 3 + 3. 

Ab Takt 74 wiederholen sich die vier Takte noch einmal. Im Arrangement sind lediglich Fagott und Triangel beigewürzt. 

Ab Takt 78 sind nun wieder alle Holzbläser, die Hörner, der E-Bass und das Ride-Becken die agierende Besetzung. Rhythmisch ändert sich nichts, aber melodisch hat die vormals rein abfallende Melodik nun auch aufsteigende Anteile.

Ab Takt 86 bekommen die Hölzer eine Pause und das Blech greift die ab Takt 70 bereits vorgestellte achttaktige Melodik wieder auf. Den Holzbläsern gehört nach dem Ruf der Blechbläser schließlich wieder die ebenfalls achttaktige Antwort, inklusive der melodisch abfallenden Melodieteile. 

Nuancierte melodische Variante

Ein dritter Aufgriff des Grundthemas beginnt mit voller Partitur ab Takt 102, die zweiten acht Takte aber (ab Takt 110) eröffnen im vollen Orchester-Fortissimo eine kraftvolle, erneut nuancierte melodische Variante. Das an dieser Stelle erreichte – durchaus stampfende – Moment bleibt auch ab Takt 118 erhalten. Im Tutti, immerhin noch im Forte und solide in der Ausgangstonalität, erfährt die eigentlich gleiche Melodie aber eine neue Frische dadurch, dass sie sich eine Terz ­höher präsentiert.

Ab Takt 126 fühlt man sich an Brubecks Klavierspiel in „Blockakkorden“ erinnert, denn die Melodie wird erstmals (im Holzbläsersatz mit Waldhörnern) harmonisch präsentiert. Darüber hinaus staut sich die Energie auch etwas. Diese mit akzentuierten Viertelnoten verbreiterte melodische Wendung sorgt für weitere Abwechslung. Die Beruhigung fällt aber genau genommen kaum ins Gewicht, da unter der jeweils zwei Takte anhaltenden langen Note das kecke tanzende Grundmotiv weiterhin sein energetisches „Unwesen“ treibt. Dieser kleine Block zieht dreimal seine Kreise und mündet, nach einem kurzen vierten Anlauf von lediglich zwei Takten, in einen gleichsam öffnenden wie beschließenden Finalteil.

In Takt 140 strebt die Musik in der Aufteilung 3 + 3 + 3 des Neunertaktes, wie zu Beginn des Arrangements schon genutzt, den letzten vier Takten im Vierermetrum entgegen. Die triolische Bewegung mündet in einen spannungsvollen, terzbefreiten, sekundangereicherten verminderten E7-Klang mit anschließendem Einschnitt, um dann in einem dem Grundton A folgenden A-Dur-Akkord das Werk gleichsam strahlend und »cool nüchtern« zu beschließen.

Instrumentation

Die melodieführenden Instrumente müssen sich schon darauf einlassen wollen, den mit Altera­tionen gespickten und durchaus kapriolenhaften Wendungen des „Cool Jazz“ folgen zu wollen. Die Holzbläser sind dabei stärker gefordert als die Blechbläser. Rhythmisch spannend ist es aber für alle im Orchester. Dabei stehen vor allem die ungeraden Taktschemata im Vordergrund, die zudem teilweise swingend phrasiert werden müssen. Auch hier lohnt es sich ob der zu erwartenden rhythmischen Schwierigkeiten, sein Orchester je nach Voraussetzungen – mehr oder weniger ausführlich – rhythmisch vorzubereiten. Schon mit ein paar von Hand aufgemalten rhythmischen Grundpattern kann ansatzschonend und, viel wichtiger, rhythmische Grundkompetenzen erweiternd, wichtiges rhythmisches Empfinden nähergebracht und einstudiert werden. 

Fazit

Zugegeben, die orchestrale Aufführung jeglicher Musik für „kleinere Gruppierungen“ ist von Natur aus eher etwas massiver und wirft neben erweiternden Aspekten auch Problemstellungen auf. Eben ein Arrangement. Ist es also grenz­wertig, ein solches Stück für Blasorchester aufzulegen? Der ein oder andere Purist jeglicher Lager hat gegebenenfalls ein Problem damit. Dabei kommt es – wie immer – darauf an, wer sich mit welchen Voraussetzungen und vor allem auch mit welchem „Material“ an eine Sache heranwagt. Da muss nicht nur Kompetenz, sondern auch Lust und Neigung mit im Spiel sein. 

Als ich in jungen Jahren einfach einmal aus­probiert hatte, ein anspruchsvolles Medley von Count-Basie-Titeln mit meinem Blasorchester in der Dürener Musikschule zu erforschen, bekamen wir in unserem Keller nach ein paar Proben unerwarteten Besuch – zu einem Zeitpunkt, als „es so langsam etwas wurde“. Klarinettist und Saxofonist Josif Lukenić, ein von mir sehr geschätzter väterlicher Kollege, der in seinen jungen Jahren wie Milo Pavlovíć und Dusko Goy­kovich aus der Jazzszene Jugoslawiens nach Deutschland gekommen war, setze sich in eine Ecke, strich gelegentlich durch sein kleines Bärtchen und kaute grinsend an seiner leeren Zigarettenspitze.

„Das geht nicht. Basie mit Blasorchester?“

Als die Probe zu Ende war, kam er zu mir und sagte in seinem ihm so typischen Tonfall: „Ah, weißt, habe ich euch gehört im Haus und habe gedacht: Was macht der da? Das geht nicht. Basie mit Blasorchester? Aber nun denke ich, ist gut. Das Arrangement ist gut.“ Er blickte dabei auf die Musikerinnen und Musiker, die gerade beschwingt ihre Instrumente einpackten: „Die kapieren, um was es geht in dieser Musik und so bekommen sie etwas mit davon. Ist glaube ich auch wichtig. Da bleibt was hängen.“

Schon längst haben nicht nur ungerade Metren oder jazzige Harmonien zeitgenössische Originalkompositionen für Blasorchester erreicht. Sei es aus folkloristischen, jazzigen, poppigen oder konzertanten Wurzeln. „It’s About Time“, diese Erinnerung an 60 Jahre alte Musik, in den frühen 60er Jahren innovativ vom Dave Brubeck Quartet zutage gefördert, ist in vielerlei Hinsicht ein intensives Trainingsfeld. Ob mit pädagogischem Ansatz in Sachen Jazzgeschichte oder Jazz­ethnologie, als Rhythmusforscher oder als Musikerin bzw. Musiker mit Spaß am Erproben von Grenzen… Es gibt gute Gründe! Sucht euch etwas aus oder lasst es bleiben. Es kann auf jeden Fall sinnvoll, lustvoll und erfüllend funktionieren.