Der schottische Trompeter Aaron Azunda Akugbo ist als Aushilfe in Londons Elite-Orchestern gefragt. Außerdem tritt er immer wieder als Solist auf; zum Beispiel beim renommierten Lucerne Festival. Dass ihn seine Hautfarbe zum Außenseiter in der Welt der klassischen Musik macht – davon lässt er sich ebenso wenig unterkriegen wie von den Verwerfungen durch die Corona-Pandemie.
Gut möglich, dass Aaron Azunda Akugbo am Beginn einer großen Solokarriere steht. Eine gute Voraussetzung dafür ist schon mal sein breit gefächerter Musikgeschmack. Trotz seiner klassischen Ausbildung nennt er Louis Armstrong als größte Inspiration.
Aaron Azunda Akugbo, Jahrgang 1998, wuchs im schottischen Edinburgh auf. Sein Vater war als junger Mann zum Studieren aus Nigeria hierhergekommen. Irgendwo hatte er eine Trompete aufgegabelt, die zuhause in ihrem Kasten verstaubte.
Der fünfjährige Aaron entdeckte die Trompete beim Aufräumen und war sofort begeistert. „Meine Eltern fanden dann die Zeitungsannonce einer Trompetenlehrerin, die bei einer Kirchengemeinde unterrichtete“, erinnert sich der Musiker. „Dort haben sie mich angemeldet. Das hat mir gleich Spaß gemacht.“
Später besuchte Aaron eine Musikschule und sang im College-Chor. Mit Jazz oder aber Brass-Bands, einer typisch britischen Tradition, hatte er nichts am Hut. „Ich habe mich ziemlich ausschließlich in den Kreisen der klassischen Musik bewegt“, erzählt er. 2Nur als Kind spielte ich zeitweilig in einer Jazz-Truppe; aber das schlief dann ein.“
Zum Studium an der Royal Academy of Music zog Aaron Azunda Akugbo 2016 nach London. Die Ausbildung absolvierte er erfolgreich; daneben saß er als Stimmführer im britischen National Youth Orchestra. Seit seinem Studienabschluss ist er als freier Musiker tätig und wird als Aushilfe regelmäßig von den angesehensten Ensembles seines Landes eingeladen: vom BBC Philharmonic bis zum Royal Philharmonic Orchestra. Er saß sogar im eigens zusammengestellten Coronation Orchestra, das die Krönungszeremonie für Charles III. und Camilla in der Westminster Abbey begleitete.
Akugbo machte auch bei einigen Wettbewerben mit – weniger aus Ehrgeiz, sondern um Erfahrungen zu sammeln. „2018 nahm ich ohne jeglichen Erfolg an einem französischen Wettbewerb teil“, erinnert er sich. „Trotzdem hat mich das sehr inspiriert. Ich habe überall zugehört und dabei gelernt, wie die anderen Musiker vorgegangen sind. Das hat sicher dazu beigetragen, dass ich 2019 Dritter beim Girolamo Fantini Wettbewerb in Rom wurde.“ Hier erhielt Akugbo auch einen Sonderpreis für die beste Interpretation von Piergiorgio Rattis Virtuosenkracher „Vulcano Club“.
Beim Wettbewerb in Rom lernte er die norwegische Trompeterin Tine Thing Helseth kennen, die in der Jury saß. Sie lud Akugbo zu ihrer Meisterklasse beim norwegischen Risør Kammermusikfest ein. „Hier war ich nur von angehenden Solisten umgeben“, erzählt Akugbo. „Tine gab uns viele Ratschläge, wie man die Solokarriere voranbringen kann. Das hat mich sehr ermutigt, meinen Weg zu gehen.“
„Schlechtes Timing“ – Covid
Als die Pandemie ausbrach, fanden keine Wettbewerbe mehr statt. „Covid war für mich persönlich ein sehr schlechtes Timing. Ich stand gerade am Ende meines Bachelor-Studiums. Mir fehlte nur noch das Examen, das normalerweise öffentlich stattfindet“, sagt der Musiker. „Mein Abschlusskonzert wurde um fünf Monate verschoben, und dann waren wir nur zu dritt in dem riesigen Saal. Das war unheimlich. Andererseits hätte ich mich ohne Pandemie sicher nicht so fokussiert auf das Examen vorbereitet, denn ich hatte in London als freiberuflicher Musiker jede Menge zu tun.“
Den Lockdown verbrachte Akugbo bei seiner Familie in Edinburgh. Hier hatte er viel Zeit, um über seine berufliche Laufbahn nachzudenken. „Ich war eigentlich immer davon ausgegangen, Orchestermusiker zu werden; weitgehend passiv in der letzten Reihe zu sitzen und gelegentlich ein paar Töne beizusteuern“, erzählt der Musiker. „Dass ich mit der Trompete auch Solist werden könnte, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft. Alle meine Professoren waren Orchestermusiker, so dass ich quasi automatisch diesen Weg für mich annahm. Erst nach und nach fasste ich den Entschluss, eine Solokarriere anzustreben.“
Während des Lockdown stellte Akugbo ein paar solistische Videos bei YouTube ein. Daraufhin meldete sich eine Agentur, die mit ihm zusammenarbeiten wollte. Sie brachte ihn mit dem Chineke! Orchestra zusammen, in dessen Reihen ausschließlich Schwarze und Angehörige ethnischer Minderheiten sitzen.
„Meine Heimat Schottland ist nicht sehr divers“
„Meine Heimat Schottland ist nicht sehr divers. Wo immer ich hinkam, war ich die Ausnahme. Mit Leuten zu musizieren, die ebenfalls ‚anders‘ aussehen und ähnlich fühlen, ist eine tolle Erfahrung“, begeistert sich Akugbo über das Spiel im Chineke! Orchestra. „Unser Gefühl der Zusammengehörigkeit ist sehr stark, was sich auch positiv auf die Musik auswirkt. Außerdem haben wir ein besonders enthusiastisches Publikum. Bei unseren Auftritten herrscht eine einzigartige Stimmung.“
Noch während der Pandemie gab Akugbo zusammen mit Chineke! im Rahmen der Konzertreihe „Behind Closed Doors“ von Londons Royal Festival Hall sein Debüt mit Haydns Trompetenkonzert. Das Publikum war per Stream dabei; die Kritiker zeigten sich begeistert.
Als Orchestermitglied von Chineke! hat Akugbo in den wichtigsten britischen Sälen gespielt; von den BBC Proms bis zur Wigmore Hall. Er ging mit dem Ensemble auf eine Europa-Tournee, die zum Beispiel ins Concertgebouw Amsterdam und die Kölner Philharmonie führte.
Mit seinem persönlichen Instrumentarium deckt Aaron Azunda Akugbo alle Register ab. Er besitzt eine Piccolo-Trompete von Scherzer; die übrigen Instrumente sind Bach-Stradivarius-Modelle: in B, C und Es. Mit dieser Bandbreite im Rücken, setzt sich Akugbo auch für die Blechbläser-Kammermusik ein. Er ist Gründungsmitglied des Quintetts „Connaught Brass“; bestehend aus zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba. Das Repertoire, das von der Renaissance bis zur Gegenwart reicht, deckt allerlei Genres ab. Die fünf Musiker sind europaweit unterwegs und haben mehrere Preise eingeheimst; zum Beispiel 2019 den Ersten Preis der Philip Jones Brass Ensemble Competition.
2021 präsentierten sie sich beim Lucerne Festival in der Schweiz. Hier gibt es nicht nur einen neuen Konzertsaal mit brillanter Akustik, entworfen vom französischen Star-Architekten Jean Nouvel. Akugbo ließ sich auch von der reichen Musikgeschichte der Stadt am Vierwaldstättersee inspirieren: Sechs Jahre lebte Richard Wagner mit seiner zukünftigen Ehefrau Cosima am Seeufer in der Villa Tribschen. 1938 versammelte der legendäre Dirigent Arturo Toscanini an diesem Ort ein paar befreundete Musiker, um Wagners „Siegfried-Idyll“ aufzuführen, das in Tribschen entstanden war. Dieses Ereignis gilt als Geburtsstunde der traditionsreichen „Internationalen Musikfestwochen Luzern“, die inzwischen unter dem knackigen Markennamen „Lucerne Festival“ laufen.
Stammgast beim Schweizer Lucerne Festival
Akugbo ist inzwischen zum Stammgast bei dem prestigeträchtigen Schweizer Festival geworden. 2022, als das Festival unter dem Motto „Diversity“ lief, gab er ein Solo-Recital zusammen mit der türkischen Pianistin Zeynep Özsuca. Er spielte die Uraufführung eines Stücks von Joy Guidry aus Texas, der/die sich als Schwarze, nicht-binäre Trans-Person bezeichnet. „They know what they’ve done to us“ handelt von der Verschiffung der afrikanischen Sklaven über den Atlantik. „Man hört die Wellen, die Schritte, die klirrenden Ketten und den Fuß, der vom Boot abrutscht“, beschreibt Joy Guidry die Klangkulisse.
Akugbo improvisiert hier unter Verwendung eines Harmon-Dämpfers über den elektronisch bereicherten Geräuschen. „Vor diesem Solo-Recital in Luzern hatte ich ziemliches Lampenfieber“, erinnert sich der Trompeter. „Das war ein sehr persönliches Programm. Jedes Stück hatte irgendwie mit mir als schwarzem, schottischen, schwulen Mann zu tun.“ Dennoch erwies er sich als lässiger Moderator und schuf eine entspannte Atmosphäre wie bei einem Hauskonzert.
In diesem Jahr war Aaron Azunda Akugbo erneut beim Lucerne Festival zu Gast; diesmal zusammen mit den Festival Strings Lucerne unter ihrem künstlerischen Leiter Daniel Dodds. Akugbo interpretierte das 1966 entstandene, elegante, unterhaltsame Trompetenkonzert des französischen Komponisten Robert Planel. Dabei mischt er mit der Attitüde eines Hip-Hoppers den Dresscode auf: Zu schwarzem Oversize-Jackett und dunkler Hose trägt er knallrote Adidas-Sneakers. Winzige Zöpfchen hängen ihm in die Stirn.
Mit der Interpretation des Planel-Konzerts erfüllt sich Akugbo einen Kindheitstraum. Als er klein war, entdeckte er es in der Plattensammlung seines Vaters. „Ich dachte sofort: Dieses Stück möchte ich mal spielen können“, erinnert er sich. „Es steckt so voller Lebensfreude und positiver Energie.“ Gewidmet ist es dem Franzosen Maurice André, dem großen Melodiker unter den Trompetern.
Akugbo wählt jedoch eine eher sportlich-temperamentvolle Herangehensweise. Das dreisätzige Konzert ist ein dankbares Virtuosenstück, wo der schottische Trompeter alles zeigen kann, was er spieltechnisch draufhat: virtuose Brillanz, fein gesponnene Melodien, feurige Synkopen.