Orchestra | Von Redaktion

Die Posaunen von Jericho. Klangbilder für Blasorchester von Gottfried Veit

Jericho
Der biblische Kampf um Jericho (Julius Schnorr von Carolsfeld, 19. Jahrhundert)

Um es gleich vorwegzunehmen: „Die Posaunen von Jericho“ waren keine Blechblas­instrumente, sondern „Schofare“, das heißt Widderhörner. Hier handelt es sich um einen „Übersetzungsfehler“ im Alten Testament (Josua 6,13) Martin Luthers. In der Einheitsübersetzung der Bibel wurde dies richtig­gestellt. An derselben Stelle ist von „sieben Widderhörnern“ die Rede.

Wohl kaum ein anderes Buch enthält so viele beeindruckende Erzählungen wie die Bibel. Eine – vor allem für Musik­interessierte – besonders faszinierende Erzählung ist jene über die Eroberung der Stadt ­Jericho im Buch Josua, Kapitel 6. Das Alte Testament berichtet über dieses außergewöhnliche Geschehen:

Die Posaunen von Jericho im Alten Testament

„Nachdem Mose, der Knecht des Herrn, gestorben war, sagte der Herr zu Josua, dem Diener Moses: Mein Knecht Mose ist tot. Mach du dich also auf den Weg und zieh mit dem ganzen Volk über den Jordan in das Land, das ich den Israe­liten geben werde. Von der Steppe und vom Libanongebirge an bis zum großen Strom Euphrat soll alles Land der Hethiter euer Gebiet sein. Am frühen Morgen brach Josua mit allen Israeliten von Schittim auf. Die Priester, welche die Bundeslade trugen, gingen dem Volk voraus. Dahinter marschierten etwa 40 000 bewaffnete Männer, die nach der Überschreitung des Jordan in die Ebene von Jericho kamen, um dort ihr Lager aufzuschlagen. 

Die Stadt Jericho aber hatte wegen der Israeliten die Tore fest verschlossen. Da sagte der Herr zu Josua: Alle deine Krieger sollen einmal rund um die Stadt herumziehen. Das sollst du sechs Tage lang tun. Sieben Priester (die Sieben ist die Zahl der göttlichen Fülle!) sollen mit sieben Posaunen vor der Bundeslade hergehen. Am siebten Tag sollt ihr siebenmal um die Stadt ­ziehen, die Priester sollen dann fort und fort die Posaunen blasen und das ganze Volk soll in ein gewaltiges Kriegsgeschrei ausbrechen. Darauf werden die Mauern der Stadt Jericho in sich zusammenstürzen. Nur die Dirne Rahab und all die Ihrigen sollen am Leben bleiben, denn sie hatte die beiden Boten versteckt, die Josua sandte, um Jericho zu erkunden. Und es geschah so wie der Herr es sagte und Josua es dem Volke befahl.“

Inspirationsquelle für Gottfried veit

Diese Schilderung sowie die Geschehnisse rundherum dienten Gottfried Veit als Inspirationsquelle für sein Werk „Die Posaunen von Jericho“. Es handelt sich bei dieser Komposition um ein akustisches Bilderbuch, das sich dem aufmerksamen Hörer verhältnismäßig leicht erschließt. Die Partitur soll wie eine Bilderreihe betrachtet werden, die durch folgende Überschriften gegliedert ist: „Sammlung des Volkes“ (festlich), „Marsch zum Kriegslager“ (gemessenen Schrittes), „Das Lied der Dirne Rahab“ (Molto cantabile), „Freudentanz beim Paschafest“ (ausgelassen), „Der Schall der sieben Posaunen“ (Pomposo), „Kriegsgeschrei“ (furchterregend), „Ruhe vor dem Sturm“ (Adagio), „Der Kampf um die Stadt Jericho“ (Molto agitato), „Einsturz der Stadtmauern“ (Tumultuoso), „Jubelhymnus“ (Maestoso).

In einer Rezension zur Notenausgabe dieses Werks schreibt Stephan Niederegger: „Die Bibel, das ‚Buch der Bücher‘, in ihrer bilderreichen Sprache übt seit jeher eine Faszination auf die Menschen aus und beflügelt deren Fantasie. Auch der Südtiroler Landeskapellmeister Gottfried Veit kann sich diesem Bann nicht ent­ziehen, wenn er in seiner Komposition ‚Die Posaunen von Jericho‘ die bekannte Erzählung aus dem ­Alten Testament vertont: Moses ist gestorben und die Israeliten ziehen mit ihrem neuen Anführer Josua in das gelobte Land. Sie überqueren den Jordan, aber es gibt Widerstand und besonders die Stadt Jericho verschanzt sich gegen die Eindringlinge. Auf göttlichen Rat hin versuchen die Israeliten eine neue Kriegstechnik, die wir alle aus der Bibel kennen. Und hier beginnt das musikalische Programm, das diesen zehn Klangbildern zugrunde liegt.“ 

Akribisch genaue Beschreibungen der einzelnen Klangbilder

Schon in der Einleitung durch den Ruf der Glocken sowie die mächtigen Trompeten- und Hornfanfaren lässt der Komponist keinen Zweifel, dass er in diesem Werk im Aufbau und in der Form zu seinen musikalischen Wurzeln der frühe­ren Tongemälde, wie etwa „Schloss Tirol“, „Meran“ oder „Reich der Dolomiten“, zurückkehrt. Zudem liefert er für Dirigentinnen und Dirigenten sowie für Musikerinnen und Musiker akribisch genaue Beschreibungen der einzelnen Klangbilder, die nacheinander gereiht kaum eine Fehlinterpretation des musikalischen Gedankens zulassen.

Veit
„Die Posaunen“ auf Tonträger: Porträt VII SIGNUM www.blasmusik-shop.de/Signum_1

Nach der festlichen „Sammlung des Volkes“ und dem „Marsch zum Kriegslager“ lassen die Saxofone „Das Lied der Dirne Rahab“ erklingen, die in der Geschichte eine zentrale Rolle einnimmt, und nach dem „Freudentanz beim Paschafest“ erklingt der „Schall der sieben Posaunen“. Das Klangbild des „Kriegs­geschreis“ wird von Textfragmenten, die die Musiker untereinander sprechen, untermalt und nach einem Moment der „Ruhe vor dem Sturm“ beginnt der endgültige „Kampf um die Stadt ­Jericho“, der sich immer weiter steigert bis zu jenem versprochenen Moment, dem „Einsturz der Stadtmauern“. Dann folgt das logische Ende dieser Komposition, wenn die Israeliten in einen majestätischen „Jubelhymnus“ über die Freude der Eroberung der Stadt ausbrechen.

Interessantes Werk für Musi­zierende und Publikum gelungen

Gottfried Veit ist ein interessantes Werk für Musi­zierende und Publikum gelungen, wobei Letzteres – wenn nicht recht bibelfest – sicherlich eine kurze Einleitung durch den Moderator benötigt, um sich besser von dieser Programmmusik – per definitionem – leiten zu lassen. Das im Musikverlag Tatzer erschienene Notenmaterial entspricht dem internationalen Standard, ist mit den gängigen Schweizer Stimmen ergänzt und im Schwierigkeitsgrad C (Oberstufe) anzusiedeln. Die sogenannten Mangelinstrumente sind nicht obligatorisch, da ihre Stimmen in den anderen Registern (Oboenstimme im Flügelhorn, Saxofonsolo in den Trompeten, Bassklarinette im Bariton, Englischhorn im Altsaxofon) in Stichnoten notiert sind, was einmal mehr die Praxisnähe des Komponisten unterstreicht, der um die Besetzungsprobleme der Amateurblaskapellen weiß. Der Gesamtklang und das Musikerlebnis profitieren allerdings von einer möglichst partiturgerechten Besetzung.

Die Uraufführung dieser Klangbilder für Blas­orchester mit dem Titel „Die Posaunen von Je­richo“ von Gottfried Veit spielte die Musik­kapelle Algund anlässlich ihres „Dreikönigs­konzerts“ am 6. Januar 2004 im großen Saal des Meraner Kurhauses. Die Darbietung dieses Stücks wurde ­damals durch faszinierende Lichteffekte gesteigert. Eine alternative Version des Werks bot die Stadtkapelle Bozen. Hier wurden „Die Posaunen von Jericho“ erstmals in Verbindung mit einer Erzählerin dargeboten. Die Tonaufnahme dieser Darbietung ist auf YouTube nachzuhören.

www.gottfriedveit.it