Brass, Orchestra, Wood | Von Kristin Thielemann

Durch Lob zur Motivation?

Lob
Fotos: PDPics from Pixabay

„Lob ist wie ein guter Pass im Strafraum – es öffnet Türen und schafft Chancen.“ Diesen Satz soll der legendäre Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer einmal gesagt haben. Doch wie muss ein Lob aussehen, damit es bei unserem Gegenüber auch wirkt? Denn mit Lob können wir unserem Gegenüber auch ungewollt den berühmten „Wind aus den Segeln“ nehmen. Für diesen Beitrag hat die Musikerin und Musikpädagogik-Bestsellerautorin Kristin Thielemann ihre Gedanken zum Thema Lob zusammengefasst. 

Erinnern Sie sich noch an ein Lob, welches Sie von einem Grundschullehrer oder einer -lehrerin in Ihrer Schulzeit bekommen haben? Ich habe in meiner Kindheit häufig kreative und fantasievolle Texte geschrieben und dafür so manches Mal anerkennende Worte von meiner Grundschullehrerin eingeheimst. Aber nicht nur in der Schule bestärkte mich in manchen Fächern das Lob – auch im Klavier- und Trompetenunterricht ging es mir so.

Aber habe ich deswegen solch eine überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit in der Musik entwickelt, die Musik zu meinem Beruf gemacht hat? Kann Lob bewirken, dass wir über uns hinauswachsen? Oder kann Loben vielleicht sogar schaden? Wie kann ich jemanden loben, damit Motivation entsteht? Für meine Fortbildungen, die ich in Musikhochschulen und Musikschulen halte, beschäftige ich mich seit Jahren nicht nur mit dem Thema Motivation, sondern auch mit dem Loben, denn diese beiden Aspekte sind sehr eng verknüpft. Kürzlich habe ich in einer Folge meines Musikpädagogik-Podcasts „Voll motiviert“ ein knapp 45-minütiges Solo zum Stichwort Lob herausgebracht. Grund genug, für diesen Beitrag einige Gedanken zusammenzufassen.

Lob ist eng mit Motivation verknüpft

Das Thema Loben ist eng mit der Motivation verknüpft, weil uns ein Lob in aller Regel ermutigen soll, einen Weg aus eigenen Stücken heraus weiterzugehen. Die sogenannte „intrinsische Motivation“ soll mit diesem Lob bestärkt werden. Also müsste ich, wenn die Motivation eines Menschen also abfällt, nur für das loben, was ich verstärkt sehen möchte? Ich lobe meine Schülerinnen und Schüler für ihr Üben, und schon mutieren sie zu fleißigen Arbeitsbienchen!? Ich lobe mein Ensemble für die hervorragende dynamische Gestaltung – die übrigens objektiv kaum wahrnehmbar war, die ich aber durch mein Lob zu verstärken gedenke!?

Wenn das so einfach wäre, gäbe es wohl kaum so viele Ratgeber zum Üben und viele Menschen fühlen sich bemüßigt, etwas zum Thema Üben zu sagen.

Warum ein Lob?

Wenn wir selbst also gerne ein Lob hören, steckt dahinter immer eine gewisse Motivation. Welche könnte das sein? Wir könnten gerne gelobt werden, weil wir mit unserer Tätigkeit, wie beispielsweise dem Musizieren, anerkannt werden möchten, weil wir Anerkennung für unsere Fortschritte suchen, oder auch die Sicherheit, dass unser Gegenüber uns wohlgesonnen ist, uns schätzt und akzeptiert. Es kann viele Gründe geben, warum wir gerne gelobt werden. Und da wären wir auch schon bei der größten Herausforderung, wenn es darum geht, ein solches Lob auszusprechen, das auch bei unserem Gegenüber „gut ankommt“, ihn oder sie im Tun bestärkt und animiert weiterzumachen: dem Thema der Eigenmotivation unseres Gegenübers. Aus welchen Gründen handelt er oder sie?

Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Ein Amateurmusiker, der wahnsinnig gerne den Sound seiner Gruppe, beispielsweise dem Trompetenregister, genießt und für den das soziale Miteinander und das Dazugehören wichtige Motivationsfaktoren sind, bekommt von seinem Coach das Lob: „Wenn du so toll weitermachst, wirst du eines Tages Solist sein!“ Der Amateurmusiker fühlt sich natürlich geschmeichelt, denn dieses Lob zeigt ihm, dass man ihn sieht, seine Leistung wertschätzt und dass er auf dem richtigen Weg ist.

Doch die Vorstellung, eines Tages solistisch auf einer Bühne zu stehen, bereitet ihm Unbehagen. Alleine herausgestellt und von der Gruppe separiert zu sein, ist etwas, was ihm Bauchschmerzen bereitet. Folglich könnte dieses Lob dem Amateurmusiker den Wind aus den Segeln nehmen. Denn wenn er sicher etwas weniger Mühe gibt und mit seiner musikalischen Leistung weniger positiv in seinem Register auffällt, wird er folglich auch nicht Solist werden. Und somit ist sein Ziel erreicht, einfach nur wunderschöne Musik zu machen und den Status Quo zu erhalten (siehe auch den Beitrag „Motivation? Genieße den Status Quo!“ in der Ausgabe 10/2022). 

Loben Sie für den Einsatz

Wenn man beginnt, sich in das Thema einzulesen, heißt es häufig pauschal: „Loben Sie nicht für Talent, denn Talent wird als unabänderlich empfunden. Loben Sie stattdessen für den Einsatz, den ein Mensch bringt!“ Die Meinung, die dahintersteckt, ist: Menschen mit einem statischen Mindset, solche, die ihr Talent als unabänderlich erleben, würden bei einem Talentlob sagen: „Talent habe ich nun einmal, also muss ich weniger tun als andere, um etwas zu erreichen.“ Außerdem besteht die Gefahr, an anderer Stelle so stark von den eigenen fehlenden Talenten überzeugt zu sein, dass einige aufgeben, für etwas zu kämpfen, zu lernen, zu üben. Deshalb wird propagiert, stattdessen für den Einsatz zu loben, den jemand bereit ist zu bringen. „Wow, ich sehe, du hast dich aber echt reingehängt in dieses neue Musikstück. Deshalb gelingt es dir schon richtig gut!“ Wir loben also den Einsatz und hoffen auf neuen Einsatz. Diese Strategie funktioniert sehr häufig gut.

Brave Arbeitsbienchen?

Doch nicht immer wollen wir brave Arbeitsbienchen sein und für unseren Einsatz gelobt werden. Denn was würde passieren, wenn plötzlich jemand kommt und Ihnen sagt: „Ich freue mich für dich, dass es dir gelingt, dieses Werk zu spielen?“ Dann gehen wir auf die Beziehungsebene. Wir werden auch bestärkt, aber wir erleben etwas ganz Besonderes: Ein Mensch mag uns so sehr und ist uns so wohlgesonnen, dass er oder sie diese Freude, die für uns empfunden wird, in Worte fasst.

Jemand empfindet keine Missgunst, keinen Neid uns gegenüber, sondern schätzt uns so sehr, dass er bereit ist, sich für und mit uns zu freuen! So fällt die unterschwellige Aufforderung an uns weg, uns weiter anzustrengen, um dem Gegenüber weiter zu gefallen, also beispielsweise weiter zu üben, um für den Arbeitseinsatz gelobt zu werden. Wir können uns ganz auf die Sache selbst konzentrieren, ausprobieren und unseren Ideen und Neigungen beim Musizieren nachgehen. Wir können uns der Gunst, dem Respekt und der Zuneigung unseres Gegenübers sicher sein, egal ob wir einmal die Zeit und Muße aufbringen, fleißig und folgsam bei der Tätigkeit zu sein, die von uns erwartet wird.

Selbstvertrauen, Energie, Zuversicht, Musizierfreude

Vielleicht haben Sie selbst einmal diesen wunderbaren Zustand erleben dürfen. Ich beobachte bei meinen Schülerinnen und Schülern häufig, wie schnell sie zu sich selbst finden, welche spannenden Lernwege sie plötzlich einschlagen, welche Ideen in ihnen stecken und wie sie an dieser Sicherheit, die ihnen durch diese Haltung zuteilwird, über sich hinauswachsen. Es ist nämlich weit mehr als das „brave Üben“, was aus einem Menschen einen guten Musiker, eine gute Musikerin macht. Es ist das Selbstvertrauen, die Energie, die Zuversicht, die Musizierfreude, die Lust zu zeigen, was in einem steckt, die Interaktion mit anderen, was neben einer guten Leistung auf dem Instrument bewirkt, dass die Musik auch als etwas Besonderes wahrgenommen wird.

Natürlich finde ich es wichtig, insbesondere sehr jungen Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wie sie schnell die erforderlichen Hürden nehmen können, um kompetent musizieren zu können. Hierzu gehört, dass man ihnen signalisiert, wann der gewählte Weg in die richtige Richtung führt. Das Problem am Loben der Arbeitsbienchen-Einstellung ist jedoch häufig folgendes: „Du warst aber fleißig. Weiter so! Dann wirst du richtig gut!“ Wir loben mit dem Hintergedanken, dass jemand „gut“ auf seinem Instrument wird. Was „gut“ ist und was „schlecht“ ist, davon haben wir sehr genaue Vorstellungen, die wir unserem Gegenüber gleich mit vermitteln.

Fremdbewertung

Mal abgesehen davon, dass wir mit einer Fremdbewertung, „dieses oder jenes ist gut, anderes eher nicht“, unserem Gegenüber die Chance nehmen, ein eigenes Gefühl dafür zu entwickeln, was er oder sie als gut oder schlecht für sich erachtet, stellen wir die Leistung in den Mittelpunkt unseres Feedbacks. Es könnte den Eindruck erwecken: „Für mich bist du lobenswert, weil du etwas kannst. Wenn dir etwas nicht gelingt, gibt es auch kein Lob von mir für dich.“ Wie schnell wir mit dieser Strategie Versagensängste bei unserem Gegenüber herbeiführen, wäre auch einmal interessant zu überdenken. Und wo Versagensängste sind, ist das Lampenfieber in aller Regel nicht weit. Wollen wir wirklich dorthin mit unserem wohlmeinenden Lob?

Das Gegenteil von Lob ist Tadel

Ist es denn immer eine Leistung oder auch eine Hochleistung, die ein Lob verdient? Und was ist das Antonym, das Gegenteil von Lob? Was tun wir, wenn unser Gegenüber eben keine hohe Leistung vollbringt? Recherchieren Sie ruhig einmal. Das Gegenteil von Lob ist ein Tadel oder auch eine Rüge. Und da sind wir ganz schnell bei der extrinsischen Motivation. Denn mit einem Tadel oder einer Rüge möchte ich jemanden auf die „richtige Spur“ bringen, auf die Spur des Übens, der Leistung und der „richtigen Musik“. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie getadelt werden? Die meisten Menschen würden wohl sagen, sie fühlen sich schuldig, schlecht, sie bekommen Angst vor noch mehr Tadel. Auch ein ausbleibendes Lob kann sich für Menschen, die Lob gewohnt sind, wie ein Tadel anfühlen. Warum lobt man mich nicht? Ich war nicht gut genug! Ich muss mich mehr anstrengen, damit ich wieder Anerkennung erhalte.

Vielleicht merken Sie, in welche Richtung ich möchte: Eine wohlwollende Arbeitsatmosphäre, in der künstlerisch-musikalisches Tun wachsen und gedeihen kann, ist von Anerkennung, von Wertschätzung und von Respekt geprägt. Und von dem Wissen, dass die richtigen Wege gezeigt werden. Ob das immer mit Lob sein muss?!

Zuckerbrot und Peitsche?

Forschungen haben gezeigt, dass extrinsische Motivation, also Elemente wie Belohnen, Belo­bigen, Bestechen, Bedrohen und Bestrafen, durchaus gute Dienste leisten können, wenn es darum geht, jemanden auf dem Pfad der Leistung voranzubringen. Ich wage jedoch sehr stark zu bezweifeln, dass ein Verhalten, geprägt von Bestechung, Bedrohung oder Bestrafung, bei vielen Menschen der freiheits- und spaßeinfordernden Generation Z auf Dauer erfolgreich sein wird. Denn auch diese Verhaltensweisen, so abwegig es vielleicht auf den ersten Blick anmutet, sind immer noch im persönlichen Führungshandbuch vieler Menschen in Leitungsfunktionen enthalten – Stichwort „Zuckerbrot und Peitsche“. 

Mal ganz abgesehen davon, dass in einem von Druck und Angst, Tadel oder Rüge geprägten Umfeld auf lange Sicht wenig Musizierfreude aufkommen wird.

Ich halte es daher gerne mit der Anerkennung meines Gegenübers, mit einer Lernbeziehung auf Augenhöhe, mit der Freude für meinen Schüler, meine Schülerin, wenn etwas gelingt, eine Hürde genommen wird oder mit der Musik.

Und wie loben Sie?

Weitere Gedanken zum Thema Lob habe ich in einer Solo-Folge meines Podcasts »Voll motiviert« zusammengefasst. Hören Sie doch einmal rein. Sie finden ihn auf allen bekannten Podcastplattformen sowie auf YouTube, wo Sie die Folgen auch sehr einfach kommentieren können.