Allgemein, Orchestra | Von Sandra Engelhardt

Effizient üben mit den richtigen Zielen

Ziele

Ist das Ziel, das du verfolgst, geeignet, dich zu motivieren? Oder ist es an der Zeit, deine Ziele neu zu definieren – um das zu erreichen, was du erreichen willst. Das Thema Motivation und Ziele erscheint wie die berühmte Frage: Henne oder Ei – was war zuerst da? Brauche ich zuerst ein Ziel, um motiviert zu starten? Oder sollte ich zuerst verstehen, was mich motiviert, um dann ein geeignetes Ziel zu definieren?

„Alles, was wir tun, hat eine Motivation. Das, was uns oft nicht klar ist, ist das Ziel“ Mit diesem Gedanken habe ich den Artikel „Mehr Motivation“ begonnen (siehe Ausgabe 3/2023). Und angelehnt an die Selbstbestimmungstheorie nach Edward Deci und Richard Ryan gab es die Anregung, den eigenen Motivationskillern auf die Spur zu kommen.

Mit diesem Beitrag wenden wir den Blick auf deine Ziele. Denn fehlende Ziele – oder mehr noch: nicht passende Ziele – sind ein enormes Hindernis, wenn es darum geht, sich motiviert zu fühlen. 

Es gibt verschiedene Arten von Zielen, die ganz unterschiedlich wirksam sein können. Sie zu kennen und zu unterscheiden, kann dir dabei helfen, motiviert das zu tun, was du dir vorgenommen hast. Ziele beschreiben die Zukunft – etwas, das du erreichen willst oder auch einen Zustand, ein Gefühl. »Ich werde meine Steuererklärung machen« zielt auf ein Ergebnis hin. „Ich möchte erreichen, weniger gestresst in die Proben zu gehen“ bezieht sich eher auf ein Gefühl, einen Zustand. Je konkreter das Ziel formuliert ist, desto attraktiver ist es. 

Jetzt bin ich schon gleich hinein ins Thema gestolpert. Dabei wollte ich dich doch zunächst noch auf eine kurze Gedankenreise mitnehmen! Dann also jetzt. Denn der Anfangs-Satz bedeutet im Umkehrschluss, dass die gleiche Tätigkeit, die gleiche Handlung unterschiedliche Ziele verfolgen kann.

Ein Beispiel: Ich gehe zum Bäcker. Das ist das, was offensichtlich ist und was auch andere sehen und bemerken. Doch welches Ziel verfolge ich damit?

  • Ich gehe zum Bäcker, weil ich Hunger habe und dringend etwas zu essen brauche.
  • Ich gehe zum Bäcker, weil ich Besuch bekomme und keine Lust habe, selbst Kuchen zu backen oder vergessen habe, welchen zu backen.
  • Ich gehe zum Bäcker, weil ich schon den ganzen Tag in der Wohnung rumhänge und einen Grund brauche, mal das Haus zu verlassen.
  • Ich gehe zum Bäcker, weil sich dort um diese Zeit immer dieser eine Typ einen Kaffee kauft. Und ich hoffe, dass ich diesmal den Mut aufbringe, ihn endlich anzusprechen.
  • Ich gehe zum Bäcker, weil ich dort arbeite.
  • Ich gehe zum Bäcker, um einen Grund zu haben, nicht das Bad zu putzen.
  • Ich gehe zum Bäcker, weil ich endlich das Bad geputzt habe und mich jetzt dafür mit einem Teilchen belohnen möchte.

Das Prinzip ist klar?

Die gleiche Handlung hat unterschiedliche Ziele, oder Motive. Das Beispiel macht auch deutlich, dass wir nicht immer und ausdrücklich ein Ziel definieren müssen, um etwas zu tun. Vielmehr geht es mir bei diesem Beispiel darum, den Blick oder die Gedanken dafür zu öffnen, dass wir unter Umständen an der falschen Stelle nach neuer Motivation suchen (oder nach der alten, von der wir wissen, dass wir sie mal hatten). Wenn du dir also eigentlich ganz fest vorgenommen hattest, regelmäßig Tonleitern zu üben (ich weiß, es ist ein etwas abgenutztes Beispiel), dich aber schon nach kurzer Zeit nicht mehr dazu aufraffen kannst, dann schau, welches Ziel du damit verfolgst. Vielleicht ist das Ziel, das vor zwei Wochen attraktiv war, um mit der Ton­lei­ter­überei anzufangen, jetzt schon etwas abgenutzt. Es also an der Zeit ist, ein neues Ziel zu definieren, damit du dranbleibst. 

Wie finde ich ein Ziel?

Es gibt verschiedene Definitionen für Ziele. Die meiner Beobachtung nach bekannteste ist die aus dem Bereich des Projektmanagements stammende sogenannte SMART-Regel: danach sind Ziele

Spezifisch

Messbar

Akzeptiert

Realistisch

Terminiert 

Eine Formulierung eines SMART-Zieles für uns Bläserinnen und Bläser könnte etwa lauten: „Ich werde in den nächsten vier Wochen verstärkt an meiner Zungentechnik arbeiten, indem ich am Donnerstag, Samstag und Dienstag die Übungen XX auf folgende Weise durchführe …“ (siehe Abbildung).

SMART Modell
Anmerkung: Das SMART-Modell greift nicht für alle Ziele, kann aber eine große Hilfe sein. Es gibt verschiedene Modelle.

Wenn du schon länger mit Übe-Plänen arbeitest, dann wird es dir sicher nicht schwerfallen, dieses Modell zu nutzen und passende Ziele zu definieren. Oder geht es dir eher so, dass deine Ziele sich schwer hier einordnen lassen? Dann wundere dich bitte nicht. Denn wie bereits erwähnt: Es gibt verschiedene Modelle, wie Ziele definiert werden können. Die Psychologin und Psychoanalytikerin Maja Storch nimmt das SMART-Modell zum Ausgang, um den Unterschied zu anderen Zielen zu verdeutlichen. Und weil ich diese Ergänzung in der Arbeit mit Klientinnen und Klienten (und auch für mich selbst) immer wieder als sehr hilfreich erlebe, stelle dir hier die Grundgedanken vor.

Nach Ihrer Beobachtung müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, damit die SMART-Regel wirksam sein kann: Die Aufgabe muss einfach strukturiert sein, es muss sich ein klares Ergebnis beschreiben lassen, die Person muss sich bereits selbst zu der Aufgabe verpflichtet haben und – und das finde ich sehr interessant – das Ergebnis muss positiv assoziiert sein.

Vielleicht also gehört Dein Ziel auch zu denjenigen, die sich nach Maja Storch nicht gut nach dem SMART-Modell strukturieren lassen. Daher hilft dir vielleicht ihr Ebenen-Modell weiter:

Maja Storch unterscheidet drei Ebenen von Zielen:

  1. Sinn und Richtung: Auf dieser Ebene geben Ziele eine Orientierung oder Richtung vor. Es gibt kein „Ankommen“ und Umwege sind möglich und wahrscheinlich. Beispiel: ich möchte das Musikmachen als ein erfüllendes und positiv herausforderndes Hobby erleben 
  2. Ergebnis: Diese Ziele lassen sich nach dem SMART-Modell beschreiben. Du kannst dir das Ergebnis genau vorstellen und bist bereit, dich dafür anzustrengen. Beispiel: siehe oben
  3. Erleben: Hier stehen Freude und das unmittelbare Gefühl im Tun im Vordergrund. Die Tätigkeiten passen zu dem, was ich im Moment leisten kann, fordern mich, ohne mich zu überfordern. Beispiel: Ich spiele Stücke, die ich schon gut kann, neue Lieder eigentlich nur, wenn ich die Melodie gut kenne; ich genieße die Orchesterproben, übe aber nicht (deshalb auch kein Hochleistungs-Orchester).

Die Aufteilung in Ebenen ist auf keinen Fall wertend zu verstehen. Das Modell kann dich dabei unterstützen, im Blick zu behalten, auf welchen Ebenen du Ziele verfolgst – und welcher Ebene du vielleicht auch mehr Beachtung schenken könntest. Je weiter oben ein Ziel angesiedelt ist, desto stärker ist der motivierende Effekt, desto resistenter ist dein Ziel gegen Widerstände. Aber umso leichter verlieren wir es unter Umständen auch aus dem Sinn, wenn wir uns etwa eher an Ergebnissen orientieren. 

Ein „Motivationstief“ kann Anzeichen dafür sein, dass ein Ebenenwechsel angezeigt ist.

  • Wenn du in letzter Zeit viel auf ein Ergebnis hingearbeitet hast, dann wird es Zeit, mal einen Blick auf den Sinn zu werfen oder den Spaß, das unmittelbare Erleben in den Fokus zu rücken. 
  • Wenn du schon länger »nur so zum Spaß« gespielt hast, dann wird es vielleicht Zeit, sich ein konkretes Ziel (SMART) zu setzen, das dir sinnvoll erscheint.

Was also ist für motiviertes Üben wichtig?

Ich frage meine Schülerinnen, Schüler und Studierende direkt, welchen Sinn es für sie ergeben könnte, Tonleitern zu üben. Meist sind sie dann verwirrt. „Na, weil man das ja eben so macht, oder machen sollte.“ oder „Weil’s schon wichtig ist!“ Dann suchen wir gemeinsam nach einem Sinn. Und zwar einem, der ganz individuell passt. Das ist die Basis, um langfristig selbstständig zu arbeiten.

Denk an das Bäcker-Beispiel: Die gleiche Tätigkeit kann ganz unterschiedlich motiviert sein, unterschiedliche Ziele verfolgen. Wir üben nicht Tonleitern, weil man das so macht, sondern weil uns das Training etwas ermöglicht: generelle Beweglichkeit, abgespeicherte Bewegungsabläufe (die dann schneller zur Verfügung stehen), Konditionstraining, Koordinationstraining …

Wenn du jetzt dich und deine Musik – die Arbeit, Zeit und Nerven, die du darin investiert – einmal unter dem Gesichtspunkt der Ziel-Ebenen betrachtest, dann wirst du sicher Ziele auf allen Ebenen finden. Manche musst du etwas länger suchen, manche überraschen dich vielleicht. Nimm dir die Zeit, sie zu finden – immer mal wieder zwischendurch. Und ganz besonders, wenn du dich unmotiviert erlebst! Um beim Tonleiterbeispiel zu bleiben: wenn du keinen Sinn darin siehst und ohne schlechtes Gewissen darauf verzichten kannst: dann lass es! Wenn du aber eigentlich Tonleitern üben willst, dann mach dich auf die Suche nach einem Ziel, das dir sinnvoll erscheint. So dass du wieder einen Schritt weiter kommst auf deinem Weg zum Musizierglück.

Engelhardt

Sandra Engelhardt

Die Musikerin und Hochschuldozentin arbeitet als zertifizierte Coach und systemische Beraterin (i.A.) in ihrer Praxis bei Hannover und online mit dem Schwerpunkt Prüfungs- und Auftritts-Coaching. In der Arbeit mit Studierenden, Amateurinnen und Amateuren sowie Profis verbindet sie Elemente aus dem Lerncoaching, Mentaltraining und Zeit- und Selbstmanagement zu einem mehrdimensionalen Ansatz. Ihr Ziel? Zurück zum Musizierglück! (Foto: NOPeters)

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