Für Sandra Engelhardt hat Effizienz nichts mit spaßfreier Selbstoptimierung zu tun. Vielmehr ist effizientes Üben das Ergebnis, wenn ich Klarheit darüber habe, was genau ich erreichen will und erreichen kann. Dann ist Effizienz die Basis für beglückendes und zufriedenstellendes Üben. Und damit für anhaltendes Musizierglück. Dieser Beitrag ist der Startschuss für eine kleine Serie, in der Sandra Engelhardt weitere Tipps, Ideen und Anregungen geben wird, wie man zurück zum Musizierglück gelangt. Die Themen reichen von der Gestaltung der Übezeit, über das Mentaltraining bis hin zum Umgang mit Lampenfieber und Auftrittsangst.
Ich kann gut verstehen, dass Sie bei dem Wort “Effizienz” skeptisch die Stirn gerunzelt haben. Dass Ihnen der Gedanke “Oh, nein, bitte nicht noch so ein Selbstoptimierungskram…” durch den Kopf schoss. Wenn Sie damit die Idee verbinden, dass der Effizienz-Gedanke sich wie ein Korsett um all mein Tun legt und mit Druck und Zwang und der Androhung schlimmster Konsequenzen die Erreichung eines vorgegebenen Ziels forciert, dann können Sie Ihre Stirn getrost wieder entspannen. Denn so verstehe ich Effizienz nicht.
Effizienz hat für mich eher etwas mit Selbst-Akzeptanz zu tun. Ja, noch so ein Wort. Und ja: auch dieses Wort hat einen Beigeschmack, der nicht unbedingt gefällt. Denn “akzeptieren” klingt schnell so nach: sich abfinden. Keine Ansprüche haben. Sich nicht mehr anstrengen wollen.
Also lassen Sie mich Ihnen in diesem Artikel eine Idee davon vermitteln, was ich mit den Begriffen verbinde. Und warum die Beschäftigung mit diesen Ideen nach meiner Erfahrung relevant ist für effizientes Üben. Und auch für stressfreies Auftreten.
Effizient üben
Effizienz bedeutet, dass ein Ergebnis unter optimalem Einsatz der zur Verfügung stehenden Ressourcen erreicht wird. Was das fürs Musizieren bedeuten kann? Ganz grob sind nach meiner Idee die zur Verfügung stehenden Ressourcen meine Zeit und mein Vorwissen (oder die bereits vorhandenen Fertigkeiten im Umgang mit dem Instrument). Um effizient zu üben, stimme ich also diese drei Punkte Zeit – Ziel – Können bestmöglich aufeinander ab (Abbildung 1).
So entsteht eine gute Chance, dass ich das erreiche, was ich mir vorgenommen habe. Und auch mit dem Ergebnis zufrieden sein kann. Diese Zufriedenheit wiederum sorgt dafür, dass ich motiviert weitermachen kann und mit Freude und einem guten Gefühl das nächste Projekt (also das nächste Übeziel) angehen werde. Die Tatsache, dass ich mein Ziel erreicht habe, also gut geübt habe, wirkt sich positiv in Auftrittssituationen aus: Ich fühle mich kompetent in dem, was ich mache. So kann Unsicherheit, die zu einer Auftrittsangst anwachsen kann, vermieden werden. Soweit die Theorie.
Und um ein weiteres Stirnrunzeln bei Ihnen zu vermeiden, gehen wir diese Zusammenhänge anhand eines Beispiels einmal durch:
Nehmen wir einen Anfänger auf der Trompete, der sich vorgenommen hat, nach drei Monaten das Thema von “StarWars” spielen zu können. Ja, lächeln Sie ruhig milde – es ist ja bewusst ein extremes Beispiel!
Also beginnt unser Anfänger zu üben. In der ersten Woche schafft er es auf dreimal 10 Minuten, dann ist die Kondition dahin. Außerdem hat er ja auch noch andere Hobbys und Verpflichtungen. Sie ahnen, wie es weitergeht: je mehr Zeit vergeht, umso frustrierter wird unser Anfänger. Weil absehbar wird, dass das nicht klappt mit dem gesteckten Ziel. Die Motivation zu üben sinkt täglich, weil ja doch alles irgendwie keinen Sinn macht. Außerdem wächst die Unzufriedenheit, weil ja nur der nervige Alltag mit seinen ganzen Verpflichtungen schuld daran ist, dass er nicht mehr üben konnte und somit sein Ziel, seinen Traum nicht verwirklichen kann.
Vor der Unterrichtsstunde wird ihm regelmäßig übel, denn seine Lehrerin bemüht sich so sehr, ihm etwas beizubringen. Und weil er sich so unter Druck setzt, ihr nicht als völliger Versager gegenüberzutreten, klappt im Unterricht noch weniger als zu Hause. Also startet er komplett motivationsfrei in die nächste Woche.
Verehrte Leserinnen und Leser, Sie ahnen, wie die Geschichte ausgeht: Der Anfänger hört wieder auf mit dem Trompetespielen. Musikmachen ist scheinbar nichts für ihn. Er ist da wohl einfach unbegabt, das hat man ja gemerkt. Und diesen Stress und den ganzen Frust – das muss er sich nun wirklich nicht auch noch zusätzlich zum Alltag antun.
Absehbares Scheitern
“Das konnte ja nichts werden” werden Sie jetzt denken. Und da haben Sie ganz recht. Aber warum genau hat das nicht funktioniert? Oder besser gefragt: An welcher Stelle hätte was genau anders laufen sollen, um Stress, Frust und die Aufgabe des Traums zu vermeiden?
Hätte die Lehrerin gleich in der ersten Stunde Klartext reden sollen? Brutal, aber ehrlich den Traum platzen lassen, um Frust zu vermeiden?
Selbstakzeptanz
Kommen wir zurück zum Ausgangsgedanken mit der Selbst-Akzeptanz. Denn darum geht es für mich im Unterricht, wenn ich Studierende, Schülerinnen oder Schüler berate und begleite. Der Weg dorthin ist das Thema. Denn die Betonung liegt auf SELBST-Akzeptanz. Nicht, weil mir jemand von außen Grenzen vorgibt, mir etwas nicht zugetraut wird oder gar verboten wird zu versuchen. Sondern weil ich selbst akzeptiere, was ich erreichen kann.
Mit dem Einsatz, den ich bringen kann und dem Vorwissen, das ich habe. Ich weiß um meine Ansprüche, meine Ziele, Träume und Wünsche – und die dürfen und sollen hochgesteckt sein! Um aber die Freude im Tun und auch das Vertrauen in das, was ich kann, nicht zu verlieren, muss ich akzeptieren, was im Moment möglich ist.
Am Beispiel oben: Unser Trompetenanfänger hat dieses ambitionierte Ziel. Da er keine Erfahrung hat, wie lang man braucht, um auf der Trompete “StarWars” spielen zu können, nutzt er die Erfahrung der Lehrerin. Sein Ziel wird also in Zusammenhang gestellt zu den Ressourcen – und dadurch, dass die Lehrerin seinen Wunsch ernst nimmt und als Motivation anerkennt, zeigt sie dem Schüler ihre Wertschätzung. Ihre Erfahrung und Expertise bringt sie ein, wenn gemeinsam ein Plan entwickelt wird, wie, ob und in welcher Form das Ziel erreichbar ist: Welche Fertigkeiten sind nötig, wie können sie erlernt und trainiert werden. Dann geht es an den Kalender: Wieviel Zeit kann eingesetzt werden? Was ist realistisch?
Diskrepanzen
In unserem Beispiel werden schnell die Stolpersteine sichtbar. Ressourcen und Ziel passten offensichtlich nicht zusammen bzw. fanden keine angemessene Abstimmung. Was sich darin zeigte, dass ein konkreter Plan und vor allem auch eine Vorstellung davon fehlte, wie das Ziel erreicht werden kann.
Also werfen wir für unser Beispiel einen Blick auf die drei Punkte:
Vorkenntnisse:
- daran ist nicht viel zu deuteln. Allerdings wissen wir, wie schwer es ist, Voraussagen über das Entwicklungstempo zu treffen. Also müsste hier sicher auf dem Weg zum Ziel nachgeschärft werden, weil sich die Entwicklung nur grob einschätzen lässt.
Zeit:
- Wieviel Zeit bin ich bereit, zu investieren?
- Wo bin ich bereit, an anderer Stelle zu kürzen? Ist es mir das wert?
Und schließlich das Ziel:
- Welche Alternativen gibt es? Reicht es mir, wenn ich den Rhythmus auf einem Ton zum PlayAlong spielen kann? Wenn es ganz langsam gelingt? Oder bestehe ich auf einer profimäßig klingenden Version? Oder irgendwas dazwischen?
Entscheidungen treffen
Also gilt es, Entscheidungen zu treffen. Auf der Grundlage der vorliegenden Fakten. Und der entscheidende Punkt für die Motivation und das Dranbleiben liegt darin, dass diese Entscheidungen vom Lernenden selbst getroffen werden. Sie erscheinen dem Schüler sinnvoll. Er selbst hat sie entwickelt. Er selbst akzeptiert den Plan und das Vorhaben. Und er wird effizient üben, weil das Ziel klar definiert ist. Er wird motiviert sein oder sich immer wieder motivieren können, weil sein Übeplan ihm sinnvoll erscheint.
Auch wird er in der Lage sein, seine Entwicklung nachzuvollziehen. Er sieht, was er sich erarbeitet hat, was er schon geschafft hat. Und wenn etwas nicht klappt – dann hat er die gute Erfahrung gemacht, dass er sich Unterstützung holen kann.
Selbstakzeptanz bedeutet, die eigenen Wünsche und Möglichkeiten zu kennen. Auf dieser Basis kann ich einen Übeplan, eine Strategie entwickeln, die für mich sinnvoll ist. Dieses Gefühl der Sinnhaftigkeit ist ein enormer Motivator. Zugleich gibt das Wissen um das eigene Können und Wollen Sicherheit in Auftrittssituationen. Ich akzeptiere, was ich im Moment leisten kann. Weil ich weiß, wie ich es mir erarbeitet habe – und warum ich dort stehe, wo ich im Moment stehe.
Musizierglück braucht diese Klarheit. Braucht Akzeptanz. Und ein effizienter Plan ist dann Hilfe und Unterstützung. Ohne Druck. Weil es MEIN Plan ist. Meine Entscheidung.
Sandra Engelhardt
Die Musikerin und Hochschuldozentin arbeitet als zertifizierte Coach und systemische Beraterin (i.A.) in ihrer Praxis bei Hannover und online mit dem Schwerpunkt Übe- und Auftritts-Coaching. In der Arbeit mit Studierenden, Amateurinnen und Amateuren sowie Profis verbindet sie Elemente aus dem Lerncoaching, Mentaltraining und Zeit- und Selbstmanagement zu einem mehrdimensionalen Ansatz. Ihr Ziel? Zurück zum Musizierglück! (Foto: NOPeters)
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