Kathrin Christians hat den „kalten Entzug“ gemacht. Sie lacht. Und doch stimmt es. Sie spielt nicht nur ein bisschen weniger Flöte. Sie macht tatsächlich überhaupt keine Musik mehr. Nicht fürs große Publikum, nicht für den Freundeskreis, nicht für sich. Und das von heute auf morgen. Ein Beitrag über eine Musikerin, die den Mut hatte, aufzuhören.
Wir treffen die ehemalige Soloflötistin zu einer Runde Golf am Hohenhardter Hof in Wiesloch bei Heidelberg. Kathrin Christians strahlt. Sie sieht fröhlich aus, zufrieden, mit sich im Reinen. Was nicht heißen soll, dass sie in ihrem „früheren Leben“ nicht zufrieden oder fröhlich gewesen wäre. Denn eines konnte Kathrin Christians immer schon: herrlich albern sein, lachen, Menschen begeistern. Aber war sie auch mit sich im Reinen? Vermutlich nicht immer, denn wie sonst sollte man eine solch weitreichende Entscheidung treffen? Sie habe die Überlegung, mit der Musik aufzuhören, schon sehr lange mit sich herumgetragen.
„Das war kein plötzlicher Entschluss. Das war ein schleichender Prozess, der mich seit mehr als sieben Jahren begleitet hat. Die Umsetzung war eigentlich eine Erlösung, denn jetzt kann ich den Druck loswerden, den Musiker sich selbst machen.“ Stets müsse man in jedem Bereich performen, gut sei da eben nicht gut genug. Und Kathrin Christians war gut. Sie war nach ihrem Studium in Mannheim, München und Stuttgart Soloflötistin bei den Heidelberger Sinfonikern und im Mannheimer Mozartorchester, schlug dann den Soloweg ein, heimste für ihr Debüt-Album einen OPUS Klassik ein, da durfte sogar Thomas Gottschalk mit ihr plaudern.
Und sie verhehlt keineswegs, dass sie die Zeit als Musikerin auch hat genießen können. Die zahlreichen Reisen, die Erfolge, das Repertoire. „Diese Erinnerungen kann mir auch jetzt niemand mehr nehmen!“ Dass sie sich vom mit 33 Jahren erlittenen Schlaganfall erholte und auf die Bühne zurückkehrte, darf sie als einen ihrer größten Erfolge verbuchen. Doch es sei das „Haifischbecken Kunst und Kultur“ gewesen, das ihr mehr und mehr zu schaffen gemacht habe. „Ich habe die Begegnungen teilweise nicht als besonders ehrlich empfunden“, klagt sie. Im direkten Aufeinandertreffen seien alle wunderbar freundlich zueinander, doch sobald man sich umdrehe, habe man „20 Messer im Rücken“. Sicherlich ist Kathrin Christians selbstbewusst genug, sich zu wehren – doch sie wollte das einfach nicht mehr. War sie der Goldfisch in jenem Haifischbecken? Sie lacht schallend. Wenn, dann einer mit enormem Kampfgeist.
Kathrin Christians: Lasst uns zusammenhalten
Sie fordert heute vehement und für alle Bereiche des Lebens: „Lasst uns zusammenhalten! Lasst uns Quatsch machen, aneinander glauben, ernsthaft miteinander sein, füreinander da sein und gemeinsam lachen.“ Forderungen, die Musikerinnen, Musiker, Dirigentinnen und Dirigenten ebenfalls beherzigen könnten. Denn eigentlich sollte man doch zusammen Musik machen – und eben nicht gegeneinander.

Sie habe in der jüngeren Vergangenheit viel nachgedacht, sei viel spazieren gegangen und habe einfach in der Natur gesessen. Die leidige Corona-Pandemie war hierbei vielleicht sogar hilfreich, denn nun war dafür Zeit. Nachdem Kathrin Christians 2022 die finanziellen Einbußen der Pandemie mit viel Arbeit kompensierte, waren ab 2023 Entschleunigung und Leben geplant: Früh morgens mit der Arbeit beginnen um dann Feierabend zu haben, wenn das soziale Umfeld ihn ebenfalls hat. Sie achtete bewusst darauf, nicht immer nur von der Arbeit zu sprechen und darüber nachzudenken. Heute hält sie geregelte Arbeitszeiten für „eine ziemliche Offenbarung für jemanden wie mich, der es 30 Jahre gewohnt war, lange wach zu bleiben. Aber jetzt habe ich sogar Zeit, früh Feierabend zu machen und Freizeit zu genießen. Früher dachte ich, Feierabend sei eine mythologische Kreatur, und jetzt ist er mein bester Kumpel.“ Da geht sich dann auch mal eine Runde Golfspielen am Nachmittag aus.
Die Flöte hängt nun als Erinnerungsstück am sprichwörtlichen Nagel, Kathrin Christians tauschte die Musik mit der „Parfümeriemarke“ Eau de Wald: Die Flötistin ist unter die Gin-Komponisten gegangen. Der Gin „Eau de Wald“ ist was für Genießer. „Ein tiefer Atemzug Natur: Fichte im Kopf, blühender Holunder, erfrischende Heidelbeeren und knackige Haselnüsse im Herzen, Wacholder in der Seele. Mysteriös-harzig mit warm-floraler Note.“ So blumig wird das Getränk auf der Website angepriesen. Klingt wie Musik.

Und die Flöte hängt am Nagel
Als Kathrin Christians den neuen Weg einschlug, erntete sie nicht nur Zustimmung. Die wenigsten attestierten ihr uneingeschränkt eine gehörige Portion Mut. Sie ist immer noch irritiert, ja geradezu schockiert, wie manche Leute ihr aus der Entscheidung mehr oder weniger offen einen Vorwurf strickten. Die Musik sei doch ihr Leben gewesen! Das sei doch so ein toller Beruf! Sie müsse doch dankbar sein! Sie habe doch ihr Hobby zum Beruf gemacht! Doch vielleicht liegt gerade da auch ein Problem? Wenn das Hobby zum Beruf wird, was bleibt dann als Hobby übrig? Bei Kathrin Christians war das nicht eben viel. „Ich hatte ja keine Freizeit in dem Sinne“. Seit sie als Kind mit der Flöte anfing, habe sie sieben Tage die Woche gearbeitet. „Selbst in den Urlaub habe ich meine Flöte mitgenommen, habe nie abgeschaltet.“ Was Freizeit bedeutet, hatte sie schlichtweg nicht gelernt.
Zu schaffen machte es der ehemaligen Flötistin auch und vor allem, dass ihr Vater sehr traurig war. „Eltern sind gerne stolz auf ihre Kinder und bei meinem Vater war da noch die Tatsache, dass er selber gerne Musiker geworden wäre“, erzählt die Heidelbergerin. Er habe es nicht verstehen können, weil doch die Kreativität ihre große Stärke sei. Doch mittlerweile sei er „drüber hinweg“. Sie lacht. Denn ihre Kreativität lebt sie derzeit mehr denn je aus. Bei der Kreation neuer Produkte, bei der Gestaltung der Verpackungen, beim Shooting der Produktfotos.
Heimat – Schönes aus der Region
Bereits als Flötistin hatte Kathrin Christians in der Heidelberger Innenstadt einen Laden eröffnet: „Heimat – Schönes aus der Region„. Der Hintergrund war, dass die Heidelbergerin die Welt bereiste und Konzerte gab. Mit der Zeit wünschten sich viele Konzertmanager, dass sie etwas Einzigartiges aus ihrer Heimatstadt Heidelberg mitbringt.
Im Laufe der Jahre baute Kathrin Christians eine Sammlung von Produkten auf, die sie selbst gerne verschenkt und auch anderen empfehlen würde – und schließlich verkaufte. Hieraus entstand dann letztlich – während der Corona-Pause – das Label „Eau de Wald“. Die Produktpalette reicht vom Gin über Öl, Essig, Gewürzmischungen bis zu fermentiertem Pfeffer. Ein Hobby ist das nun nicht mehr.
Ein neues und echtes Hobby ist für sie der Golfsport. Hier findet sie Entspannung. Verbissener Ehrgeiz ist ihr fremd – doch natürlich freut sie sich wie ein kleines Kind, wenn der kleine weiße Ball auch dorthin fliegt, wohin er soll. Kathrin Christians hat auch schon Parallelen von Musik und Golf feststellen können. „Neben der Wichtigkeit der Atmung ist es vor allem das Thema Lernen“, findet sie. Lernen bedeute, an Kleinigkeiten zu feilen. „Als Flötistin habe ich oft stundenlang immer nur zwei Töne gespielt – bis ich die richtige Verbindung hatte.“ Beim Üben gehe es ja nicht darum, immer nur die Stücke von vorne bis hinten durchzuspielen – und genau so wenig spielt man beim Golf immer nur Runden von neun oder 18 Löchern. Deshalb trifft man die Ex-Musikerin des Öfteren auf der Driving Range. Putten, chippen, Bälle schlagen statt Triller, Vibrato, Flatterzunge.
Ganz ohne Kultur geht’s für Kathrin Christians nicht

Übrigens: Ganz ohne Kultur geht’s für Kathrin Christians dann doch nicht. „Kultur umringt uns ja sowieso ständig“, findet sie. Kultur sei neben Musik so vieles: Architektur, Fotografie, Essen… Dem könne man sich nicht entziehen. Und wie es der Zufall will, ist die ehemalige Musikerin nun stellvertretende Vorsitzende im Verein, der die Bewerbung Heidelbergs als Kulturhauptstadt Europas unterstützt. Als Heidelbergerin macht sie da gerne mit.
Als Kathrin Christians noch Flötistin war, stand in dieser Zeitschrift: „Bestimmte Attribute ziehen sich wie ein roter Faden durch das Leben und die Laufbahn: Mut, Neugier, Kampfgeist, Lebenslust!“ Geändert hat sich daran auch für die „zweite Karriere“ wenig. Neu ist jetzt nur die Entdeckung der Langsamkeit. Zeit zu haben ist ein kostbares Gut.