Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

Flötist Emmanuel Pahud über Filmmusik

Foto: Josef Fischnaller

Für sein neues Album „Airlines“ hat sich der Flötist Emmanuel Pahud mit dem erfolgreichen Filmkomponisten Alexandre Desplat zusammengetan. Es erklingt die Filmmusik aus den Oscar-Gewinnern „The Shape of Water“ und „The Grand Budapest Hotel“. Wir sprachen mit Emmanuel Pahud über die Flöte als Filmmusikinstrument, Emotionen und welche Musik er ­gerne eingespielt hätte.

Emmanuel Pahud, welche Filmmusik empfinden Sie als besonders eindrucksvoll? 

Aus aktuellem Anlass natürlich die von Ennio Morricone, den wir sehr vermissen. Er hat tolle Musik geliefert, mit der sich jeder identifizieren kann. Die Emotionen und die Geschichte der ­Filme sind untrennbar mit der Musik verbunden. Schon zu Stummfilmzeiten, als die Musik noch live gespielt wurde, war das ein sehr großer Teil des Geschehens und hat zum Erfolg beigetragen. Die Stimmung, die über die Musik getragen wird, macht den Unterschied aus zwischen einem Thriller und einer Komödie. Denken Sie an Bernard Herrmann, der die Hitchcock-Filme mit Musik versorgt hat! Oder John Williams, der ­große Hollywood-Streifen vertont hat, „Star Wars“ ist nur einer davon… Es gibt auch sehr viel gute französische Filmmusik. Da denke ich etwa an Vladimir Cosma, der 1980 die Musik zu „La Boum“ mit Sophie Marceau geschrieben hat. Das ist Musik, die meine Jugend geprägt hat. 

Kann es denn gute Filme mit schlechter Musik geben? Oder umgekehrt: Kann Filmmusik einen Film retten, obwohl der vielleicht nicht so gut ist?

Womöglich ja. Ich kann mich an „Le Grand Bleu“ von Luc Besson aus dem Jahre 1988 erinnern, die Musik ist von Éric Serra. Man weiß manchmal nicht genau, ob die Stimmung nun vom Bild oder von der Musik herrührt. Wäre die Musik anders, würde der Film ganz anders rüberkommen. Aber das ist natürlich auch Geschmackssache und jede Generation ist davon geprägt, was sie anspricht. Andere Generationen können damit vielleicht nicht viel anfangen. Es gibt Musik, die zum Bild gehört, und es gibt Musik, die getrennt davon existieren kann. Musik, die für sich steht, kann zum Fantasieren anregen. Das ist aber natürlich nicht filmmusikspezifisch, das ist in jeder Musik so. Etwa die großen Tondichtungen eines Strauß’ aus der Spätromantik und der früh­moder­nen Zeit sind eine unglaublich bildliche Art von Musik. 

Welche Filmmusik ist denn für Flöte besonders gut geeignet? 

Mit der Flötenfamilie kann man sehr unterschiedliche Stimmungen erzeugen. Wenn man zum Beispiel den Anfang von „Tod eines Handlungsreisenden“ mit Dustin Hoffman nimmt: Das Bassflöten-Solo erzeugt eine mysteriöse Stimmung, die über die Musik getragen wird. Während des Films überlegt man ständig, was wohl als Nächstes passiert und wie sich die Gefühle des Schauspielers entwickeln. Natürlich funktioniert das auch mit großartigen Schauspielern. Im „Dschungelbuch“ von Walt Disney gibt es ein tolles Altflöten-Solo in Verbindung mit der Flöte. Das bringt die Klänge der Natur zur Sprache. Auch in der Filmmusik von Quincy Jones gibt es am Anfang ein Piccolo-Solo, das wie eine Si­gna­tur für einen Film wirkt. Dieser pfeifende Einsatz zeigt natürlich sofort, dass man sich in einer Parodie wiederfindet und nicht in einem tiefgründigen Film. 

Ist mit der Flöte grundsätzlich jede Stimmung denkbar?

Jeder Einsatz der Flöte kann im Ausdruck variieren. Das haben alle Flötisten in den Orchestrierungen gelernt. Es gab schon Anfang des 19. Jahrhunderts Bücher und Listen für Orchester, um gewisse Klänge und Stimmungen zu produzieren. Später gab es das auch bei Schönberg und Mahler, Strauß und Debussy. Strawinsky bringt auch das Volkstümliche und die Moderne klanglich zum Ausdruck. Das ist auch das, wovon sich alle Komponisten heute inspirieren lassen. 

Nun haben Sie mit dem Komponisten Ale­xandre Desplat ein Album aufgenommen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? 

Ich hatte schon lange eine Filmmusik auf meiner Liste. Der Kontakt zu Alexandre Desplat ist dann auf einer Tournee mit den Berliner Philharmonikern in Los Angeles entstanden. Wir haben in der Walt Disney Hall gespielt und uns dann dort getroffen. Ich kenne ihn noch als Flötenstudent. Er ist ein bisschen älter als ich und wir hatten gemeinsame Freunde. Wir kannten uns zwar nicht direkt, aber haben uns wahrgenommen. Ale­xandre Desplat will sich schließlich auch als ­Konzertkomponist profilieren, weshalb er auch auf sein erstes Instrument, die Flöte, zurückgreift. 

Im Gespräch kamen wir dann auf die Idee, seine großen Erfolge – Soundtracks wie „Shape of Water“, „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“, „Harry Potter“, „Ghostwriter“ – mit einem Flötenkonzert, das er für mich geschrieben hat, zu kombinieren. Das sinfonische Projekt „Pelléas et Mélisande“ ist ein Dialog zwischen Flöte und Orches­ter. Diese Thematik hat ja sehr viele Komponisten inspiriert. Ich denke, die Stimmung wird in der Musik gut zum Ausdruck gebracht. Mit diesem Album hat man eine Stunde Musik, bei der immer die Flöte im Vordergrund steht. Man hat Filmmusik, ein sinfonisches Werk, ein Soloflötenstück. Es zeigt, wie breit das Schaffen eines Komponisten sein kann. Es geht nicht nur in eine Richtung, sondern je nach Film, Regisseur und Stimmung des Komponisten verkörpert die Musik ganz unterschiedliche Charaktere. Wie kann ich meine Ideen projizieren? Verwende ich nur ein Instrument oder eine ganze Reihe von Instrumenten? Diese bunte Klangwelt finde ich so faszinierend! Und mit dieser CD erleben wir diese. 

Sind denn die Stücke auf der CD explizit für Sie komponiert und arrangiert? Hatten Sie „Mitspracherecht“?

Wir haben das natürlich gemeinsam besprochen, aber ich habe versucht, so wenig Einfluss wie möglich zu nehmen auf die schöpferische Tätigkeit des Komponisten. Ich habe ihm überlassen, welche seiner Filmmusiken er für die Konstellation Flöte und Orchester auswählt. Das Sinfoniekonzert hatte er schon geschrieben, es wurde nur leicht modifiziert, nachdem wir mit­ein­ander gesprochen hatten, „Airlines“ hatte ich 2018 uraufgeführt. Er hat mir auch erzählt, wie schwer es ist, eine Musik, die für großes Orchester gedacht ist, umzufunktionieren in einen Dialog zwischen Soloinstrument und Orchester. Bei „Shape of Water“ etwa ist so viel los im Orchester, es gibt schon so viele Flöten, da stellte sich die Frage, wie ich mich da noch absetzen kann. Da haben wir zum Teil eine Fusion gesucht, zum Teil aber auch Variationen, um die Solo­stimme abzusetzen von den Orchester­flöten. 

Die Musik auf der CD zeigt auch sehr gut, dass Filmmusik auch ohne Bilder funktioniert. Ist es dennoch schwierig, die Musik zu spielen ohne den Film gesehen zu haben? Oder haben Sie sich die Filme vorher angesehen? 

Glücklicherweise sind die Filmmusiken auf der CD so bekannt und berühmt, dass man sie alle mitbekommen hat bzw. ich die Filme bereits ­gesehen hatte. Ich hatte diese Stimmung und diese Melodien im Kopf. Das ist natürlich großartig. Eines allerdings muss man beim Zusammenspiel beachten: Als klassische Musiker sind wir gewohnt zu interpretieren. Wir gestalten, was wir glauben, was der Komponist beschreiben wollte. Und das müssen wir je nach Akustik, je nach Gegebenheiten anpassen. Bei der Filmmusik ist die Funktion jedes Instruments, gerade im Timing, viel präsenter als in der sinfonischen Musik. Es braucht eine stabile Grundlage für alle Instrumentengruppen und auch von der Artikulation her ist die Herangehensweise eine ganz ­andere. Man braucht eine gewisse Zeit zum Proben. Aber wenn man das Glück hat, dass der Komponist selbst am Dirigentenpult steht und das Orchester schon Filmmusik gespielt und aufgenommen hat, dann hat man ein super Team dafür. Und ich bin sehr glücklich, wie diese ­ganze Produktion gelaufen ist. 

Filmmusik im Konzertsaal – das war nicht immer so. Ist diese Entwicklung erst in der jüngeren Vergangenheit zu sehen?

Wir erleben das mit den Berliner Philharmonikern nicht, und ich glaube, jedes Orchester hat eine gewisse soziale Funktion in der Stadt, in der sie spielen. Und für das Publikum muss man das passende Repertoire auf dem Programm haben. Es soll Spaß machen und alle in der Erweiterung des Repertoires voranbringen. Da gibt es so viele verschiedene Richtungen. Und deshalb ist absolut gerechtfertigt, dass Filmmusik einen Platz im Konzertsaal bekommt. Die Filmmusik von „La Strada“ ist so tolle Musik! Da gibt es eine zweiteilige Suite mit Ballettmusik, ganz in der Tradition von Strawinsky und Ravel, die wir gespielt haben. Und das Auge hört mit. Die Konzertsäle waren voll mit einem anderen Publikum, das sonst nicht im Konzerthaus ist. Film- und Musik-Enthusiasten gleichermaßen waren vertreten. Das war ein tolles Erlebnis. 

Eine letzte Frage noch: Für welchen Film hätten Sie gerne die Filmmusik eingespielt? 

(überlegt lange) Ich glaube, „Schindlers Liste„. Unglaublich großartig! Die Geschichte, wie sie verfilmt ist und wie die Musik dazu passt! Diese Musik von John Williams ist fantastisch! Das hat mich sehr berührt. Dieses Thema ist sofort ein Hit geworden, obwohl es so melancholisch und so unendlich traurig ist. Aber es bringt auch Hoffnung mit sich. Und wenn man diese Stimme der Hoffnung sein kann, das passt sehr gut zu dem Charakter, den die Flöte musikalisch um­setzen kann. Diese Melancholie im Ton und eben trotzdem Hoffnungsträger – das ist etwas Besonderes. Das hätte ich wirklich gerne gespielt.