Wir treffen die ungarische Flötistin Noemi Gyori am Sankt-Jakobs-Platz in München. Hier spielt sie im Jewish Chamber Orchestra Munich (vormals Orchester Jakobsplatz München). Sie kommt gerade aus Manchester, muss am nächsten Tag nach Aschaffenburg. Anschließend geht es wieder nach London und schließlich nach Budapest. Noemi Gyori ist – gelinde ausgedrückt – viel unterwegs. Man sieht ihr die Strapazen nicht an. Sie liebt dieses Musikerleben. Und für ein langes Gespräch ist immer Zeit.
CLARINO: Noemi, wie würdest du dich entscheiden – für Budapest, München oder London?
Noemi Gyori: Meine Antwort ist Weltbürger! Schon als ich noch ein Kind war, habe ich überall auf der Welt gewohnt – in Japan, in den USA und natürlich in Ungarn. Ich habe in Ungarn, Finnland, Österreich, Deutschland und England studiert.
Natürlich bin ich Ungarin und ich habe deshalb eine sehr starke Verbindung mit der ungarischen Kultur. Aber ich habe auch überall gute Freunde, die mir sehr wichtig sind. Wenn man Musiker ist, ist die Welt ohnehin sehr klein und man trifft viele Leute überall – als wenn sie in der gleichen Stadt wohnen würden. Ich kann mich nicht für eine Stadt entscheiden. Und ehrlich gesagt: Ich will das auch nicht. Ich sehe mich überall.
Hast du denn trotzdem manchmal den Wunsch, dauerhaft sesshaft zu sein?
Ich genieße dieses Leben. Wenn man reist, kann man immer wieder etwas anders sein und Dinge anders sehen. Das hält einen wach. Ich sehe Dinge sozusagen durch verschiedene Brillen. Meine Familie ist immer sehr viel gereist – deshalb war die Welt immer offen.
Individual- oder Mannschaftssport?
Ich liebe individuelle Dinge sehr. Ich liebe Sachen, wenn sie etwas »anders« sind. Aber das geht ohne Mannschaft einfach nicht. Um eine eigene Stimme aufzubauen, braucht man Menschen, die an diese Ideen glauben. Es braucht Menschen, die mit mir mitkommen auf meinem Weg.
Ich habe wirklich gelernt, wie man in einer Mannschaft zusammenarbeitet, wie man die anderen motiviert. Es ist gar nicht so einfach, das zu begreifen. Als Flötistin schafft man es alleine ohnehin nicht. Dass man ein Konzert ganz alleine spielt, kommt höchst selten vor.
Und für mich als Solistin ist es auch nur erfolgversprechend, wenn das Orchester motiviert ist, mitzuspielen und einer gemeinsamen Idee zu folgen. Individuelle Gedanken und Ziele sind wichtig, aber nur als Mannschaft kann man diese auch erreichen.
Lehren oder lernen?
Das wechselt sich im Leben immer wieder ab. Zu Beginn lernt man vermutlich mehr als man lehrt, obwohl meine erste Lehrerin in Ungarn – ich habe mit fünf Jahren auf der Blockflöte angefangen – ein interessantes System hatte. Wenn ich eine Tonleiter gelernt hatte, musste ich diese den kleineren Schülern beibringen. So hat man diese Dinge noch einmal ganz anders verinnerlicht. Es war ein Kreislauf.
Heute lehre ich natürlich mehr und es ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich bin unglaublich froh, dass meine Studenten so erfolgreich sind. Und noch mehr, dass sie so viel Freude an Musik haben. Das Beste ist: Ich lerne vom Unterrichten selbst auch! Menschlich und musikalisch.