Orchestra | Von Renold Quade

„Four Contrasts for Wind“ von Trevor Ford

Contrasts for Wind

Wie das manchmal so ist: Da stößt man wieder einmal auf »alte Schätzchen« und dann rattert es im Gehirn. Ja, genau! Da war doch dieses und jenes  … Zieht man dann diese persönlichen Erinnerungen und Umstände, die einen mit dem Werk verbinden, einmal ab, dann bleibt da nur noch die Musik, das Arrangement, die Musizieridee dieser Komposition. „Four Contrasts For Wind“ entstand im Jahre 1975. Man sieht sich das Notenbild dieser klassischen Molenaar-Ausgabe an, schaut auf die Besetzungsliste des damaligen „International Sets“ und fragt sich. Geht das heute noch?

Auch wenn Trevor Ford aufgrund seiner zweiten Lebenshälfte offensichtlich wohl eher in Norwegen verortet wird, so wurde er doch an einem ganz anderen Ende der Welt geboren. Seine Eltern waren nach Tasmanien, einer australischen Insel südlich von Melbourne, ausgewandert und hier erblickte er am 19. November 1931 das Licht der Welt. Von dort aus zog sich sein Lebensweg immer weiter Richtung Norden. Schon mit knapp vier Jahren kam er bereits nach England, wuchs in Oxford auf und besuchte die dortige High School For Boys. Mit fünf Jahren begann er das Klavierspiel, mit zwölf Jahren entdeckte er die Geige.

Oboist bei der königlich-englischen Marine

Als 15-Jähriger trat er bereits in den Dienst der königlich-englischen Marine und diente dort über zwölf Jahre als Oboist – davon auch fünf Jahre als „Musikmeister“, eine Führungs- und Vertretungsposition, die unter anderem die Leitung der Marschmusik beinhaltete. 1960 wurde er zum Kapellmeister der „British Home Fleet“, der Britischen Heimatflotte, ernannt und war zu dieser Zeit der jüngste Kapellmeister der Royal Marines. Viele seiner internationalen Einsätze führten ihn in den Mittelmeerraum und den fernen Osten. Er bekleidete zudem über zwei Jahre das Amt des »senior instructors«, des Lehrerobmanns, an der Royal Marine School of Music, bevor er 1964 nach Norwegen auswanderte. 

Dort wurde er Chef des Norwegischen Blasmusikverbandes, und zu seinen Aufgaben, neben der Leitung von Orchestern, zählte vor allem auch die Aufsicht über die Musikausbildung, über das instrumentale Lehrprogramm, sowie die Organisation und Durchführung von Festivals und Wettbewerben. Er verfasste im Rahmen dieser Aufgaben, nicht nur abgestimmt auf die Bedürfnisse in Skandinavien, eine Reihe von Büchern und Schulungswerken für Dirigenten und Musiklehrer. 

Trevor Ford
Trevor Ford (Foto: fordforlag.no)

Aus seiner Feder stammen über hundert Kompositionen für Blasorchester. Die meisten verlegt in Europa und den Vereinigten Staaten. Darunter auch Auftragskompositionen für den nieder­ländischen Rundfunk, das Uster-Festival in der Schweiz oder das Hamar International Festival in Norwegen. Selbstredend, dass er als Gastdirigent, Dozent und Juror auf den wichtigen Bühnen der Welt immer wieder anzutreffen war. Er gründete das Nationale Norwegische Jugendblasorchester, war Mitbegründer der norwegischen »Bandmasters Association« und der erste Präsident der WASBE.

Im Jahre 2003 übernahm er das Amt des Präsidenten in der Internationalen Militärmusik-Gesellschaft. Nachdem sich der heute 92-jährige Vollblutblasmusiker aus dem Norwegischen Blasmusikverband zurückgezogen hatte, wurde Schreiben und Reisen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. 

Die Idee 

„Four Contrasts For Wind“ – vier „Kontraste“ für Blasorchester – ist zunächst eigentlich schon alles, was Trevor Ford uns an beschreibendem Hinweis mit auf den Weg gibt.

Über knapp 8 Minuten reiht er vier kleine charakteristische Musikstücke aneinander, jedes eher unter zwei Minuten, die nicht weiter „tituliert“ sind, die aber über klare Tempoangaben und eindeutige Artikulations- und Dynamikangaben aufzeigen, wohin die Reise gehen soll. Es bleibt aber durchaus ein wenig Platz für individuelle Fantasie. Bei aller Klarheit der Musik kann jeder ein Stück weit seine eigenen kleinen Gefühls- und Gedankenwelten beim Musizieren und Hören erleben.

In der Molenaar-Skala ist das Werk mit Schwierigkeitsgrad 4 angegeben. Es ist sicher für jedes solide Mittelstufenorchester spielbar. 

Der Aufbau

Satz 1: Allegro Moderato

Über vier Takte etabliert das tiefe Blech, einleitend im 2/4-Takt, zunächst einen schlichten Vorschlag-/Nachschlagrhythmus mit augenscheinlich zwei Akkorden: B-Dur und Ges-Dur. Das Spannungsverhältnis dieser beiden Klänge ist definitiv nicht von der Stange. Nicht nur »d« zu »des« wirkt spannend. Insgesamt wird Aufbruchstimmung vermittelt. 

Contrast for Wind
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Ab Takt 5, bei Buchstabe A, beginnt formal der erste kleine a-Teil. Die hohen Hölzer bilden aus der Substanz der Eingangsakkorde eine Sechzehntel-Dreiklangs-Melodik, welche nach einer fließenden chromatischen Wendung im siebten Takt auf eine neue harmonische Spielwiese, Es-Dur / Ges-übermäßig, gehoben wird. Nach zwei Takten verspielt sich diese Motivik erneut in Chromatik, um schließlich, in Klammer eins auf Des-übermäßig weiterstrebend, anzufeuern, in Klammer zwei hingegen auf B-Dur zur Ruhe zu kommen. Das alles, eigentlich widersprüchlich zur eher aufgeregten Melodik und Harmonik, im unaufgeregten legato (abgesehen vom Grundrhythmus) und im dezent abgestuften piano bis mezzoforte.

Mit Buchstabe B, nun im forte und von Akzenten dominiert, im b-Teil, ein Charakterwechsel. Das Blech formt, angestoßen artikuliert, eine eher stampfende Melodik. Die Hölzer durchbrechen im dritten und vierten Takt, ähnlich wie im a-Teil, zwar noch einmal kurz im Legato, aber die Grundstimmung dieses Abschnittes wird dadurch nicht gekippt.   

Es folgt in Buchstabe C ein dreimal zweitaktiger Übergangsteil, geformt aus der Substanz des kleinen b-Motivs, der im Forte-Pianowechsel keck in allen Belangen zurückführt zum Wiederaufgriff des a-Teils, Buchstabe D. Der ist lediglich in Klammer zwei um eine Coda-ähnliche ­Minischlusswendung erweitert. Dieser Satz präsentiert eine klassischen a-b-a-Form mit kurzem Zwischenspiel. 

Satz 2: Andantino

Im 12/8-Takt, definitiv triolisch gefühlt, aber stets ruhig auf vier Schlägen ausgezählt, eröffnet der zweite Satz über vier Takte mit einer kleinen Kadenzierung rund um die neue Tonart As-Dur. Während die Weichklinger sanft im piano eine Fläche zaubern, liegen darüber hohe Klarinetten mit einer leicht synkopisch angedeuteten Melodik.

Ab Takt fünf beginnt das erste Thema. In grundsätzlich gleicher Manier, nun aber im Mezzoforte und bei vollem Orchester, entwickelt sich eine achttaktige Melodie. Diese ist einerseits immer akkordisch eingebettet, andererseits aber auch permanent mit Achtelketten, verteilt im ganzen Orchester, umspielt. Der quasi wörtliche Wiederaufgriff dieses a-Teils folgt im forte. Die Instrumentation nuanciert an etlichen Stellen und nicht nur die Achtelketten fallen dabei stärker ins Gewicht.

„L’istesso tempo“ beginnt der b-Teil, aber das Metrum wechselt in einen grundsätzlich duolisch bestimmen Dreiertakt. Das Blechregister bestimmt im piano-mezzoforte das Geschehen der ersten vier Takte. Ab dem fünften Takt dieses Abschnittes schraubt sich in den Holzbläsern ein kleines Sechszehntelmotiv in die Höhe und verlängert die klassisch erwarteten vier Takte-­Form um einen weiteren Takt, der nicht nur durch triolische Umdeutung, sondern auch ganz schulmäßig über Dominantseptakkord wieder zur Ausgangstonart und zur wörtlichen Wiederholung des a-Teil zurückführt.

Formal ist dieser Satz ebenfalls eine schlichte a-b-a-Form mit Einleitung und eintaktiger Überleitung. Er ruft zunächst eine lyrisch romantische Stimmung auf, die aber später, im forte, zudem auch durchaus drängenden Charakter aufbaut.    

Satz 3: Moderato

Wieder zurück im vertrauten B-Dur, leggiero, im leichten alla breve, startet der dritte Satz. Sofort beginnt eine heitere Melodie, die als federnd und sanft angestoßen verstanden werden will. Gewürzt werden die melodischen und harmonischen Wendungen durch kleine, aber wirkungsvolle Alterationen.  

Ab dem neunten Takt bleibt über weitere acht Takte substanziell eigentlich alles beim Alten, wenngleich Charakter und Melodieführung offensichtlich nuancieren, nicht nur unterstrichen durch das geschmeidige Legato. Die nächsten acht Takte sind, über vier Takte im hohen Register und wieder vier Takte im tiefen Register, als Variation der ersten achte Takte zu verstehen. Dieses bislang de facto dreimal wiederholte und sehr eng zueinander verwandte Szenario wird nun aber (verwandt) aufgebrochen. Das prägende Kopfmotiv schickt sich an, dialogisierend und im kanonischen Stil, ein Zwischenspiel auszubilden. Die letzte Passage dieses Satzes schiebt dann, im durchaus jubelndem Fortissimo, das bisherige Material witzig und folgerichtig, da ja verschmitzt und bereits klug mit genau diesem Ziel so vorbereitet, übereinander. Die Wiederholung bildet ab den erwarteten letzten beiden Takten eine viertaktige, sich ausdünnende und ironisierende Coda aus.   

Satz 4: Alla Marcia

Auch der vierte Satz startet offensichtlich direkt. Das erste zweitaktige Motiv, ein kurzer Quartauftakt im tiefen Blech, gefolgt von einer kurzen Achtelbewegung im Terzambitus, bestimmt in der Folge quasi die kompletten ersten vierzig Takte dieses Satzes. Somit also den gesamten ersten Teil. Varianten dieser Substanz im 2/4Takt, verlängert, verbreitert, von pp bis ff und farbig durch harmonische Wendung pointiert, machen sich auf den Weg, der schließlich, poco rall., bis zu einem Tonartwechsel führt. 

Es geht aber sofort und ohne große Umschweife weiter. Im 4/4 Takt, L’istesso Tempo, beginnt eine liedhafte Melodie, die in den ersten acht Takten (A) von den Mittelstimmen getragen, von federnden Akkorden im Bassbereich begleitet und mit kleinen Einwürfen im hohen Holz garniert wird. In den nächsten acht Takten (B), übernehmen Trompeten und Klarinetten wieder Führungsaufgaben, bevor der Wiederaufgriff des A- und auch des B-Teils wieder genretypisch im Tutti dargeboten wird. Ein kleines ritardando bremst ein und nach einem kurzen Einschnitt vollendet eine viertaktige Coda aus der Substanz des Eingangsmotives diesen Satz. Zusammenfassend kann man diesen vierten Satz in etwa so beschreiben: Eine große ausgearbeitete Einleitung, gefolgt von einem gefälligen, liedhaften Teil, im Stile eines Marschtrios.    

Die Sinne schärfen, oder kann das weg?

Zurück zur Eingangsfrage: Ist das Musik, die heute noch geht und die mit anderen Angeboten, nicht nur im „Jugendbereich“, konkurrieren kann? Worauf ich anspielen möchte, ist definitiv ein wenig mein Unmut und meine Kritik an allzu oft und allzu oberflächlich angebotener und genutzter, rein auf „Funktion“ und „Machbarkeit“ ausgerichteter, Gebrauchsmusik. Also Werke und Arrangements, bei denen „dabei sein ist alles“ schon ausreicht, um irgendwie erfolgreich scheinen zu können. 

Ich befürchte, dass eine, nennen wir es einmal „Priorisierung“ solcher „Funktions-Angebote“, nicht nur bei Jugendensembles, kaum geeignet ist, mögliche Sinneserweiterungen und Entwicklungsstränge der Musizierenden zu erwecken, sondern eben diese Musizierqualitäten eher im Keim zu ersticken droht. Sie bieten halt leider kaum Reize überhaupt Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen, zu entdecken oder gar zu erarbeiten.

Ich möchte dabei aber bitte auch nicht als „Spaßbremse“ verstanden werden. Lokales Feiern und einfache ehrliche Freuden gilt es allüberall zu erhalten. Und ja, auch ich fühle mich nicht peinlich erwischt, wenn ich auf der „Kirmes“ oder beim „Karneval“ in meiner Heimat, kräftig mitsinge und wenn in Feierlaune ein (eigentlich brettschlechtes, aber irgendwie auch lustiges) Werk eines lokalen „Schlagerstars“ vom Orchester „individuell nachempfunden wird“. Ja, das kann was haben, ja, das ist ein Stück weit auch kreativ, fördert die Neugier in uns und schafft Gemeinschaft, innerhalb der Kapelle, aber auch Zusammenhalt in der gesamten Gesellschaft.

Ja, praktikable „Fast Food Musik“ kann freudenspendende und durchaus auch Motivation erweckende Elemente mit sich bringen, aber bitte nicht immer, nicht immer öfter und nicht »nur«. Es ist halt genauso wie bei der Ernährung. Eine ehrliche Currywurst oder Leberkäs-Semmel hat ihren Platz, aber der gute Mix aus Vitaminen, Mineralstoffen, Eiweiß, Fett und Kohlehydraten macht es halt aus und ermöglicht ein gesundes Überleben. 

Fazit

Ich finde diese kleine Suite auch heutigentags geeignet, den Weg in die Proberäume und auf die Konzertbühnen zu finden. Und dass auch nicht nur, weil ich gute Ansätze »pädagogischer Förderung« in ihr entdecken darf. Die nachvollziehbaren rhythmische Strukturen, die durchaus pfiffigen, wie auch lyrischen Melodieangebote sind im Arrangement handwerklich ehrlich und mit hand- und mundgemachtem Engagement gut zu reproduzieren.

Diese Musik unterhält und kann zudem die Sinne schärfen. Im Publikum, wie auch bei den Ausführenden. Die kurzen Frage- und Antwortspiele, laut und leise, Harmonik und Melodik die nachhören und aufhorchen lässt, Artikulation, die sinnstiftend zum melodischen Verständnis zählt – all das sind spannende und nachvollziehbaren Musizierangebote dieser vier kontrastreichen Charakterstücke, die den Zuhörer in einen kurzen, aber intensiven Bann ziehen werden.