Orchestra, Schwerpunktthema | Von Stefan Fritzen

Integration – Wunsch und Wirklichkeit

Kaum ein Begriff wird gegenwärtig in Deutschland so oft gebraucht wie das Wort »Integration«. Es ist gewissermaßen zum Synonym für den Zustrom von Hunderttausenden Flüchtlingen aus Kriegsgebieten geworden und dient dazu, die Hoffnung unserer Gesellschaft auf friedliches Auskommen mit den Vielen, die aus fremden Kulturen und Religionen zu uns strömen, zu beflügeln. Deshalb ist es nur verständlich, dass auch wir Musiker uns darüber Gedanken machen müssen, ob es musikalisch-künstlerische Integration überhaupt geben kann und wie eine solche vonstatten zu gehen hätte.

Definiton von Integration

Aber was bedeutet »Integration« für den Einzelnen und die Gesellschaft? Schauen wir zunächst auf die im Brockhaus vorgelegte Definition. Das Wort stammt aus dem Lateinischen »integratio« (Wiederherstellung) oder »integrare« (erneuern, ergänzen, geistig auffrischen).

Im engeren Sinne meint man die Herstellung eines Ganzen, eines Zusammenschlusses, einer Vereinigung. Integration bedeutet auch die Verschmelzung der Sprachen und eine gemeinsame verbindliche Schriftsprache – und, last but not least, die Verschmelzung der Kulturen zu einer bandstiftenden Nationalkultur oder Leitkultur.

Der amerikanische Komponist Aaron Copland war es, der Kunst und Kultur Amerikas als die Summe verschiedenster kultureller Strömungen definierte. Er sprach von den USA als einem Schmelztiegel der Kulturen, die sich zu einer neuen Qualität verbanden.

Leonard Bernstein schrieb über diese Gedanken sogar eine Doktorarbeit. Heute steht man den idealistischen Visionen Coplands und anderer eher skeptisch gegenüber, da man festgestellt hat, dass es nicht reicht, alle »edlen Metalle« in einem Tiegel zu erhitzen in der Hoffnung, es käme etwas Neues und Besseres heraus.

Alternative »Multikulti«?

Ich entsinne mich noch gut an die erbitterten ideologischen Diskussionen über die Begriffe Nationalkultur, Leitkultur und die Ablehnung der Integration von Ausländern in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie sollten gleichwertige Mitbürger sein, ohne sich integrieren zu müssen.

Wer zum Nutzen der Gesamtgesellschaft auf Integration bestand, sah sich in politischen Diskussionen dem Vorwurf der Indoktrination ausgesetzt. Die deutsche Gesellschaft (das deutsche Volk) wurde vielfach abgelehnt; man zweifelte ja a priori an allem »Deutschen«. Vor allem grüne und links­liberale Kräfte wollten alle anderen davon überzeugen, dass diese Begriffe nationalistisch, rechts und ausländerfeindlich seien. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht oder richtig.

In vielen Köpfen war noch immer der »Tod ein Meister aus Deutschland« und viele misstrauten den Deutschen per se, auch friedliche, tolerante Bürger zu sein. Man hielt die Monstrosität der deutschen Naziverbrechen für absolut singulär, ohne sich generelle Gedanken über die Installationsmuster totalitärer Systeme zu machen, wie sie beispielsweise Victor Klemperer in seinen Tagebüchern minutiös beschreibt und ich sie in der kommunistischen DDR erleben musste.

In einer Welt der offenen Grenzen kann man einem verhassten System wie die Syrer entfliehen – aber wie und wohin hätte ein großer Teil der Deutschen vor der Nazidiktatur fliehen sollen? Klemperer beschreibt in den Tagebüchern »seine« Gestapo-Schergen als »Treter und Spucker«. Tucholsky verweist in seinem »Pyrenäen«-Buch auf ein französisches Heldendenkmal und ruft voller Verachtung aus: »Diese da, das gleicht sich überall!«

Die Leidtragenden dieser gutgemeinten Absichten der deutschen Linksliberalen waren nicht zuletzt die Ausländer selbst, die orientierungslos in eine geschlossene Gesellschaft strömten, die zwar großzügig Hilfe leistete, jedoch nicht den Mut hatte, die eigene Kultur als einen Wert an sich zu vermitteln und deren Adaption als integratives Potenzial einzufordern. Stattdessen bildeten sich Kulturenklaven und Parallelgesellschaften.

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