Brass | Von Kristin Thielemann

Jürgen Ellensohn – Trompeter und Mentalcoach

Ellensohn
Jürgen Ellensohn (Foto: Oliver Kendl)

Warum er sein Instrument spiele, wurde ­Jürgen Ellensohn in einem Kurzinterview mal gefragt. “Schlagzeug durfte ich nicht, für Waldhorn war ich zu klein (es gab kein Kinderhorn) und somit blieb Trompete übrig. Aller guten Dinge sind drei!” Heute weiß man: zum Glück! Jürgen Ellensohn ist ein Hans Dampf in allen Gassen. Ein Porträt. 

Im lockeren Sportoutfit sitzt Jürgen Ellensohn bei unserem virtuellen Treffen vor dem Computer. Ursprünglich wollte der heute 44-jäh­rige Vorarlberger Sportjournalismus studieren. “Musik war ein nettes Hobby für mich”, berichtet er. Doch während seiner Zeit bei der Militärmusik stellte er fest, dass die Musik mehr für ihn bedeutete. “Viele junge Leute aus der Militär­musik zog es zum Musikstudium. Ich war von meiner Leistung her gar nicht so weit vom bei der Aufnahmeprüfung geforderten Spielniveau entfernt, also beschloss ich es zu versuchen”, plaudert er locker drauflos. 

Ellensohn, der Orchestermusiker

Dass sich das Musikstudium gelohnt hat, beweisen seine Engagements, auf die er inzwischen zurückblicken kann. Jürgen Ellensohn hat in vielen der bedeutendsten Orchestern Deutschlands, Österreichs und der Schweiz gespielt, da­runter die Berliner Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, zudem war er 15 Jahre lang Solo-Trompeter beim Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks. Doch diese Zeit mit einer Festanstellung ging im September 2020 zu Ende. Ellensohn hat die Stelle beim HR gekündigt, um sich auf seine Professur an der Hochschule für Musik in Würzburg konzentrieren zu können und zudem verstärkt Kammermusik zu machen.

“Mit einer Familie in Vorarlberg, der Stelle beim HR in Frankfurt und einer Professur in Würzburg war der Plan einfach zu voll”, resümiert er. Zwar war es keine leichte Entscheidung, während der Co­rona-Pandemie eine Kündigung für seinen Vertrag als Solo-Trompeter in Frankfurt zu schreiben, doch der Kalender des Österreichers ist gut gefüllt. Derzeit sind viele der großen deutschen Sinfonieorchester auf der Suche nach neuen ­Solo-Trompetern und so häufen sich bei Ellensohn zahlreiche Anfragen, dort als Aushilfe zu musizieren. 

Ellensohn, der Kammermusiker

“Freie Zeit muss ich mir derzeit wirklich konsequent einplanen, damit auch meine Familie noch genug von mir hat”, gesteht er. “Denn gerade jetzt während der Corona-Krise mit ihren häufigen Schulschließungen möchte ich mich gut um meine Töchter kümmern können. Auch musizieren wir zu Hause oft mit der Familie. Das ist mir extrem wichtig.” Drei Tage pro Woche ist Ellen­sohn in Würzburg zum Unterrichten seiner zwölf Studierenden. Neben seinen beruflichen und ­privaten Verpflichtungen gilt seine ganz große Leidenschaft dem Ensemble “Pro Brass”.

Pro Brass
Pro Brass (Foto: Oliver Kendl)

“Pro Brass” – das sind zwölf Blechbläser plus Klavier und Percussion – 15 Musiker (ja, es sind nur ­Herren!) aus internationalen Top-Orchestern, Hochschulprofessoren, Jazzer und Klassiker, die gemeinsam musizieren. Die Liste der Mitglieder liest sich wie das Who-is-Who der Blechbläserszene. Stilistisch ist das Motto Vielfalt: Von Klassik über Blasmusik bis Jazz ist alles dabei und die durchaus gesellschaftskritischen und hu­morvollen Programme bestechen durch eine per­fekte Mischung zwischen U- und E-Musik. Das Publikum erlebt bei “Pro Brass”-Konzerten durch den Einsatz von zwei Schlagzeugern und Klavier einen einzigartigen Sound. 

Neue “Pro-Brass”-CD “Sein oder nicht sein”

Die kürzlich erschienene “Pro Brass”-CD “Sein oder nicht sein” zeigt von der ersten bis zur letzten Minute Perfektion und Musizierfreude. Es ist eine grandiose Mischung. Doch trotz allem Engagement des neuen Managements aus den Reihen der Musiker selbst gab es coronabedingt noch keine große Tournee zur Präsentation des neuen Tonträgers. Konzerttermine wurden mehrfach verschoben oder gleich ganz abgesagt, da viele Veranstalter mit den geltenden Abstandsregeln ihre Konzertsäle nur zur Hälfte füllen dürfen und somit nicht wirtschaftlich arbeiten können oder sich vor neuen Lockdowns fürchten. “‘Pro Brass’ ist für uns alle ein Hobby, eine Probenphase ist für uns ein großer Spaß – wie eine Art Klassentreffen, nur dass wirklich intensiv geprobt und gearbeitet wird”, beschreibt der Vorarlberger sein Ensemble.

Die Freundschaft der Musiker ist der Grund, warum “Pro Brass” 2023 sein 40-jähriges Jubiläum feiern kann: Das 1983 in Oberösterreich gegründete Ensemble wurde bis 2019 vom Posaunisten Al­fred Lauss-Linhart geleitet. Als dieser abtrat und das letzte Programm mit dem Titel “Nie wieder Pro Brass” spielen ließ, musste der Gründer Lauss-Linhart feststellen, dass seine Musiker rebellierten; “Pro Brass” war ihnen wichtig, eine musikalische Heimat. Daher teilen sich die Organisation und administrativen Aufgaben nun Jürgen Ellensohn und drei weitere Ensemblemitglieder. Ellensohn lacht verschmitzt: “Da war es doch klar, dass unsere erste CD nach Alfred Lauss-Linharts letztem Konzert ‘Nie wieder Pro Brass’ ganz klar ‘Sein oder nicht sein’ heißen musste.”

Ellensohn, der Mentalcoach

Ellensohn
Foto: Oliver Kendl

Doch neben Jürgen Ellensohns Leidenschaft für “Pro Brass” gibt es ein weiteres Thema, das den Solo-Trompeter fasziniert: Mentalcoaching. Nachdem er mit 20 Jahren sein Studium bei Prof. Lothar Hilbrand am Vorarlberger Landeskonservatorium in Feldkirch aufgenommen hatte und drei Jahre später zu Prof. Hans Gansch ans Mozarteum Salzburg gewechselt war, gewann er das Probespiel für die Akademie des Bayerischen Rundfunks. Neben dem Unterricht beim dortigen Solo-Trompeter Gábor Tarkövi (später Berliner Philharmoniker, heute Professor an der Universität der Künste Berlin) durfte Ellensohn regelmäßig bei Konzerten des BR mitspielen und erhielt zudem sein erstes Mentalcoaching. “Es war damals die erste Orchesterakademie Deutschlands, bei der regelmäßiges Mental­coaching dazugehörte.”

In der Dozentin, Diplompsychologin und Mentaltrainerin Ulrike Klees hatte er eine Mentorin gefunden, die es wunderbar verstand, ihn dort abzuholen, wo er stand. Der Umgang mit Lampenfieber, bewusstes Üben und Per­sönlichkeitsentwicklung sind Stichworte, die Ellensohn auch heute noch wichtig sind. Bei der Arbeit mit den Studierenden seiner Klasse an der Hochschule für Musik Würzburg misst er diesen Themen einen hohen Stellenwert bei.

Berufsbegleitendes Studium als Mentalcoach

Das Mentalcoaching faszinierte ihn derart, dass er von 2011 bis 2014 neben seiner Tätigkeit als Solo-Trompeter beim Hessischen Rundfunk ein berufsbegleitendes Studium als Mentalcoach absolvierte. “Viele Studierende kommen zu mir, weil sie die Kombination schätzen, von einem Trompeter Unterricht zu erhalten, der gleichzeitig Mentalcoach ist”, berichtet Ellensohn. Auch an anderen Hochschulen ist er regelmäßig als Dozent auf Mentaltraining-Workshops zu Gast. “Gerade in Zeiten, wo viele Konzerte live ins Internet gestreamt werden, ist es essenziell, in sich zu ruhen und eine gute Einstellung zu seinem eigenen Spiel zu haben”, fasst er zusammen.

Er erzählt, dass er es rückblickend als Glück empfindet, beim Hessischen Rundfunk zunächst in die Aufgabe als Solo-Trompeter hineingewachsen zu sein: In seiner Anfangszeit dort gab es noch viele Live-Konzerte mit Radioübertragungen. Mittlerweile sind zusätzlich Aufführungen im Stream und via Social Media große Aufgabenfelder geworden. Und so kann man beeindruckende Konzertaufnahmen auf YouTube finden, bei denen Jürgen Ellensohn die schwersten Werke, die die Orchesterliteratur für die Trompete bereithält, gnadenlos gut spielt. Nicht ohne Stolz erzählt er von einem Anruf von Prof. Hans Gansch, der sich kürzlich bei ihm meldete, um ihm zu seiner Interpretation der “Alpensinfonie” und der “5. Sinfonie” von Gustav Mahler zu gratulieren. 

Ellensohn, der Professor

Ellensohn berichtet über sein System, mit dem er sein Wissen an die nächste Generation junger Trompeterinnen und Trompeter weitergibt. “In meinem Unterricht ist mir immer das Wichtigste, dass sich mein Gegenüber auch als Mensch weiterentwickelt. Hierzu nutze ich auch mein Wissen über Mentalcoaching.” Manche Studierende sind ihm zu übermotiviert, anderen fehlt der nö­tige Biss. Auch zu große Selbstkritik versucht er bei seinen Studierenden aufzulösen. “Dieses Selbstmobbing ist nicht gesund, wenn man erfolgreich ein Instrument spielen will.” Man spürt im Gespräch den Respekt und die Wertschätzung, die Jürgen Ellensohn jungen Musikern entgegenbringt. Es ist ihm wichtig, jeden dort abzuholen, wo er gerade steht. “Erst wer sich selbst kennt, kann wirklich an seinen instrumentalen und musikalischen Fähigkeiten arbeiten. Mentalcoaching kann dabei helfen und das Denken nachhaltig verändern. Mit Mentalcoaching kann man sein Potenzial nicht erhöhen, aber man kann es voll ausschöpfen.”

Hierzu werden Techniken genutzt, um ein Selbstkonzept zu erreichen, das es einem ermöglicht, leichter zum eigenen Ziel zu kommen. Studierende konfrontiert Ellensohn mit den Fragen nach ihrem persönlichen Fundament: Warum machen sie Musik? Warum ist Musik ihre Berufung? Was begeistert sie? Wa­rum haben sie diesen Weg gewählt? Denn junge Musiker müssen sich auch mit Themen Bezahlung oder Stress im Job befassen: “Nicht jeder wird eine gut bezahlte Anstellung in einem Top-Orchester finden. Trotzdem eine Selbstzufriedenheit zu erlangen, wird für viele ein wichtiger Punkt in ihrem Leben sein”, meint Jürgen Ellensohn.

“Wenn alles andere nicht funktioniert, dann hilft ein gutes Mundstück auch nicht.”

Auch bei der Anspannung, im Konzert nur eine einzige Chance zu haben, um eine Stelle perfekt abzuliefern, hilft ein positives Selbstkonzept. “Bei mir persönlich war die Lust an der schönen Musik und einem guten Konzert immer viel größer als die Angst vor der Bewertung von außen. Natürlich ist bei Konzerten eine gewisse Anspannung da, aber diese ist auch wichtig, wenn es darum geht, eine gute Leistung zu erzielen.”

Erst nach den Punkten mentale und musikalische, instrumentale Entwicklung steht für den Professor das Equipment. “Manchmal habe ich den Eindruck, je schlechter der Musiker, desto besser ist das Equipment”, sagt er. “Wenn alles andere nicht funktioniert, dann hilft ein gutes Mundstück auch nicht.” Die Frage nach seinem Mundstück kann ich mir an dieser Stelle jedoch trotzdem nicht verkneifen und wir müssen beide herzlich lachen. Es ist ein Mundstück des japanischen Mundstück-Designers Momo, der einst bei Yamaha gearbeitet hat. Dieses Modell spielt Jürgen Ellensohn seit über 20 Jahren: “Momo ist ein Tüftler. Das gefällt mir einfach.” 

Auch selbst tüftelt Ellensohn gerne. Nicht nur, wenn er Trompete übt. “Natürlich kommt mir beim Trompetespielen meine Erfahrung aus dem Sport zugute, immer wieder an meine persön­lichen Grenzen zu gehen. Wirklich wertvoll ist aber die Lust zum kreativen Ausprobieren. Nur so kann man richtig gut werden.”

Ellensohn, der Tüftler

Bereits zu Studienzeiten am Landeskonservatorium Vorarlberg in Feldkirch hat er bemerkt, dass gerade Kindern häufig die Lust fehlt, Atemübungen für den Trompetenunterricht zu machen. “Kinder wollen in die Musikschule gehen, um Trompete zu spielen, nicht um atmen zu lernen. Dass das richtige Atmen als ein zentraler Punkt dazugehört, geht vielen Schülerinnen und Schülern erst viel später auf.” Deshalb hat Jürgen Ellen­sohn mit dem “Teach.Air” ein Hilfsmittel entwickelt, das im Unterricht mit Blechblas­instrumenten spielerisch eingesetzt werden kann. An einem blauen Band, welches um den Hals gehängt wird, baumelt ein weißes Röhrchen, das zwischen die Lippen genommen wird.

TeachAir
Der Teach.Air

Die Luft wird ausgeatmet und sobald die maximale Ausatemmenge erreicht ist, wird der “Teach.Air” mit den Lippen losgelassen und ganz natürlich eingeatmet. Anschließend kann gleich losgespielt werden. Ellensohn hat diese Erfindung von seinen Kolleginnen und Kollegen beim HR-Sinfonieorchester testen lassen und musste erstaunt feststellen, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch gestandene Profis nun dauerhaft die Vorzüge des “Teach.Air” für ihr Üben nutzen. “Die Luft fließt leichter, Blockaden werden beseitigt, der Klang wird freier und das eigene Spiel effizienter”, fasst er zusammen. “Dadurch, dass die Luft hörbar gemacht wird, eignet sich der ‘Teach.Air’ auch für Artikulationsübungen.” Zur prominenten Nutzergemeinde gehören die unterschiedlichsten Musiker, Lehrer und Professoren.

Für “Teach.Air” gibt es eine große Nachfrage

Eigentlich war der “Teach.Air” sein “Corona-Projekt”. “Ich habe die Zeit genutzt, um den ‘Teach.Air’ zur Marktreife zu bringen. Zeichnungen, ­erste 3-D-Drucke und schließlich der Anruf bei einer Firma, die sonst Prototypen für international renommierte Unternehmen herstellt. Die haben sich natürlich ziemlich über mein Anliegen gewundert, aber mich super unterstützt”, erzählt Jürgen Ellensohn. Der großen, auch internationalen Nachfrage ist es geschuldet, dass der Versand nun nicht mehr aus dem heimischen Arbeitszimmer der Vorarlberger Gemeinde Klaus läuft, sondern Big Player wie das Musikhaus Thomann oder auch die österreichische Blechblasinstrumenten-Manufaktur Schagerl “Teach.Airs” in die ganze Welt versenden. 

Stundenlang könnte man dem sympathischen Trompeter beim Philosophieren übers Trom­petespielen, Mentalcoaching, Orchesterspiel, Kammermusik oder auch das Erfinden seines “Teach.Air” zuhören. Denn eines ist ganz klar: Jürgen Ellensohn ist ein Mensch, für den die Musik Leben und Leidenschaft zugleich ist. 

Ellensohn

Kurz & Knapp

Jürgen Ellensohn wurde 1977 in Hohen­ems/Österreich geboren. Er studierte bei Prof. Lothar Hilbrand am Vorarlberger Landeskonservatorium in Feldkirch sowie bei Prof. Hans Gansch an der Universität Mozarteum Salzburg. 2002/2003 war er Akademist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Zusätzlich absolvierte er ein Studium zum Dipl. Lebens- und Sozialberater am Mental­college Bregenz und akad. Mentalcoach an der Universität Salzburg. 

Als Solo-Trompeter war er 2003 bis 2005 zunächst im Berner Sinfonieorchester (Schweiz) angestellt, bevor er in gleicher Position 2005 zum hr-Sinfonieorchester/Frankfurt Radio Symphony wechselte. Hier war er bis 2020 tätig. Zahlreiche Konzerte für Funk und Fernsehen, CD-Produktionen sowie Internet-Live­streams dokumentieren sein künstlerisches Schaffen. 

Seine Unterrichtstätigkeit führte ihn als Dozent an die Hochschule der Künste Bern, die Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt am Main, die Hochschule für Musik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und an das Vorarlberger Landeskonservatorium. Seit 2019 ist Jürgen Ellensohn Professor für Trompete an der Hochschule für Musik Würzburg. Er gibt Workshops für Trompete und Mentalcoaching in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Italien.

www.juergenellensohn.com

www.probrass.at