Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Klarinettist Jürgen Kupke über musikalische Freiheit

Jürgen Kupke
Foto: Schirin Moaiyeri

Klassisches Klarinettenstudium in der DDR, dann Theatermusiker in Brandenburg und Berlin, nebenher Improvisator in Dixieland und Free Jazz … Der Grenzgänger Jürgen Kupke ist Berlins gefragtester Universal-Klarinettist. 

Als Kind spielte er Akkordeon, aber die Musikschule vor Ort brauchte dringend Holzbläser. „Okay, dann eben Klarinette, dieses schwarze Blasrohr“, sagte sich der kleine Jürgen. „Und so hat man mich meinem späteren Lehrer vorgestellt – ohne ihn würden wir dieses Gespräch heute gar nicht führen.“ Von Manfred Ebert lernte er, dass die Klarinette lachen und weinen kann und der menschlichen Stimme am nächsten kommt. „Ich bekam große Augen und noch viel größere Ohren – toll, was man mit diesem Instrument alles machen kann, dachte ich. Mein Lehrer war für diese Zeit ein wahrer Freigeist.“

Freiheit und Vielseitigkeit wurden auch Jürgen Kupkes größte Stärken. Neben dem Studium an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin (1977 bis 1981) entdeckte er das Improvisieren und landete in der Tower-Jazzband. „Dixieland also – Musik, die mich als Heranwachsenden so absolut gar nicht interessiert hat (‚die spielen ja alle durcheinander‘). Heute muss ich sagen, es war eine tolle Zeit und für meinen weiteren Weg ganz wichtig.“ Und dann war da noch Hermann Keller, sein Tonsatzlehrer an der Hochschule. Er hatte auch ein Free-Jazz-Quartett und bot einen Improvisationskurs an. „Beim ersten Kurs waren wir noch zehn, beim zweiten fünf, und beim dritten war nur noch ich da – und Hermann natürlich. So begannen wir im Duo zu spielen, viele Jahre lang.“

Das Interview führte Hans-Jürgen Schaal.

Welche Klarinettisten haben dich in deiner Anfangszeit besonders beeindruckt?

Natürlich zuallererst mein Lehrer Manfred Ebert! Er konnte dem Instrument Klänge und Töne entlocken, die mich staunen ließen: Slaptöne, Glissando, Flatterzunge … Ohne ihn hätte ich diesen Weg nie gehen können. 

Wann wurde für dich deine eigene Richtung klar? 

Ich habe das Studium mit Staatsexamen be­endet und mein erstes Engagement als Solokla­rinettist am Brandenburger Theater begonnen. Die Zeit in Brandenburg möchte ich nicht missen, da konnte ich mich quasi „freischwimmen“ – diese wunderbaren Soli in Sinfonien oder Opern und die Kammermusik … Ich habe dann in Brandenburg eine eigene Band gegründet, die Juhle Manger Jazzband. Dixieland wollten wir spielen, aber anders, so meine Vision. Ich fand es immer spannend, traditionelle Jazzstücke mit Elementen der zeitgenössischen Musik, des Free Jazz oder auch der Klassik zu verbinden. 1987 habe ich Brandenburg verlassen und bin wieder nach Berlin gezogen. Nun war ich Klarinettist am kleinen, aber feinen Theater „Das Ei“ im Friedrichstadtpalast. Wunderbar! In dieser Zeit habe ich Hannes Zerbe kennengelernt. Mit ihm spiele ich nun schon seit mehr als 30 Jahre im Duo, in seinem Jazzorchester und in anderen musikalischen Projekten. Mittlerweile war ich also eher Jazzklarinettist. Nach der Wende wurde das kleine Theater geschlossen, und ich habe mich für die Freiberuflichkeit entschieden und es bis heute nie bereut.

Ist die Klarinette besonders geeignet für Neue Musik und Avantgarde-Jazz?

Ja, unbedingt, die Klarinette ist einfach ein unglaublich vielseitiges Instrument, mit großem Klangspektrum. Man höre sich nur an, wie die Klarinette in der Klezmermusik klingt – oder wie sie klingt, wenn arabische Musiker dieses Instrument spielen, und natürlich im Jazz. Hier ist wohl jeder Musiker und jede Musikerin bestrebt, den eigenen Klang zu finden. Selbst in der klassischen Musik gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen, wie der Klang sein soll. 

Verrätst du uns, was für ein Instrument du spielst? 

Ich spiele seit den 1980er Jahren eine Klarinette der Marke Übel – eine DDR-Produktion. Das ist einfach mein Instrument. Mein Mundstück ist aus der gleichen Zeit, von Herrn Karl Friedrich Todt, den habe ich noch persönlich kennengelernt. Dieses Mundstück habe ich von meinem zweiten Lehrer an der Hochschule, Hermann Franke – mit einer 18er Bahn. Die Blätter bekam ich in der Anfangszeit von meinem Lehrer, auch noch während des Studiums. Seit der Wende kaufe ich die Blätter und bearbeite sie gegebenenfals etwas nach. Ich spiele Blätter der Marke Steuer. 

Klarinette
Foto: Schirin Moaiyeri
Wie wichtig ist dir, dass deine Improvisationen swingen?

Hm, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich spiele, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ich weiß auch nicht, ob Jazz immer zwingend swingen muss. Jazz kann so vieles sein.

Hat dich die romantische Tradition der Klarinette beeinflusst (Weber, Brahms usw.)?

Schon mein erster Lehrer hat mir einmal eine Kassette geschenkt, den Mitschnitt eines Konzerts der Münchner Philharmoniker – Konzert für Klarinette und Orchester, Nr. 1 f-Moll von Carl Maria von Weber. Solist war Karl Leister. Beeindruckend! Ich habe die Weberkonzerte später sehr gerne gespielt, ich liebe die größere musikalische Freiheit in der Interpretation. Hermann Franke sagte einmal: „Innerhalb des Taktes kannst du tun, was du willst. Hauptsache, du bist wieder pünktlich auf der nächsten Eins.“ Außerdem liebe ich Balladen und mag es, wenn auch mal die Augen feucht werden. Manchmal ist Musik einfach zum Weinen schön.

Du spielst in den Bands vieler interessanter Jazzmusiker wie Hannes Zerbe, Silke Eberhard, Gebhard Ullmann oder Jörg Schippa. Was waren für dich besondere Highlights?

All die Musikerinnen und Musiker, die du aufgezählt hast, sind für mich Persönlichkeiten mit einer ganz eigenen musikalischen Sprache. Sowohl im Spiel ihrer Instrumente als auch ihre Kompositionen betreffend. Highlights sind für mich eigentlich alle Alben. Ich gehe unheimlich gerne ins Studio, habe gerne die Kopfhörer auf. Vielleicht sind die beiden Duo-CDs mit Hannes Zerbe ein wenig besonders für mich. Mit Hannes spiele ich schon sehr lange zusammen, aber erst nach 30 Jahren haben wir es fertigbekommen, eine Duo-CD aufzunehmen. Ich glaube, so gut wie in den letzten Jahren haben wir nie zusammen harmoniert. Das Schöne ist, dass man uns oft sagt, man wüsste nicht, was improvisiert ist und was notiert. 

Fällt es dir leicht, zwischen den Stilistiken zu wechseln, auch zwischen Vom-Blatt-Spielen und Improvisieren?

Ich liebe es, zwischen den Stilistiken zu wechseln. Sicher hat das auch mit meinem musikalischen Werdegang zu tun. 

Beschäftigst du dich mit ethnischen Klarinetten-Traditionen (alpenländisch, Balkan usw.)? 

Ich finde es spannend, auch einmal in andere musikalische Welten einzutauchen. Natürlich habe ich zum Beispiel die Musik des Balkans nicht so im Blut wie die Musiker, die damit geboren werden. Auch Klezmer werde ich sicher nie authentisch spielen können, auf meine Art aber schon. Was mir ganz wichtig dabei ist: dass ich dabei ich bleiben kann. 

Du hast ein Ensemble mit deinen Klarinetten-Schülern und -Schülerinnen, das Kreuzberger Klarinettenkollektiv. Wie kam das zustande?

2009 weilten Schülerinnen und Schüler des israelischen Musikkonservatoriums Kirjat Jam in Berlin. Es sollte ein gemeinsames Konzert mit unserer Musikschule geben. Das war die Geburtsstunde des Kreuzberger Klarinettenkollektivs! Wir waren sechs B-Klarinetten, eine Bassklarinette und eine Darbukaspielerin. Wir haben eine zehnminütige Performance entwickelt, dafür habe ich dann extra Stücke komponiert. Das haben wir wohl so gut gemacht, dass uns die Israelis zu einem Gegenbesuch 2010 nach Israel einluden. Ich musste neue Stücke komponieren, arrangieren und ein entsprechendes Konzept entwickeln. So ging es dann los. Mein Ensemble hat mich mehr als glücklich gemacht, so dass ich gerne etwas zurückgeben wollte. Daher habe ich dann die Band ins Studio eingeladen, und wir haben unsere erste CD aufgenommen. Mittlerweile sind mehr als die Hälfte des Ensembles professionelle MusikerInnen. Im Dezember werden wir im Studio unsere dritte CD aufnehmen, die dann hoffentlich rechtzeitig zu unserem 15. Geburtstag erscheinen kann. Dieses Ensemble ist mein Baby; es liegt mir unglaublich am Herzen. 

Hast du einen Tipp fürs tägliche Klarinetten-Training?

Ich muss immer wieder feststellen, dass die Basics wie der richtige Ansatz, das Tönehalten und Stakkato-Übungen elementar sind. Alle meine SchülerInnen hören von mir stets: „Achtet auf die richtige Atmung und Luftführung und macht euch bewusst, wie wichtig das ist. Hört euch beim Spielen zu, nehmt euch wahr. Ich möchte euch eure Töne glauben.“ Zudem ermuntere ich sie, doch selbst einmal ein Stück zu komponieren. Traut euch! Improvisiert mit eurer Klarinette! Augen zu und Musik machen! Wer improvisieren kann, kann auch interpretieren! – Und: Methodisch richtig üben! Manche üben fünf Stunden, und es kommt gar nichts dabei raus, andere üben eine Stunde, und es kommt das ­X-fache heraus – einfach, weil sie richtig üben. Alles, was schnell gehen soll, muss zuerst langsam gehen. Und man sollte gucken, dass man sich positive Momente verschafft, und vor Augen haben, dass manche Dinge einfach Zeit brauchen und viel Übung. Üben ist keine pure Freude und macht nicht nur Spaß. Aber nach einem Übungsprozess festzustellen und zu erfahren: Ich kann jetzt etwas, was ich vor einer Woche noch nicht konnte – super!