Brass | Von Renold Quade

Kris Garfitt gewinnt den ARD Musikwettbewerb

Kris Garfitt
Foto: Daniel Delang

Der Internationale Musikwettbewerb der ARD in München ist für Künstlerinnen und Künstler schon immer ein wichtiges Sprungbrett in ihrer Karriere gewesen. Namen wie Thomas Quasthoff bei den Sängern, bei den Streichern Christian Tetzlaff, aus der Bläserwelt Sharon Kam, Francoise Leleux, Reinhold Friedrich oder Maurice André – um nur einige wenige zu nennen, sind beredte Zeugen davon. In diesem Jahr gewann Kris Garfitt bei den Posaunen.

Von Ende August bis Mitte September war er 2022 wieder in voller Länge und ohne Einschränkung möglich und einmal mehr ein hellstrahlender Stern am Kulturhimmel.  Musikerinnen und Musiker aus über 40 Ländern, und 28 Juroren sorgten für Begeisterung in Fachwelt und Publikum. Ausgeschrieben war die offiziell nun 71. Auflage des Wettbewerbs für Flöte, Posaune, Klavier und Streichquartett. Oswald Beaujeaun und Meret Fortser, die beiden künstlerischen Leiter, zeigten sich überglücklich, einen solchen Riesenwettbewerb in Gänze in Präsenz durchgeführt haben zu können. Mit großer Freude bekundeten sie und alle Anwesenden, das ausgesprochen hohe Niveau der vielen jungen Musiker und Musikerinnen miterlebt haben zu dürfen. 

Der Wettbewerb für Posaune

Die meisten Starter, die stattliche Anzahl von 51 Teilnehmern, verbuchte diesjährig die Posaune. Und am Ende war sich die Jury einig, hier auch alle drei Preise zu vergeben, was in der Vergangenheit nicht immer so eindeutig praktiziert wurde. Der Brite Kris Garfitt überzeugte alle, Jury und Publikum. Er gewann den ersten Preis, den Publikumspreis, den Preis für die beste Inter­pretation des Auftragswerks und den Brüder-Busch-Preis. Jonathon Ramsay aus Australien wurde Zweiter, Roberto de la Guía Martinez aus Spanien Dritter. Somit reihen sich diese drei ein in die Riege berühmter Posaunisten wie Branimir Slokar, Michel Becquet, Jonas Krister Bylund, Fabrice Millischer und Michael Buchanan.

In der ersten Runde waren 20 Minuten Musik gefragt. Verpflichtend war der erste oder dritte Satz des Posaunenkonzerts von Friedebald Gräfe. Ein virtuoses Werk aus dem 19. Jahrhundert, romantisch, geradlinig, technisch anspruchsvoll und mit großen Intervallsprüngen. Hier zeigte sich schnell, wer sein Instrument in den fordernden Passagen wohlklingend unter Kontrolle hatte. Desweiten waren die “Ballade op. 62” von Eugène Bozza, “Choral, Cadence et Fugato” von Henri Dutilleux, die Sonate für Posaune und Klavier von Paul Hindemith, die Sonatine für Posaune und Klavier von Kazimierz Serocki und die Sonate für Posaune und Klavier von Stjepan Šulek in der Auswahl. Es standen als Schwerpunkt Werke aus dem 20. Jahrhundert auf der Liste, die mit vergleichsweise modernen Akzenten vielschichtige Interpretationen entlocken konnten.

Moderne Posaunenliteratur

Die Moderne war auch Trumpf in der zweiten Runde. Zu wählen war jeweils ein Stück aus zwei Pools. Da waren Jacques Castérèdes Sonatine für Posaune und Klavier, Bernhard Krols “Capriccio da camera, op. 35”, Frank Martins Ballade für Posaune und Klavier, Darius Milhauds “Concertino d’hiver, op. 327”, Jiří Pauers Trombonetta für Posaune und Klavier und Zygmunt Stojowskis Fantasie für Posaune und Klavier auf der eine Seite. Auf der anderen Seite standen Luciano Berios “Sequenza V” für Posaune solo, Mauricio Kagels “Atem für einen Bläser”, Martin Lichtfuss’ “Monolog” für Posaune, Vincent Persichettis “Parable XVIII für Posaune solo, op. 133” und Iannis Xenakis’ “Keren” für Posaune solo. Die Aufzählung dieser Werke macht einmal mehr deutlich, wie auf ihre eigene Art und Weise die solistische Posaune gerade im 20. Jahrhundert, nachdem Klassik und Romantik das Instrument eher sparsam bedient hatten, die Komponisten und Solisten gereizt und gefordert hat. 

Semifinale und Finale

Bemerkte man gerade eine gewisse Sparsamkeit in der Werksauswahl der älteren Musikgeschichte, so setzte das Semifinale in stilistischer Hinsicht unter anderem einen klaren klassischen Akzent. Begleitet vom Münchener Kammerorchester, ohne Dirigent, angeführt von Konzertmeister Daniel Giglberger, konnten die noch verbliebenen sieben Teilnehmer sich wahlweise dem Konzert für Posaune und Streichorchester B-Dur von Johann Georg Albrechtsberger, dem Konzert für Posaune und Orchester von Michael Haydn oder Leopold Mozarts Konzert für Posaune und Orchester D-Dur widmen.

Und natürlich der Auftragskomposition des ARD-Wettbewerbs, den “Concert Etudes 6 & 7 for Trombone solo” von Mike Svoboda – eine Hommage an die Klassik und an den Jazz, wie der Komponist selber bemerkte. Die Noten zu diesem Werk wurden den Teilnehmern erst unmittelbar nach ihrer Wettbewerbszulassung mit der Auflage zugesandt, sie vor dem Wettbewerb nicht öffentlich aufführen zu dürfen. Neben den drei Finalisten durften sich, bei Anwesenheit des Komponisten, auch Gonçalo Nova aus Portugal, Polina Tarasenko aus der Ukraine, Tim Ouwejan aus den Niederlanden und Thomas Mercat aus Frankreich dieser Aufgabe stellen. Im Finale, begleitet vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, geleitet von Joshua Weilerstein, hatten die drei Finalisten die Auswahl aus Henri Tomasis, Nino Rotas oder Michael Nymans Konzert für Posaune und Orchester. 

So eindeutig wie nach diesem Finale war eine Entscheidung bei diesem Wettbewerb wohl selten. Jury-Mitglied David Bruchez-Lalli ließ wissen, dass die drei Finalisten von Anfang an herausgestochen hätten. Sie hätten mehr als das Grundgerüst, was nötig ist, um auf hohem Niveau spielen zu können. Sie beherrschten Risikofreude, ohne sich zu verlieren. Alle drei wählten das Posaunenkonzert von Henri Tomasi. Das Publikum jubilierte regelrecht, nachdem Kris Garfitt seinen Vortrag beendet hatte. 

Der Geist des Wettbewerbs

Es war ein Marathon für alle Teilnehmer. Alle hatten sie sich auf alles vorbereitet. Sie haben sich ihren persönlichen Wettbewerbsplan gemacht, denn es gibt ja nicht nur die reinen Pflichtwerke. Sie haben aus den freien Pools ihre favorisierten Werke herausgesucht und konnten somit ihre persönlichen künstlerischen Neigungen stark mit einfließen lassen. Und sie alle wuchsen an dieser Aufgabe. Für alle einerseits ein musikalisches Kräftemessen, aber andererseits sicherlich auch ein menschlich einmaliges Lebensereignis.

Wo trifft man so viele hochkarätige Kollegeninnen und Kollegen an einem Ort, alle gleich verrückt und alle hoch motiviert? Sicher, ein Wettbewerb ist ein Wettbewerb – und da kann das Ausscheiden in der ersten Runde weh tun. Aber wer es bis hierhin geschafft hat, der weiß was er tut und der weiß worauf er sich eingelassen hat. Der hat Respekt vor der Leistung und vor der manchmal eben besseren Tagesform der Anderen. Die meisten blieben trotzdem bis zum Schluss, fieberten mit den Mitstreitern mit und konnten die wunderbaren Momente der Inspiration auch bald wieder genießen. 

Zur Person: Kris Garfitt

Garfitt
Kris Garfitt (Foto: WDR/Annika Fußwinkel)

Der Engländer Kris Garfitt (aufgewachsen in Sheffield) studierte Posaune bei Eric Crees, Peter Gane und Christopher Houlding und schloss 2015 seine ersten Hochschulstudien an der Guildhall School of Music and Drama in London mit Auszeichnung ab. Weitere Studien führten ihn zu Fabrice Millischer an die Hochschule für Musik in Freiburg und zu Guilhem Kusnierek an die Hochschule für Musik Saar in Saarbrücken.

Schon in jungen Jahren schnupperte er als Mitglied im European Union Youth Orchestra und im Gustav Mahler Jugendorchester die Luft vieler internationaler Konzertbühnen, wie dem Concertgebouw in Amsterdam, der Royal Albert Hall in London, dem Festspielhaus Salzburg, der Elbphilharmonie, der Semperoper in Dresden, der Berliner Philharmonie. Von 2016 bis 2020 war er als Wechselposaunist bei der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken engagiert, seit 2021 ist er Solo Posaunist beim WDR-Sinfonieorchester in Köln. Solistisch zu spielen ist seine große Leidenschaft. Im Duo mit der koreanischen Pianistin Seri Dan ist er international unterwegs und in 2022 haben sie ihre erste CD herausgebracht. 

Fünf Fragen an Kris Garfitt

Bist du gut in Köln angekommen?

Die Stelle beim WDR ist super. Das Orchester spielt toll und alle Kollegen sind total nett. Natürlich verstehe ich mich vor allem gut mit unserer Posaunen- und Blechbläsergruppe. Und ja, Köln ist eine interessante Stadt und die Menschen und die Atmosphäre sind schon sehr besonders. Ich habe lange sehr glücklich in Saarbrücken gelebt. Dort geht es sicher anders zu. Dort hattest du vielleicht eher das Gefühl in einem großen Dorf zu leben. Das quirlige Köln mit seinen vielen Facetten, lokalen und internationalen, ist für mich wirklich etwas Neues. Und es hat auch ein bisschen Zeit gebraucht, mich umzugewöhnen. Aber mittlerweile fühle ich mich hier sehr wohl.

Warum nimmt man überhaupt am ARD-Wettbewerb teil?

Das ist für die Posaune – und auch für viele andere Instrumente – sicher einer der größten und bedeutendsten Wettbewerbe. Ich hatte das schon immer im Blick. Und fest vor Augen spätestens, als ich in Freiburg angekommen war. Es ist eine der leider derzeit eher noch wenigen Möglichkeiten, als Posaunist vor breitem Publikum als Solist in Erscheinung zu treten. Das Solospiel macht mir schon immer am meisten Spaß. Irgendwie war es dann klar für mich, dass ich beim größten Solo-Wettbewerb natürlich auch einmal mitmachen wollte.

Wie war die Vorbereitung? 

Die Vorbereitung war bei mir sehr lang. Genau genommen hat es vor 5 Jahren schon sehr konkret angefangen. Da hatte ich registriert, dass der Wettbewerb für mich noch einmal möglich ist, bevor ich über die Altersgrenze kommen würde. Ich habe dann sehr konsequent unser Duo mit der Pianistin Seri Dan angefangen. Wir begannen gemeinsam nicht nur viel zu spielen, wir haben auch jeden möglichen Wettbewerb besucht. Dadurch haben wir fast alle möglichen Repertoirewerke schon mit “Wettbewerbsstress” gespielt.

Und als dann die Stücke für 2022 ausgeschrieben waren, wusste ich, dass ich fast alle schon einmal auswendig und unter großem Qualitätsdruck gespielt hatte. In den letzten Monaten vor dem ARD-Wettbewerb hatte ich sogar das Gefühl, dass alles schon sehr gut vorbereitet ist und ich wusste fast nicht mehr, was ich noch machen sollte. (lacht) Da habe ich angefangen, sehr, sehr viel Sport zu machen. Jeden Tag joggen, oder Fahrrad fahren, oder schwimmen. Und das hat sehr gutgetan!

Wie ist es vor Ort? Kann man sich etwas vornehmen? 

Oh ja, vor Ort ist es sehr spannend. Wie gesagt, ich hatte schon einige Wettbewerbe mitgemacht. Da waren die Vorspielrunden in der Regel direkt nacheinander. Montag-Dienstag-Mittwoch und dann war der Wettbewerb schon zu Ende. Beim ARD-Wettbewerb hatte man nun immer einen Tag zwischen den Runden, und vor dem Finale sogar zwei Tage. Als ich das gelesen hatte dachte ich mir, dass es sehr angenehm und locker sein würde. So hat man eigentlich weniger Stress.

Aber ich habe festgestellt: Leider hat man dann auch viel Zeit zum Überlegen. Wie hält man sich wach und fit? Man darf nicht zu viel und nicht zu wenig machen, um Kraft und Konzentration auf hohem Niveau zu halten. Aber wenn man dann auch zu viel “nichts” macht, dann ist es langweilig und man überlegt wieder viel zu viel. Da habe ich schon gerungen, eine gute Balance zu finden. Meinen Eltern waren übrigens auch mitgekommen. Und das war gut. Da hatte ich ein bisschen Ablenkung von der Übermacht der Wettbewerbsgedanken. 

Was machst du jetzt mit “deinem Gewinn”? 

Mal schauen was jetzt kommen wird. Ja, ich hoffe auf viele, viele Solo-Auftritte. Ich möchte einem großen Publikum die Musik der Posaune näherbringen. Die Posaune ist ein tolles Solo-Instrument und ich hoffe, dass Konzertveranstalter sie mehr und mehr entdecken und anbieten. Wir haben viel zu zeigen und es muss ja nicht immer nur Geige und Klavier sein. 

Ganz ehrlich, ich bin schon sehr zufrieden wie alles gerade ist. Im Orchester zu spielen macht großen Spaß. Aber ich möchte von ganzem Herzen Solo-Auftritte haben und zukünftig die auch gerne mehr mit großem Orchester. Ja, das ist sicher ein großes Ziel für mich. Mal schauen was kommt. Wo ich in fünf Jahren bin, weiß ich nicht. Aber das ist doch spannend so! Ich bin sehr glücklich und freue mich darauf.