So alt wie die Musik ist, so alt ist ihre Zusammengehörigkeit mit Bewegung. Die unauflösliche Symbiose von Musik und Körperlichkeit liegt in der Musik selbst begründet. Der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick beschreibt in seiner Ästhetik Musik als »tönend bewegte Formen«. Die schwingende Biegsamkeit musikalischer Linien wirkt unmittelbar auf die Bewegungslust des Menschen und sein Bedürfnis, sich in den runden Formen einer Melodie tanzend zu bewegen.
Die Professorin für Rhythmik an der UdK in Berlin, Dorothea Weise, schreibt in ihrem Bildungskonzept für dieses Hochschulfach über die Faszination rhythmischer Impulse: »Die Beziehung von Schall und Bewegung ist archaisch, ebenso wie die aus dem Ritual geborene Verbindung zwischen Musik und Tanz. Ob Wippen, Schwingen, Rennen oder nur das zarte Öffnen einer Hand, die oft lustvolle spontane Bewegungsreaktion beim Hören von Musik ist altersunabhängig. Die Unmittelbarkeit, mit der Bewegung auf Musik folgt – sofern es die Situation erlaubt – ist frappierend…«
Ei oder Henne – Musik oder Bewegung?
Über die Frage, was in der menschlichen musikalischen Entwicklung von Melodie und Rhythmus die prägendere und ältere Ursprünglichkeit besitzt, herrscht unter Forschern keine klare Einigkeit. In Urgemeinschaften nutzte man rhythmische Impulse zur Steuerung kollektiver Arbeitsgänge, die ein Einzelner nicht hätte bewältigen können.
Noch heute dient das Kommando »hau ruck« zur synchronen Steuerung gleichzeitiger Bewegungsabläufe bei manuellen Lastentransporten. Man kann sich allerdings auch vorstellen, dass rhythmische Gesänge die kollektiven Kraftleistungen verstärkt und die Ausdauer der Arbeitenden erhöht haben.
Rhythmische Gesänge und stampfende Motorik dienten jedoch auch der Steigerung kultischer Handlungen bis zu Trance und Ekstase mit nachfolgender wohltuender Erschöpfung. Schon früh wurden dabei Rauschmittel zur Unterstützung kollektiver Religiosität eingesetzt. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass die Entwicklung der Menschheit auch durch die Verbindung von Musik und Bewegung vorangetrieben wurde.
Rückgriff auf archaische Riten
Selbst in unserer weitgehend areligiösen Gesellschaft spielen fetischistische Rituale bei der Darbietung von Musik speziell im Popbereich eine stimulierende Rolle. Man denke an die ekstatischen Zuckungen der Bands auf der Bühne, deren Stampfen, Springen und Wippen mit unnatürlichen, teilweise obszönen Körperbewegungen oft keinerlei Bezug zur gespielten Musik besitzen, jedoch dazu dienen, das meist jugendliche Publikum in ein rauschhaftes Mitzucken zu treiben, unterstützt von kreischendem Schreien und verzückter Selbstaufgabe.
Michael Jackson beherrschte die körperliche Suggestion in seinen Shows in absoluter Perfektion; er war in seinen genau einstudierten Bewegungen auch ein Meister der steigernden Andeutungen. Hier greifen die Rocker auf archaische Muster zurück, die in einer raffinierten Regie die ganze Palette manipulierender Bewegungsweisen nutzen.
Oft steht die Einfachheit der Musik in Text, Rhythmik, Harmonik und Melodik in keinerlei Beziehung zur erzielten Wirkung bei einem Massenpublikum. Die moderne Popmusik greift auf Urformen psychologischer Beeinflussung zurück, die auch heute noch ihre Wirkung nicht verfehlen. Diese Musiker befriedigen eine Ursehnsucht nach Transzendenz, die von den Hörern in spontaner Aktion und der Vergötterung der musizierenden Idole ausgelebt wird.