Orchestra, spielBAR | Von Katja Brunk

Musikalische Unsterblichkeit – Symphony Nr. 1 »Gilgamesh« von Bert Appermont

Die erste Sinfonie ist für viele Komponisten ein Meilenstein innerhalb ihres Schaffens. So auch für Bert Appermont, der schon länger das Bestreben hatte, ein programmatisches Werk mit hohem Schwierigkeitsgrad zu komponieren. Das gelang ihm schließlich im Jahr 2003 mit seinem Höchststufenwerk »Symphony Nr. 1 ›Gilgamesh‹«.Das Programm der Sinfonie beruht auf dem Gilgamesch-Epos, der aus dem 4. Jahrtausend vor Christus stammt. Entdeckt wurde er erst Mitte des 19. Jahrhunderts, eingeritzt auf über 25 000 Tontafeln. Das Heldengedicht erzählt vom Halbgott Gilgamesch, dem König der sumerischen Stadt Uruk, der ein Drittel Mensch und zwei Drittel Gott war. Um seine Wildheit zu bändigen, erschufen die Götter Enkidu. Nach wilden Kämpfen stellen beide fest, dass sie gleich stark sind und beschließen, gemeinsam Heldentaten zu vollbringen und ihre Kräfte für das Gute einzusetzen.Appermont folgt in seiner Komposition zwar der Handlung der Geschichte, legt aber einen besonderen Schwerpunkt darauf, die wichtigsten Themen des Epos umzusetzen: Streit, Freundschaft, Glück und Tod. Die Sinfonie ist dementsprechend in vier Sätzen angelegt. Als besondere Klangfarbe verwendet Appermont die oktatonische Tonleiter. Sie besteht aus acht Tönen und wird abwechselnd aus Halb- und Ganztonschritten gebildet. Daraus schöpft er ein Motiv, das das gesamte Stück als Leitmotiv durchzieht.I. Gilgamesh & EnkiduIm ersten Satz werden die beiden Hauptfiguren vorgestellt. Der Satz teilt sich in die Abschnitte »Gilgamesch, der Grausame« und »Enkidu, der Noble«. In Takt 8 erklingt bereits zum ersten Mal das Leitmotiv als Schicksalsmotiv im Baritonsaxofon. Gilgamesch wird mit einem Thema charakterisiert, das vor allem aus großen Septimen besteht, die die tyrannische Seite der Figur verkörpern. Enkidus Thema dagegen besteht vor allem aus reinen Quarten und Quinten und hat einen spritzigen Charakter im 12⁄8-Takt.II. ConfrontationIm zweiten Satz kommt es zum erbitterten Kampf der zwei Titanen. Dissonante und hämmernde Begleitstimmen beherrschen den ersten Teil des Satzes. Der Kampf der Halbgötter wird durch unterschiedliche Gestaltung der Themen dargestellt. Im zweiten Teil versöhnen sich die beiden und sphärische Klänge – verstärkt durch leise Triolenachtel in der Harfe – stehen für die sich entwickelnde Freundschaft der ehemaligen Feinde. Das Freundschaftsthema erklingt in Takt 127 das erste Mal im Englischhorn. Sein Klang verleiht der langsamen Melodie einen sehr melancholischen Charakter.III. Adventures in the ForestDie beiden Gefährten Gilgamesch und Enkidu begeben sich auf die Suche nach Humbaba, dem schreckenerregenden Wächter des Zedernwaldes, den sie besiegen wollen. Hier werden die virtuosen Möglichkeiten des Orchesters bis aufs Äußerste gefordert. Häufige Taktwechsel, rhythmische Schwierigkeiten und lebhafte Tempi erzählen von den spektakulären Gefechten mit verschiedenen Wesen, aber auch von der Freude über den Sieg. Viele unterschiedliche Themen erklingen hier. So wird beispielsweise das erste Siegesthema (Takt 86) mit akzentuierten Vierteln und kurzen Achteln majestätisch von Posaunen und Hörnern gespielt. Das zweite Siegesthema (Takt 99) bildet eine Art unendliche Melodie, die durch verschiedene Instrumente wandert. Sie stellt Gilgameschs Wunsch nach Unsterblichkeit dar.IV. Finale: Journey to Utnapishim Das tragische Finale steht in großem Kontrast zum vorhergehenden, größtenteils heiteren Satz. Im ersten Teil »Enkidus Tod« setzt Appermont Enkidus weissagenden Traum musikalisch um: Enkidu stirbt in den Armen seines Freundes als Strafe für die Tötung des Zedernwaldwächters. Helle, wirre Klänge durch tiefe Triller in den Flöten und Sekundreibungen in den Trompeten schaffen die Traumatmosphäre. Im zweiten Teil »Die Suche nach Unsterblichkeit« setzt Appermont den Wunsch nach dem ewigen Leben um. Quälend langsame Sekundschritte ergeben auch hier eine unendliche Melodie, deren Langsamkeit die vielen vorhandenen Taktwechsel verschleiert. Am Ende muss Gilgamesch jedoch erkennen, dass niemand auf Erden Unsterblichkeit erlangen kann. Nach einem letzten Erklingen des Schicksalsmotivs in den Fagotten beschließen düstere, dissonante Klänge in den tiefen Bläsern die Sinfonie.Mit dem Schwierigkeitsgrad 6 ist diese Komposition sicherlich kein Werk für jedermann. Doch die musikalische Vielseitigkeit der Komposition, der Umgang mit einzelnen Themen und die so gelungene Umsetzung des literarischen Programms in Musik stellt einen großen Anreiz für Orchester dar, die das musikalische und technische Potenzial haben, sich mit diesem Werk auseinanderzusetzen.

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