Peter Sommerer ist sein dem 1. Januar neuer Dirigent der Sächsischen Bläserphilharmonie. Wir trafen den 45-Jährigen via Zoom. Eigentlich hat der Österreicher dieses „Kastl“, vor dem man da derzeit ständig sitzt, „absolut über“. Streaming-Konzerte reichen auch ihm nicht mehr. „Und die Nachfrage ist riesengroß. Kunst wird erst im Dialog mit dem Publikum zu Kultur.“ Er hofft, dass es spätestens im Juni endlich weitergeht.
Herr Sommerer, seit Anfang des Jahres sind Sie nun Chefdirigent der Sächsischen Bläserphilharmonie. Wie ist denn dieser Kontakt überhaupt zustandegekommen?
Wie es oft ist im Leben, sind die ungeplanten Dinge die ganz spannenden. Stefan Diederich, der Leiter der musikalischen Komödie Leipzig, ist dem Orchester schon seit vielen Jahren verbunden. Er hat mich damals angerufen und gefragt, ob ich nicht Zeit und Lust habe, die Neujahrskonzerte zu übernehmen, weil hier jemand krankheitsbedingt ausgefallen ist. Da musste ich nicht lange überlegen, ich war sehr neugierig darauf. Und was soll ich sagen? Es war geradezu Liebe auf den ersten Blick. Wenn man als Gastdirigent irgendwo hinkommt, sind die ersten drei Minuten entscheidend – auf beiden Seiten. Die Zusammenarbeit war sehr konzentriert, aber dennoch entspannt, völlig unaufgeregt und sehr angenehm. In der Folge haben wir dann für den Oktober ein – wegen Corona – verkleinertes Anrechtskonzert gespielt. Und danach haben wir uns dann entschieden, länger zusammenzuarbeiten.
Wie merkt man als Dirigent, dass man gut ankommt?
Ein sicheres Indiz ist immer der Grad der Konzentration in der Probenarbeit. Gibt es viel nebenher zu besprechen oder ist man wirklich auf die Arbeit konzentriert? Hier in Bad Lausick musste ich gar nicht darauf insistieren, sondern es war alles ganz natürlich. Spannend ist auch, wenn man zu einem Orchester kommt, das manche Stücke sehr oft gespielt hat. Oft agieren Musiker dann nach dem Motto: „Wir spielen das aber so!“ Und das ist hier eben ganz anders. Das spielt nämlich gar keine Rolle! Es ist eine Bereitschaft da, sich gegenseitig aufeinander einzulassen. Und Dirigieren ist ja auch keine Einbahnstraße. Es geht darum, alle musikalischen Vorstellungen der Musiker im Orchester einzufangen und zu bündeln. Das war hier von Anfang an möglich und vielleicht für beide Seiten auch ein bisschen überraschend. Ich möchte hier gerne das Wort »Vertrauen« benutzen. Man hat der jeweils anderen Seite zugetraut, verantwortungsvoll mit der Sache umzugehen.
„Kunst wird erst im Dialog mit dem Publikum zu Kultur.“
Peter Sommerer
Sie kommen aus dem Sinfonieorchester bzw. der Oper. Ohne Ihnen damit zu nahe treten zu wollen: Ein Blasorchesterexperte waren Sie bislang nicht. Wie schafft man es, sich relativ schnell darauf einzustellen? Oder ist das am Ende gar nicht so kompliziert?
Nein, das ist nicht kompliziert, denn ich dirigiere ja in erster Linie kein Blasorchester, sondern ich dirigiere Musik. Und dann ist es egal, ob man nun ein Sinfonieorchester, einen Chor oder eben ein sinfonisches Blasorchester vor sich hat. Wir sprechen über Klang, wir sprechen über Intonation, wir sprechen über Phrasierungen. Was das technische Wissen der einzelnen Instrumente im Detail angeht – das wissen die Musiker ja schon selbst. Wo ich mich umstellen muss, weil ich mich darauf einlassen muss, ist das Partiturlesen…
Hatten Sie bis dato denn schon Berührung mit einem Blasorchester? Oder war die Zusammenarbeit mit der Sächsischen Bläserphilharmonie tatsächlich das erste Mal?
Ja, das war das erste Mal. Aber die Musiker haben mir kein einziges Mal das Gefühl gegeben, ich sei ja kein Blasmusikdirigent. Ganz im Gegenteil. Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben. Ich tausche mich mit dem Programmrat aus und ich freue mich wirklich sehr auf die Zusammenarbeit.
Das Repertoire hat seine Unterschiede. Es gibt Originalwerke für Blasorchester und Arrangements von sinfonischen Werken. Können Sie trotzdem Ihre Klangvorstellung umsetzen?
Ich persönlich habe mich schnell in den neuen Klangkosmos eingehört. Es ist ja auch nicht so, dass ich mich vorher nicht mit dem Holz- oder dem Blechklang beschäftigt hätte. Natürlich ist das hier intensiver. Es ist vieles neu. Aber das verhindert auch, dass man in eine gewisse Bequemlichkeit verfällt. Nach dem Motto: „Das habe ich schon X mal gemacht…“ Man ist sozusagen „gezwungen“, sich Dinge noch einmal zu erarbeiten, auch wenn man sie gut zu kennen meint. Für mich ist das eine große Bereicherung.
Wie sieht es mit Originalliteratur aus?
Spontan fällt mir die Harmoniemusik von Mendelssohn ein, die wir auf dem Plan haben. Und ich bin mir sicher, dass wir bei unserem Jubiläum „70+1“ – denn das offizielle 70-Jährige konnten wir wegen Corona ja noch nicht feiern – auch Originalliteratur spielen. Ich durchforste gerade unser Archiv, das 7600 Werke umfasst. Das ist dann der positive Effekt der Pandemie. Man hat mal Zeit, über Programme nachzudenken, dich nicht nur eine Aneinanderreihung von Stücken sind, sondern wirkliche Programme.
Was sind denn Ihre Ziele für die nächsten Wochen, Monate oder gar Jahre?
Wir haben hier ein sehr frisches Team mit Falk Hartig als neuem Geschäftsführer und Barbara Venetikidou als Orchestermanagerin. Das macht sehr viel Spaß, zusammenzuarbeiten. Das Schöne ist, wir „spinnen“ erst einmal herum. Und dann versuchen wir, das finanziell und logistisch zu stemmen. Die Auftragsbücher sind relativ voll für die nächsten zwei bis drei Jahre. Neue Formate müssen wir also gezielt setzen, um das Rad nicht vollkommen neu zu erfinden. Inhaltlich spielen wir zunächst hier für unseren Kulturraum. Da sind wir fest verwurzelt und hineingewachsen. Aber wir werden als sächsische Botschafter auch deutschlandweit und international reisen. Da sind die ersten Kontakte schon geknüpft.
Sie sind parallel Dozent für Dirigieren und Ensembleleitung in Lübeck. Wie lässt sich das vereinbaren?
Das lässt sich gut kombinieren, denn ich bin in Bad Lausick und Lübeck recht flexibel, was die Zeiteinteilung angeht. Da wird es Blockveranstaltungen geben. Allerdings ist auch das noch recht neu und durch Corona war bislang ohnehin alles improvisiert. Aber ich mache das sehr gerne – auch weil man über sich selbst eine Menge lernt.
Was lernt man denn da?
Wenn ich unterrichte, reflektiere ich ja durchaus auch die Methodenwechsel, die ich dann wiederum in meinen Proben umsetze. Ich nähere mich sozusagen noch einmal von der anderen Seite an die Thematik an. Dirigieren ist Kommunikation, Beziehung und hat in erster Linie mit Menschen zu tun und nicht mit Maschinen. Und diesen Umgang im Unterricht zu vermitteln, finde ich persönlich sehr spannend.
War es denn schon immer Ihr Berufswunsch, Dirigent zu werden?
Ich habe mit 13 zum ersten Mal den Schulchor beim österreichischen Jugendsingen dirigiert. Und das war das Initialerlebnis. Von da an wollte ich Dirigent sein.
Was ist denn für Sie so faszinierend am Dirigieren?
Ich werde tatsächlich oft gefragt, ob das nicht toll sei, wenn man als Dirigent die Macht hat. Man kommt herein und das Orchester steht auf. Das passiert ja sonst nur bei der Königin! (lacht) Macht ist in erster Linie Verantwortung. Verantwortung für die Menschen, die einem da anvertraut sind.
Was mir persönlich am meisten Spaß macht und wonach man gewissermaßen süchtig wird, ist dieser Moment, in dem etwas entsteht. Es ist ein tolles Gefühl, wenn ich im Konzert merke, dass im Orchester alle konzentriert sind und auch das Publikum dabei ist. Dann würde man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. Man merkt das einfach, wenn die Leute dabei sind. Und deshalb mache ich das.
Früher, sagt man, agierten Dirigenten oft wie Diktatoren vor dem Orchester. Wie sehen Sie das?
Die Regentschaft der absolutistischen Sonnenkönige am Pult ist definitiv vorbei. Wenn man sich alte Videos anschaut, wie mancher Dirigent früher mit dem Orchester gesprochen hat – heute würde man dafür rausgetragen. Es geht ja darum, etwas zu bündeln, damit jeder das Beste anbietet. Wenn ich denke, ich muss das erzwingen, weil ich der Chef bin, dann ist das irgendwie unsympathisch. Ich sage auch meinen Studenten immer: Dirigieren hat nichts mit Händen zu tun. Es geht in erster Linie darum, eine Konzentration herzustellen und eine Verbindung aufzubauen. Wenn ich eine ganz klare Vorstellung habe was passieren soll, folgen die Hände dem nur.

Peter Sommerer
Nach seinem Studium an der Musikhochschule Wien hatte der österreichische Dirigent verschiedene Assistententätigkeiten an großen Opernhäusern inne, wie zum Beispiel der Wiener Staatsoper, Sächsischen Staatsoper, Berliner Staatsoper oder am Nationaltheater München. Seine Laufbahn setzte er zunächst als Kapellmeister fort, bevor er Generalmusikdirektor am Landestheater Schleswig-Holstein wurde. Seit 2019 ist Peter Sommerer freiberuflich tätig und international gefragt als Gastdirigent. Engagements führten ihn in verschiedene Länder Europas, nach Mexiko, in den Mittleren Osten und nach Asien. Peter Sommerer unterrichtet darüber hinaus als Dozent für Dirigieren und Ensembleleitung an der Musikhochschule Lübeck.
Für die Zukunft hat sich Peter Sommerer einige Ziele gesetzt, mit denen er den bisherigen Erfolgsweg der Sächsischen Bläserphilharmonie fortsetzen möchte. Ihm ist es besonders wichtig, in der Präsenzregion, den Landkreisen des Kulturraumes Leipziger Raum (Landkreis Leipzig und Nordsachsen), für das Publikum die bisherigen Anrechtsreihen auszubauen und neue Konzertformate zu entwickeln, Kinder- und Schulformate beizubehalten und durch intensivierte Reisetätigkeit – wenn wieder möglich – als musikalischer Botschafter der Region den Publikums- und Fan-Radius zu erweitern