Jazztrompeter und Bigband-Visionär, Pop-Produzent und Filmkomponist … Für die Süddeutsche Zeitung ist er “der wichtigste Mann der Musikindustrie”. Am 14. März 2023 wurde Quincy Jones 90 Jahre alt.
Es war eine harte Lektion. Mit nur 26 Jahren hatte Quincy Jones die musikalische Leitung für eine Jazz-Bigband übernommen. Mit ihr sollte er in Europa das Musical “Free And Easy” von Harold Arlen begleiten, eine sogenannte “Blues-Oper”. Nach Gastspielen u.a. in Amsterdam und Paris beschloss Jones, allein mit dieser Bigband für weitere zehn Monate auf Europatournee zu gehen. Die Konzerte waren erfolgreich, aber die Terminbuchung, Organisation und Finanzabwicklung überforderten den Bandleader. “Wir haben keinen Agenten, keinen Manager, und ich mache das zum ersten Mal. Ich muss 18 Musiker bezahlen und mich unterwegs um insgesamt 33 Menschen kümmern.” Um das Ganze finanziell am Laufen zu halten und die Band wieder sicher nach Hause zu bringen, verkaufte Jones seinen Musikverlag und musste sich obendrein Geld leihen. Einmal war er so verzweifelt, dass er an Selbstmord dachte. “Wir hatten die beste Jazzband auf dem Planeten, aber wir waren am Verhungern.”
Dieses (zu) mutige Bigband-Abenteuer gab Quincy Jones’ Karriere eine ganz neue Richtung. Er hatte in Europa rund 150.000 Dollar Verluste gemacht – nach heutigem Wert wohl über eine Million Euro. Damit er seine Schulden abbezahlen konnte, bot ihm Irving Green, der Gründer der Plattenfirma Mercury, einen Job als A&R-Manager an. Jones hatte zuvor schon wiederholt Produktionen von Mercury (EmArcy) begleitet (als Arrangeur und Dirigent), etwa für die Sängerinnen Helen Merrill, Dinah Washington und Sarah Vaughan. Er akzeptierte das Job-Angebot – und erkannte rasch, dass Musikliebe und Musikbusiness zwei sehr verschiedene Dinge sind.
“Ich kam vom Bebop. Ich hatte nie zuvor über Geld oder Ruhm nachgedacht. Mir kam es nur auf die Musik an. Unsere Idole im Jazz hatten überhaupt keine Vorstellung von Ruhm und Reichtum.” Es war 1963, als Quincy Jones für Mercury eine unbekannte 16-jährige Schülerin namens Lesley Gore zu produzieren begann. Er hatte mit ihr insgesamt 18 größere und kleinere Schlager-Hits. Für Jones war es der Anfang einer großen neuen Karriere – als erfolgreicher Pop-Produzent.
This is how I feel about jazz
Der orchestrale Jazz war seine erste Liebe. “Schon als Kind ging ich zu allen Bigbandkonzerten. Ich wusste: Hier möchte ich mein Leben verbringen.” Quincy Jones lernte Jazztrompete und studierte Arrangement, unter anderem am Schillinger House, dem späteren Berklee College. Mit 17 gehörte er bereits zum Trompetensatz in der Bigband von Lionel Hampton. Einer seiner Trompeterkollegen war Clifford Brown, der sich ebenfalls an Arrangements versuchte. Der Vergleich zwischen beiden endete eindeutig: “Ich spiele und du schreibst”, soll Brownie zu Quincy Jones gesagt haben.
Schon mit 23 Jahren machte Jones sein erstes Bigbandalbum unter eigenem Namen: “This Is How I Feel About Jazz”. Darauf präsentierte er auch drei eigene Kompositionen, darunter “Stockholm Sweetnin’”, das zu einem Jazzstandard geworden ist. Jones hat dieses Stück ursprünglich 1953 geschrieben, als er und Clifford Brown mit den Swedish All-Stars in Stockholm arbeiteten. Als Tribut an Brown, der 1956 ums Leben gekommen war, hat Jones dessen 1953er Solo für seine Bigbandversion transkribiert und orchestriert.
Quincy Jones’ Arrangements brachten eine neuartige, modern-elegante Qualität in den Bigbandsound. Dazu gehörten ungewohnte Klangfarben (z. B. die Querflöte), emanzipierte “blue notes”, kühle, schlurfende Midtempi und interessante Nebenmotive. Die Presse nannte ihn “die Zukunft des Jazz”. Am liebsten schrieb Jones Featurestücke für sein eigenes Instrument, die Trompete, etwa für einen Art Farmer, Freddie Hubbard oder Benny Bailey (“Meet B. B.”). Unter seinen frühesten Kompositionen finden sich auch zwei erfolgreiche Jazzballaden, beide inspiriert von seinen Europareisen mit Lionel Hampton: “Evening In Paris” und “The Midnight Sun Never Sets”. Letzteres ist auch als Gesangsnummer berühmt geworden – dafür wurde der Titel leicht abgewandelt, damit die Silben zur Melodie passen (“The Midnight Sun Will Never Set”). Frühe Vokalaufnahmen davon machten Sarah Vaughan (1958) und Dakota Staton (1966).
Der Sound von Hollywood
Auch in seiner Zeit als A&R-Manager hat Quincy Jones seine Bigband-Arbeit im Studio fortgesetzt – nun deutlich kommerzieller ausgerichtet. Sein fröhlicher Blues “Hard Sock Dance” (1961) wurde ein Radio-Evergreen. “Soul Bossa Nova” (1962), das er angeblich in nur 20 Minuten schrieb, war lange Zeit Jones’ erfolgreichstes Stück. Er komponierte und arrangierte für viele Künstler, schrieb etliche Stücke für die Count Basie Big Band und dirigierte sie selbst. Auf seinem dritten Album für Basie bearbeitete er »nur« Pop- und Soulhits – Titel des Albums: “This Time By Basie” (1963). Sein darauf enthaltenes Arrangement von “I Can’t Stop Loving You” brachte Quincy Jones 1964 seinen ersten Grammy ein. Auch für Basies Kollaborationen mit Sängern (Billy Eckstine, Ella Fitzgerald, Sammy Davis Jr., Frank Sinatra) übernahm er Aufgaben als Arrangeur und Dirigent. Sinatras “Fly Me To The Moon” mit dem Basie-Orchester, arrangiert und dirigiert von Quincy Jones, wurde zum “Symbolsong” der NASA-Mondflüge.
1964 hat man Quincy Jones zum Vizepräsidenten von Mercury Records ernannt. Er war der erste Afroamerikaner in einer so hohen Position in der großen Musikindustrie. Doch er war viel zu sehr Musiker, um auf Dauer Labelarbeit zu machen. »Ich saß jeden Tag hinter diesem Schreibtisch – schrecklich! Ich prüfte Spesenabrechnungen und solche Sachen, war der Verzweiflung nahe.« Quincy Jones tat daher den nächsten Schritt – und der führte ihn direkt nach Hollywood.
Allein bis 1972 hat er bereits über 30 Soundtracks für Kinofilme komponiert, darunter “In The Heat Of The Night”, “The Italian Job” und “Dollars”. In den Siebzigern dehnte er seine Soundtrack-Arbeit auch auf TV-Serien aus, etwa “Roots”, “The Fresh Prince Of Bel-Air” und “The Bill Cosby Show”. In seinen gewachsenen Bigband-Stil mischte Quincy Jones damals zeittypische Zutaten – Funk-Rhythmen, Synthesizer oder E-Bass. Viele seiner Film- und TV-Themen wurden weltberühmt, etwa die Erkennungsmelodie zur Krimiserie “Ironside” (“Der Chef”) mit der Synthesizer-Sirene am Anfang.
Der erfolgreiche Musikproduzent
Der Sound von Quincy Jones ist bis heute allgegenwärtig. Seine Bigband-Sprache hat den Jazz verändert und die Film- und Fernsehmusik geprägt. Auch mit Funk- und Disco-Hits wie “Body Heat” (1974), “Stuff Like That” (1978) oder “Razzamatazz” (1981) war Jones erfolgreich. In Hollywood betätigte er sich zudem als Film- und Fernsehproduzent und soll Oprah Winfrey und Will Smith “entdeckt” haben. Als Musikproduzent verantwortete er Alben von vielen afroamerikanischen Stars wie Patti Austin, Aretha Franklin, Donny Hathaway, James Ingram, Lena Horne oder Donna Summer. Seine größten Erfolge jedoch hatte er mit Michael Jackson. Dessen Platten “Off The Wall” (1979), “Thriller” (1982) und “Bad” (1987) gehören zu den meistverkauften der Popgeschichte. Quincy Jones hat sie nicht nur produziert, sondern teilweise auch arrangiert und dabei manchen Jazzkollegen in die Studioarbeit eingebunden. Im Megahit “Bad” ist zum Beispiel der Jazzorganist Jimmy Smith zu hören. “Ich habe meine Jazzwurzeln nie verraten”, sagt Quincy Jones.
Durch die Erfolge mit Michael Jackson war Quincy Jones auch in den 1980er und 1990er Jahren noch ein ganz großer Name. Er feierte seine Karriere mit zwei Alben, die exquisite Brücken zwischen den Epochen und Stilen schlugen – von Jazz über Soul und Pop bis Rap (“Back On The Block”, “Q’s Jook Joint”). Er produzierte und dirigierte auch den Charity-Song “We Are The World” (und komponierte die B-Seite) oder arbeitete wiederholt mit HipHop-Künstlern. 1993 erschien das Album “Miles & Quincy: Live In Montreux”, das nur wenige Wochen vor Miles Davis’ Tod (1991) aufgenommen worden war. 1994 erhielt Quincy Jones den Polar Music Prize, den inoffiziellen “Nobelpreis für Musik”. Außerdem ist er mit nicht weniger als 28 Grammy Awards ausgezeichnet worden – über einen Zeitraum von 45 Jahren. Den (vorläufig?) letzten Grammy gewann er 2019 für die Musik in “Quincy”, einem Dokumentarfilm über sein Leben.