Orchestra | Von Renold Quade

Repertoire-Tipp: The Wizard of Oz

Wizard

Unter dem Titel „The Wonderful Wizard Of Oz“ veröffentlichte Lyman Frank Baum im Jahre 1900 ein Kinderbuch, welches 1939 zur Vorlage für das Filmmusical „Der Zauberer von Oz“ wurde. Diese frühe, heute würde man sagen „Fantasy-Geschichte“, wurde übrigens als einer der ersten bunten Farbfilme in „Dreistreifen-Technicolor-Technik“ produziert und zählt heutigentags zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Die Hauptdarstellerin war die zu diesem Zeitpunkt bereits siebzehnjährige Judy Garland, die das Mädchen Dorothy spielte. Das Filmmusical erzählt von den Erlebnissen oder besser von den im Traum erlebten Geschichten, der charmanten und mutigen Dorothy. Ihr widerfuhr auf ihrer Reise durch ein knallbuntes Land voll schier unerschöpflicher Fan­tasie viel Kurioses. Da traf sie u. a. eine Vogelscheuche, die statt nur Stroh im Kopf gerne Verstand gehabt hätte, einen Mann aus Zinn, der seine hohle Brust viel lieber mit einem Herzen füllen wollte, und einen ängstlichen Löwen, der sich mehr Mut wünschte. Scheint mir heute irgendwie alles noch sehr aktuell. 

Der Komponist 

Hyman Arluck, so sein Geburtsname, hätte man das Buch als Kind vielleicht sogar schon einmal vorgelesen haben können. Möglich wäre es zumindest gewesen. Er wurde 1905 in Buffalo, New York, geboren, wo sein Vater Kantor in einer jüdischen Gemeinde war. Früh lernte er Klavier und gründete als Jugendlicher gar schnell seine erste eigene Band.

In den 20ern zog es ihn nach vielversprechenden lokalen Erfolgen als Pianist und Sänger direkt in die Stadt New York, wo er sich den Künstlernamen Harold Arlen zulegte. Arlen war klanglich abgeleitet von „Orlin“, dem Geburtsnamen seiner Mutter. Harold spielte als Pianist in diversen Bands und Orchestern, war gefragt bei Tonaufnahmen und natürlich begann er auch zu schreiben. Er komponierte immer wieder für verschiedenste Theater- und Broadwayshows, so z. B. auch für den Harlemer Cotton Club. Oft mischten seine Titel stilistisch vielseitig und von allen Lagern anerkannt, Elemente aus bluesig Jazzigem, aus populär Unterhaltendem und auch aus dem, was man damals als amerikanische Volksmusik empfand. 

Nicht weiter verwunderlich war es später dann, verstärkt in den 60er-Jahren, dass Jazzgrößen wie Ella Fitzgerald, Oscar Petersen oder Tony Bennett Liederzyklen Arlen-Kompositionen für sich entdeckten und aufnahmen. Und last not least sei auch Barbara Streisand erwähnt, die auf etlichen Alben immer wieder Arlen-Titel interpretierte. 

Zu seinen ihn lange Zeit begleitenden Songtextern gehörten früh Ted Kohler (Stormy Weather) und immer wieder auch E. Y. Harburg (Over The Rainbow), aber auch Ira Gershwin und Johnny Mercer in vielen, vielen Musicals und Filmproduktionen. Harold Arlen starb im April 1986 in New York City. 

Der Arrangeur 

James Barnes, 1949 in Hobart (Oklahoma) geboren, ist von Haus aus Tubist und lehrte Komposition, Orchestrierung, Arrangement sowie Blasmusikgeschichte und Blasmusikrepertoire an der Universität von Kansas. Im Frühjahr 2015 beendete er eben dort sein vierzigstes Lehrjahr. Er ist nun Professor im Ruhestand und es ist selbstverständlich ruhiger um ihn geworden. Er lebt in Lawrence (Kansas), wo er sich dem Vernehmen nach gelegentlich ganz in Ruhe mit ein wenig Komponieren, aber auch gerne mit Angeln oder mit seiner Lieblings-Baseballmannschaft, den Kansas City Royals, beschäftigt.

Barnes
James Barnes (Foto: The United States Army Band, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=103148281)

Sein beachtliches Oeuvre wurde und wird heute auf der ganzen Welt gespielt. Das Tokyo Kosei Wind Orchestra hat allein drei CDs mit seiner Musik aufgenommen. 

Die Blasorchesterszene ehrte ihn mit begehrten Auszeichnungen, wie etwa dem „American Bandmasters Association Ostwald Award“ für herausragende zeitgenössische Blasmusik, zahlreichen „ASCAP Awards“, der „Kappa Kappa Psi Distinguished Service to Music Medal“ oder den „Bohumil Makovsky Award“ für College Band-Dirigenten. Den „BMI Award“ für herausragende Vermittlung von Kreativität verlieh ihm die Nationale Konferenz der US-Musikpädagogen. 

Die Idee

In Ouvertüren-Form, quasi in einer Potpourri-­Ouvertüre, lässt James Barnes prägende Titel des Musikfilms vor unseren Ohren wieder lebendig werden. Dabei wählt er, neben dem im Einleitungszitat und in der großen Schlussnummer eher ruhig präsentierten Welterfolg „­Somewhere Over The Rainbow“, meist muntere Songs in schmissigen 6/8- und 2/4-Grooves. 

Er strebt dabei nachvollziehbar an, dass neben gewissen romantischen und dramatischen Aspekten, das rundum vorherrschende „Gute-­Laune-­Potenzial“ hier, wie auch in vielen anderen Produktion jener Zeit stimmungsvoll im Vordergrund stehen sollte. Genretypisch und plakativ wird der Zeitgeist dieser Unterhaltungsära eingefangen. 

Der Aufbau

„Dreamlike – traumhaft“, so die erste Charakterbezeichnung im Stück, sicher anspielend auf die Filmgeschichte, in der ja alles Erlebte „nur ein Traum“ der kleinen Dorothy war. Sanft, leise und langsam, aus einem von solistischen Achteln gewobenem Klangteppich in den Hölzern heraus, taucht im Horn zunächst zweimal das Kopfmotiv von »Over The Rainbow« auf. Ab Takt 9, crescendierend und accellerierend, macht sich ein 2/4-Takt im knackigen Allegro und dynamischer Steigerung auf den Weg, um schließlich mit einen „Cheer, yell and whistle-Effekt“ diese Einleitungssequenz im jubelnden Tutti zu beenden.

Wizard

Und schon sind wir von Takt 23 bis 33, im 6/8-Groove, mittendrin in einer (typisch amerikanischen) „Paradeaufstellung“ zu „We’re Off To See The Wizard“. Und so machen wir uns ab Takt 34 auf die Reise, um den Zauberer zu finden. Den kann man wohl ganz leicht erreichen, wenn man der gelben Steinstraße bis zur Smaragdstadt folgt.

Mit Saxofonen, Hörnern, Trompeten voran, gefolgt von Posaunen und Eufonien, startet in milder Dynamik ein leichtfüßiger, fröhlicher Marsch. Ab Takt 50 macht sich das rhythmisch prägende Kernmotiv in Oboe, Piccolo, hohem Holz und Schlagwerk, gelegentlich auch mal ein wenig ausbrechend und suchend, ab von der eigentlich geplanten Strecke. Aber alle finden vor Takt 64 wieder zurück auf den gemeinsamen Weg und setzen, von B nach Es die Tonart wechselnd, ihre Reise fort. 

Ding! Dong! The Witch Is Dead

Zunächst, hauptsächlich im Dialog von Posaunen und Hörnern, eingangs flankiert von glitzernden Trompeten im Nebensolo, schlagen die munteren Gesellen ausgelassen weiterhin ihre Haken. Haken schlägt auch die Potpourriabfolge der Songs, die sich nicht streng an die Reihenfolge der Geschichte im Musical hält. In Form eines kurzen Zwischenspiels lässt Barnes hier schon einmal die Glocken läuten, denn: „Ding! Dong! The Witch Is Dead“. 

Ab Takt 90, nun wieder im 2/4-Takt und kurzzeitig mit mindestens einem b mehr in der allgemeinen Vorzeichenangabe, verkünden Trompeten und Posaunen die freudige Nachricht, derweil die Hölzer mit einer Trillerfläche funkeln und die Bässe mit Gegenschlägen vorantreiben. Ab Takt 98, »Bell-tones«, wiederholen die Posaunen und Eufonien ihre Botschaft noch einmal, gehen aber zunehmend unter im frohen Geläut des Restorchesters und wenden sich schließlich mit rallentando einem neuen Bild zu.

Die böse Hexe kam übrigens zu Tode, nicht etwa, weil sie heimtückisch ermordet wurde, sondern letztendlich war das die Folge einer ihrer bösen Taten, nämlich den Strohmann anzuzünden. Dorothy löschte ihren Freund mit Wasser und von diesem Löschwasser bekam die Hexe auch etwas ab, was sie überraschend zu einer Pfütze einschmelzen ließ.

Ab Takt 108, Meno mosso und wieder im 6/8-Takt, baut eine zweimal viertaktige Einleitung ein neues Stimmungsbild auf und führt uns zur Vorstellung des Protagonisten, der eben schon einmal fast verbrannte. „If I Only Had A Brain“ beklagt die Vogelscheuche, neben dem Zinnmann und dem Löwen einer der wichtigsten Begleiter von Dorothy.

Sehnender Wunsch der Vogelscheuche

Die Tuben, ergänzt von einem kurzen Statement in der Piccoloflöte und einen kompakten zusammenfassen der Holzbläser zum Ende dieser Melodiegruppe, präsentieren den sehnenden Wunsch der Vogelscheuche zunächst im Block eines A-Teils von Takt 116 bis Takt 147. Der wird dann noch einmal weitergedacht in einem B-Teil von Takt 148 bis Takt 163. Hier stehen die Hölzer im Vordergrund, derweil die Hörner eine anschmiegsame Nebenmelodie formen und der Rest des Orchesters mit 6/8-Motivik des A-Teils umspielend und vorantreibend begleitet. Die Takte 164 bis 177 lassen in der Folge den A-Teil im bekannten Muster noch einmal aufleben.

Das musikalisch beschriebene Nachdenken über die Möglichkeit, besser denken zu können, wirkt auf der einen Seite ein wenig zurückhaltend oder gar traurig, aber auf der anderen Seite auch pfiffig und optimistisch, denn die Selbstreflexion ist alles andere als dumm und zeigt wohl kluges Potenzial, welches, wenn man so will, auch die Musik pointiert durchaus zu unterstreichen vermag. 

Ab Takt 178, piu mosso und wieder im 2/4-Takt, sich andeutend durch eine kurze, auftaktige ­Duolenwendung, bricht eine knappe zweitaktige Einleitung auf, um uns zurück ins »Merry Old Land Of Oz«, ins fröhliche, behütete Land von Oz, zu führen. Ein unbeschwertes Lied mit volksmusikalischem Charakter beginnt ab Takt 180. In klassischer ABA-Form, mit kleiner harmonischer Rückung nach kurzer Motivwiederholung im B-Teil, verbreitet es einfach nur gute Laune und Lebensfreude. Im Orchester wird dieser Abschnitt durch und durch genreüblich abgebildet. Größtenteils im Tutti, wobei der B-Teil, passend zur musikalischen Wendung, eine beruhigende kleine Ausdünnung erfährt.

Over The Rainbow

Ab Takt 205, subito piano, zunächst vornehmlich in den tiefen Klarinetten, entwickelt Barnes ein Überleitungsmotiv aus einer Teilsubstanz des A-Teils, verbreitert diesen Gedanken und rückt ihn ritardierend hin zu Es-Dur. In Takt 215 beginnt voll- und wohlklingend, adagio, „Over The Rainbow“, der wohl bekannteste Song dieses Musicalfilms. Dazu noch folgende Bemerkung aus der Entstehungsgeschichte: In den 1930er-Jahren verweilte der frisch verheiratete Harold Arlen mehr und mehr in Kalifornien, wo er als Film- und Musicalkomponist ständig beschäftigt war und in diesen Zeiten wuchs auch seine enge Zusammenarbeit mit dem Texter E. Y. Harburg. Beide zusammen bekamen 1938 von der Metro-Goldwin-Meyer einen Vertrag für Text und Musik zu „Das zauberhafte Land“. Der wohl bekannteste Song, „Over The Rainbow“, wurde 1940 mit einem Oscar ausgezeichnet. 

Die ersten vier Takte des A-Teils schöpfen, angeführt vom Holz und mit wirkungsvoller »Anlauf-Septole«, aus dem Vollen. Die zweiten vier Takte beruhigen sich wieder, letztendlich, um dem zweiten Anlauf dieser musikalischen »Hoffnungs- und Glücksoffensive« wieder den nötigen Schwung angedeihen zu lassen. Crescendi und Decrescendi verschaffen derweil bei aller Kompaktheit immer wieder Möglichkeiten zum strukturierenden Durchatmen. Ab Takt 224, im Dialog von hohem Holz und Hörnern, leiser, aber durch »un poco piu mosso« durchaus auch aufwühlend, der B-Teil, bevor der A-Teil nach allen Regeln der hier angewandten Kunst noch einmal prächtig aufblüht. 

Mit Takt 240 beginnt, zunächst geformt aus der wogenden Motivik des B-Teils, die Coda. Ab Takt 244 stellt das mittlere tiefe Blech das Kernmotiv des A-Teils, tremolierend umspielt vom hohen Holz, abschließend noch einmal auf ein Podest und endet in einer Fermate, die wohl positiv besetzt, „Over The Rainbow“, unendlich weit in die Zukunft blickt.

Instrumentation

Das Arrangement von James Barnes ist ausgelegt für ein gut besetztes Konzertblasorchester amerikanischer Prägung und gibt diesem auch genretypisch die vollen Entfaltungsmöglichkeiten. So können zum Beispiel vier Schlagwerker effektvoll beschäftigt werden und auch alle Bläser haben dankbare, wie lösbare Aufgaben. Dabei bildet eine gewisse Kompaktheit sicher das stabile Gerüst dieses Arrangements. Man ist nicht zwingend auf das ein oder andere Solo­instrument angewiesen. Die Gesamtkonzeption lässt es zu, einer jeweiligen Orchesterbesetzung angepasst im Einzelfall individueller registrieren zu können. Da kann dann auch „Weniger“ durchaus einmal „Mehr“ sein. Zudem überfordert es in keiner Weise solide praktizierende Musikerinnen und Musiker der Oberstufe und gegebenenfalls auch der gehobenen Mittelstufe. Hier kann viel Freude und Motivation gewonnen werden, wenn, wie sorgsam aufgeschrieben, Dynamik, Tempo und Artikulation nicht aus dem Ruder geraten.

Fazit

Den Charakter der Fantasy-Figuren unterstreichend, schafft diese Potpourriouvertüre von Beginn an gute Laune und lädt ein zum Schmunzeln, Lächeln und Entspannen. James Barnes philosophiert nicht lange, er kommt schnell zur Sache und ordnet Musik und Charaktere schwungvoll wie auch sensibel ein in die Welt eines gut ausgebauten Blasorchesters. Er bleibt stilistisch immer klar, eigentlich sehr einfach und damit sehr ausdrucksstark. Die munteren sechs, eher sieben Minuten, wenn das Orchester nicht zu sehr hastet, atmen viel vom Esprit der Unterhaltungskultur jener Zeit.