Orchestra | Von Renold Quade

Savages von Jean-Philippe Rameau, arrangiert von Rob Wiffin

Foto: Annette Meyer auf Pixabay

Die Thematik Frieden, Versöhnung, Völkerverständigung ist so alt wie die Welt und irgendwie (leider) auch immer wieder notwendig, in den Fokus gestellt zu werden. Die Menschheit hat es wohl noch nie geschafft, „Konflikte“ rein mit Diplomatie zu lösen. Aber immerhin gelingen auch Bündnisse, die aus Feinden Freunde werden lassen. Diese immer wieder neu wahrzunehmen und wertzuschätzen ist sicher eine gute Praxis, nicht nur der mahnenden Rückbesinnung, sondern auch der vorbeugenden und lebensbejahenden Vorausschau.

Vielleicht dachte auch der französische Komponist Jean-Philippe Rameau so, der im Jahre 1735 seine Ballettoper „Les Indes galantes“ schrieb. In deren vierten Aufzug, der in den Wäldern der „Neuen Welt“ spielt und die Auseinandersetzung zwischen französisch-spanischen Truppen und nordamerikanischen Indianern thematisiert, finden wir eine Tanzszene, die im Sprachgebrauch der Entstehungszeit mit „Les Sauvages“, „die Wilden“, bezeichnet wird. Sie beschreibt die Zeremonie einer Friedensfeier, bei der die Friedenspfeife geraucht wird. 

Der Komponist 

Sicher nicht zu Unrecht ist Jean-Philippe Rameau in der Musikgeschichte hoch angesehen. Da liest man Bemerkungen wie die von Camille Saint-Saëns, der ihn „das größte musikalische Genie Frankreichs“ nannte. „Was Bach in Deutschland und Händel in England, das war Jean-Philippe Rameau in Frankreich“, heißt es. Rameau wurde 1683 als Sohn eines Organisten in Dijon geboren. Immer der Musik zugeneigt, fasste er wohl im Alter von 18 Jahren endgültig den Entschluss, Musiker zu werden und verbrachte zu Studienzwecken u. a. auch einige Monate in Mailand. 

Savages
Jean-Philippe Rameau, Gemälde von Camelot Aved

1709, nach ersten kleineren Anstellungen in Avignon, Clermont und Paris wurde er Nachfolger seines Vaters als Organist in Notre Dame de ­Dijon. Lyon und nochmals Clermont wurden weitere Zwischenstationen, bevor er ab 1722 bis an sein Lebensende 1764 in Paris wirkte. Neben seinen Pflichten als Organist war das Komponieren von je her seine Leidenschaft. Schon aus seiner Jugend wird berichtet, dass dessen schulische Erziehung an einem Jesuitenkolleg im vierten Jahr auch daran scheiterte, weil er während des Unterrichts eigentlich immer nur Noten schreiben wollte. Er war längst schon ein angesehener Organist, Geiger, Dirigent und Komponist, als er als Verfasser richtungsweisender musiktheoretischer Schriften erneutes und nachhaltiges Aufsehen erregte. 1722 erschien sein „Traité de l`Harmonie“ und 1726 das „Nouveau systèmede de musique théorique“. Auf 1724 datiert man seine „Pièce de clavecin avec une méthode“. 

Austausch mit frei denkenden Philosophen und Naturwissenschaftlern

In Paris lebte er lange Zeit im Hause von „Le Riche de la Pouplinière“, eine Verbindung, die ihm zum großen Vorteil wurde, da er dort einflussreiche Persönlichkeiten kennenlernte. Zeitlebens steht er einerseits im regen Austausch mit frei denkenden Philosophen und Naturwissenschaftlern und andererseits unterhielt er auch Kontakte zu höfischen Kreisen. In einer Zeit, wo „L’État c’est moi!“ – „Der Staat bin ich!“ –  das Leben bestimmte, da wurden auch ästhetische und musikalische Geschmäcker nicht zuletzt am Hofe gebildet.

1733 gelang ihm mit „Hippolyte et Arcie“ seine erste, und sein Schaffen bedeutend erweiternde, Berührung mit der Bühne. Er wird zitiert mit: „Seit meinem zwölften Lebensjahr habe ich mich mit dem Theater beschäftigt, doch nie für die Oper gearbeitet bevor ich 50 wurde. Ich fühlte mich noch nicht fähig, ich zögerte. Dann gelang mir etwas, ich hatte Glück. Schließlich wurde ich mutig, tollkühn … und habe weiter gemacht.“ Aber auch mit vielfältigen, teils hochvirtuosen Werken für Cembalo, reihte er sich ein in die Riege der großen Meister der Tasteninstrumente. 1745 erhielt Rameau den Titel eines königlichen Komponisten der Kammermusik.  

Der Arrangeur von Savages

Rob Wiffin begann seine musikalische Laufbahn als Posaunist im „National Youth Orchestra of Great Britain“, bevor er ans „Royal College of Music“ wechselte. Nach Abschluss seiner Ausbildung trat er in den Militärmusikdienst der Royal Air Force ein und wurde dort erster Posaunist der „Central Band“. Nach sieben Jahren als Spieler beschloss er, seine Energien aufs Dirigieren zu konzentrieren und wurde musikalischer Leiter bei der Royal Air Force. Er dirigierte die „Band of the RAF Regiment“, die „Western Band of the RAF“ sowie die „Central Band of the RAF“.

Mit seiner Beförderung zum ersten musikalischen Direktor bei der Royal Air Force im Januar 1998 reihte er sich als Zwölfter in eine Riege ausgezeichneter Musiker ein, die ihm auf diesem angesehen Posten vorausgegangen waren, und bei seiner Ernennung als Jüngster, seit Sir George Dyson im Jahr 1919. Im Jahr 2002 wurde ihm für seine Dienste bei der Royal Air Force Music der Orden des Britischen Imperiums OBE verliehen.

Als er die RAF verließ, zog er nach Spanien, wo er einen Großteil seiner Zeit dem Komponieren und Arrangieren von Musik widmete. Ohne die Verbindung zu Spanien abbrechen zu lassen, hält er sich heute mehr in England auf und hat, neben dem Komponieren, Arrangieren und Unterrichten, seine Tätigkeiten als Dirigent, Preisrichter und Prüfer wieder aufgenommen.

Das Rondo

Recht klar und einfach beschreiben Lehmacher/Schroeder in ihrer „Formenlehre der Musik“ wie folgt: „Das Rondo, die vielleicht typischste Reihungsform, entwickelt sich aus dem gesungenen und getanzten Rundgesang (Rondellus, Rondeau): den Kehrreim (Ritornell oder Refrain) singen, bzw. tanzen alle; zwischendurch wechseln die einzelnen Paare (Couplets) in kontrastierender Melodik ab. Dadurch entsteht die Form: ABACAD … AX, das ‚Kettenrondo‘ d. h. solange Einzelpaare vorhanden sind.“ Ich hatte während meines Studiums an der Musikhochschule Köln das Vergnügen, bei Hermann Schroeder Vorlesungen in Formenlehre hören zu dürfen und erinnere mich gerne an die ein oder andere schelmische Bemerkung, wie z. B. die über das Rondo: … „und da geht es dann wieder rund bei den Pärchen, … ne, ne, aber nicht was sie jetzt denken“.

Man nimmt an, dass die Wurzeln des instrumentalen Rondos im altfranzösischen Rondeau des 13. und 15. Jahrhunderts liegen. Guillaume de Machauts z. B. bediente sich dabei in seiner Komposition „Coment peut on mieus ses mans dire“ der Form ABAAABAB.

Als eine erste Blüte der Instrumentalkompositionen in Rondoform sind die Klavierstücke der französischen „Clavecinisten“, wie Chambonnières, d’Anglebert oder Couperin und Nummern in Opern von Lully beschrieben. Jean-Phillipe Rameau wählte für viele seiner Rondos die fünfteilige ABACA-Form, die heute in Formenlehren auch als „kleine Rondoform“ bezeichnet wird.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass natürlich auch das Rondo durch die weiteren Epochen und den Personalstil der Komponisten Weiterentwicklungen und Nuancierung bis heute erfahren hat. Auch wenn z. B. Beethovens Klavierstück „Für Elise“, die Bagatelle in
a-Moll WoO 59, noch eng diesem Muster folgt, gab es schon in dieser Zeit längst erweiternde Formen, die z. B. als „Sonatenrondo“ in die Musikgeschichte eingegangen sind. Und im Jazz, da war z. B. auch Dave Brubeck mit seinen „Blue Rondo A La Turk“ auf diesem formalen Sektor unterwegs.

Les Indes galantes

„Opernballette“ im 17./18. Jahrhundert waren ein Spektakel zur puren Unterhaltung. Im Unterschied zur „Oper“ jener Tage stand nicht eine schlüssige Handlung im Vordergrund, sondern man legte eher Wert auf spektakuläre Inszenierungen mit prunkvollen Kostümen, überraschenden Bühneneffekten und vor allem legte man Wert auf Tänze. 

Gerne erzählte und fantasierte man z. B. Liebesgeschichten oder Festereignisse mit pastoralen oder exotischen Inhalten und es war gang und gäbe, dass sich Handlung und Charaktere ggf. von Bild zu Bild, ihm Rahmen einer Gesamtüberschrift, immer wieder änderten. 

„Les Indes galantes“, diese erste von sechs Ballettopern Rameaus, gilt heute als eines seiner berühmtesten Bühnenwerke. Die Uraufführung der kürzeren Erstversion mit Teil 1 und 2 fand am 23. August 1735 in der „Académie royale de musique“ in Paris statt, zur erweiterten Uraufführung am 23. März 1736 wurden Teil 3 und 4 hinzugefügt. 

Das westliche und das östliche Indien

Jeder Teil dieses Werkes spielt dabei in einem „anderen Indien“. Damals ging man davon aus, dass es mindestens zwei Arten von Indien gab, das westliche und das östliche. Daher lädt Rameaus Ballett, in Begleitung eines großzügigen Türken, zu einer bunten Reise zu den Inkas des Westens, den Persern des Ostens und zu den Völkern Nordamerikas ein.

Der vierte Aufzug spielt nun also in den Wäldern Nordamerikas. Neben Auseinandersetzung ist aber auch hier ein Happy End vorgesehen. Gemeinsam mit den nordamerikanischen Indianern, im Sprachgebrauch jener Zeit mit „den Wilden“, „Les Sauvages“, bezeichnet, feiern französisch-spanische Truppen ein Friedensfest mit Friedenspfeife und einem vitalen Friedenstanz „Forêts paisibles“ – „friedliche Wälder“. Die musikalische Grundidee des Tanzes hatte Rameau bereits in seiner Sammlung „Pièces de clavecin“, die schon 1728 erschienen war. Dem Vernehmen nach basierte dieses Klavierstück wiederum auf folgendem historischen Ereignis: Im Jahr 1725 schickten französische Siedler in Illinois den Häuptling Agapit Chinagou vom Stamm der Mitchigamea mit fünf weiteren Häuptlingen nach Paris. Am 25. November 1725 trafen sie sich mit König Ludwig XV. Häuptling Chinagou ließ einen Brief verlesen, in dem er der Krone Treue gelobte. Später tanzten die Indigenen im „Théatre-Italien“ verschieden Tänze, die Rameau beeindruckten und die ihn wohl zu seinem Rondeau „Les Sauvages“ inspirierten.

Aufbau von Savages

Eine „Tenor Drum“ eröffnet „Allegro Marziale“ mit zweimal zwei Takten und etabliert zunächst einen einfachen und bestimmenden Grundrhythmus. Ab Takt 5 präsentieren darüber die Hölzer über zweimal acht Tackte den sechszehntak­tigen A-Teil. Tänzerisch, eher leichtfüßig und im unaufdringlichen mezzoforte. Ab Takt 21 erneut vier Solotakte rein im Schlagwerk. Die Pauke mischt sich nun klangsteigernd mit ein. Ab Takt 25 folgt die Wiederholung des A-Teils im vollen Orchestertutti. Auch nun im forte ändert sich grundsätzlich nichts am tänzerischen Charakter. Die klug gesetzten Artikulationszeichen sind an denselben Stellen. Die stärkere Dynamik verleiht dem Tanz aber sicherlich mehr Nachdruck, ohne zu opulent werden zu wollen.

Ab Takt 41 werden erneut die ersten acht Takte des A-Teils, nun wieder im mezzoforte, ohne Schlagwerk, aber dafür mit weichem, mittlerem und tiefem Blech, in vorantreibender rhythmischer Funktion, vom Holz mild präsentiert. Dem folgen ab Takt 49, dynamisch noch weiter reduziert, in den tiefen Holzlagen weitere acht Takte, die mit dem Gedanken des Nachsatzes variierend spielen, oder gar einen B-Teil darstellen. Die bislang prägende, eher stampfende Begleitung ist, das Klangbild beruhigend, weder im Schlagwerk, noch im weichen Blech vorhanden. Zunächst lediglich fein wahrnehmbare Stützakkorde in Posaunen und Eufonium setzen leichte Impulse. 

Ab Takt 57 blüht im Orchestertutti der A-Teil, rhythmisch angereichert, mit einer neuen „exotischen Farbe“, ziselierend in der „Hi-Hat“, wieder auf. Die ersten acht Takte erscheinen wie bereits gehabt, den zweiten acht Takten wird eine gut wahrnehmbare Gegenbewegung dazugesetzt, oder besser fast ebenbürtig nebengestellt. In mittlerer Lage »tanzt« hier die eine Orchesterhälfte, die tiefen Klarinetten, der Saxofon-Satz, die Hörner und die Eufonien, irgendwie freundlich störend aus der Reihe.

Dialogisierende Dramatik

Ab Takt 73 schweigt das Schlagwerk wieder, und abgesehen von einem Horn (später Eufonium), in ähnlicher Funktion wie die tiefen Hölzer, bildet sich im hohen Holz, zunächst sequenzierend, ein C-Teil mit Mollcharakter heraus. Im Weiteren entsteht ab Takt 81, nicht bar einer gewissen dialogisierenden Dramatik, ein komplementäres Szenario zwischen „tief“ und „hoch“. Ab Takt 89 verlässt das hohe Holz komplett die „Tanzfläche“ und überlässt dem tiefen, weichen Blech und den tiefen Hölzern über vier Takte solistisch die Bühne. Gleichzeitig gesellt sich das Schlagwerk aber wieder vorantreibend mit dazu. Ab Takt 93 ist das hohe Holz wiederum schnell auf dem Platz. Dialogisierend mit den tiefen Protagonisten, dynamisch aufbauend bis zum fortissimo, Dur wieder anstrebend, steuert das Szenario auf einen überraschenden „Schlusston“, Zählzeit vier in Takt 100, zu. 

Aber wir sind noch nicht am Ende. Ab Takt 101 bleiben für vier Takte im subito piano (mit in der Folge aufbauendem crescendo) die Schlagwerker munter übrig und wenden sich zum Wiederaufgriff des A-Teils ab Takt 105. Diesmal über acht Takte, zunächst rein getragen vom Blech, wieder ohne Schlagwerk, und wieder im satten forte. Neu und verspielt wahrzunehmen sind die kleinen Gegenschläge in den Hörnern und Posaunen, die frisch würzen.

Führungsaufgabe für die Hölzer

Ab Takt 113 nimmt das Blech abermals Anlauf mit der bekannten, zweitaktig additiven Motivik. Dem setzen die Hölzer im jeweils zweiten Takt mit Achtketten „on top“ dazu noch eine Krone auf. Ab Takt 121 tauschen Holz und Blech ihre Aufgaben wieder. Die Hölzer erhalten die Führungsaufgabe, Teile des Blechs schlagen unisono mit deutlichen, übergebunden halben Noten nach. Und damit der Fluss nicht abhandenkommt, ist das Schlagwerk ab hier auch wieder mit von der Partie.

Zu Takt 129, hin zur ausladenden Coda, hat sich alles zu einem satten fortissimo aufgeschaukelt. Der A-Teil nimmt ein letztes Mal Anlauf, beginnt im fünften Takt sich zu verbreiten und mündet ausladend, im ritardando, in einen strahlenden Schlusston mit Fermate.

Instrumentation 

Das Arrangement ist mit Grade 4 angegeben und liegt da satt im mittleren Bereich. Eigentlich gibt es keine unlösbaren Aufgaben, aber der Teufel liegt im Detail. Artikulation und Dynamik auf der einen, ein paar Dreiklangbrechungen und Skalenpassagen auf der anderen Seite, gepaart mit der Fähigkeit, dialogisierend gut aufeinander eingehen zu können, das sind die wichtig zu beachtenden Anforderungen. Diese mit Sorgfalt und Übersicht anzuwendenden Fähigkeiten geben dem Arrangement dieser definitiv „alten Musik“ erst die ihr zustehende Transparenz und Frische. Die bewusste Verteilung des Szenarios auf gelegentlich reine Holz- und Blechchöre unterstützt dies.  

Fazit

Die ideengebende Klavierversion dauert gut zwei Minuten und erlaubt auf eben diesem engen Raum recht eindeutig die Formbezeichnung: A-A-B-A-C-A. Sie wird im später entstandenen »Orchestertanz«, der mit unter vier Minuten deutlich länger ist, formal erweitert und somit nicht rein eins zu eins kopiert. Daher ist diese Rondo-Form, aufgrund zusätzlich variierender und ausladender Elemente, nicht ganz so eindeutig, was wiederum eine schlichte „Buchstabenvergabe“ (aufgrund der komplexeren Zusammenhänge) nicht immer ganz so offensichtlich macht.

Spannend für die Musiker ist aber weniger, ob die Form „eindeutig“ erfüllt ist, viel wichtiger ist eher, dass vermeintlich gleiches nicht immer gleich ist. Nuancierungen in der Instrumentation, Ausflüge in Gegenstimmen und ganz allgemein auch kleingliedrige motivische Arbeit laden immer wieder zum Differenzieren und Entdecken ein. Stellt man sich dazu noch die Tänzer vor, dann sieht man vielleicht mit den Ohren, wie sich ähnliche Bilder, sei es gefühlt räumlich oder auch gehört instrumental, durchaus kaleidoskopartig immer wieder neu verschieben und verweben können.

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