Der »Ricola«-Slogan ist längst Geschichte – erinnern kann sich trotzdem fast jeder: »Wer hat’s erfunden?« Und die Antwort bei den slapstickartigen Werbespots lautete stets: »Die Schweizer!« Mit Kräuterbonbons allerdings hat Sarah Belz wenig zu tun. Und die junge Schweizerin hat auch den S-Bogen nicht erfunden – doch sie hat sich ihren eigenen gebaut. Der soll in Kürze auch in Serie gehen.
Weinfelden liegt im Kanton Thurgau im Osten der Schweiz. 20 Kilometer sind es bis zum Ufer des Bodensees. Von Deutschland, aus Richtung Lindau kommend, umrundet man den diesen ungefähr zur Hälfte. Die 11000-Seelen-Stadt Weinfelden erreicht man zwei Grenzübergänge und zwei Vignetten-Käufe später über Riedt und Bürglen. In den Hauptort Frauenfeld sind es von dort aus knapp 20 Kilometer. Nach Bern, wo Sarah Belz gerade an ihrem Master arbeitet, nicht ganz 200. In Weinfelden lebt und wohnt nicht nur Sarah Belz, hier feierte in diesem Jahr auch das Blaswerk Haag sein fünfjähriges Bestehen. Und das eine hat mit dem anderen zu tun. Aber eins nach dem anderen…
Das Herzstück des Saxofons und der Klang
Saxofonisten sind meist Tüftler. Und Perfektionisten sowieso. Wirklich und endgültig fertig und zufrieden ist ein Saxofonist nie. Der perfekte Klang? Eine immerwährende und spannende Suche. Zu verändern – im Idealfall verbessern – ist eigentlich immer etwas. Man denke an die Blätter oder an das Mundstück, man denke an die Blattschrauben oder Klappen. Was wurde da nicht schon alles versucht!
Sarah Belz wagte sich im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit an das Herzstück des Saxofons: den S-Bogen. Herzstück deshalb, weil er das Mundstück mit dem Korpus verbindet. Und aus solch einem Bauteil sei möglicherweise noch eine Menge herauszuholen. »Welche Alternativen gibt es zum herkömmlichen Material ›Messing‹ bei der Fertigung von S-Bögen?« lautet der Titel dieser Arbeit.
»Im Studium bekommt man ständig gesagt, dass man ›seinen eigenen Klang‹ entwickeln müsse«, erklärt Sarah Belz. Doch der sei vom Instrument »in gewissem Maße immer schon vorgegeben«, bedauert sie. Denn während Blechbläser schon immer nach Lust und Laune andere Materialien miteinander kombinierten, sei der S-Bogen stets aus dem gleichen Material wie der Korpus. »Dann mal ran an die Arbeit!«, dachte sich die Schweizerin.
Sarah Belz und das Saxofon
So einfach war das indes nicht – denn die 24-Jährige ist schließlich keine Instrumentenbauerin. Seit sie neun Jahre alt ist, spielt sie Altsaxofon – obwohl sie die Musikschule eigentlich besuchte, weil sie das Klavierspiel erlernen wollte. Doch an jenem Tag der offenen Tür der Musikschule war ihr der Klavierlehrer unsympathisch. Ein Saxofon war aus einem anderen Zimmer zu hören. Der warme Klang gefiel ihr.
Das Saxofon lässt Sarah Belz auch heute keine Ruhe – im positiven Sinne. Sie spielt wo immer es möglich ist: in der Band »Djeffrah«, die Soul mit Jazz-Einflüssen spielt, im Duo »SARDA« oder sie improvisiert im Latinjazzstyle mit »Latinovum«. Sie spielt spontan im Züricher Jazzclub Moods oder auch mal auf der Straße in New Orleans.
Doch sie spielt nicht nur – sie lässt auch spielen. Sarah Belz unterrichtet an der Jugendmusikschule Arbon-Horn Saxofon und Klarinette. Der Musikunterricht ist eines von Sarah Belz’ Standbeinen. Außerdem leitet sie das Spiel der Kantonspolizei Thurgau. Als erste Frau überhaupt. Sie übernahm von Roland Schneiter, der zehn Jahre den Taktstock in der Hand hielt.
Die Feuertaufe hat die Dirigentin bestanden. Die Lokalpresse jubelte: »Sarah Belz machte ihre Sache ausgezeichnet: Sie dirigierte das Spiel der Kantonspolizei Thurgau mit subtil-präziser Kraft und entpuppte sich im Interview mit Reto Scherrer als unprätentiöse junge Frau. Der Einstand als frischgebackene Dirigentin, der erste große Auftritt vor versammelter Prominenz und riesiger Besucherschar (das Stadtcasino war am Samstagabend bis auf den letzten Platz gefüllt) gelang Sarah Belz perfekt!«
Dass sie nun ein Polizeispiel dirigiert, findet sie selber lustig. »Als kleines Mädchen wollte ich Polizistin werden.« Dazu kam es nicht. Doch führt sie nun das Polizeispiel mit dem Taktstock – und eine Uniform darf sie trotzdem tragen.
Fabian Bächi und das Blaswerk Haag
Dass ihr Weg sie überhaupt in den Thurgau führte, war so nicht beabsichtigt. »Hängengeblieben« ist sie in Weinfelden letztlich der Liebe wegen. Ihren Freund Fabian Bächi nämlich lernte sie kennen, als sie mit einer Band in Weinfelden spielte. Und der Bandleader ist der beste Freund Bächis. Und Fabian Bächi wiederum ist Instrumentenbauer beim Blaswerk Haag. Also Zufall? Vielleicht auch Schicksal. Auf jeden Fall ein entscheidendes Mosaiksteinchen auf dem Weg zum eigenen S-Bogen.
Fabian Bächi hat Sarah Belz die Vorgänge des Instrumentenbaus erläutert. Zumindest zunächst die technische Seite, denn Fabian Bächi baut normalerweise keine Saxofone und auch keine S-Bögen. Fabian Bächi aus Bussnang ist der erste Schweizer, der den Meisterbrief als Blechblasinstrumentenbauer erlangt hat. Im Blaswerk Haag in Weinfelden entwickelt und baut er Posaunen, Trompeten und Flügelhörner.
»Mit voller Hingabe entwickelt er seine Trompeten und Posaunen stetig weiter. Jedes Instrument ist ein einzigartiges Kunstwerk mit grenzenloser Musikalität und einem einmaligen Klangerlebnis«, heißt es überschwänglich im Firmenprospekt. Salopp gesagt: Wer Blech biegen kann, bekommt auch einen S-Bogen hin. Also konnte Bächi der Saxofonistin quasi Nachhilfe geben.
Dass der Instrumentenbau nicht von alleine geht, musste Sarah Belz schnell lernen, denn »die ersten 15 S-Bögen sind mir erst einmal zerbrochen…« Bevor es an die Arbeit ging, musste sie sich Gedanken darüber machen, welche Alternativmaterialien überhaupt infrage kommen. Silber war so ein Gedanke, dann auch Gold. Und über Carbon hat sie nachgedacht. Doch diese Materialien wurden relativ schnell verworfen, da der Bau eines S-Bogens dann doch mit recht hohen Kosten und Aufwand zu Buche schlagen würde. Am Ende landete Sarah Belz dann bei Bronze, Kupfer und Goldmessing.
Der Bau des S-Bogens
Angelehnt ist der neue S-Bogen an das Herzstück des Mark VI von Selmer – unter vielen Saxofonisten immer noch das Nonplusultra. Das Blech wird in eine Form gedrückt, es entsteht ein konisch verlaufendes Rohr. Dieses wird mit einer Seifenlauge gefüllt und sozusagen tiefgefroren. Im gefrorenen Zustand wird das Rohr dann in seine Form gebogen. Die eisige Substanz im Innern erhält die Form der Bauteile beim Biegen.
Anschließend wird der S-Bogen mit Druckluft »aufgeblasen«, damit die beim Biegen entstandenen Unebenheiten ausgeglichen werden. Dafür wird Luft mit etwa 900 bar in das Rohr gedrückt. Das ist viel. Zum Vergleich: Der Fahrradschlauch eines Mountainbikes schlägt mit 2 bis 3,5 bar zu Buche.
Schließlich wird der S-Bogen auf die richtige Länge geschnitten und das Oktav-Tonloch wird gebohrt. Danach wird poliert und die Verstärkung und das Oktavklappenröhrchen werden montiert. Zum Schluss erfolgt noch eine Akustikmessung – die Intonation sollte natürlich passen.
Unterschiedliche Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften
Sarah Belz war es im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit nicht nur wichtig, die handwerkliche Arbeit des S-Bogen-Baus zu bewerkstelligen. Sie wollte auch und vor allem den praktischen Nutzen des Alternativmaterials untersuchen. Und deshalb hat die Saxofonistin Testpersonen engagiert, Amateure, Studenten und Profis, die ihr sagen sollten, welches Material mit welchen Eigenschaften daherkommt.
Diese Tests fanden »blind« statt, damit etwaige Vorbehalte keine Rolle spielten. Natürlich ist die Meinung von Musikern immer subjektiv. Jeder hat seine Vorlieben, seine Vorstellung von Klang. Oft empfindet ein Musiker auch ein bestimmtes Material anders als es der Hörer wirklich wahrnimmt. Da geht es dann auch etwa um den Widerstand und die Ansprache, solche Dinge eben, die der eine Musiker anders wahrnimmt als der andere.
Die Auswertung der Befragungen ergab letztlich, dass der S-Bogen aus Goldmessing die besten Bewertungen bekam. Hier wurde nach den Einschätzungen der Tester der wärmste Klang erzeugt. Beim Kupfer-S-Bogen sei der Widerstand größer gewesen, allerdings spreche dieser schneller an. Bronze wiederum erzeuge eher einen »dünnen« Sound, dafür sei die Ansprache sehr direkt.
S-Bögen für jede Situation
Sarah Belz spielt alle S-Bögen. Je nach Einsatz. »Ich spiele momentan viel Funk. Deshalb habe ich mir die Frage gestellt, was ich tun muss, damit ich ein bisschen ›schärfer‹ klinge.« Der bronzene S-Bogen brachte dann die Lösung. »Insgesamt bin ich mit meinem Sound zufrieden«, sagt sie lächelnd. Wissend, dass Saxofonisten ja nie wirklich zufrieden sind. Natürlich müsse man sich an ein neues Bauteil aus neuem Material erst einmal gewöhnen. Doch Sarah Belz ist zuversichtlich.
Und da im Rahmen ihrer Arbeit weder handwerklich noch musikalisch ein S-Bogen durchgefallen ist, plant das Blaswerk nun, damit in Serie zu gehen. Ob sie dann am Umsatz beteiligt wird? Sie lacht. Darum geht es ihr wirklich nicht. Sie will Musik machen, dirigieren und unterrichten. Der Instrumentenbau ist die Sache ihres Freundes. Und deshalb resümiert sie lachend: »Es bleibt ja in der Familie!«