Brass, Orchestra | Von Klaus Härtel

Theinerts Thema: Die Rolle der Tuba im Orchester

Theinert

Markus Theinert ist studierter Tubist, sitzt regelmäßig in der Jury des Instrumentalwettbewerbs in Markneukirchen und hat 23 Jahre lang bei Miraphone in Waldkraiburg gearbeitet. Wenn sich also einer mit der ­Rolle der Tuba in den Orchestern auskennt, dann ja wohl er… 

Herr Theinert, welche Rolle hat die Tuba im Blasorchester bzw. Sinfonieorchester?

Die Tuba nimmt im Blasorchester eine andere Rolle ein als im Sinfonieorchester. Während sie im Blasorchester die generelle Bassfunktion zum großen Teil ausfüllt, ist sie im Sinfonieorchester ja nur ein Teil des Registers. In beiden Besetzungen ist die Tuba mit ihrem Klangvolumen in der tiefen Lage sehr dominant und daher natürlich auch ständig präsent. Im Sinfonieorchester kommt die Tuba allerdings in der Regel nur dann zum Einsatz, wenn die Blechbläser im Satz ­spielen. Wenn aber das Holz oder die Streicher alleine gefragt sind, pausiert die Tuba zumeist. Im Sinfonieorchester besteht eine besondere klangliche Heraus­forderung für die Tuba, weil sie sich eben auch entsprechend klanglich anpassen muss.

Es kommt darauf an, ob ich als Tubist eine vierte oder fünfte Posaunenstimme, ein fünftes oder neuntes Waldhorn oder mit der Kontrabassgruppe im Unisono spiele. Speziell mit den Streichern ist eine sehr sensible Anpassung der Klang­gebung vonnöten. Im Blasorchester wird von der Tuba allerdings oft mehr Technik und Ausdauer gefordert, da sie beständig zum Einsatz kommt. Allerdings wird die Stimme dort auch fast immer mehrfach besetzt. In den amerikanischen Wind Ensembles haben wir zwei bis drei, in Europa oftmals vier oder fünf, manchmal auch sechs Spieler im Tubaregister. Dadurch erleichtert man die klangliche Mischfähigkeit etwas. 

Gelegentlich sieht man auch im Blasorchester einen Streichbass. Wie unterscheiden sich die Rollen dieser tiefen Instrumente? 

Sie unterscheiden sich natürlich aufgrund der Klanggebung und des dynamischen Potenzials. Ein einzelner Streichbass scheint zunächst nur wenig Möglichkeiten in Bezug auf das ganze Blasorchester zu besitzen. Aber er fügt dem Orchester doch eine entscheidende Klanglichkeit hinzu. Denn die Obertonstruktur eines Streichinstruments hat eine unglaublich verstärkende Wirkung auf die Breite des Klangs. Man wird den Kontrabass nicht in allen Passagen als selbstständige und autarke Stimme wahrnehmen. Aber wenn sein Reichtum in den unteren Ok­taven fehlt, dann macht sich das auch für wenig geübte Ohren sofort bemerkbar. 

Beim Bass geht es ja nicht nur um die tiefen In­strumenten­kategorien, sondern es geht um ­seine harmonische Funktion, um die gesamte Obertonstruktur, die Reinheit im Klang, die Intonation und die Ausgewogenheit. Hier wird quasi ein klanglicher Teppich ausgebreitet, auf dem alle anderen Instrumente mit ihren höher angelegten Zwischen- und Hauptstimmen wandeln. Also auch in Bezug auf die Melodiestimme geht vom Bass bzw. dem Fundament eine große Verantwortung aus. Die Tuba ist dabei im Vergleich zu den anderen Bassinstrumenten im Blas­orchester in ihrem Gesamtklang wesentlich präsenter und daher für diese Funktion hauptverantwortlich.

Die tiefen Holzblasinstrumente – wie Bass- und Kontrabassklarinette, Kontrafagott oder Bariton- und Basssaxofone – fügen aber dem voluminösen Tubaklang nicht nur Farbe und Klarheit hinzu, sondern dienen auch ihren jeweiligen Registern als klangliche Abrundung nach unten, da ansonsten die Mischfähigkeit und satztechnische Selbstständigkeit der Holzblasregister nicht gewährleistet werden kann. In sanften Piano-Passagen sind vielleicht nur die Holzbläser vertreten – dann schweigen auch die Tuben. Im Gesamtklang des Orchesters ist eine solch spezifische Mischung der Bassstimme unter Umständen dann auch besser artikuliert. 

Natürlich ist nicht ein Instrument wichtiger als das andere, denn alle haben ihre Funktion. Haben Dirigent und Tubist trotzdem eine besondere Beziehung?

Ja, sie ist in einer gewissen Weise einmalig. Auch wenn sich die Tuba in der modernen Literatur und im Unterricht zunehmend als Soloinstrument etabliert hat, ist sie im Wesen doch ein Bassinstrument geblieben. Das machte das In­stru­ment in der Vergangenheit bisweilen nicht ganz so interessant oder attraktiv, denn in der Orchesterliteratur gibt es eben nicht ganz so ­viele Herausforderungen, was die Virtuosität und vordergründige Melodieführung angeht. Aber genau aus diesem Grund nimmt die Tuba eben auch ihre einmalige Funktion ein! Denn ein gutes Gehör und die Offenheit für die Obertöne im Orchester sind Qualitäten, die von Tubaspielern und Dirigenten gleichermaßen verlangt werden. Im Blasorchester, wo die Tuba die prioritäre Bassstimme ausfüllt, gilt das natürlich besonders – zumindest in der deutschen Besetzung, in der die Kontrabassinstrumente im Holzregister in der Regel weniger stark vertreten sind.

Das mag sich in der amerikanischen und niederländischen Tradition und auch in Spanien etwas in Richtung der Holzblasinstrumente verschieben. Im deutschsprachigen Raum war und ist die Tuba bis heute das bestimmende Bassinstrument geblieben. Die Besonderheit liegt, wie bereits erwähnt, in der klanglichen Verantwortung. Es wird kaum jemandem bewusst, warum Flöte und Klarinette sich in der fünften Oktave nicht mehr sauber treffen können. Es ist der Bass, der dafür zuständig ist, damit es trägt! Dort genügt oft eine feine Korrektur, damit Flöte und Klari­nette zueinander finden. Das ist eine andere Heraus­forderung als die eines virtuosen Solisten. 

Welche besonderen Voraussetzungen sollte denn ein guter Tubaspieler mitbringen? 

Der Tubaspieler benötigt Geld, um ein Instrument zu kaufen, und viel Muskelkraft, um es tragen zu können! (lacht). Nein, Spaß beiseite: Ein exzellentes harmonisches Gehör steht an erster Stelle. Dieses Talent braucht tatsächlich jeder Bass-Spieler , auch wenn oder gerade weil der Part melodisch im Orchesterrepertoire nur selten in Erscheinung tritt. Ein weiterer Aspekt ist ein solides und sensibles Rhythmusempfinden. Das ist ganz entscheidend für die metrische Funktion des Basses. Und wenn ich über die harmonische Struktur im Blasorchester auch noch für dessen metrische verantwortlich bin, dann sind das zwei der fundamentalen musikalischen Parameter, die für die gesamte Partitur entscheidend sind. Das ist nicht zu unterschätzen. 

Von der körperlichen Seite her wird oft betont, man benötige für die Tuba unheimlich viel Luft. Das liegt sicherlich nicht ganz daneben, denn die Tuba ist nun einmal ein großvolumiges Instrument, das mit Windenergie zum Klingen gebracht werden möchte. Hier braucht man von der Lungenkapazität her andere Voraussetzungen.

„Wenn man Spaß hat am Instrument, dann wird man diese technischen Herausforderungen viel leichter schaffen.“ 

Auf der anderen Seite war es noch nie ein wirkliches Hindernis für Schüler mit kleinerer Lunge, dieses Instrument erfolgreich zu erlernen. Was an Lungenvolumen fehlt, kann mit Übung und Effizienz ausgeglichen werden. Für die Trompete hingegen braucht man mehr Druck, auch wenn man die Atemluft hier nicht gerade literweise durch das Mundstück bläst. Und so hat jedes Instrument seine eigenen Besonderheiten und physischen Herausforderungen. 

Auch der Anteil der beteiligten Lippenmuskulatur und die Kieferstellung sind bei der Tuba anders als bei kleineren Mundstücken. Dies sollte jedoch keinesfalls als Grenze für den jugendlichen Anfänger bewertet werden. Denn diese Gesichtspartien entwickeln sich ja beim Erwachsenwerden noch. Da werden oft Fehler gemacht! Wenn ich mich an meine eigenen An­fänge erinnere: Ich war als Elfjähriger kleiner als mein Instrument und habe deswegen von der physischen Seite her gekämpft. Aber das kann sich über die Jahre ändern und wird mit einem guten Lehrer auch besser werden. Letztendlich sind die Herausforderungen, die man als Tubist bewältigen muss, für jeden überwindbar. Die Voraus­setzungen können sich entwickeln – es kommt sehr viel mehr auf die persönliche Affi­nität an, die man dem Instrument gegenüber an den Tag legt. Wenn man Spaß hat am Instrument, dann wird man diese technischen Herausforderungen viel leichter schaffen. 

Werden Tubaspieler gelegentlich unterschätzt?

Wir unterschätzen uns doch gegenseitig am laufenden Band. Der Respekt vor dem Anderen und dem Neuen sollte hier immer im Vordergrund stehen. Jedes Instrument hat seine ganz individuelle Rolle im Orchester. Jeder Musiker hat eine dezidierte Funktion und persönliches Talent. In der Vergangenheit wurde die Tuba oft unterschätzt, weil sie als ungelenk und grob an­ge­sehen wurde und nicht sehr geeignet für schlanke Töne. Aber speziell in den letzten drei Jahrzehnten haben wir doch gesehen, wie sich das gewandelt hat. Es gibt heute großartige Solisten, die genauso wie Geigen- oder Flötensolisten Solo­konzerte auf den Podien der Welt geben, die an Musikalität und Virtuosität absolut ebenbürtig sind. Das hat dem Instrument sehr geholfen. Keiner muss sich genieren, weil er die Tuba spielt, auch wenn deren Rolle etwa in der traditionellen Blasmusik besonders simpel erscheint. 

Wer war denn federführend, dass die Tuba aus der letzten Reihe des Orchesters den Weg nach vorne gefunden hat? Instrumentalisten, Komponisten?

Die Tuba hat sich ja nicht nur ein bisschen emanzipiert, sondern ist auf radikale Weise aus dem Schattendasein herausgetreten. Es gibt heutzutage kaum noch ernsthafte Zweifel daran, dass die Tuba ein vollwertiges Soloinstrument sein kann und auch ist. Allerdings hinkte Deutschland im internationalen Vergleich eine ganze Weile hinterher. Man hat sich hierzulande mehr auf die Orchesterausbildung konzentriert, sodass die anderen Möglichkeiten auf dem Instrument eben nicht zum Vorschein kamen. Das haben uns andere Länder – USA, Frankreich, Ungarn, Skandinavien – etwas voraus gehabt. Dort wurde die Tuba von Anfang an in der Ausbildung als gleichwertig mit anderen Orchesterinstrumenten behandelt. 

Es hat aber auch an entsprechender Literatur gefehlt. Weil etablierte Solisten danach gefragt ­haben, sind dann mehr und bessere Werke entstanden und in Folge wurde auch die jüngere Generation der Tubisten mehr gefordert. Es existieren auch unzählige Besetzungsvarianten, in denen das Instrument solistisch zur Geltung kommt: Tuba mit Streichquartett, Tuba mit Harfe, Brassband als Begleitung und viele andere Dinge. Zunächst kamen diese Werke von ausländischen Komponisten – dann aber zunehmend auch von deutschen. Einrichtungen wie das Deutsche Tuba Forum, Fortbildungskurse für Amateure und Wettbewerbe wie der in Markneukirchen haben dazu beigetragen, dass man der Tuba von allen Seiten aus mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat – vom Publikum, von den Musikern, den Lehrern und auch aus der Sicht der Komponisten. 

Welche Rolle spielt der Instrumentenbau?

Der Instrumentenbau hat hier eine Dienstleistungsfunktion, um den gewachsenen Anforderungen zu begegnen und entsprechende Instrumente an den Markt zu liefern. Es ist etwas anderes, ob wir einen großvolumigen Kontrabass für eine Wagner-Oper bauen oder ob wir eine schlanke F-Tuba für einen Konzertsolisten konzipieren. Beim Letzteren geht es ja um die Beweglichkeit und eine schnelle Ansprache, weniger Tiefe im Klang, dafür aber bessere Projektion und deutlichere Artikulation. Der Instrumentenhersteller muss diese diversen Herausforderungen meistern, wenn ein Tubist im Blechbläserquintett, als Solist, als Kammermusiker mit Streichern oder im großen Sinfonieorchester agieren möchte. All diese Funktionen haben andere klangliche und technische Ansprüche. Die Produktentwickler haben eine große Spielwiese erhalten, um den Musikern das adäquate Werkzeug zur Verfügung zu stellen. Das hat sicherlich beiden Seiten geholfen. 

Wenn Sie heute weltweit die vielen Solisten sehen, beneiden Sie diese manchmal?

Ja, wenn ich damals die Möglichkeiten gehabt hätte, die heute in der Ausbildung zur Verfügung stehen… Allein die Literatur! Heute ist es nicht mehr notwendig, dass wir uns ein Waldhorn-Konzert als „Vorzeigewerk“ zu eigen machen. Da haben sich im Laufe der Zeit viele neue Möglichkeiten eröffnet. Aber eifersüchtig bin ich nicht. Vielmehr schaue ich mit großem Respekt auf die neue Generation von Tubisten, die diese positive Entwicklung mitgetragen und ermöglicht haben. Und das nicht zuletzt aufgrund ihrer musikalischen Neugierde und ihres eigenen ­Mutes, sich nicht ausschließlich mit einer Orchesterrolle zu begnügen. Das hat heute sicherlich auch auf die Amateure einen motivierenden Einfluss. Egal, ob diese „nur“ im Posaunenchor tätig sind oder im Musikverein – sie möchten doch heute alle über den bisherigen Tellerrand hinausschauen. 

Die Tuba ist also weiterhin ein Instrument der Zukunft. Die Entwicklung schreitet vo­ran. 

Absolut! Die Tuba hat so viele Möglichkeiten, die noch nicht gänzlich erforscht und abgedeckt sind. Ein Balanceakt wird dies aber immer bleiben. Auf der einen Seite muss der Spieler das große Volumen des Klangs, aber auch Transparenz und Artikulation in einer Weise bewältigen können, dass es den verschiedenen Anwendungen des Instruments gerecht wird. Denn wenn wir in der Kontraoktave einen samtigen Teppich legen dürfen, dann fühlt man sich auch als Tubist sehr wohl im Orchester, auch wenn es sich nur um einen ausgehaltenen Orgelpunkt über vier oder acht Takte handelt. Auf der anderen Seite stehen die technischen Herausforderungen, die ich als Solist meistern muss. Da kommt man mit einem Instrument an die Grenzen. Hier sind die Herausforderungen an den Instrumentenbau groß. Wir sehen an der Vielzahl der Modelle, die heute auf dem Markt sind, dass hier große Fortschritte gemacht wurden.

Markus Theinert war Dirigent der Mannheimer Bläserphilharmonie und in Mannheim auch Professor für Dirigieren. Heute ist er – nachdem er 23 Jahre bei der Firma tätig Miraphone  war –  Vice President-Marketing beim US-amerikanischen Instrumentenbauer Conn-Selmer. Für CLARINO hat er viele Jahre lang Theinert Thema beigesteuert. Er ist unter theinert@brawoo.de erreichbar.