Brass | Von Hans-Jürgen Schaal

Trompeter Richard Koch und der Flow

Richard Koch
Foto: Laura Braun

Richard Kochs Musik hat alles, was Jazztrompete interessant macht: Dämpfer-­Kapriolen und folkloristischen Witz, soulige Grooves und lyrische Melodik, bluesiges Feeling, wilde Kraft und freie Exkursionen. Eine Werbung für das Instrument.

Seine Wurzeln liegen im Jazz, aber man begegnet seinem Trompetenspiel in vielen Genres. Richard „Ritsche“ Koch, der in Wien, Stuttgart und Berlin studiert hat, liebt Performance- und Crossover-Projekte mit Bildenden Künstlern, Tänzern oder Schauspielern. Er hat auch mit dem Neo-Klassiker Nils Frahm gearbeitet, mit dem Hip-Hop-Künstler Peter Fox, mit den punkigen Beatsteaks. Er war Mitglied der Jazzband Olaf Ton und spielt im Andromeda Mega Express Orchestra, dem Berliner Fusion-Avantgarde-Ensemble. Auch in Freejazz-Kontexten konnte man Richard Koch vielfach hören, etwa mit Ingrid Laubrock, Satoko Fujii oder Frank Gratkowski. Mit seinem eigenen Jazzquartett legt er alle zwei Jahre ein neues Album vor. „Fluss“ ist schon das Dritte.

Das Interview führte Hans-Jürgen Schaal.

Du spielst deine Trompete in verschiedenen Genres – von Neuer Klassik über Hip-Hop bis hin zu Freejazz. Deine eigene Musik nenne ich jetzt mal groovigen Jazz mit gospeligen Anklängen. Ist das der Stil, in dem du dich am wohlsten fühlst? 

Ich empfinde die Musik meines Quartetts als Summe aller meiner Einflüsse. Neben den sicherlich groovigen und gospeligen Stücken gibt es auch immer wieder freie Improvisation, also Ausflüge in die Welt des Geräuschhaften. Diesen Ansatz verfolgen wir auch live. Der Flow – und der Groove als sein Helfer – sind mir dabei sehr wichtig, wie auch schon im Albumtitel der aktuellen Platte »Fluss« zu sehen!

Deine Alben heißen „Wald“, „Stadt“, „Fluss“. Bleibt es bei der Trilogie? Es wurden ja auch schon weitere Fortsetzungen wie „Berg“ und „Dorf“ vermutet …

Es wird mit Sicherheit neue Quartettplatten geben. Gerade habe ich ein neues Stück kom­poniert, das natürlich darauf wartet, aufgenommen zu werden! Was die Titelgebung betrifft, sehe ich die drei Alben als abgeschlossene Trilogie. Möglicherweise wäre es Zeit für mehrsilbige Titel?

Klingt die Musik auf „Stadt“ denn für dich städtischer als die auf „Fluss“? 

Meine Musik bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen natürlichem und urbanem Raum. „Stadt“ entstand in der Natur, während einer Hingezogenheit zur städtischen Gesellschaft. „Fluss“ sehe ich als Überbegriff – nicht nur im Kontext der Natur, sondern auch, was den Fluss im Leben betrifft und das Bedürfnis von vielen Menschen, nach der Krisenzeit wieder in einen Fluss zu kommen. Bei den Kompositionen von „Fluss“ hatte ich meinen Zustand als Zuhörer im Sinn: Wie beim Hören des Albums diese Bedürfnisse erfüllt werden können. Auch der Flow im Studio war mir sehr wichtig: Wir haben die gesamte Platte in einem Fluss in 5 Stunden eingespielt. Als Zuhörer würde ich die Musik von „Fluss“ als gleichmäßiger, melodiöser und eben fließender als bei „Stadt“ bezeichnen. Hier höre ich mehr etwas Pulsierendes, Effektvolleres!

Welche der Bands, mit denen du gespielt hast, verbindest du mit besonderen, unvergesslichen Erinnerungen?

Die Beatsteaks, die mir großzügigerweise eine Carte Blanche für die musikalische Gestaltung meiner Trompeten-Soloparts gegeben haben: Nils Frahm, der meine Improvisation auf seinem Stück „Human Nature“ als First Take ungekürzt auf die Platte genommen hat und Jimi Tenor, der mir sehr viel Freiraum gegeben hat und mir gezeigt hat, was es bedeutet, ein universeller Künstler zu sein.

Als Komponist sollst du ja ein Spätzünder sein. Stimmt das? 

Das stimmt absolut! Ich habe mich stets davor gescheut, Bandleader zu werden. Ich hatte nun mal auch sehr gut als Sideman zu tun. Gleichzeitig hatte ich sehr großen Respekt vor dem Leadership-Thema sowie der Hingabe, besonders was Akquise und Promotion betrifft. Irgendwann wurde aber das Bedürfnis so groß, meinen eigenen musikalischen Traum zu verwirklichen und mein kreatives Potenzial in voller Bandbreite in die Welt zu schicken, dass ich für drei Wochen alleine auf eine einsame Insel mitten auf der Nordsee gefahren bin. Und die Ideen sprudelten!

Du hast diesen saftigen, körperlichen, sprechenden Ton auf der Trompete. Hast du schon immer so gespielt? Steckt dahinter ein besonderes Training?

Mein Gefühl ist, das mein Ton viel mit meinen musikalischen Einflüssen zu tun hat. Ich habe als kleines Kind schon Lester Bowie gehört oder auch Don Cherry. Ansonsten habe ich sehr früh angefangen zu improvisieren und eine sprach­liche Herangehensweise als Voraussetzung für das Zusammenspiel entwickelt. Das hat mir später sehr bei meinen kunstübergreifenden Projekten geholfen – beispielsweise mit Bildender Kunst oder auch Tanz. Seit einiger Zeit beschäftige ich mich intensiv mit Körperarbeit – Yoga, ­Alexander-Technik – und Meditation. Dies hat aus meiner Sicht außerdem dazu beigetragen, den Klang weiter zu öffnen und meine Selbstentfaltung nicht zu behindern.

Wie kamst du überhaupt zur Trompete, wie fing es an?

Mein Vater war Musiklehrer am Gymnasium und Jazzfan. Er schlug mir und meinem Bruder verschiedene Instrumente vor. Meine Wahl fiel auf die Trompete, weil ich sie so schön fetzig fand. Wir liebten es damals, zu Al Jarreau und Tower of Power herumzutollen.

Wann wurde dir klar, dass du Jazz spielen und improvisieren willst?

Es hat sich eher organisch ergeben, als ich mit etwa zwölf Jahren Philip Zoubek kennenlernte, den Pianisten. Das gemeinsame Improvisieren hat mir einfach unglaublichen Spaß gemacht und trug mich dann sicher durch die Pubertät. Irgendwann war es einfach keine Frage mehr, ob ich etwas anderes machen will.

Welche Trompeter bewunderst du oder hörst du besonders gerne? 

Don Cherry, Lester Bowie, natürlich Miles Davis, dann Roy Eldridge, Bubber Miley, Cootie Williams. Mein Sound entstand zu einem erheblichen Teil aus der musikalischen Interaktion. Grundsätzlich habe ich mehr Saxofonisten gehört – wie zum Beispiel Ornette Coleman, ­Dewey Redman oder Tim Berne.

Gibt es in Österreich eine besondere Tradition der Jazztrompete? 

Mit Sicherheit gibt es in Österreich eine sehr lebendige Blasmusiktradition. Die Fitness am Horn ist deshalb auf einem hohen Niveau! Auch die Verbindung zwischen Blasmusik und Jazz kann durchaus großartig sein. Hier bin ich auch im Austausch mit Thomas Gansch oder Mario Rom.

Wenn du spielst, klingt es, als wäre nichts einfacher und fröhlicher als Trompetespielen. Was daran ist Talent, was ist Übung?

Die Freude am Musizieren habe ich bestimmt schon lange! Eine entspannte Bühnenpräsenz ist wahrscheinlich bei mir das Ergebnis von viel solistischer Erfahrung, auch auf riesigen Bühnen. Vor allem arbeite ich in meiner täglichen Übe-Praxis an meiner Leichtigkeit im Spiel. Ziel ist stets, dass sich die Trompete gefühlt in Luft auflöst. Dazu benötige ich auch meine Praxis in Körperarbeit und Meditation.

Fühlst du dich als Österreicher, als Tullner, als Berliner, als Brandenburger?

Ich fühle mich kulturell in Österreich verwurzelt. Nicht umsonst gibt es eine Austrian Edition meines Quartetts mit Lukas Kranzelbinder am Bass und Lukas König am Schlagzeug. Nichtsdestotrotz habe ich Berlin sehr viel für meine künstlerische Entwicklung zu verdanken. Ich habe weitaus mehr als die Hälfte meines Lebens im Großraum Berlin verbracht. Mittlerweile veranstalte ich auch zunehmend Konzerte in der ländlichen brandenburgischen Gegend und erhalte dafür Unterstützung der lokalen Förderinstitutionen. Das ermöglicht mir, meine Musik an schönen Orten in der Natur zum Klingen zu bringen.

Sagst du mir ein paar Worte über die aktu­ellen Mitspieler in deinem Quartett? Was schätzt du an ihnen musikalisch besonders?

Michael Hornek am Klavier ist neben seiner Virtuosität ein glänzender Musikant, der mit mir spielerisch musikalische Dialoge eingehen kann. Ähnliches kann ich über Matthias Pichler am Kontrabass sagen. Obendrein kennen sich die beiden seit ihren Teenager-Jahren in Tirol. Moritz Baumgärtner am Schlagzeug besticht durch seine Offenheit, seinen ungemein lebendigen Sound und eine Erdung, die seinen musika­lischen Humor vollends zur Geltung bringt. Wir haben schon sehr viel zusammen erlebt, nicht zuletzt die USA-Tour im letzten Jahr. Das schweißt zusammen!