Im Zweiten Weltkrieg gab es in den USA ein Poster mit dem Titel „Someone Talked“ – ein Poster, um vor sorglosen Diskussionen über Truppenbewegungen und andere militärische Informationen zu warnen. „Someone Talked“ heißt auch das aktuelle Album des Saxofonisten Uli Kempendorff und seiner Band Field. Wir sprachen mit dem Berliner Musiker über Kommunikation, Inspiration und die Kunst des Zusammenspiels.
Uli Kempendorff beschäftigt sich viel mit der Sprache und er habe in den vergangenen anderthalb Jahren viel über Kommunikation gelernt, erzählt er. „Über Kommunikation mit Menschen, aber auch im öffentlichen Raum.“ Damals, in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, drückte diese „Someone talked“-Kampagne eine gewisse Grundparanoia aus. Und heute? „Ein interessanter Aspekt der Kommunikation von heute ist, dass jedes Narrativ immer wieder herausgefordert wird, wenn neue Informationen an den Tag kommen.“
Musik indes würde der Saxofonist nicht generell als Sprache bezeichnen, eher als Kommunikationsmittel. „Musik ist nicht so präzise, wie eine Sprache sein kann“, findet er. Natürlich kennt er diesen Allgemeinplatz, wonach man mit Musik mit allen Menschen kommunizieren könne. „Aber ich bin schon in Konzerten gesessen, bei klassischer indischer Musik etwa, in denen andere Zuhörer wesentlich mehr verstanden haben als ich“, lacht er. Er habe das zwar ästhetisch genießen können, aber man habe gemerkt, wie und an welchen Punkten „die anderen“ reagiert haben.
Der Titel „Someone Talked“ erscheint sehr singhaft
Der Titel „Someone talked“ ist durchaus auch auf das Zusammenspiel einer Band anzuwenden, selbst wenn der Titel erst nach den Aufnahmen im Raum stand. Doch „der Aspekt, der mich mit am meisten interessiert – Aktion und Reaktion“ – lassen den Albumnamen im Nachhinein als sehr sinnhaft erscheinen. Sprechen musste man während der Aufnahmen ohnehin nicht viel, auch wenn die insgesamt dritte Platte von Uli Kempendorffs „Field“ in einer Neubesetzung mit Christopher Dell am Vibrafon, Peter Bruun am Schlagzeug und Jonas Westergaard am Kontrabass entstand. Denn man kennt sich natürlich, in dieser Formation spielt die Band schon seit 2018 Konzerte und hat in dieser Zeit eine von Feinsinn und Kraft geprägte gemeinsame Sprache gefunden.
Überraschend ist, dass Uli Kempendorff die „gleiche Wellenlänge“ gar nicht unbedingt so wichtig erscheint. Dies sehen viele Musiker anders, doch „ich habe schon viele tolle musikalische Erlebnisse gehabt mit Leuten, mit denen ich nicht zwingend einer Meinung war“. Das nämlich könne „auch total reizvoll sein. Dann hat man eine Reibungsfläche, an der man sich abarbeiten kann.“ Und außerdem sei es doch oft viel interessanter, wenn sich in Gesprächen nicht alle immer in ihrer Meinung bestätigen. Er empfinde es fast als angenehm, wenn die Chemie nicht sofort stimme. Wenn noch ein bisschen Sand im Getriebe sei, dann „entstehen andere Dinge als in einem Wohlfühlbereich“.
Reibung erzeugt Energie
Durch Reibung entsteht Energie? „Unbedingt!“, ruft er aus. Man müsse sich einmal beispielsweise den Improvisationsanteil anschauen. Es gebe da mehrere Möglichkeiten: „Imitiere ich, was die anderen machen? Unterstütze ich es? Oder breche ich das? Und wenn ich das breche, muss ich ja etwas anderes anbieten. Das kann einerseits total destruktiv sein. Andererseits kann ich sagen: ‚Ich würde gerne hierhin gehen.‘ Das allerdings muss dann schon so stark sein, dass die anderen das auch verstehen – und ihrerseits die Optionen haben, da mitzugehen oder eben nicht.“ Zu viel Harmonie scheint der Kreativität abträglich. Kempendorff erklärt noch einmal anschaulich: „Wenn jeder die ganze Zeit nur sagt ‚Ach, das ist ja eine tolle Idee!‘, dann führt es ganz schnell zu Musik, die ziemlich zusammenhangslos ist. Jeder sagt: ‚Ah, nein, bitte geh du zuerst durch die Tür‘ – und am Ende läuft gar keiner…“
Im Zusammenspiel komme es darauf an, „dass man selber weiß, wer man musikalisch ist“, findet der Musiker. Natürlich komme es dabei auch auf den Kontext an. Wenn der stark reguliert sei und es darauf ankomme, entsprechend der vorliegenden Noten zusammenzukommen, seien die Voraussetzungen andere als in der improvisierten Musik. Hier müsse man Sounds anbieten, mit denen die anderen auch etwas anfangen können. „Ich muss im Kopf flexibel sein, denn ich treffe eine Aussage und schaue, wie die anderen diese verarbeiten. Und darauf muss ich erneut reagieren.“
Rollenverteilung in den Bands hat sich gewandelt
Mit Selbstbewusstsein hat das allerdings nur am Rande zu tun, meint Kempendorff. „Durch mein Instrument entsteht eine Abstraktionsebene. Das ist vergleichbar mit einer Schauspielerin, die sich eine Maske aufsetzt. Selbst wenn ich kein Selbstvertrauen habe, kann diese Abstraktionsebene des Instruments einem das verleihen. Für die Musik ist das schon wichtig, denn die Kollegen, die darauf reagieren, nehmen diese Aussage ernst.“ Ohnehin habe sich die Rollenverteilung in den Bands in den vergangenen 20 Jahren verändert, glaubt der Saxofonist. Dass da lauter Alpha-Tierchen auf der Bühne stehen, trifft auf Field zumindest nicht zu.
Wenn ständig jemand ein Solo brauche oder sich frage „Wann kommt denn endlich das Schlagzeug-Solo?“, dann „ist das für mich ein Indikator, dass mit der Musik etwas nicht stimmt“. Jeder suche sich sein Instrument aus und gerade mit dem Saxofon könne man auch so spielen, dass es nicht die ganze Zeit solistisch ist. „Ich mag es, viel zu spielen. Ich wechsle gern die Vordergrund-Hintergrund-Rollen. Das macht es für mich interessanter – vom Hören her, aber auch vom Spielen.“
Ein komponierender Spieler
Apropos Spielen: Uli Kempendorff hat auf „Someone Talked“ sämtliche Stücke selbst komponiert. Und doch bezeichnet er sich eher als komponierenden Spieler denn als spielenden Komponisten. „Ich brauche immer viel Input und lasse mein Unterbewusstsein den Rest machen“, beschreibt er seine Vorgehensweise. Die Stücke seien meistens so, wie sie am Ende sind – „mit den Menschen im Hinterkopf, die diese dann auch spielen. Menschen sind die Hauptinspirationsquelle. Das sind ja auch die Leute, die dann sagen, ob sie Bock haben, das zu spielen oder nicht.“

Someone Talked
Das Jazz-Quartett „Field“, das in dieser Besetzung seit 2018 Konzerte gibt, hat nun sein erstes Studio-Album veröffentlicht (insgesamt ist es das dritte Field-Album). Mit Drum Set, Vibrafon, Kontrabass und Saxofon zeigen die vier Musiker hohe Experimentierfreude beim Musizieren. Vor allem das Vibrafon erzeugt eine äußerst spannende Klangfarbe in dieser Instrumentenkonstellation. Bass und Schlagzeug halten sich meist dezent im Hintergrund und sorgen für eine angenehme Basis, über die sich die anderen beiden gekonnt darüberlegen können.
Auch die Titelwahl ist abwechslungsreich und doch stilgetreu. So klingt beispielsweise „Pm&Cc“ recht experimentell und ausdrucksstark, wohingegen »Dresden« rein harmonisch etwas simpler und daher auch eingängiger wirkt. Beide wissen jedoch zu überzeugen.
Eine qualitativ hochwertige CD, mit der Jazz-Enthusiasten auf jeden Fall ihre Freude haben können. Und allen, die ihren musikalischen Horizont erweitern wollen, sei dieses Album ebenfalls ans Herz gelegt. cs
(Label: Enja & Yellowbird Records)