Im bayerischen Mittenwald gibt es eine Schule für Instrumentenbau. Die international renommierte Berufsfachschule für Musikinstrumentenbau ist die einzige staatliche Bildungseinrichtung auf diesem Gebiet in ganz Europa. Wir sind mal hingefahren.
Fast 2400 Meter ragt die schneebedeckte Westliche Karwendelspitze empor. Man steht fast daneben, wenn man aus dem Schulgebäude tritt. Da oben irgendwo führt der Karwendelsteig zum Gipfel. Der ist anspruchsvoll und zum Teil mit Drahtseilen gesichert. Imposante Felswände und ein Ausblick auf fantastische Alpenkulissen entschädigen für die Mühen des Aufstiegs. Der Berg ist eine gelungene Metapher für die dreijährige Ausbildung an der Staatlichen Musikinstrumentenbauschule Mittenwald. Der Stundenplan hat es in sich, die Anforderungen sind hoch, die Erfolgsaussichten rosig.
Die Westliche Karwendelspitze ist sicherlich ein Argument, mit dem man aufseiten der Schulleitung um Bewerber wirbt – vor allem, wenn man vom „idyllischen Ausbildungsort Mittenwald“ spricht. Und doch hat man für die Bergkette an der Grenze zwischen Bayern und Tirol kaum einen Blick übrig. Denn in der Schöttlkarstraße (benannt nach noch so einem Berg) wird fleißig und konzentriert gehämmert, poliert, geschraubt, gedreht. Und das seit 1858. Damals gründete die Regierung von Bayern unter König Maximilian II. die Geigenbauschule Mittenwald als „Unterrichts- und Musterwerkstatt“, um den Qualitätsstandard der Mittenwalder Streichinstrumente dauerhaft zu sichern. Heute wird hier nicht mehr nur gelehrt, wie man Geigen baut. Auch das Handwerk des Bogen- und des Zupfinstrumentenbaus sind integriert.
Auch Ausbildung im Metall- und Holzblas-Instrumentenbau als Vollzeitausbildung
Seit 2009 bzw. 2013 bietet die renommierte Berufsfachschule für Musikinstrumentenbau als einzige staatliche Bildungseinrichtung auf diesem Gebiet in ganz Europa mit einem umfangreichen Fächerkanon die Ausbildung im Metall- und Holzblasinstrumentenbau als kompakte Vollzeitausbildung an. Fachbereichsleiter sind Karl Grasegger (Blech) und Marcel Endres (Holz).
Die Fachbereichsleiter Karl Grasegger (links) und Marcel Endres beäugen und unterstützen.
Historie und Moderne fügen sich an diesem Ort eindrucksvoll ineinander. Die Geschichte der Bildungseinrichtung ist im Verwaltungsgebäude spürbar. Knarrende Fußbodendielen zeugen von zahlreichen Absolventen, die die Gänge entlanggeeilt sind. Doch alt und neu wechseln sich ab. In der Schule befinden sich viele großzügige Lehrwerkstattbereiche, in denen für jeden Schüler ein eigener Fensterarbeitsplatz zur Verfügung steht. Die Unterrichtsräume sind mit moderner Medientechnik ausgestattet. Viel Glas, viel Licht.
Und dieses Miteinander von Tradition und Moderne spiegelt sich auch in der Tätigkeit wider. Viel Handarbeit ist gefragt, wenn es um den Bau der Blasinstrumente geht. Die Lehrlinge müssen lernen, wie man ein Instrument mit den eigenen Händen baut – und zwar von A bis Z. Von der schweren Blechrolle zur glänzenden Konzerttrompete, vom groben Holzklotz zur spielfertigen Klarinette. Und trotzdem bleiben Abkürzungen wie CAD und CNC keine böhmischen Dörfer in der Ausbildung. Ganz im Gegenteil. Computer-Aided Design und Computerized Numerical Control finden sich ebenso selbstverständlich im Stundenplan wieder wie etwa Musikgeschichte. „Wir sind immer daran orientiert“, unterstreicht Blech-Fachbereichsleiter Karl Grasegger, „was ‚da draußen‘ passiert.“ Dabei betont er das „immer“ energisch. Schließlich wolle man die Absolventen für den realen Arbeitsmarkt fit machen.
Ist Instrumentenbau Männerdomäne?
An der wirtschaftsunabhängigen Bildungseinrichtung – Träger sind das Bayerische Kultusministerium, die Regierung von Oberbayern sowie der Landkreis Garmisch-Partenkirchen – werden derzeit 24 Schüler ausgebildet. Davon sind laut Statistik 46 Prozent männlich, 54 Prozent weiblich. Immer noch scheint das Blech eher Männerdomäne zu sein, während das Holz überwiegend den Frauen zuzuordnen ist. Muskelkraft vs. Filigran? Möglicherweise, doch auch hier ist Bewegung, keine Starre.
Die 24 Lehrlinge teilen sich auf die drei Lehrjahre auf. In jedem Fachbereich sind es also zwölf, vier pro Lehrjahr. Den Abschluss erlangt man mit dem Gesellenbrief. Die Schülerzahlen sind überschaubar. Aber das ist so gewollt, wie Schulleiter Frederik Habel erklärt. So könne man die individuelle Förderung gewährleisten. An Interessenten mangelt es sicherlich nicht. Bewerbungen kommen aus aller Welt: aus der Schweiz, aus Japan, Österreich oder Lettland, aus Neuseeland, Südkorea, den Niederlanden oder Kroatien, aus Großbritannien, Brasilien, Italien, Südkorea und Afghanistan. „Dass wir international im Fokus stehen, freut uns natürlich sehr“, sagt Habel.
Beim Instrumentenbau wird das Hobby zum Beruf
Eine Aufnahmeprüfung entscheidet über die Zulassung. Ein jeder der Lehrlinge, glaubt der Fachbereichsleiter Holz, Marcel Endress, „macht hier sein Hobby zum Beruf“. Und tatsächlich scheint Herzblut eine Grundvoraussetzung dafür zu sein, einen Platz in der Schulgemeinschaft zu ergattern. Denn das Beherrschen eines Instruments ist nicht nur wünschenswert, sondern obligatorisch. Im Rahmen der Ausbildung finden Instrumentalunterricht, Ensemble- und Orchesterspiel statt, es gibt einen Arbeitskreis für historische Aufführungspraxis. Pluspunkte für sogenannte Mangelinstrumente gibt es allerdings nicht. „Wir achten bei der Einstellung nicht zuerst darauf, ob der Kandidat gerade gut ins sinfonische Blasorchester passt“, lacht Karl Grasegger. Altersunterschiede sind vorhanden und doch absolut unwichtig. Hier lernt der 16-jährige ehemalige Waldorfschüler neben dem 32-jährigen Spengler, der noch mal umsattelt.
„Aufgrund ihrer limitierten Schülerzahl bietet die Schule ihren Schülern ein sehr persönliches, nahezu familiäres Ambiente“, schwärmt Schulleiter Habel. Natürlich muss er das sagen, aber tatsächlich ist die Stimmung gut. Ein Lachen dringt aus dem Unterrichtsraum für den Holzblasinstrumentenbau. Womöglich ist doch was dran, am Vorurteil, dass Blasmusiker gesellige und heitere Typen sind. Karl Grasegger stimmt dem zu. „Die Offenheit der Schüler ist schon bemerkenswert. Alle helfen sich gegenseitig. Konkurrenzdenken kann ich nicht erkennen.“ Die Atmosphäre ist freundlich. Das hier sieht nicht aus wie der klassische Frontalunterricht – wenngleich es den natürlich gibt, den praxisbegleitenden Theorieunterricht.
Die Chance, Fehler machen zu dürfen
Der kleine Klassenverbund führt auch dazu, dass Anonymität nicht gegeben ist. Das mag für den, der sich nicht „verstecken“ kann, zunächst ein Nachteil sein – doch letztendlich spricht man ganz offen über die Qualität und jeder weiß sofort, wo er steht. Grasegger findet: „Oft hilft ja auch nicht das bloße Argument, sondern die Chance, Fehler machen zu dürfen.“ Dann sei die Akzeptanz auch groß. Und zwar in jede Richtung.
Die Schüler haben pro Woche rund 35 Unterrichtsstunden Fachunterricht, in dem sie neben den Kenntnissen des fachpraktischen Musikinstrumentenbaus, der Oberflächenbehandlung, dem Spielfertigmachen und der Klangeinstellung von Instrumenten auch fachtheoretische Hintergründe zur Technologie des Musikinstrumentenbaus, fundiertes Wissen um akustisch-physikalische Zusammenhänge sowie weitreichende Kenntnisse zur Kunst- und Musikhistorie sowie zur Instrumentenkunde erwerben. Auf dem Stundenplan stehen auch allgemeinbildende Fächer wie Deutsch und Sozialkunde, das Erlernen von Präsentationstechniken, die Grundlagen der freien Marktwirtschaft und fachbezogen Kalkulation und Vermarktung von Musikinstrumenten.
Alles ist bestens strukturiert. „Bereits am ersten Tag weiß der Schüler, was er in drei Jahren gelernt haben wird“, stellt Grasegger dar. Die Ausstattung ist auf dem aktuellen Stand. „Wir haben Top-Handwerkszeug, um Top-Arbeit zu machen.“ Es fehlt an keinerlei Werkzeug, es gibt filigrane Maschinen, mit denen man die kleinsten Schrauben millimetergenau drehen kann. Im Keller steht die Vorrichtung, mit der man flüssiges Blei in die zu biegenden Rohre gibt. Und ja, für die Alternative – gefrorene Seifenlauge – steht die spezielle Tiefkühltruhe im Nebenraum.
Praktischer Instrumentenbau vom ersten Tag an
Wichtig ist den Lehrenden, dass die Schüler gleich in den praktischen Instrumentenbau einsteigen. Keine langen Theoriesitzungen zu Beginn, da wird gleich „gemacht“. Schnell hat der Lehrling seine erste Konzerttrompete oder sein Flügelhorn in der Hand. Im dritten Semester steht das Fürst-Pless-Horn auf dem Plan. Insgesamt baut man hier sechs Instrumente in drei Jahren, rechnet Grasegger vor. Im Holzblasinstrumentenbau ist das ganz ähnlich. Hier steht die Klarinette im Mittelpunkt, doch auch dem S-Bogen etwa wird genug Raum gegeben. „Der Schwerpunkt liegt ausdrücklich in der Verarbeitungsqualität und nicht in der Quantität, da wir im Schulalltag im Gegensatz zum Betrieb keinen wirtschaftlichen Zwängen unterliegen und der festen Überzeugung sind, dass Quantität nur auf Qualität folgen kann, nicht umgekehrt“, verdeutlicht Schulleiter Habel die Philosophie.
Die Fachbereichsleiter weisen noch einmal darauf hin, dass „jeder alles von Hand können muss“. Denn „das Allerwichtigste sind das Verständnis und das Gefühl für das Material“, wie Marcel Endres insistiert. Spätestens wenn man für Reparaturen oder Restaurationen engagiert wird, ist das unerlässlich. Auch aus diesem Grund fügt sich in die Ausbildung ein reines „Reparatursemester“ ein.
Instrumente im resonanzarmen Raum
Für akustisch-physikalische Untersuchungen an alten und neu gebauten Musikinstrumenten steht ein mit hochsensiblen akustischen Messgeräten ausgestatteter resonanzarmer Raum mit angegliederten Akustik-Laborräumen zur Verfügung. Wenn ein Werkstück, sprich ein Instrument, hier getestet und gemessen wird, ist das Anspielen ein hochemotionaler Augenblick. Denn auch wenn man vorher die handwerklichen Ungenauigkeiten vielleicht noch kosmetisch ausbügeln konnte – der Messcomputer lügt nicht. Und vor allem ist das Instrument, das da angespielt wird, nicht irgendeines, sondern jenes, das viele Stunden Arbeit gekostet hat und manchmal unter Schweiß, Blut und Tränen entstanden ist.
Die Ausbildung ist vielfältig und vielseitig. Man ist nicht auf eine „Instrumentenbauphilosophie“ festgelegt. „Wir kochen hier nicht stur unser eigenes Süppchen nach dem Motto ‚Wir sind die Besten und so wird’s gemacht!'“«, erklärt Blech-Fachbereichsleiter Grasegger. Sicherlich gebe man zu Beginn der Ausbildung einen Weg vor, doch dieser sei durchaus flexibel. Diskussionen seien mehr als nur erwünscht. Und immer setze man auf die Anbindung „nach draußen“.
Fit für den Arbeitsmarkt Instrumentenbau
Apropos draußen. Da draußen wartet man geradezu auf die fertigen Gesellen. „Die bekommen alle einen Job“, jubelt Marcel Endres, man reiße sich geradezu um die Fachleute. Wie vielseitig die Ausbildung ist, erkennt man auch an der Vielfalt der zukünftigen Arbeitgeber. Erst kürzlich wurden wieder Stellen bei Spiri in der Schweiz, bei B&S in Markneukirchen und bei Thomann in Treppendorf mit Absolventen aus Mittenwald besetzt.
So wie die Instrumentalausbildung in den vergangenen Jahren qualitativ immer weiter verbessert wurde, so hat sich auch die Ausbildung beim Instrumentenbau positiv entwickelt. Damit ist eigentlich auch die generelle Frage nach der Zukunft des Musikinstrumentenbaus ein Stück weit beantwortet. Marcel Endres meint: „Solange es Musik gibt, wird es auch Musikinstrumente geben, die gebaut und repariert werden müssen.“ Und er ist sich sicher: „Musik wird es immer geben!“