Er war „der definitive Meister der Posaune des 20. Jahrhunderts“, sagt der Posaunist Steve Turre. „Alle, die wir heute Jazzposaune spielen, würden anders spielen, wenn es J.J. Johnson nicht gegeben hätte.“Es lief gut für James Louis Johnson, genannt „Jay Jay“. Mit 14 Jahren hatte er zur Posaune gefunden, drei Jahre später war er bereits Profimusiker in einer Bigband, mit 18 Jahren wurde er Sideman bei Benny Carter, der eines der führenden amerikanischen Swing-Orchester leitete – bei ihm spielte Johnson sein erstes Solo für eine Plattenaufnahme. Mit 20 Jahren wurde er als Solist zum Debütkonzert von „Jazz at the Philharmonic“ in Los Angeles eingeladen. Danach ging er in die weltberühmte Band von Count Basie. So hätte seine Karriere weitergehen können.
Aber kurz nach dem Krieg hörte Johnson von einem neuartigen Combo-Jazz, der in New York gespielt wurde – das weckte (nach fünf Jahren Bigband-Swing) seine Neugierde. „Ich hörte von Dizzy Gillespie und Charlie Parker und interessierte mich dafür – so sehr, dass ich Basies Band verließ, um nach New York zu gehen und mehr über diese neue Jazz-Spielart zu erfahren, die man Bebop nannte. Ich übte schon mal Techniken auf der Posaune, die dazu passen könnten. Und Dizzy Gillespie hat mich dann ermutigt und unterstützt.“
J.J. Johnson meistert die Herausforderung
Typisch für den neuen, damals avantgardistischen Bebop waren hohe Tempi und große Intervalle – beides keine Einladung für die Posaune. Tatsächlich war J.J. Johnson der erste und lange Zeit einzige Posaunist, der die Herausforderung dieses neuen Stils annahm und meisterte. Dizzy Gillespie sagte zu ihm: „Ich wusste immer, dass eines Tages ein Posaunist es schaffen würde – du bist der Auserwählte!“ Schon im Juni 1946 machte J.J. Johnson seine ersten Aufnahmen als Leader einer typischen Bebop-Band. Die Stücke, die er dafür schrieb, hießen „Jay Jay“, „Jay Bird“ und „Mad Bebop“.
Ein Jahr später gehörte er auch zur Studioband von Charlie Parker, die Titel wie „Drifting On A Reed“, „Quasimodo“, „Bongo Beep“ oder „Crazeology“ aufnahm. Als die Kritiker erste Schallplatten mit Johnson hörten, glaubten sie, er müsse Ventilposaune spielen. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass diese schnellen, klaren Zickzack-Melodien überhaupt auf einer Zugposaune auszuführen waren. Der Journalist Benny Green sprach später von einer »neuen Methode des Posaunenspiels«.
Besonders gut harmonierte J.J. Johnson mit den Trompetern des Bebop. Mit Fats Navarro war er seit 1942 befreundet, Clifford Brown wählte er als Sideman für seine Blue-Note-Aufnahmen 1953. In den Bands seines »Förderers« Dizzy Gillespie war Johnson sogar noch in den 1960er Jahren tätig. Eine außerordentliche Freundschaft verband den Posaunisten mit Miles Davis, der ihn schon 1949 in sein „Capitol Orchestra“ geholt hatte. Miles hat auch mehrere von Johnsons Stücken aufgenommen, darunter „Kelo“, „Enigma“ und „Lament“. „Wir waren gute Freunde – auch jenseits der Musik“, erzählte Johnson 1998. „Ich vermisse Miles vor allem als Menschen. Wir wurden Freunde, als wir beide die Juilliard School besuchten – da war Miles noch nicht berühmt.“
Jay & Kai – das Posaunen-Team
J.J. Johnson war der erste Posaunist des modernen Jazz – und er stand mit seinem Instrument im Bebop zunächst allein auf weiter Flur. „J.J. leistete für die Posaune, was Charlie Parker fürs Saxofon tat“, sagt der Posaunist Steve Turre. Doch als die Begeisterung für das Neuartige am Bebop um 1952 abzuflauen begann, wusste Johnson erst einmal nicht weiter. Der Rhythm ’n’ Blues wurde damals populär, aus dem der Rock ’n’ Roll hervorgehen sollte – das war nicht Johnsons Welt. Zwei Jahre lang zog er sich weitgehend von der Szene zurück und ging einem bürgerlichen Beruf nach, um seine Familie ernähren zu können.
Doch dann hatte der Produzent Ozzie Cadena eine geniale Idee, wie Johnsons Posaunenspiel erneut für Aufsehen sorgen könnte: durch die Kombination mit einem zweiten Posaunisten. Denn Johnsons Spieltechnik hatte inzwischen doch manchen Kollegen inspiriert, und einer, der ihm an der Posaune annähernd das Wasser reichen konnte, war Kai Winding (1922 bis 1983). „Jay Jay und ich haben damals das gesamte technische Konzept des Instruments umgekrempelt“, sagte Winding einmal. „Wir waren die Pioniere. Später ist es normal geworden, dass Posaunisten ebenso schnell spielen können wie etwa ein Saxofonist.“ Das Team „Jay & Kai“ nahm von 1954 bis 1957 nicht weniger als acht Alben auf. Diese hochvirtuose Zwei-Posaunen-Combo begeisterte das Publikum so sehr, dass „Jay & Kai“ auch danach immer wieder neu belebt wurden – bis in die 1980er Jahre hinein.
Das dritte Genre
Eine zweite musikalische Karriere begann für J.J. Johnson, als er ins Kraftfeld des „Third Stream geriet. Gunther Schuller und John Lewis waren die Initiatoren dieser Bewegung, die Elemente aus Jazz und Konzertmusik aufgriff, um ein „drittes Genre“ daraus zu schaffen. Johnson liebte diese kompositorische Vorgabe und begann, ambitionierte Third-Stream-Werke zu schreiben, darunter ein viersätziges
„Poem for Brass“ (mit einem Flügelhornsolo von Miles Davis) und mehrteilige Bigband-Suiten für Dizzy Gillespie („Perceptions“) und Friedrich Gulda („Euro Suite“). „Ich hatte meine Liebe zur klassischen Musik des 20. Jahrhunderts entdeckt“, erklärte J.J. Johnson. „Die Komponisten, die ich besonders mag, sind Strawinsky, Bartók, Britten, Ravel, Hindemith, Schostakowitsch, Prokofiew. Ich begann mich für größere Formen zu interessieren. Das war kompositorisch herausfordernder und befriedigender. Und ich kann nur hoffen, dass die Leidenschaft für meine Lieblingskomponisten auch meinen eigenen Stil ein wenig beeinflusst hat.“

Aber J.J. Johnson ging noch einen Schritt weiter – er entwickelte ein besonderes Interesse für die Filmmusik von Hollywood. „Ich habe nie verstanden, warum ich die altmodischen, dramatischen Filmmusiken so anziehend fand – Musik von Korngold oder Newman. Mein liebster Filmkomponist ist Jerry Goldsmith. Diese Filmmusik verwendet große Orchester, und vieles daran erinnerte mich an meine Lieblingskomponisten.“ Es war dann Quincy Jones (ursprünglich Jazz-Trompeter), der Johnson ermutigte, sich selbst an Filmmusik zu versuchen. Jones hatte eine Karriere als Bigband-Arrangeur gemacht und war Ende der 1960er Jahre nach Hollywood gewechselt. Auf seinen Rat hin zog J.J. Johnson 1970 nach Kalifornien. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits an die 40 Jazz-Alben als Bandleader oder Ko-Leader veröffentlicht – und etliche weitere als Sideman.
Positive Einsamkeit
Die Arbeit in Hollywood hätte nicht jedem Jazzmusiker gefallen. „Filmkomposition ist ein sehr einsames Geschäft“, sagte Johnson später. „Du sitzt in deinem Studio, allein mit deinem leeren Notenpapier, triffst keine Schauspieler. Und du triffst nur Produzenten, Regisseure und Cutter. Du hast eigentlich keine menschlichen Kontakte. Dennoch ist es eine positive Einsamkeit, denn für diese Arbeit musst du wirklich allein sein. Du brauchst die Stille.“ Volle 17 Jahre lang war Johnson hauptsächlich als Komponist tätig. Der „vielleicht wichtigste Posaunist aller Zeiten“ (so David Baker) saß in Hollywood und schrieb im Stillen die Musik für Kinofilme wie „Cleopatra Jones“ und „Shaft“ oder für Fernsehserien wie „The Six Million Dollar Man“, „Starsky & Hutch“ und „Mike Hammer“. Nur selten tauchte sein Name noch auf einer Jazzplatte auf – dennoch gewann er weiterhin viele Umfragen nach dem „besten Posaunisten des Jazz“.
J.J. Johnson machte viele radikale Schritte in seinem Leben. 1987 – mit 63 Jahren – sagte er Hollywood komplett Adieu und brachte seinen dunklen, hornartigen Posaunensound noch einmal auf die Jazzbühne zurück. Bei seinem Comeback-Engagement im Club „Village Vanguard“ in New York wurden zwei Alben mitgeschnitten („Quintergy“, „Standards“). Kurz danach musste Johnson die Live-Karriere aber noch einmal unterbrechen, um seine schwer erkrankte Frau Vivian zu pflegen, die 1991 verstorben ist. Johnson ließ sich nicht unterkriegen und startete 1992 das nächste Comeback. Erst im Januar 1997 – nach dem Album „Heroes“ – hängte er das Live-Spielen endgültig an den Nagel. Dafür konnte der 73-Jährige nun seine Leidenschaft fürs Komponieren so richtig ausleben: „ohne Aufträge, ohne Agenda, ohne Termine“. Mithilfe einer Computer-Software brachte der „MIDI-Freak“ neue Kompositionen zum Klingen – aber er schrieb sie nur für sich. „Diese Musik ist sehr abenteuerlich, meistens sehr bizarr, sehr avantgardistisch.“
J.J. Johnson war einer der letzten verbliebenen Meistern der Bebop-Ära
Auch auf der Posaune hat J.J. Johnson weiterhin geübt, etwa dreimal die Woche. Und er schien nicht abgeneigt, noch einmal ein Studioalbum zu machen. „Ich habe immer noch einen Plattenvertrag mit Verve“, sagte er 1998. „Ich denke über eine Platte für Kenner nach: ein Duettalbum mit Hank Jones.“ Der Pianist Hank Jones gehörte wie J.J. Johnson zu den letzten verbliebenen Meistern aus der Bebop-Ära.