Vor 350 Jahren starb Heinrich Schütz. In Mitteldeutschland kann man auf den Spuren des großen frühbarocken Komponisten wandeln, dessen Zeitalter vom Dreißigjährigen Krieg überschattet war.
Das bekannteste Schütz-Porträt zeigt den altersmilden Komponisten mit seinem markanten “Ziegenbart”. Er trägt weißen Kragen und eine prächtige Brosche; in der Hand eine Notenrolle. Auf Christoph Spetners Ölgemälde ist ein angesehener, wohlhabender Herr zu sehen. Schon zu Lebzeiten war Heinrich Schütz erfolgreich. Heute gilt er als der größte deutsche Komponist des 17. Jahrhunderts.
Sein Lebensweg führte ihn durch ganz Europa, bis nach Dänemark und Italien. Doch stets blieb Schütz dem mitteldeutschen Raum verbunden; jahrzehntelang leitete er die Hofkapelle in Dresden. Sein 350. Todestag ist nun Anlass für ein Festjahr an seinen Lebens- und Wirkungsstätten.
Dem thüringischen Köstritz nähert man sich durch das malerische Tal der Weißen Elster mit seinen Alleen, Weinbergen und Hopfenfeldern. Hier erblickte der Gastwirtsohn Heinrich Schütz am 8. Oktober 1585 das Licht der Welt. Heute ist das Städtchen mit seinen knapp 4000 Einwohnern vor allem für sein Schwarzbier bekannt, das hier seit Jahrhunderten gebraut wird. Schon Mitte des 16. Jahrhunderts taucht der Name Schütz in den Köstritzer Archiven auf. “Der Großvater des Komponisten erwarb hier eine Gastschenke”, erzählt Friederike Böcher, Direktorin des Heinrich-Schütz-Hauses in Bad Köstritz. “Die Nachfolge trat sein Sohn Christoph an, der die Tochter des Bürgermeisters im nahegelegenen Gera heiratete. Heinrich wird ihr zweites Kind.”
Eine Forschungs- und Gedenkstätte zum 400. Schütz-Geburtstag
Heute ist nur noch ein Flügel des riesigen Gasthofs erhalten. Hier richtete die DDR 1985, zum 400. Schütz-Geburtstag, eine Forschungs- und Gedenkstätte ein. Über sechs Räume erstreckt sich die Dauerausstellung zu Leben und Werk. In der Instrumentenkammer befinden sich zahlreiche Schätze aus der Schütz-Zeit: Gemshorn, Schalmeien und Flöten, Hackbrett und Triangel. Einhandflöte plus Einhandtrommel machten den Musikanten zur Ein-Mann-Kapelle. Das Krummhorn, jenes Doppelrohrblatt-Instrument mit Windkapsel, ist als komplette Familie vertreten: Sopran-, Alt-, Tenor-, Bass- und C-Bass-Instrument. Am Ende deckt sich so mancher Besucher mit den limitierten Schütz-Sammelflaschen des lokalen Bierrs ein, die an der Museumskasse erhältlich sind.
Als Heinrich fünf Jahre alt war, zog die achtköpfige Familie von Köstritz nach Weißenfels an der Saale. 40 Kilometer vor den Toren Leipzigs machten hier viele Kaufleute auf dem Weg zur Messe Station. Vater Christoph Schütz übernahm das “Gasthaus zum Goldenen Ring” nahe der Saale-Brücke. Weißenfels war eine bedeutende Residenz der kursächsischen Herzöge; in Sachen Kunst und Kultur konnte die Stadt mit Dresden mithalten. Ihren einstigen Rang bezeugt die riesige frühbarocke Augustusburg, die auf einem Hügel über der Altstadt thront. Im Seitenflügel verbirgt sich die mit aufwendigem Stuck verzierte Schlosskirche, wo später Bach und Händel musizierten.
Die Familie Schütz wird mit ihrem Gasthof reich und kann sich einen Adelstitel kaufen. Das musikalische Talent des jungen Heinrich offenbart sich per Zufall: Auf einer Reise übernachtet der hochgebildete, musikvernarrte Landgraf Moritz von Hessen-Kassel im “Goldenen Ring”. Er hört den Knaben singen und erkennt sofort sein Potenzial. Prompt lädt er den 13-Jährigen in seine kurz zuvor gegründete Eliteschule ein, das Collegium Mauritianum zu Kassel. Später finanziert er Schütz einen dreijährigen Studienaufenthalt in Venedig bei Giovanni Gabrieli, dem damals angesagtesten Komponisten Europas. Hier lernte er die innovative venezianische Mehrchörigkeit mit ihrer enormen Klangpracht kennen.
Schütz bleibt 57 Jahre kurfürstlich-sächsischer Hofkapellmeister
Nach der Rückkehr wird Schütz zunächst Hoforganist in Kassel. Dann bekleidet er 57 Jahre lang das höchst angesehene Amt des kurfürstlich-sächsischen Hofkapellmeisters in Dresden. Die Hofkapelle vereinte zu jener Zeit Kapellknaben, Berufssänger und die Musiker an Gamben, Blockflöten, Zinken, Pommern oder Krummhörnern. Eine Hauptaufgabe war die Ausgestaltung der Hofgottesdienste. Außerdem musizierte die Hofkapelle bei Staatsempfängen, Festmahlen und Theateraufführungen. Schütz komponierte die entsprechenden Singspiele, Opern und Ballettmusiken.
Weniger glücklich sieht es für Schütz privat aus: Seine Frau Anna Magdalena stirbt sechs Jahre nach der Hochzeit an Pocken; Schütz verliert auch eine der beiden Töchter. Zudem tobt der Dreißigjährige Krieg. Der Komponist erlebt in Dresden die Zerstörung des höfischen Kulturlebens. Er kämpft um den Bestand der Hofkapelle und schreibt erschütternde Bettelbriefe an seinen Dienstherrn, um seine Musiker vor der Hungersnot zu bewahren.
Schließlich lässt er sich in Dresden beurlauben, weilt dann lange in Kopenhagen und Italien. Venedig inspirierte ihn zu seinen “Sinfoniae Sacrae”, die als Meilenstein der Musikgeschichte gelten. Es handelt sich um geistliche Konzerte für Gesang, Streicher, Bläser und Generalbass. Auch Trompeten haben hier, paarweise, ihren Auftritt.
Schütz starb im “biblischen Alter” von 87 Jahren
Vor 350 Jahren, am 6. November 1672, starb Schütz in Dresden – im biblischen Alter von
87 Jahren. Der weltläufige Komponist verband italienische Gesanglichkeit mit der strengen deutschen Mehrstimmigkeit. Schon die Zeitgenossen bewunderten, wie er jedes Wort durch sprechende Melodien und ausdrucksvolle Harmonik ausdeuten konnte. Schütz gehört zu den ersten Komponisten, die ihre Musik drucken ließen – zum Glück für die Nachwelt, denn fast alle seine Handschriften gingen verloren; darunter die weltlichen Werke für den Dresdener Hof. Erhalten blieben rund 500, überwiegend geistliche Werke. Die Texte stammen meist aus der Luther-Bibel. Für die protestantische Kirchenmusik wurde Schütz sehr wichtig.
In großen Chorwerken setzt Schütz mit dem Hinweis auf “Trommeten und Heerpaucken” die vollständige fünfstimmige Trompetengruppe ein. Erhalten ist jedoch nur ein einziges derartiges Werk: die mehrchörigen “Psalmen Davids”, sein Opus 2. Eigenständige Instrumentalwerke komponierte Schütz nicht. Etliche Vokalkonzerte oder Psalmvertonungen hat er jedoch mit instrumentalen Einleitungs- und Zwischenmusiken ausgestattet. Diese “Symphonien” waren mit Streichern, Zinken, Posaunen und Fagotten besetzt. Heute bieten die Verlage entsprechende Blechbläser-Ausgaben an.
1657, mit 66 Jahren, ging Schütz zurück nach Weißenfels, um den Lebensabend gemeinsam mit seiner verwitweten Schwester zu verbringen. Er bezog ein repräsentatives Renaissance-Gebäude in der Nikolaistraße. Es ist das einzige erhaltene Wohnhaus des Komponisten und wurde anlässlich des großen Schütz-Jubiläums 1985 zum Museum umgewidmet. Das Haus zeigt zwei hier aufgefundene Notenfragmente von der Hand des Komponisten. Außerdem kann man zum Beispiel eine Dulzian-Familie sehen, Vorläufer des Fagotts, der zum Instrumentarium der Stadtpfeifer gehörte. “Die Stadtpfeifer hatten damals das alleinige Recht, innerhalb der Stadtmauern öffentlich Musik zu machen”, erzählt der Museumsleiter Maik Richter. “Sie bliesen zu verschiedenen Tageszeiten vom Rathausturm, musizierten bei Umzügen und festlichen Ratsbanketten, brachten sich bei Festgottesdiensten ein.”
In Weißenfels schuf Schütz seine großen Spätwerke
Die kleine Komponierstube unterm Dach ist der Höhepunkt der Weißenfelser Ausstellung. Mit Blick auf den Innenhof; in den Ästen vor dem Fenster gurrt eine Ringeltaube. “Hier schuf Schütz seine großen Spätwerke: die drei Passionen, die Weihnachtshistorie und schließlich seinen ‘Schwanengesang’, die Vertonung des 119. Psalms”, erklärt Maik Richter.
Es wurmt ihn, dass kein Porträt des jüngeren Schütz existiert. Kurzerhand hat er sich mit dem Maler Norbert Kissel zusammengetan, der nun nach seinen Wünschen ein entsprechendes Bild erschafft. Es soll am 3. Oktober aufgehängt werden. Am 6. November, genau am 350. Todestag, wird im Schütz-Haus zudem eine neue Porträtbüste eingeweiht.
Der Dreißigjährige Krieg hinterließ viele Residenzen zerrüttet und verarmt. Nach dem Krieg gestaltete sich der Neuaufbau der Hofkapellen oft als Herausforderung, die vom heimischen Personal nicht zu bewältigen war. Manch ein begabter Musikus ging daher zwischenzeitlich an einen fremden Hof, ohne seine ursprüngliche Stellung aufzugeben. Dort erhielt er dann den Titel eines “Kapellmeisters von Haus aus”.
Schütz weilte “von Haus aus” in Zeitz, 25 Kilometer von Weißenfels entfernt, wo Herzog Moritz von Sachsen-Zeitz 1663 seine Residenz einrichtete. “Der Herzog beauftragt Schütz mit dem Aufbau der Hofkapelle. Schütz soll Musikinstrumente ankaufen, ein Notenarchiv aufbauen und geeignete Musiker suchen”, erzählt Carmen Sengewald, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum Schloss Moritzburg Zeitz.
Hochbegehrt waren Pauker und Trompeter
Hochbegehrt waren Pauker und Trompeter, die besonderes Ansehen und höheres Gehalt genossen. Sie waren in Zünften organisiert; ihr Wissen ließen sie nicht nach außen dringen. “Sie hatten Privilegien, die auf ihren ursprünglichen militärischen Aufgaben beruhten”, erläutert Carmen Sengewald. “Kein anderer durfte ihre Instrumente spielen; und sie konnten auch nicht gezwungen werden, andere Instrumente zu erlernen oder zusammen mit gemeinen Spielleuten zum Tanz aufzublasen.”
Zeitz, im südöstlichen Zipfel von Sachsen-Anhalt, ist ein hübsches Städtchen mit beeindruckenden Kulturdenkmälern: einem 1000 Jahre alten Dom, dem majestätischen Residenzschloss Moritzburg und einem lauschigen Schlosspark, durch den der Mühlgraben rauscht. Über die Zeit als Residenzstadt informiert das Museum im Schloss. In den herrschaftlichen Sälen des ersten Stockwerks läuft bis 6. November die Sonderausstellung “Zitronen für Zeitz – Wie Heinrich Schütz die Musik der Residenz prägte”. Zitronen – das ist eine Anspielung auf die Italien-Weltläufigkeit des Komponisten.
Auch der Zeitzer Dom strahlt eine italienische Pracht aus, die im mitteldeutschen Burgenland ihresgleichen sucht. Schütz hat hier in der Architektur seine Handschrift hinterlassen. “Der Komponist beriet die Baumeister beim Umbau des Kirchenschiffs”, erklärt Carmen Sengewald, die auch die “Zitronen”-Ausstellung kuratiert hat. “Schütz wünschte sich eine Anordnung der Orgel auf zwei getrennten Emporen, um eine Doppelchörigkeit zu ermöglichen, wie er sie aus Italien kannte.”
Klangstationen der Musik im Stadtpark
Im Schlosspark kann man an Klangstationen der Musik von Schütz lauschen. Zur Einkehr lädt das Lokal in der Orangerie ein, das Schnitzel in allen Varianten anbietet. Das Schlossrestaurant hat leider kürzlich dichtgemacht.
Von Köstritz über Weißenfels und Zeitz nach Dresden – verbindende Veranstaltung all dieser Schütz-Orte ist das zehntägige “Heinrich Schütz Musikfest” Mitte Oktober. Zur Eröffnung am 8. Oktober in der Dresdener Frauenkirche bringen Gabrieli Consort & Players großbesetzte, klangprächtige Werke von Heinrich Schütz zu Gehör, darunter auch die “Psalmen Davids”. Neben der fünfköpfigen Trompetergruppe werden auch Zinken, Posaunen und Dulziane aufgeboten.
In Bad Köstritz feiert man den Schütz-Geburtstag am 8. Oktober traditionsgemäß bei einem Umzug: mit Fackeln, historischen Kostümen, Musik des 17. Jahrhunderts – und sicher auch Schwarzbier.