Die uns vertrautesten Rohrblatt-Instrumente oder Glottofone – Oboe, Englischhorn, Fagott, Klarinette, Saxofon – entstanden im 18. und 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte reicht jedoch annähernd 5000 Jahre zurück: Schon im alten Ägypten und in Mesopotamien gab es »Oboen« – Schalmeien mit Doppelrohrblatt – und »Klarinetten« – Schalmeien mit Anschlagblatt. Auf fast allen Kontinenten werden noch heute traditionelle Schalmeien gespielt. Ihre Verbreitung entspricht den antiken Handelsrouten zwischen dem Nordwesten und dem Südosten – von Europa über den Nahen Osten und Indien nach Indonesien und Südchina. Durch den Kolonialismus kam die Schalmei bis Mittelamerika und Ostafrika. Die Faszination des Rohrblatts kennt keine Kul- tur-, Sprach- oder Glaubensgrenzen.
Die besondere Magie der Schalmei muss man nicht groß erklären: Ihr Ton ähnelt der menschlichen Stimme und gehorcht dem menschlichen Atem. Die Schalmei spricht und singt und scheint lebendig: eine Geisterstimme, die sinnlich berührt. In fast allen Kulturen der Welt hat sie deshalb Eingang ins Ritual gefunden: in religiöse Zeremonien, Morgen- und Abendandachten, Hochzeiten und Begräbnisfeiern, Volksfeste und Gelage. Ihr Klang befeuert schamanische Heilungsriten in Usbekistan und Totenbeschwörungen im indonesischen Schattentheater. Immer wieder wurde die Schalmei aber von Glaubenswächtern auch geächtet – gerade wegen ihrer magischen Wirkung. Ihr Zauberklang – oft kombiniert mit der Trommel – rührt ans Tabu der Verführung, ans Erotische, Ekstatische und Dämonische. Wo man dennoch auf ihr Spiel nicht verzichten wollte, übertrug man es dem fahrenden Volk oder einer eigens geschaffenen Musikerkaste.