Brass, News, Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

“Die aktuellen Lockerungen sind für den Musikbereich ein erster Schritt in die richtige Richtung.”

Bald keine leeren Säle mehr? (Foto: Archiv Berliner Philharmoniker)

Im Mai vergangenen Jahres verlieh Prof. Dr. Claudia Spahn, Musikermedizinerin aus Freiburg, im BRAWOO-Gespräch der Hoffnung Ausdruck, dass Bläser bald wieder an die Instrumente dürften. Die Zahlen und der nächste Lockdown machten diese dann zunichte. Nach den erneuten Lockerungen vom 8. März sprachen wir erneut mit Prof. Dr. Claudia Spahn über Corona, Aerosole, die anstehenden Test- und Impfstrategien und über Licht am Ende des Tunnels für den Musikbereich.

Frau Professor Dr. Spahn, seit dem 8. März dürfen nun so ganz langsam auch die Musikerinnen und Musiker wieder hoffen. Einige Einschränkungen wurden gelockert. Einzelunterricht etwa ist in einigen Bundesländern wieder möglich. Was halten Sie davon?

Ich finde das sehr erfreulich und es ist wirklich an der Zeit. Denn die Kultur steht ja wirklich schon lange hintenan. Die aktuellen Lockerungen sind auch für die Musik ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. Zwar ist noch nicht der komplette Amateurbereich freigegeben, aber ich hoffe, auch dieser erste Schritt kann zur Motivation beitragen. Es geht ja um die Unterrichtssituation als Setting. Zwei Menschen, Lehrer und Schüler – manchmal auch mehr – begegnen sich, und spielen und singen zusammen in einem Raum. 

Dieses Setting ist vergleichbar auch mit Unterrichtssituationen in anderen Institutionen wie den Musikhochschulen. Diese durften aufgrund der für sie geltenden Coronaverordnung für Universitäten entscheiden, ob sie künstlerischen Unterricht in Präsenz weiter durchführen können. Wir hier an der Hochschule für Musik in Freiburg haben dies im vergangenen Wintersemester getan. Damit hatten wir die Chance – auch im Auftrag des Wissenschaftsministeriums Baden-Württemberg – zu erfahren, dass die strengen Hygienemaßnahmen, die wir als Musikermedizin in unserer Hochschule schon im vergangenen Sommer vorbereitet hatten, auch wirken. Denn dass es ist im Herbst und Winter schwierig werden würde, war uns allen, auch in der Hochschulleitung, bewusst. 

“Unsere Erfahrung an der Hochschule können dem Musikbereich Mut machen.”

Zusätzlich zu den bereits bekannten und in wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesenen Abständen von zwei Metern bei Bläsern und Sängern haben wir wegen der Aerosole das Lüftungskonzept in den Vordergrund gestellt. Es wurden zum einen die raumlufttechnischen Anlagen in den großen Räumen überprüft. Zum anderen haben wir alle Räume der Musikhochschule hinsichtlich des CO2-Anstiegs beim Musizieren in Abhängigkeit von der Personenzahl vermessen. Aufgrund dieser Messungen haben wir dann raumspezifische Personenobergrenzen festgelegt und Lüftungsregeln entwickelt. Gleichzeitig mussten die Abstände weiter eingehalten werden.

Außerdem haben Hochschulleitung und Technischer Dienst mit sehr viel Aufwand den Zutritt zur Hochschule kontrolliert und eine reibungslose Nachverfolgung durchgeführt. Niemand hat sich innerhalb der Hochschule weiter angesteckt, auch wenn zu Zeiten hoher Inzidenzzahlen vereinzelt Personen in die Hochschule kamen, die ohne Symptome positiv getestet wurden und im nachhinein als infektiös eingestuft werden mussten. Diese wurden dann unverzüglich in Quarantäne geschickt und wir haben aufwendig ihr gesamtes Umfeld getrackt.

Die ganzen Maßnahmen und dass sich Studierende und Lehrende an die Hygieneregeln gehalten haben – dazu zählte natürlich auch noch das Maskentragen –, hat es ermöglicht, weiterhin live unterrichten zu können. Aber natürlich gab es auch in der Hochschule kein öffentliches Publikum.  

Ich finde die Erfahrung während des Wintersemesters erfreulich und ich berichte sie, weil sie dem Musikbereich Mut machen können. Die Situation wird ja jetzt mit den Impfungen immer besser und ich denke, die Zeit arbeitet nun für die Musikkultur. Natürlich sind die Mutationen des Coronavirus mit höherer Infektiosität noch einmal eine Herausforderung, aber wir sollten optimistisch in die Zukunft schauen. 

Nun, vielleicht ist da die Musikhochschule auch ein wenig bisschen privilegiert oder zumindest anders einzustufen als ein normaler Musikverein. Kann die von Ihnen gesammelte Erfahrung trotzdem als Mutmacher für alle weiteren Schritte für den Musikbereich – und schließlich auch für den kleinen Musikverein – dienen? 

Privilegiert würde ich die Musikhochschule jetzt nicht nennen, da wir seitens der Hochschulleitung einen sehr hohen persönlichen und zeitlichen Aufwand erbringen mussten, um das Musizieren zu ermöglichen, aber sicherlich ist sie systematisch anders eingeordnet. Manche Dinge fallen unter andere Corona-Verordnungen. Das ist dann vergleichbar mit einem Präparier-Kurs in Anatomie oder bestimmten Laborpraktika in der Chemie. Sie werden auch weiterhin praktisch durchgeführt, weil das Lernen für die Studierenden andernfalls sehr stark eingeschränkt wäre. 

Aber im Grunde muss man in der Musik tatsächlich sehen, was vergleichbar ist. Denn letzten Endes ist es für die Frage der Risikoeinschätzung nicht entscheidend, ob ich Profi bin oder Amateur. Das Setting ist vergleichbar. Wir haben deswegen ja schon früh unsere Risikoeinschätzung gemacht und mehrfach upgedated. Wir sollten hier an einem Strang ziehen. Musikvereine haben natürlich kompliziertere Anforderungen als Einzelmusikunterricht. Dafür wurde an unserem Institut ja auch eine Beratungsstelle für den Bereich der Amateurmusik eingerichtet. Aber auch an der Musikhochschule waren die Ensembles kompliziert. Musik etwa wurde umgeschrieben, damit eine kleinere Besetzung am Start war. Hier gab es die größten Einschränkungen. 

Vor dem Lockdown haben wir an der Musikakademie in Staufen noch CO2-Messungen mit größeren Ensembles in verschiedenen Räumen durchgeführt. Eine klare Vorgabe für die notwendigen Pausen mit entsprechender Lüftung anhand der CO2 Messgeräte gibt für die Musikvereine und die kommenden Öffnungen einen Anhaltspunkt und Sicherheit. Gute Belüftung und Abstände reduzieren das Risiko, sich anzustecken. 

Dass Abstandhalten und Lüften nützlich sind, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Jetzt kommt so langsam der Impfstoff und eine umfassende Teststrategie zusätzlich hinzu. Inwiefern kann dies die Lockerungen noch einmal beschleunigen? 

Ich denke, dass wir die Hygieneregeln im Musikbereich, die sich mittlerweile bewährt haben, unbedingt weiter stringent anwenden und einhalten sollten – auch wenn man es so langsam nicht mehr hören möchte. Hier am FIM sind wir außerdem absolute Impfbefürworter. Wir wollen da gerne weiter informieren und jene, die zurückhaltend oder ängstlich sind, aufklären. Die Frage ist aber natürlich, ab wann Impfungen für den Musikbereich so greifen, dass das Musizieren wieder so wird, wie es mal war. Bis dahin müssen wir noch etwas durchhalten. Ich will nicht pessimistisch sein, aber bis in den Frühherbst wird es meines Erachtens mindestens noch dauern. Denn wir brauchen angesichts der Virusmutationen eine Durchimpfung von ungefähr 80 Prozent, damit die Herdenimmunität erreicht ist. Bis dahin ist es einfach noch nicht so sicher, dass man alles “normal” machen kann.

Wir befinden uns jetzt in einer Phase, in der verschiedene Maßnahmen parallel laufen. Warum soll ich nicht vor der Probe einen Test machen? Das gibt eine zusätzliche Sicherheit. Aber es gestattet uns nicht, alle Vorsicht fahren zu lassen. Denn diese Schnelltests haben zwar ihre Berechtigung, aber sich nur darauf zu verlassen, fände ich unverantwortlich. 

Ein Test ist zwar eine Risikominimierung aber eben keine Garantie? 

Genau. Das ist für den Moment zugegebenermaßen ein bisschen enttäuschend, aber als zusätzliche Maßnahme finde ich das Testen persönlich durchaus motivierend. Zusätzlich zu den Hygienemaßnahmen ist es eine gute und vielversprechende Maßnahme, weil das Impfen leider noch ein bisschen dauert. 

Für den Musikbereich ist es jetzt einfach wichtig, dass man sagen kann: Wir kennen spezifische Hygienemaßnahmen, die durch die Forschung belegt sind. Wir haben sie in der Praxis erprobt und kennen zusätzliche Maßnahmen, die das noch verbessern. Dies müsste dazu angetan sein, zu sagen: Kultur ist nicht in der Hauptsache gefährlich, sondern Kultur ist durch diese Maßnahmen soweit abgesichert, dass dies die Gefährdung in anderer Weise überwiegt. Denn die Gefahr ist, dass wir langsam riskieren, unsere kostbaren Strukturen in der Musikkultur gerade im Amateurmusikbereich zu verlieren und dass außerdem die Menschen furchtbar leiden, weil sie das Musizieren vermissen und psychisch zu stark belastet sind.

“Jetzt wieder Singen und Spielen ist die bessere Überlebensstrategie.”

Ich würde sagen: Wir sollten jetzt unter Beachtung der bekannten und wirksamen Hygienemaßnahmen wieder anfangen zu singen und zu spielen. Das ist die bessere Überlebensstrategie. Natürlich darf das nicht unverantwortlich passieren, sondern wir können mit den Dingen, die wir jetzt in der Hand haben, das Risiko einer Ansteckung beim Musizieren weitgehend reduzieren. 

Spahn

Prof. Dr. med. Dr. phil. Claudia Spahn leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Bernhard Richter das Freiburger Institut für Musikermedizin, eine Einrichtung der Hochschule für Musik Freiburg und des Universitätsklinikums Freiburg.