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“Sinfonia Maris” für Solo-Geige und Blasorchester

Sinfonia Maris
Michael Kummer, Matthias Well und Mathias Rehfeldt (Foto: Christian Obermeier)

Eine seltenes Aufeinandertreffen war Anfang März bei den Konzerten des Akademischen Blasorchesters München zu hören: eine Solo-Geige begleitet von und in Konversation mit einem sinfonischen Blasorchester. Dabei ist es nach diesem Abend nur schwer verständlich, weshalb sich bislang nur wenige Komponisten mit dieser Kombination beschäftigt haben, zeigten doch die Uraufführungen der Sinfonia Maris wie gut sich – trotz der unterschiedlichen Herkunft – eine Geige gegen das volle Blasorchester behaupten, ja mit diesem harmonieren kann und wie trefflich die klanglichen Charakteristika der Geige den Blasorchestersound bereichern und ihm einen krönenden Glanz verleihen.

Mathias Rehfeldt, ein musikalischer Grenzgänger mit bisherigem Schaffensschwerpunkt in der Filmmusik, hatte diese Vorstellungskraft und kreierte sein Erstlingswerk für sinfonisches Blasorchester, das er seinem langjährigen musikalischen Freund Matthias Well, dem Akademischen Blasorchester München und dessen Dirigenten Michael Kummer widmete. Dem Untertitel „Sieben Oden an die ewige See“ entsprechend fing er Impressionen zum Thema Meer ein, die ihn persönlich beeindruckten und episodisch erzählen, aber doch miteinander in Verbindung stehen. Eine musikalische Konzeption, die dem Geigenvirtuosen Matthias Well und dem Akademischen Blasorchester, wie gewohnt souverän angeleitet vom Orchestergründer Michael Kummer, wie auf den Leib geschneidert war.

Zur Einstimmung hatte Dirigent Michael Kummer dem Hauptwerk mit „Cantus“ des Öberösterreichers Thomas Doss ein ruhiges, sehr stimmungsvolles Klanggemälde vorangestellt, das von den Musikern sehr gefühlvoll vorgetragen wurde und mit seinem nach innen gerichteten, fast meditativen Blick geschickt den Raum öffnete für die Uraufführung der Sinfonia Maris.

Erster Satz: Die See

Deren erster Satz „Die See“ fing trefflich eine Darstellung der Meeresoberfläche ein – gleißendes Sonnenlicht, das auf sanften Wellen reflektiert, über der ewigen Weite des Meeres. Eine positive Stimmung breitete sich aus, gekrönt von lieblichen Geigenkantilenen, die Matthias Well intensiv und zum Dahinschmelzen gestaltete. Weit lebhafter angelegt war demgegenüber der zweite Satz „Schwarm“. Ein ostinatohaftes rhythmisches Intro im Orchester wurde schnell durch ein tänzerisch neckisches Geigen-Solo abgelöst, in dem man sich plastisch einen im Schwarm seine eigene Persönlichkeit entfaltenden Fisch vorstellen konnte, der immer wieder im Orchester-Schwarm aufgefangen und umschmeichelt wurde. Mit „Tief Blau“ zog im dritten Satz eine düstere Stimmung auf, ein mächtiger schwerer Sturm im Orchester, gegen den die Geige als Darstellerin der Sonne verzweifelt ankämpfte, bis der Sturm wieder abzog und die See ruhig und still da lag.

„De Profundis“ führte anschließend in die Tiefen des Meeres hinab. Deutliche Atemgeräusche durch die Instrumente insbesondere im Klarinetten- und Trompetenregister machten einen Tiefseetaucher hörbar. Dieser schwebt am Rande einer Tiefseeschlucht, wird plötzlich von starken Strömungen erfasst, durch die Unterwasserwelt geworfen und letztlich von einer mächtigen Welle, die in einem mehrtaktigen abwärtsgerichteten freien Spiel aller Orchesterinstrumente atemberaubend umgesetzt ist, zurück ins ruhige Wasser getragen. Klangschönheit und Ruhe strahlt der fünfte Satz „Kleines Boot auf ruhiger See“ aus. Mit viel Liebe zum Detail und sehr verspielten kleinen Miniaturen erzeugten Matthias Well und die Orchestermusiker hier eindrucksvoll das vom Komponisten gewünschte Bild eines in der Nachmittagssonne ruhig vor Anker liegenden Bootes.

Sechster Satz: Spiegelung

Mit dem sechsten Satz „Spiegelung“ kontrastierte hierzu sehr schön die Illustration der Brechungen des Sonnenlichts auf den Wellen in einem gewollten fortwährenden Mit- und Durcheinander eines Zweier- und eines Dreiermetrums, das in den Schlusssatz „Weites Nichts“ überging. In diesem Finale gelang es den Darbietenden mit dem großen komponierten Spannungsbogen die unendliche Weite des Meeres einzufangen, der letztlich in eine atemberaubende sparsam begleitete Solo-Reminiszenz und einen Pianissimoschluss mündete, der sicher bei den meisten Zuhörern eine wohlige Gänsehaut verursachte.

Mathias Rehfeldt ist mit seiner Sinfonia Maris ein Meisterwerk gelungen, das von Matthias Well an der Geige mit höchster Präzision, unbändiger Spielfreude und sehr intensiver, aber nie kitschiger Melodiegestaltung und dem Akademischen Blasorchester unter Dirigent Michael Kummer kongenial umgesetzt wurde -ein wahrer Hörgenuss für die Zuhörer.

Zugabe des Solisten

Diese bekamen als Zugabe des Solisten noch die „Meditation“ aus der Oper „Thaïs“ von Jules Massenet geboten, behutsam begleitet von den Holzbläsern samt Hörnern des Orchesters und ergänzt durch den in der Originaloper besetzten und von den nicht beschäftigten Orchestermitgliedern dargebotenen summenden Chor. Auch hier bestätigte Matthias Well seine überragenden Fähigkeiten zur musikalischen Gestaltung von Klang und Melodie – bietet schon die Komposition die besten Voraussetzungen hierfür, war die Aufführung in diesen Konzerten ein wahrer Genuss.

Sinfonia Maris
Foto: Mathias Rehfeldt

In klanglich eingefahreneren Schienen ging es dann im zweiten Konzertteil mit Ferrer Ferrans Sinfonischer Suite für Blasorchester „Peter Pan“ weiter: In seinem gewohnten extrovertierten Stil, der die dynamische Bandbreite des sinfonischen Blasorchesters in alle Extreme ausreizt, erzählt Ferran in vier Sätzen eine musikalische Version des ursprünglichen Theaterstücks von James Matthew Barrie, das inzwischen hauptsächlich durch seine Verfilmungen bekannt ist: Von Peter Pans Reise mit Wendy und ihren Geschwistern von London nach Nimmerland, über die nie erwachsen werdenden „Lost Boys“, eine Verfolgungjagd mit Captain Hook, seinen Piraten und dem Krokodil, das eine Uhr verschluckt hat, führt das Werk zu einem eher introvertierten dritten Satz, der die Zerrissenheit von Wendy zwischen ihrer Sehnsucht nach Hause und ihrer in Nimmerland gefundenen Mutterrolle für die „Lost Boys“ thematisiert.

Der Finalsatz beginnt mit einer sehr mitreißend vom Schlagwerkregister dargebotenen Zeremonie der Indianer und illustriert dann den Kampf zwischen Peter Pan und seinen Mitstreitern auf der einen und Captain Hook und den Piraten auf der anderen Seite sowie die Rückkehr von Wendy ihrer Geschwister nach London und die Adoption der „Lost Boys“ durch deren Eltern.

Michael Kummer und seine Musiker gestalteten die sehr facetten- und abwechslungsreichen musikalischen Einfälle Ferrans mit hoher Präzision und erkennbar großer Spielfreude. Auch wenn nicht alle der allesamt überzeugenden Solisten im Orchester einzeln herausgehoben werden können, waren insbesondere die Leistungen der Piccolospielerin, die in ihrer Partie die auf Wendy eifersüchtigen Fee Tinkerbell („Naseweis“) während aller vier Sätze grandios darstellte, und des Soloposaunist, der das schier unspielbare Solo über Captain Hook und die Piraten routiniert darbot, vortrefflich.

Das Publikum im ausverkauften Haus in Gilching und in einem gut gefüllten Saal in Garching erklatschte sich mit „Greensleeves“ im Arrangement von Alfred Reed noch eine fein gestaltete und souverän dargebotene Zugabe und nahm viele lange nachklingende Eindrücke und Melodien mit nachhause. Wieder machte das Akademische Blasorchester München mit Michael Kummer und seinen gut 65 ambitionierten Amateurmusikern seinem in mittlerweile 45 Jahren erworbenen Ruf als Vorreiter in verschiedensten Nischen der sinfonischen Blasmusik alle Ehre.

Severin Richter