Orchestra | Von Renold Quade

Toccata for Band von Frank Erickson

Toccata

Frank Ericksons “Toccata for Band” kann man gut und gerne als “Klassiker” bezeichnen. Seit der Erstveröffentlichung im Jahre 1957 bis zum heutigen Tage ist das Werk weltweit in der breiten Mittelstufe beliebt. Im Wesentlichen prägen zwei Ideen, “Allegro non troppo” und “Andante con moto”, die Toccata. Die eine eher schnell und rhythmisch, transportiert von Trompeten und Klarinetten, die andere eher langsam und mit einem Waldhorn im solistischen Vordergrund. In knapp fünf Minuten vermittelt diese Musik spiel- und nachvollziehbar das, was der Name auch verspricht: den Geist eines brillierenden, eröffnenden, “schlagenden” Orgelstücks, in welchem der Organist und die Orgel – respektive das Blasorchester – ­gerne einmal kurz aufblitzen lassen, was sie klanglich so draufhaben.

Der Komponist

Frank William Erickson, geboren am 1. September 1923 in Sponake/Washington, begann im Alter von acht Jahren mit dem Klavierspiel, mit zehn Jahren entdeckte er die Trompete und das Blasorchester in der dortigen High School Band. Alsbald schrieb er auch schon erste kleine Werke für sich und seine Freunde in diesem schulisch gut organisierten Geflecht. Diese Neigung, vor allem die zum Arrangieren, machte sich während seiner Dienstzeit auch die United States Army Air Force zunutze, für deren Militärkapellen er fleißig Arrangements schrieb. Parallel studierte er engagiert bei Mario Castelnuovo-Tedes­co und ab 1948 war Halsey Stevens an der Uni­ver­sity of Southern California sein Kompositions­lehrer.

Nach dem Krieg arbeitete Erickson zunächst als freier Trompeter und Jazz-Arrangeur. 1950 erhielt er seinen Music Bachelor und 1951 seinen Music Master an der University of Southern California und unterrichtete nach Abschluss des Studiums umgehend an der University of California in Los Angeles und an der San Jose State University. Zudem war er bei Musikverlagen wie Bourne, Belwin und G. Schirmer immer wieder als Herausgeber tätig. Später gründete er sein eigenes Unternehmen. Neben seiner regen Unterrichtstätigkeit war Frank Erickson immer wieder mit Leidenschaft als Komponist, Arrangeur und Dirigent tätig. Er starb am 21. Oktober 1996 in Oceanside/Kalifornien.

Die Toccata 

Das Wort “Toccata” leitet sich ab vom italienischen “toccare (uno stromento)”, was soviel heißt wie “(ein Instrument) schlagen”, im Sinne von “hämmern”. Auch wenn sie früh schon bei Monteverdi als fanfarenartiges Eröffnungsstück mit Bläsern auftaucht, ist es im Grunde eine im Barock etablierte Form für solistische Tasten­instrumente. Grundsätzlich von eher freier musikalischer Struktur, wirkt sie oftmals stark improvisiert und besticht darüber hinaus mit Fugatoteilen und virtuosem Laufwerk. Im weiteren Verlauf der Musikgeschichte wird die Toccata gerne als hochvirtuoses Brillierstück oder als Kon­zert­etüde gesehen. Durchaus oftmals gepflegte ­ex­zes­sive Tonwiederholungen vermitteln dabei ge­legent­lich den Eindruck des Hämmerns, welches
alsbald auch als Metapher für das ein­setzende Industriezeitalter genommen wurde.

Toccata
Die Toccata ist im Blasmusik-Shop erhältlich.

Heutzutage werden Toccaten in der Kirche von Organisten ob ihrer erwartungsfördernden Wirkung mit Vorliebe zum Ein- oder Auszug des Klerus oder der Gemeinde gespielt. Gerne genutzt wird auch der Umstand, dass Toccaten dienlich bei der Überprüfung von neuen oder neu überholten Kirchenorgeln sind, weil man mit diesen aufwendigen Stücken die Intonation der Pfeifen in sämtlichen Registern, das Leistungsvermögen des Windwerks und die Funktion der Ventile besonders gut kontrollieren kann. 

Die Idee 

Diese Grundidee – wenn man das Bild zulassen möchte, dass eine Toccata auch ein “Orgel-Test-Stück” ist – überträgt Erickson durchaus von vornherein auf die – mit Verlaub – vielen “Pfeifen”, respektive die vielen von Luft angetriebenen Holz- und Blechinstrumente eines Blas­orchesters. Dabei hatte Erickson als überzeugter Musik­pädagoge sicherlich im Sinn, dass enga­gierte junge Musikerinnen und Musiker hier mit Augenmaß an Werte und Herausforderungen in Sachen Tonalität, Kontrapunkt und musikalische Struktur herangeführt werden.

Der Aufbau

Ohne lange Umschweife startet das Werk, alle­gro non troppo – quasi von 0 auf 124, energetisch mit dem ersten Thema A über acht Takte. Trompeten (Kornette) und Klarinetten brillieren im Forte, in dorischer Tonalität und in unmissverständlich aufgezeigter Artikulation. Nicht weniger unmissverständlich begleitet von Einwürfen des kompletten Restorchesters. 

Leiser, ruhiger und legato geht es dann, nur in den Klarinetten (inklusive Bassklarinette), ab Takt 9 in mixolydischer Tonalität weiter. Nennen wir diesen Teil B. Das motivische Material dieses Melodiezuges entstammt prinzipiell aus dem ersten und dritten Takt des gerade verklungenen Eingangsthemas. Sieht man Takt 9 als Auftakt, schlängelt sich die Melodie aus dieser Substanz über fünfmal vier Takte bis zu Takt 30, wo im ­vollen Tutti das Eingangsthema A wieder erscheint. Obwohl A und B aus gleicher Motivik schöpfen, ist ihre Wirkung zunächst vollkommen konträr.

Ab Takt 38 orientiert sich dann die Musik wieder an der B-Thematik, aber im Forte, eher angestoßen und energetisch, bis auf die Bassfunktion im Horn und Bariton nun rein im Trompeten­register. Von Takt 51 bis Takt 54 wechseln Dreier- und Zweiertakt, ein aufsehenerregender, gar stolpernder Einschub, der in Durchführungsmanier das motivische Material durchmischt. In Takt 55 mündet das Geschehen im Themenkopf des A-Teils, der sich nach zweimal vier Takten in eine zweimal fünftaktige Schlusswendung umwandelt, um – Tempo und Dynamik zurücknehmend – zum zweiten Teil, andante con moto, überzuleiten.

Das Waldhorn im Vordergrund

Ab Takt 73 finden wir vier zweitaktige auf- und absteigende Melodielinien, eindeutig einer Dur-Tonalität zugeordnet. Sie wirken halb wie ein Thema und halb wie eine Überleitungsphrase, die sich über C, B und Es weiterbewegt. Ab Takt 81 schält sich dann aber deutlich ein Thema ­heraus. Das Waldhorn steht nun insgesamt im Vordergrund. Die Klarinetten füllen im jeweils zweiten Takt, im langen Ton, mit kleinschrittigen Umspielungen gleicher Substanz. 

Ab Takt 85 wandelt sich die umspielende Begleitmotivik in den Trompeten (Kornetten) und Klarinetten zur Leitmelodik, mixolydisch gewürzt. Sie bäumt sich auf zum Fortissimio, sinkt ab zum Piano und leitet ab Takt 89 beruhigend über zum dritten Teil. 

Im neuen Allegro non troppo befinden wir uns bereits in der Reprise. Diese erlaubt sich aber eine lange Einleitung. Zunächst wieder nur in den Klarinetten, mit einer Variante des B-Teils. In ei­ner Aneinanderreihung von viertaktigen Phrasen baut sich auf, was an dieser Stelle jeder sicher schon erwartet. Zuvor ab Takt 115 staut sich, noch kurz die Spannung steigernd, über acht Takte eine Synkopenmotivik, die uns aus der Schlusswendung des ersten Teils durchaus bekannt vorkommt.

Die letzten fünf Takte des Werks steigern sich zunehmend dynamisch

Dann wird in Takt 125 aber alle Energie freigegeben und das erste Thema, der A-Teil, präsentiert sich in voller Pracht. Die Takte 123 bis 147 sind identisch mit den Takten 30 bis 54. In Takt 148 rückt dann die Idee von 144 eine Terz tiefer und schlägt weitere Kapriolen mithilfe der etablierten B-Motivik. In Takt 154 geht die Musik noch mal ein Terz tiefer und treibt das Werk, die Motivik verbreiternd, deutlich raumgreifend weiter. In Takt 171 öffnet sich das Werk noch einmal weit, erreicht nun die Tonalität d-mixolydisch und steuert im vollen Tutti, forte, über acht plus fünf Takte, auf ein gewaltiges Largo zu.

Im zunächst üppigen dreifachen Forte zaubern satte, sich addierende Akkorde ab Takt 184 einen klanglichen Höhepunkt, der sich nach zwei Takten abmildert und ab Takt 188 wieder ein sanftes Andante con moto freigibt. Der ruhige zweite Teil bringt sich noch einmal in Erinnerung, zunächst über acht Takte im Tutti eines mp/mf-Wohlklangs. Ab Takt 196 werden über vier Takte die Hörner noch einmal in den Vordergrund gestellt, begleitet von einem neuen Stilmittel: kanonisch nachlaufende Holzbläser. Die letzten fünf Takte des Werks steigern sich zunehmend dynamisch, walzen das auf­taktige amtierende Grundmotiv genüsslich aus und verlängern im voluminösen Allargando der letzten beiden Takte die eigentlich viertaktige Schlussphrase, wirkungsvoll pointiert, letztmalig mit dem Grundmotiv in den Alt- und Tenorlagen. 

Instrumentation

Flöte, Oboe, Fagott, Tenorsaxofon, Baritonsaxofon, Bariton, Tuba, Streichbass mit jeweils nur einer Stimme, der Klarinettensatz komplett, aber ohne Es-Klarinette, Altsax- und Altklarinette unisono eine Stimme, Hörner zwei Stimmen, Trompeten (Kornett) und Posaunen in drei Stimmen, kleine Trommel, große Trommel, Becken, Pauken. Die Besetzung ist traditionell ausgerichtet und die Lagen sind unkritisch. Stichnoten bieten Hilfen an. Artikulationszeichen sind klug und hilfreich zum Nutzen aller erfreulich ausgiebig gesetzt. Das ein oder andere Vorzeichen steht nicht am Notenschlüssel, sondern immer, wenn man es braucht. An diese Technik, die wohl bewusst auf bestimmende Färbungen lenken möchte, hat man sich schnell gewöhnt. 

Fazit 

Es ist wie es ist. Musik spricht einen an, oder auch nicht. Manches ist definitiv “interessant”, schon alleine, weil es handwerklich gut gemacht ist, ansprechend klingt und vielleicht sogar auch noch angenehm zu spielen ist. Wenn dazu aber auch noch der Bauch sein Okay gibt, die Musik also berührt, bewegt und begeistert, dann wird für mich ein Werk erst richtig attraktiv. Bei Frank Ericksons Toccata klingelt es bei mir auf allen Ebenen – auch heute noch. Er weiß immer was er tut: musiktheoretisch ausgereift, musikalisch ansprechend, gleichsam auch pädagogisch wertvoll, mit lyrischen wie auch dramatischen Passagen.